Der Weg des Schnitters – Tschingis Aitmatow

  • Auch bekannt als Goldspur der Garben, von 1963.


    Titel der russischen Originlausgabe: Materinskoe pole
    Die Erzählung wurde vom Autor vom Kirgisischen ins Russische übertragen.


    Am Ende ist ein Glossar der russischen und kirgisischen Ausdrücke enthalten.


    Handlung (Rückseite):
    Es wird vom Alltagsleben der kleinen Leute erzählt: Die Geschichte der Landarbeiterin Tolgonai, ihre Liebe zu ihren Mann und zu ihren Söhnen, deren Schicksal durch den Krieg eine jähe Wendung nimmt.


    Über den Autor:
    Tschingis Aitmatow, 1928 geboren, war nicht nur in der Sowjetunion ein viel gelesener Schriftsteller. Er wurde bekannt durch die Erzählung Der erste Lehrer und die Novelle Dshamila.
    1935 Umzug nach Moskau. Sein Vater wird 1937 Opfer der stalinistischen Säuberungen. Die Familie flieht zurück nach Kirgistan
    Er war Berater von Gorbatschow.
    Er engagiert sich zudem im Umweltschutz und ist Schirmherr des Schneeleoparden-Schutzprojektes des Naturschutzbundes Deutschland. Tschingis Aitmatow lebt heute als Botschafter der Republik Kirgistan in Brüssel.



    Autorenporträt von Amazon kopiert:
    Tschingis Aitmatow arbeitete als Veterinärmediziner auf dem Experimentiergut des Viehzuchtforschungsinstituts von Kirgisien. Er hatte bereits einige kleinere Erzählungen veröffentlicht und absolvierte 1956 ein Praktikum am Maxim-Gorki-Literaturinstitut in Moskau. Als Diplomarbeit verfaßte er eine Geschichte, gab ihr den Titel "Dshamilja", und seither geht sie um die ganze Welt.


    Siehe auch:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Tschynggys_Aitmatow



    Meine Meinung:
    In seiner ihm eigenen Sprache, die ich in Maßen sehr gerne mag, erzählt Aitmatow, der Autor von Dshamilja (laut Louis Aragon die schönste Liebesgeschichte der Welt) das herzzerreißend traurige (schöne) Leben einer Frau namens Tolgonai, deren Mann und Söhne in den 2. Weltkrieg ziehen. Sie bleibt mit ihrer Schwiegertochter zurück und bewältigt den schweren Alltag ohne Männer mit viel Arbeit und Hunger. Und einige Schicksalsschläge warten noch.


    Interessant ist der Erzählstil. Sie erzählt ihre Geschichte alleine dem von ihr bestellten Feld, auf dem sie ihre Geschichte erinnert.


    Die Geschichte wäre schwer zu ertragen, wenn Aitmatow nicht eine kraftvolle und lebensbejahende, aber auch mitfühlende Sprache wählen würde.


    Zu empfehlen. Traurig, aber nicht sentimental! Trotzdem, Taschentücher beim Lesen nicht vergessen!

  • Zum Inhalt:
    Die Kolchosbäuerin Tolgonai erzählt am Totengedenktag dem Feld von ihrem Leid. Ihren Mann und ihre drei Söhne hat sie im Krieg verloren. Das Feld antwortet ihren Klagen: „Setz dich, Tolgonai. Du darfst nicht so lange stehen mit deinen kranken Beinen. Setz dich, wir wollen gemeinsam überlegen. Erinnerst du dich an den Tag, als du zum ersten Mal hierhergekommen bis?“ In einfachen Worten ruft Tolgonai ihr ganzes Leben in Erinnerung.


    Zum Autor:
    Tschingis Aitmatow, geboren 1928 im Talas-Tal in Kirgisien, gestorben 2008 in Nürnberg. Arbeitete als Viehzuchtexperte in einer Kolchose. Nach Besuch des Maxim-Gorki-Literaturinstituts in Moskau Redakteur einer Literaturzeitschrift, später bei Novyj Mir. 1963, zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung des besprochenen Buches, Auszeichnung mit dem Lenin-Preis für Kunst und Literatur, es folgten zahlreiche weitere Auszeichnungen nicht nur in der Sowjetunion. Politisch engagiert, arbeitet er unter anderem als Berater Gorbatschows und als Botschafter.


    Der Roman (so steht es zumindest unter dem Titel) wurde aus dem Russischen übertragen von Ursula Röhrig.



    Meine Meinung:
    Taschenbuch, 114 Seiten Romantext, es folgen Worterklärungen und ein Aufsatz über Leben und Werk des Autors.


    Tolgonais Leben ist geprägt vom einfachen, bäuerlichen Leben in der Steppe Kirgisiens. Drei Söhne hat sie mit ihrem Mann Suwankul: Kassym, Masselbek und Dshainak; Ersterer heiratet die schöne Aliman. Tolgonais Familie durchlebt große Veränderungen, der Übergang in eine neue Gesellschaftsform, hier „neue Zeit“ genannt, die Arbeit nun in der Kolchose, aber erst recht der 2. Weltkrieg prägen und bestimmen das Leben der Menschen. Die drei Söhne und ihren Mann verliert Tolgonai, es bleibt ihr die Schwiegertochter, die sie wie eine Tochter liebt, wie sie sagt, am Schluss bleibt ihr einzig der Enkelsohn. Ein Leben breitet Aitmatow aus, reich an Leid, aber nicht bar aller Freude.


