Annette Pehnt - Ich muss los

  • Klappentext
    Unergründlich und scheu ist er, Dorst, der Held in Annette Pehnts kraftvollem erstem Roman. Er läuft in den schwarzen Anzügen seines toten Vaters herum, erzählt als selbsternannter Reiseführer von Limonadebrunnen und Honigfrauen. Seine Phantasie ist grenzenlos, die Nähe zu anderen nicht. Vor allem nicht zu seiner Mutter und ihrem neuen Freund. Erst als Dorst die junge Elner trifft, scheinen seine Zurückhaltung und seine Rastlosigkeit ein Ende zu finden.


    Dorst ist ein Sonderling, ein zielloser, seine Unabhängigkeit liebender Mensch, der Menschenansammlungen genauso verabscheut wie Reglementierungen und feste Pläne. Sobald er sich in irgendeiner Weise eingeengt oder in Besitz genommen fühlt, sucht er das Weite. So wird "Ich muss los" zu seiner Lebensdevise.


    Aus ungeordneten, nicht chronoglischen Erzählfetzen erfahren wird, dass er schon früh seinen Vater verloren hat, während seiner Schulzeit kaum Freunde hatte und eigentlich ein sehr einfaches, unspektakuläres Leben führte. Er unterhielt die eine oder andere Liebesbeziehung, doch nichts war von Dauer oder hatte Beständigkeit. Er war ein sehr guter Schüler, doch nach seinem Einser-Abitur jobbte er als "Reiseführer der anderen Art" in seiner Heimatstadt. Dort lernt er auch Elner kennen, jene Frau, der es vielleicht gelingen könnte, ihn aus seiner Reserve zu locken ....


    Ich gewann Dorst unheimlich lieb. Seine Naivität, sein Leben im Hier und Jetzt ohne einen Gedanken auf die Zukunft zu verschwenden, sein natürlicher Instinkt, auch seine unbeirrbare Menschenkenntnis und seine Prinzipien machen ihn zu einem sehr liebenswerten Menschen, mit dem man leidet und dem man einfach von Herzen wünscht, dass er jemanden findet, der ihn akzeptiert, so wie er ist.


    Ein ganz, ganz wunderbares Buch von einer sehr bemerkenswerten Autorin!

  • Mit diesem Buch habe ich in den letzten beiden Tagen gekämpft.


    Positiv:


    ein Buch über einen besonderen Menschen. Dorst ist besonders, er will eigentlich die Wahrheit sagen, muß jedoch schon als Kind erleben, daß die keiner hören will.
    Er sucht ein eigenes Leben, ideal und autonom, und scheitert immer wieder daran, daß er mit anderen in Beziehung treten muß.
    Zugleich ziehen die anderen ihn an.


    Er versucht, ihnen seine Welt zu zeigen, er geht sogar soweit, daß er als vorgeblicher Stadtführer ein ganz eigenes Bild der Stadt präsentiert, in der er lebt. Er findet immer Leute, die sich seinen Führungen anschließen, so, wie dieses Buch immer Leserinnen und Leser finden wird, die sein 'anderes' Thema anzieht.


    Dorst trifft Frauen, denen er seine Welt in Form von Geschenken nach seinem Geschmack zeigen will, künstliche Rosen etwa bekommt Gun, die es mehr mit echten Pflanzen hat, Jasmin ein Glas Honig, höchster Liebesbeweis für Dorst, aber keiner für Jasmin, die Honig nicht mag.


    Elner, die dritte, kommt Dorst am nächsten, aber letztlich will auch sie zuviel. Und sie versteht ihn nicht wirklich. Als er ihr eine Geschichte aus seinem Leben schenkt und damit von einem 'Wunder' berichtet, das ihm geschah, interessiert sie sich weder für das Wunder noch etwa für das zugrundeliegende Naturschauspiel, sondern für den Bekannten, der Dorst damals begleitet hat. Eben das, was von Dorst am weitesten entfernt ist.
    Dorst Fluchtreflex kommt einem nach kurzer Ziet durchaus plausibel vor, gleich in welcher Situation.


    Die Geschichte ist anrührend. Sie ist verrückt, originell. Zuweilen komt einem Dorst vor wie der kleine Herr Jakobi, eine andere Figur Pehnts, in seiner Jugend.


    Es ist wunderbar geschrieben, treffend beobachtet, brilliant formuliert. Es ist nahezu perfekt durchgearbeitet, Themen, Motive, Metaphern - fast aus einem Guß.
    So einen Text zu lesen, bringt Genuß und das auf höchster Ebene.


    Negativ:


    zu gut? Zu perfekt? Die Figur rutschte mir plötzlich weg. Noch eine eigenartige Handlunsgweise, noch eine Skurrilität - nach etwa 70 Seiten fiel mir auf, daß es mir immer schwerer fiel, mich zu konzentrieren. Die Sprache kann geradezu hypnotisch werden, aber der Zusammenhang mit einem Inhalt wurde für mich immer lockerer.


    In dem Roman blieb ich immer auf Distanz, daran änderte sich nichts. Man schaut und guckt und beobachtet und guckt und beobachtet und schaut. Man staunt. Aber man ist nicht dabei.
    Fast klinisch wird hier präsentiert, unter dem Mikroskop. Steril.


    Es irritiert. Schließlich reizten mich sogar die seltsamen Namen, das ist etwas, was mir eigentlich nie passiert. Aber ich war kurz davor, aufzustöhnen, wenn der Name Elner noch mal fiel. Ich konnte mir nichts mehr darunter vorstellen, nicht die Wärme, die sie haben soll, nicht die dicken Haare, die Dorst (noch so ein Name!) so liebt, nicht ihre Neugier.


