Die Autorin:
Kate Atkinson gibt offen zu, daß sie für ihren Debütroman autobiographisches Material benutzt hat: Wie ihre Heldin Ruby wurde sie 1951 in York geboren, lebte lange in Schottland und hat zwei Töchter. Sie wohnt in Whitby, Yorkshire. Familienalbum wurde mit dem Whitbread Award ausgezeichnet, der neben dem Booker der wichtigste britische Literaturpreis ist.
Das Buch:
Schon im Mutterleib ahnt Ruby Lennox, daß die Familie, in die sie hineingeboren wird, nicht gerade perfekt ist. Das Leben im ländlichen Yorkshire ist ärmlich, die Eltern verstehen sich nicht besonders, und die Schwestern Patricia und Gillian sind über den unerwarteten Familienzuwachs alles andere als erfreut.
Bunty, Rubys Mutter, hat Vater George eher aus Not denn aus Liebe geheiratet und ist mit ihrem Leben unzufrieden. George geht fremd, um dem trüben Ehealltag zu entfliehen. Und diese Verhältnisse haben Tradition in der Familie. Zusammen mit Ruby blättern wir in den Bildern der Vergangenheit wie in einem Familienalbum:
Wir erfahren, sie die Urgroßmutter mit einem französischen Fotografen durchbrannte, wie Großmutter Nell eine Vernunftsehe schloß und wie sie ihr Unglück an die Tochter – Rubys Mutter – weitergab.
Auch Ruby scheint es zunächst nicht besser zu ergehen.
Nach einer recht durchschnittlichen Kindheit und Jugend in den 50er und 60er Jahren landet auch sie in einer keineswegs idealen Ehe. Doch Ruby unterscheidet etwas von ihren weiblichen Vorfahren: Sie spürt den Drang, ihre Geschichte und die der anderen Frauen zu erzählen und im Laufe dieses Berichts stößt sie auf bisher unbekannte Geschehnisse.
Meine Meinung:
Im Buch wechseln sich die Kapitel (Rubys Geschichte chronologisch erzählt) mit den Fußnoten (zeitlich sprunghafte Rückblenden) ab. Unter Fußnoten sollte man hier aber nicht typische kurze Texte am unteren Blattrand verstehen, sondern diese Fußnoten sind ebenfalls ganze Kapitel.
Rubys humorvolle Erzählweise macht den besonderen Reiz dieses Buches aus:
Schon der Anfang läßt einen schmunzeln, denn Ruby beginnt die Geschichte mit ihrer Zeugung:
Ich bin! Ich werde zu den Mitternachtsschlägen der Uhr, die sich auf dem Kaminsims im Zimmer am Ende der Diele befindet, empfangen. Die Uhr gehörte einst meiner Urgroßmutter (einer Frau namens Alice), und ihre matten Glockenschläge läuten mich in die Welt. Ich werde mit dem ersten Schlag begonnen und mit letzten vollendet, als mein Vater von meiner Mutter herunterrollt und dank der fünf Pints John Smith’s Best Bitter, die er im „Punch Bowol“ mit seinen Freunden Walter und Bernhard Belling getrunken hat, sofort in einen tiefen traumlosen Schlaf abtaucht. In dem Augenblick, in dem ich vom Nichts ins Sein geglitten bin, hat meine Mutter – wie sie es in sochen Momenten häufig zu tun pflegt – so getan, als würde sie bereits schlafen …
Im Laufe der Geschichte werden die Zusammenhänge zwischen Gegenwart (Rubys Geschichte) und Vergangenheit immer klarer und eine Menge Familiengeheimnisse kommen zutage.
Es ist ratsam sich während des Lesens einen Familienstammbaum anzulegen, da man sonst sehr schnell bei den vielen Personen und Geschichten den Überblick verliert.
Ansonsten kann ich das Buch nur wärmstens empfehlen.