Hallo zusammen,
es kostet mich reichlich Überwindung, hier etwas einzustellen ... aber ich wage es mal. Man kann ja nur lernen!
Ida
Tagewerk
Sie erwachte am späten Vormittag. Die Sonne schien durch die heruntergelassene Jalousie und tauchte das Zimmer in ein dämmeriges Licht. Wohlig streckte sie sich mehrmals, lauschte auf die Morgengeräusche, die von draußen hereindrangen und hörte wie jeden Tag um diese Zeit das Auto des Nachbarn wegfahren.
Sie streckte sich ein letztes Mal, stand auf und ging zu ihrem Essplatz. Langsam und mit Genuss verspeiste sie das Frühstück, das die Mitbewohnerin ihr bereitet hatte. Danach widmete sie sich der Körperpflege, wusch sich und brachte ihr Haar in Ordnung. Sie liebte es, perfekt auszusehen, umgab sich gern mit ihrem natürlichen Duft und verabscheute Parfüm, das einem jede persönliche Note nahm.
Endlich war sie bereit auszugehen. Sie verließ die Wohnung, vermied eine Begegnung mit dem Hund des Nachbarn, einem furchtbaren Geschöpf – groß, zottelig und übelriechend – indem sie rechtzeitig die Straßenseite wechselte, und kam nach einem kurzen Fußmarsch ans Ende der Siedlung, wo sich Felder und Wiesen bis an den Waldrand dehnten. Oh, wie sie die Natur liebte! Endlos konnte sie auf kaum sichtbaren Wegen streifen, den Lauf der Jahreszeiten erleben, im Gras liegen und träumen.
Ihre heimliche Leidenschaft galt den Vögeln. Sie wusste, dass man sie dafür verurteilen würde. Deshalb blieb sie bei ihren Streifzügen für sich. Wer ahnte schon, wie gut es sich anfühlte, einen Vogel zu fangen, den warmen, zuckenden Körper festzuhalten, säuberlich zu zerlegen und in aller Ruhe zu verspeisen? Es war nur lästig, stets darauf zu achten, dass man sie nicht dabei beobachtete. Ungebetene Zuschauer konnten den ganzen Zauber ihres Tuns zerstören.
Heute war sie nicht in Jagdstimmung. Das Frühstück war gut und reichhaltig gewesen. So ging sie ihren gewohnten Weg, genoss die Ruhe und den leichten Sommerwind. Schließlich legte sie sich an ihrem Lieblingsplatz in die Sonne, bis es an der Zeit war, heimzugehen und zu sehen, was man ihr als Abendessen bot.
Einfache Dosennahrung! Was für eine Enttäuschung! Entrüstet wandte sie sich ab. Die Mitbewohnerin würde vergebens darauf warten, dass sie zu zweit einen gemütlichen Abend vor dem Fernseher verbrachten. Sie musste sich ein standesgemäßes Essen verschaffen. Auf dem Heimweg hatte sie gesehen, dass Mülltonnen am Straßenrand zur Abholung bereitstanden. Dort würde sie etwas Essbares finden, das einer Katze würdig war.