    „Goldspur der Garben“ ist wohl eine der frühesten Erzählungen Aitmatows, als Erstveröffentlichung des Originals wird 1963 angegeben. Das Buch erschien in Deutschland auch unter dem Titel „Der Weg des Schnitters“, den ich persönlich nicht für so glücklich halte, mir fehlt dabei dieser Hauch des Mythischen, der Bestandteil des Aitmatowschen Erzählens ist.


    Gefallen hat mir der Text, sei er nun als Erzählung, sei er als Roman deklariert. Es ist die große Kunst Aitmatows zu spüren, das Leben der Menschen, ihren eigenen Radius in ihrer Umgebung zu beschreiben, es ist das Jetzt der Personen und die Vergangenheit des Landes, die Mystik, die Mythen der Vorfahren für mein Empfinden gut verwoben, ich mag gerne glauben, dass dieses Leben sich in seiner Ursprünglichkeit so darstellte. Er belässt die Figuren da, wo sie sind, er mutet beispielsweise der Protagonistin Tolgonai, aber auch anderen, kein Wissen zu, das sie nicht haben konnte, er lässt sie in ihrer ganz eigenen Weisheit, gewonnen aus der Beobachtung und dem Leben mit der Natur, und ihrer Schlichtheit, resultierend aus ihrem einfachen Leben, ausgestattet aber mit großer Herzenswärme und Mitleidensfähigkeit.


    Stellenweise hat mich das Buch, gerade was die Naturbeschreibungen angeht, die zwar nicht so ausführlich sind, in ihrer Poesie aber an „Der Stille Don“ von M. Scholochow erinnert. Aitmatow besingt die Menschen, besingt das Leben, die Natur, die Arbeit. Er war offensichtlich von der Einrichtung der Kolchosen überzeugt (oder musste davon überzeugt sein), es wird mir, was aber vielleicht auch der Kürze der Erzählung und ihrer Gewichtung geschuldet ist, suggeriert, die Arbeit dort sei zwar hart, aber ansonsten „alles gut“. Die Zerstörungen an Maschinen, die Knappheit des Saatguts etc. sind selbstverständlich einzig und allein der Tatsache geschuldet, dass fast alle Männer eingezogen und an der Front eingesetzt waren. Thematisiert wird auch nicht, dass die Errichtung der Kolchosen auch einherging mit einem nennen wir es nicht unbedingt pfleglichen Umgang der Natur, wie das zum Beispiel Valentin Rasputin in seinem Roman „Die letzte Frist“ (erschienen nur wenige Jahre später, nämlich 1970) getan hat.


    Betrachtet man Tolgonais Schicksal, kommt man nicht umhin, an Hiob zu denken. Anders als jener biblischen Gestalt sind es Menschen, die dafür sorgen, dass ihr fast alles, was ihr teuer war, genommen wird. Dass sich Tolgonai nicht (wenigstens nicht allzu lange) wie Hiob der Klage und dem Streit mit den Freunden hingibt, sondern sich wieder ihrer Arbeit (und damit dem Allgemeinwohl) widmet, mag durchaus ihrem Pflichtbewusstsein geschuldet sein; mir erschien gerade dieser Aspekt aber auch dem politischen Ansinnen Aitmatows geschuldet: Statt eines Trauerjahrs bekommt Tolgonai gerade einmal sieben Tage zugebilligt, um um ihren Mann und ihren Sohn zu trauern. Es gibt mehrere Motive, die mir ein wenig zu politisch gewollt erschienen, so wird die Kolchose, der Tolgonai angehört, nach einem ihrer Söhne benannt, der bei der Sprengung eines feindlichen Munitionslagers sein Leben ließ, so ist der Deserteur, den es selbstverständlich gibt und der die Kolchose und deren Mitglieder bestiehlt, ein „wohlgenährter Kerl mit feistem Gesicht“ (Seite 95), so versteigt sich Tolgonai in einer Anklage gegen den Krieg zu der Aussage: „...du zwingst den Menschen nicht in die Knie, du entwürdigst ihn nicht“ (Seite 84), so ist überhaupt Tolgonais Arbeitseifer, ja -wut für mich vielleicht ein bisschen zu sehr an das Bild von der „neuen Frau“ angelehnt, der keine Arbeit zu schwer oder zu ungewohnt ist.


    Vielleicht muss man diese kleinen Einschränkungen unter dem abspeichern, was Tolgonai einmal sagt: „Jedes Wort hat seine Zeit...“ (Seite 62). Davon abgesehen habe ich das Buch gerne gelesen. Es ist, wie gesagt, schon etwas zu spüren von dem Zauber des Tschingis Aitmatow.


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