    Und Dorst? Mag er weiter durch die Stadt gehen, mit kleinen Jungen Straßenbahn fahren oder angeln gehen. Möge ihm ein Komet begegnen oder die Honigfrau als Erben für ihr Geschäft einsetzen. Möge er glücklich werden nach seiner Fasson, irgendwo in diesem Niemandsland, fern wie der Mond.


    Aber davon erzählen muß mir keiner mehr.


    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Passender Zufall, dass das Buch wieder hier oben ist.


    Ich lese gerade "Das Rätsel der Masken" von Elia Barcelo, das mir sehr gut gefällt. Außer dem Inhalt gefällt mir auch das Design des Hardcovers, ebenso habe ich zwei weitere HC von Piper auf diesem Stapel liegen.


    Da ich gerne nicht nur inhaltlich sondern auch äußerlich schöne Bücher kaufe, habe ich heute auf der Website von Piper gestöbert (Gründe nach neuen Bücher zu stöbern finde ich immer :schaem), einige Bücher sind auch auf der Merkliste gelandet.


    "Ich muss los" von Annette Pehnt hat mich vom Inhalt eigentlich angesprochen, aber der Name des Protagonisten hat mich abgeschreckt.


    Dorst und dann auch noch eine Elner, hmmm. Skurill als Selbstzweck kann ich überhaupt nicht ab und das klang mir ein wenig danach, das habe ich aus der Rezi von Magali auch so herausgehört.


    "Ich muss los" und "Mobbing" von Annette Pehnt habe ich mir aber mal vorgemerkt.

  • Zitat

    Original von Uta
    "Ich muss los" von Annette Pehnt hat mich vom Inhalt eigentlich angesprochen, aber der Name des Protagonisten hat mich abgeschreckt.


    Dorst und dann auch noch eine Elner, hmmm.


    Ich weiß, ich weiß.... das ist ein klein wenig.... zickig :chen ... aber so wie ich kein ganzes Buch lang den Namen Okka Leverenz ertrage, geht es mir mit Dorst und Elner.


    Zwei absolute Totschlagskriterien.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Ich hatte eine so schöne Antwort bereits auf Utas Posting geschrieben und bin mit dem Forum mal wieder abgestürzt.
    Zur Zeit ist es schlimm.
    :cry :cry


    Es ist Pehnts Erstling. Sie gibt sich nicht nur der Geschichte, sondern vor allem der Sprache hin. Es ist ein meisterhafter Text.
    Ob das reicht? :gruebel


    Mein Favorit ist immer noch Insel 34. Es ist völlig schräg, aber in dem Buch finde ich, daß die Verschmelzung von Sprache, Inhalt, Form und Intention der Autorin am besten gelungen ist. Das Buch ist sicher schwierig, wirkte für mich aber nahezu schwerelos.
    Ich muß los dagegen macht den Eindruck, als ob jemand sagte: schaut her, ich hab lange geübt, ich bin toll, ich zeig Euch mal, was Akrobaten können.


    Makellosigkeit kann ja auch etwas Lebloses haben. In die Richtung, bitte nur. Dorsts Geschichte enthält unglaubliche berührende Momente.
    Aber eben Momente.


    Schildkrötenhaus und Mobbing stehen auf meiner Liste, Der kleine Herr Jakobi ist immer noch ein gutes Verschenkbuch bei mir.
    Pehnt gehört sicher zum Interessantestn, was auf dem deutschen Literaturmarkt zur Zeit passiert. <duck>


    Aber falls mir jemand mal den Namen Elner erklären kann - woher??, Vorname? Nachname? - wäre ich doch dankbar.
    :grin


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Mir ging es mit dem Buch ähnlich wie magali. Vieles hat mich be-/gerührt, der Stil ist, wie auch bei "Insel 34", raffiniert, aber auch ich fühlte mich fast immer außen vor. Jedesmal, wenn ich das Gefühl hatte, ein wenig einzutauchen, war das Kapitel zu Ende und ein andere Szene wurde aufgemacht.


    "Insel 34" hat mir sehr gut gefallen, ich war "drin". "Ich muss los" konnte mich leider nicht packen, ich war froh, als ich das kleine Buch beendet hatte.


    Gruß, Bell

  • Auch mir erging es nicht besser als Magali und Bell. Wahrscheinlich eher noch schlechter, da ich das Buch nicht einmal fertig gelesen habe.


    Eine zeitlang ist die sprachlich ausgefeilte Beschreibung von Dorst, Elner und der Umgebung gut zu lesen - 'mal was anderes. Aber nach der Hälfte, als ich als Leserin immernoch keinen "Kontakt" zu Dorst, Elner und Konsorten knüpfen konnte, hat mich die Geschichte schlichtweg nur noch gelangweilt. Der - sicherlich anspruchsvolle - Stil lässt hier keinen Raum für den Leser. Alles nur Beobachtungen. Man spürt nichts, kann nur verfolgen, was Dorst wahrnimmt. Da sind manchmal dramatische- manchmal auch komische Momente, aber nichts davon ließ mich mit erleben. Das wird auf Dauer sehr zäh...
    Allerdings, und das muss man der Autorin wirklich lassen, besitzt Anette Pehnt eine ausgezeichnete Gabe Menschen (und ihre Eigenheiten) zu beschreiben. Aufgrund dessen werde ich es auf jeden Fall noch mit einem weiteren Buch der Autorin probieren. Aber so gar keinen Anteil an Menschen und Umgebung einer Geschichte zu haben reizt mich nicht wirklich.
    Das Lesen dieses Buches kann man mit einem Vortrag vergleichen, der zwar thematisch sehr interessant ist, aber vom Vortragenden mit einer solch monotoner Stimme, ohne Höhepunkte, ohne Begeisterung vorgetragen wird, dass es zur Qual wird zuzuhören.