Blauweiße Idylle auf dem Cover, Vorsatz wie Vorsatzblatt so strahlend rosarot, daß es selbst Barbie vor den himmelblauen Äuglein flimmern würde. Der Klappentext klingt nach Teenager-Liebe. Was stört, ist die Kuh und nach knapp drei Seiten Text die herbe Erkenntnis, daß es hier um Football geht und zwar in konzentrierter Dosis. Ich hätte das Buch fast weggelegt.
Doch da war etwas, am Erzählton, an der Charakterisierung der Hauptperson, der 15jährigen DJ aus dem Kaff Red Bend mitten im ländlichsten Teil des ländlichen Wisconsin, das mich dazu brachte, tief Luft zu holen, das Schockrosa zu ignorieren und die ersten Seiten noch einmal zu lesen. Und siehe da, dieser Erstling von Catherine Murdock, die nach eigener Aussage bislang weder eine Kuh gemolken hat noch Football - Fan ist, entwickelte im Handumdrehen seinen eigenen Charme. Das liegt vor allem an DJ, die ihre Geschichte erzählt, unverblümt, klar, wenn auch nicht immer ganz ehrlich. Wahrheit tut manchmal weh und wer vermeidet nicht gern das, was weh tut.
DJ Schwenk lebt auf einer Farm, auf der vor allem Milchkühe gezüchtet werden. Der Hof gehörte bereits ihren Großeltern und wurde inzwischen von ihrem Vater übernommen. Die Mutter ist Lehrerin und neben DJ gibt es noch drei Brüder, zwei ältere und einen kleinen. Abgesehen von den Kühen gibt es in der Familie noch eine Leidenschaft und das ist Football. Alle Kühe tragen Namen der berühmtesten Footballspieler der USA, seit es diesen Sport gibt. Das ist der lustige Teil.
Problematisch ist es, daß in der Familie Schwenk Schweigen die Regel ist. Man redet kaum miteinander, nicht darüber, warum die beiden älteren Brüder sechs Monate zuvor das Haus im Zorn verlassen haben und sich seither nicht mehr melden, nicht darüber, warum der jüngste von ihnen buchstäblich nie ein Wort sagt und Tierknochen zusammensammelt, nicht darüber, was es für DJ bedeutet, daß sie die landwirtschaftliche Hauptarbeit übernommen hat, seit ihr Vater sich bei Unfall so schwer verletzt hat, daß es kaum noch gehen kann. Oder warum die Mutter zwei Jobs hat und kaum noch zuhause zu sehen ist. Man schweigt und schuftet.
In diese eigenartige Familiensituation platzt Brian Nelson, ein Teenager wie DJ, gutaussehend, heimlich angeschwärmt, aber leider Quarterback der Football-Mannschaft der benachbarten Kleinstadt. Die Konkurrenz in Person. Reich (im Vergleich zu den Schwenks) und arrogant ist er außerdem. Ausgerechnet er soll in den Sommerferien auf dem Hof aushelfen. DJ ist außer sich. Weshalb sie Brian einfach ausschweigt. Das wiederum kann Brian nicht hinnehmen.
Was folgt, ist alles andere als eine gängige Teenager-Romanze. Es folgt auch keine Mädchen setzt sich gegen gesellschaftliche Normen durch und wird der erste weibliche Footballstar -Kitschgeschichte, obwohl es DJ tatsächlich gelingt, ins Football-Team der Highschool aufgenommen zu werden.
Im Gegenteil wird sich DJ im Lauf der Sommerwochen durch Brians zum Teil sehr grobe Einflußnahme darüber klar, wie merkwürdig sich ihre Familie eigentlich verhält. ‚Wie Kühe’ denkt sie einmal. Die werden geboren, fressen, geben Milch und wenn sie verbraucht sind, bringt man sie zum Schlachthof. Sie fragen nicht, tun nur ihre Pflicht.
Das ist nicht das Leben, das sich DJ wünscht. Es ist aber auch nicht, wie sich herausstellt, das Leben, das sich ihre Eltern gewünscht haben, nicht die Brüder, ja, eigentlich keine und keiner in DJs Umgebung. Zum ersten Mal in ihrem Leben nimmt DJ ihre Umwelt mit wachem Blick wahr, erkennt, daß weder die Dinge noch die Menschen immer das sind, was sie zu sein scheinen. Vor allem aber entdeckt sie , daß man etwas verändern kann. Es muß nicht gleich für immer sein, es muß nicht etwas herausragend Besonderes sein, aber es ist möglich zu handeln. Gleich, was dabei herauskommt, kein Mensch muß eine Kuh sein.
Das verändert nicht die Welt, aber es verändert das Leben der Familie.
„Wenn man nie spricht, dann bleibt eine Menge ungesagt.“ Diesen Satz haut Brian DJ einmal um die Ohren. Das Sprechen, miteinander und über wichtige Dinge, ist das Hauptthema des Buchs. Manches nicht auch noch sagen, ist aber gleichfalls eine Tugend und hin und wieder hätte die Autorin auch sie beherzigen können. Es treten sehr viele Personen auf, es gibt sehr, sehr viele Erkenntnisse über diese Menschen, es gibt viel Arbeit auf der Farm und es gibt viel Football. Obwohl das Buch nur 275 Seiten hat (im US - amerikanischen Original), ist es an manchen Stellen ein wenig zu wortreich. Die Handlung mäandert, es geht um Eltern und Kinder, um Eltern als Eltern, um Liebe in ihren verschiedenen Erscheinungsformen, um Loyalität, um Veränderung, ums Leben und Sterben, um Freundschaft, um die Landwirtschaft, um Schulprobleme und um Football.
Aber man weiß ja, wie das so ist, wenn stille Leute plötzlich anfangen, zu reden. Dann gibt es kein Halten mehr. DJ zuzuhören lohnt sich, auch wenn man ein wenig Geduld dafür aufbringen muß. Nicht nur für die Football-Regeln.