Wisst Ihr, was gestern war? Na? Na?
Also, ich wusste es nicht, die Julia wusste es auch nicht so genau und der Buchhändler, der katholisch und Kommunist ist, wusste es schon gar nicht: Es war Weiberfastnacht in Frankfurt. Schon im Parkhaus wimmelte es von grünen Männchen bzw. Frauchen, die gickerten und lachten und tuschelten und wisperten und das ganze Parkhaus in eine aufgeregte Stimmung versetzten.
Auf der Straße ein ähnliches Bild. Männer, die krampfhaft ihre Krawatten unter Sakkos verbargen und so ein angeklebtes Lächeln im Gesicht hatten, andere Männern, die schon krawattenkastriert waren und entspannt lächeln konnten und wilde Weiber mit großen Scheren in der Hand.
In der Buchhandlung selbst wohltuende Stille. Die Schere lag dort, wo sie immer liegt, nämlich im Kasten mit den Schnipsgummis. Die Männer trugen schwarze Rollkragenpullover und besaßen wohl gar keine Krawatten.
Weiberfastnacht hin, Weiberfastnacht her: In der Buchhandlung waren nur noch zwei Stühle frei und der Reporter vom Wochenblatt hatte sich aus Platzmangel hinter der Kasse aufgestellt.
Die Julia lächelte, wie nur die Julia lächeln kann, und alle Männer schmolzen dahin. Dann las die Julia und dann erzählte sie über das Buch und über das Schreiben und über Paris, und dann las sie wieder und erzählte, und als sie wieder ein Stück ihres Romanes "Die Chronistin" lesen wollte, erklang von draußen das Martinshorn. Die Köpfe der Gäste drehten sich um 45° zum Fenster und bestarrten statt der Julia nun den Rettungswagen, der draußen vorfuhr und auch noch hielt. Die Leute, die sich die Nasen am Schaufenster platt gedrückt hatten, drehten sich um, stellten ihre Alditüten auf den Boden und verschränkten vorfreudig die Arme vor der Brust.
"Is einer hin?", schrie ein Mann den Notarzt an. Ein anderer meinte: "Nö, da hat eine mit der Schere zu tief zugestochen, hohoho."
Die Julia las und die Gäste der Lesung rangen mit sich: Tod im 13. Jahrhundert in einem Kloster in Corbeil oder Tod aktuell auf der Bergerstraße in Frankfurt. Die Köpfe gingen hin und her, und die Julia las.
Ich hibbelte ganz raschelig auf meinem Stühlchen hin und her und hätte den Rettungswagen am liebsten eigenhändig 100 Meter weiter geschoben, aber das war nicht nötig! Die Julia las und dann lächelte sie und schon war den Lesungsgästen der aktuelle Tod auf der Berger Straße piepwurscht und sie wollten mit der Julia zurück ins 13. Jahrhundert.
Nach zehn Minuten hörte die Julia aber plötzlich auf zu lesen, lächelte ins Publikum und sagte: Bei einem von Ihnen klingelt das Handy.
"Nein", rief eine Dame aus der letzten Reihe, eine angebliche Baronin. "Nein! Das ist kein Handy, das ist die Einparkhilfe vom Rettungswagen, der gerade abfährt."
Wusch. Die Köpfe gingen herum und nun guckten wir erst einmal alle, wie der Rettungswagen mittels Einparkhilfe aus der engen Parklücke heraus fuhr. Dieses Ereignis hatte eine Lesungsbesucherin derart mitgenommen, dass sie, kaum hatte die Julia wieder angefangen zu lesen, sofort ein Glas Wasser und eine Tablette brauchte und lauthals danach rief. Der Buchhändler eilte, katholisch und kommunistisch, wie er nun mal ist, in die Hinterräume und leistete erste Hilfe.
Dann waren jeder mit allem versorgt und die Julia konnte in Ruhe weiterlesen.
Das machte sie so gut, dass ALLE, ich wiederhole: ALLE Besucher ein Buch von ihr kauften.
Und danach gingen wir noch einen Wein trinken und redeten über Gott und die Welt und lachten, wenn krawattenkastrierte Männer gehetzt in die weiberfastnachtsfreie Kneipe stürzten und die Krawattenkastration erst einmal mit einem Schnaps verarbeiten mussten.