Am Samstag war die Lesung --- und ich bin immer noch den Bericht schuldig. Na denn:
Ines und ich wollten zumindest von Frankfurt aus gemeinsam fahren. Aber die Folgen von Mr Kyrills Umtrieben in Nordmittelhessen waren noch immer nicht völlig beseitigt. Mein Zug hatte Verspätung, es war ohnehin der erste, der auf der gerade bereinigten Strecke fahren konnte, und während ich auf dem Bahnsteig wartete, donnerten mehrere Güterzüge in einem Affenzahn vorbei. Man hatte das Gefühl, Mr Kyrill sei mal eben zurückgekehrt.
Die Fahrt nach Frankfurt war aufgrund der Verspätung ein wenig spannend, aber ich traf rechtzeitig ein. Den Rest der Fahrt verbrachten Ines und ich standesgemäß schwatzhaft im rauchfreien Bord-Bistro und schließlich in einer Straßenbahn von Mannheim nach Bad Dürkheim, wo wir erst einmal pälzesch futterten, bevor uns ein Taxi nach Ungstein kutschierte.
Das Landhaus Heinrich ist ein gemütliches kleines Restaurant mit einigen Zimmern, urig-romantisch eingerichtet, eine fröhliche Mischung aus Antiquitäten und Second Hand. Zu Ines' großer Begeisterung befaßt sich der Küchenchef auch mit der Kunst der Schokoladenmacherei, fertigt selbst Pralinen und handelt mit allerlei schokoladigen Spezialitäten, tw. sehr origineller Natur wie z.B. Schokoladengrappa, Schokoladenessig, Schokola-- ach, ich soll von der Lesung erzählen?
Wie angekündigt gab es ein Menü aus der "experimentellen molekularen Küche" -- das klingt nach Chemiebaukasten, ist aber eine wirklich faszinierende Sache: Durch besondere Verfahren werden Lebensmittel in ihrer Beschaffenheit verändert, nicht allerdings im Geschmack. Inzwischen kennt man das ja aus dem Fernsehen, aber es wirklich mal probiert zu haben, ist schon eine ganz eigene Sache.
Wir wurden beglückt z.B. mit Garnelen mit Popcornpuder und frischem Wasabi, einer Tomatenwolke (!) mit Mozzarella und Balsamicoschaum, rosa gebratener Entenbrust mit Gemüsekugeln und Orangensalz ... alles Gerichte, die man zu kennen glaubt -- aber so noch nicht gesehen und geschmeckt hat.
Nach dem dritten Gang (und einem Gläschen herrlich halbtrockenem Gewürztraminer) kam Ines zum Zuge und erzählte eloquent vom späten Mittelalter, von Pico della Mirandola und der Wiederentdeckung der Eigenverantwortlichkeit und -- was viel wichtiger war -- von einem Überfall auf Silberschmiedin Eva in ihrer Leipziger Werkstatt
Der Vortrag wechselte mit drei weiteren Gängen (u.a. Zander mit Sauerkrauttagliatelle und Flädlesuppe extra dry -- bitte raten! :lache), dann erzählte Ines von den Heiratsplänen Reginas, die sich an der Seite des Stadtarztes Adam, eines Sodomiters, wie man die Homosexuellen damals nannte, das Leben einer Bürgerin gehobenen Standes erhofft -- und Priska beschließt, die selbstsüchtigen Pläne ihrer Zwillingsschwester zu durchkreuzen.
Es gab zwei Nachspeisen, eine kugelige Mangoravioli und ein frostiges Parfait mit Riesentrüffel, das den Vogel abschoß, dann führte Ines uns in die Unterkünfte der kranken Armen vor der Stadt Leipzig und zu den Huren im Frauenhaus, denen zu helfen sich Priska entschlossen hat. Im Rahmen desn Abend swurde es allerdings nicht unappetitlich.
Ines gelang es noch, den Küchenchef aus der Küche zu locken, damit auch er seinen Applaus bekamt. Danach gab es nette und interessante Gespräche mit Gästen, die auch Bücher kauften und sich widmen ließen, So langsam klang der Abend aus, denn inzwischen ging es auf Mitternacht zu. Der Wein (in meinem Falle ein fruchtiger Grauer Burgunder :P) tat auch seine Wirkung und wir haben uns nach einer überaus sinnlichen Veranstaltung in die Kissen gekuschelt.
Wen 's interessiert: am 21. April werde ich dort aus Wolf und Adler lesen -- und zu essen gibt es wieder derlei originelle Speisen, an denen die alten Römer sicher ihre helle Freude gehabt hätten.