Das böse Mädchen – Mario Vargas Llosa

  • Originaltitel: Travesuras de la nina mala
    2006 in Madrid erschienen


    Klappentext:
    Als er sie zum ersten Mal sieht, tanzt sie den Mambo wie keine andere, damals in Miraflores, Sommer 1950. Sie ist, wie er, fünfzehn Jahre alt - aber was für Freiheiten nimmt sie sich heraus! Wie aufregend wenig bekümmert sie all das, was man in diesem steifkatholischen Lima tut oder nicht tut. Und dann ist sie plötzlich von einem Tag auf den anderen verschwunden. Die Erinnerung an das "böse Mädchen" und ihr geheimnisvolles Anderssein läßt Ricardo nicht mehr los. Seine Freiheit besteht darin, nach Paris zu gehen, als Übersetzer, ein intellektuelles Glück, von dem er glaubt, es könne ihm genügen. Da aber taucht aus heiterem Himmel das "böse Mädchen" auf, unterwegs nach Havanna, wo sie zur Revolutionärin ausgebildet werden soll. Sie lieben sich in einer Nacht, die bestimmt ist von dem Wissen, daß ihre Wege wieder auseinandergehen. Seinen hitzigen Antrag, mit ihm zu leben, hat sie lachend zurückgewiesen. Nicht lange darauf bricht sie als eine verheiratete Madame Arnoux wieder in sein Leben ein und zerstört seine mühsam wiedergewonnene Gelassenheit. Von da an wird sie, die ihm unter wechselndem Namen begegnet, in immer abenteuerlicheren und gefährlicheren Liebesverbindungen, zur Obsession seines Lebens. Paris, London, Tokio, Madrid sind die Stationen ihrer rätselhaften Kometenbahn, die seinen Lebenskreis ein ums andere Mal schneidet.


    Zum Autor laut Klappentext:
    Mario Vargas Llosa, 1936 in Arequipa/Peru geboren, lebt in Madrid, London, Paris und Lima. Sein Werk, mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, erscheint auf Deutsch im Suhrkamp Verlag.



    Meine Meinung:
    Zu dem Roman gibt es positive Rezensionen, aber überwiegend Verrisse und ich kann beide Standpunkte verstehen und teilen.
    Der Ansatz über die Jahrzehnte (50ziger, 60ziger, 70ziger bis 80ziger) durch verschiedene Länder und Städten wie Peru. Paris, Tokio und London sowie die zeitgeschichtlichen Ereignisse anhand einer schwierigen Liebesgeschichte zu erzählen, ist gut, aber über zu vieles wird hinweggegangen oder politische und kulturelle Ereignisse nur abgehakt, einige Klischees, ob nun zutreffend oder nicht, sind zu viel und das erzählerische Niveau schwankt. So wirft das böse Mädchen dem Erzähler öfters seine kitschigen Ausdrücke vor. Davor ist der Autor an manchen Stellen auch nicht ganz gefeit.


    Trotzdem sollte man das Resignative und das Sentimentale des Erzählers nicht mit dem Autor verwechseln. Dieser Erzählstil dient dazu, die Geschichte möglichst elegisch aufzubauen.
    Die Darstellung der obsessiven Liebe konnte ich dem Autor am Anfang nicht ganz abnehmen.
    Von Übersetzerin Elke Wehr ist anscheinend gute Arbeit geleistet worden, denn der Roman lässt sich trotzdem gut lesen.
    In der zweiten, intensiveren Hälfte steht fast ausschließlich die Liebesgeschichte im Vordergrund und der Roman wird dadurch fesselnder, glaubwürdiger und die obsessive Liebe begreifbar.


    Am meisten begeisterten mich Beschreibungen kleiner Details, wie z.B. die Arbeit eines Übersetzers, die unterschiedlichen Sitten der verschiedenen Länder in denen die Handlung jeweils spielt, die Städte wirken in der jeweiligen Zeit authentisch, das wundert nicht, schließlich hat Mario Vargas Llosa immer in diesen Zeiten in den genannten Städten gelebt und die Freundschaft die der Erzähler mit seinen Nachbarn und deren stummen, vietnamesischen Adoptivsohn schließt.


    Wer die Postmoderne in diesem Roman sucht, wird ähnlich wie beim zeitgenössischen amerikanischen Roman Versatzstücke davon finden, mit denen gespielt wird, gelebt werden sie aber nicht.
    Stilistisch verzichtet Vargas Llosa auf die maßvoll eingesetzten, avantgardistischen Erzählexperimente früherer Werke. Ob er mit diesem Roman den Literaturnobelpreis wirklich näher kommt, bleibt offen!


    In den besten Momenten des Buches war es ein literarischer Leckerbissen, in den schwächeren immerhin noch ganz unterhaltsam.
    8 von 10 Punkten, da die sprachliche Kraft, die Vargas Llosa hat, doch oft aufblitzte und diese Literarische Qualität wirklich nicht jeder Autor besitzt.


    ASIN/ISBN: 3518468170

  • Vielen Dank, der Titel liegt noch in meinem RUB,
    aber Deine Rezension hat mir sehr geholfen, ihn ein wenig
    weiter nach ober zu befördern :-)


    Dankbare Grüße von Elbereth :wave

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson

  • Heute habe ich das Buch zu Ende gelesen und ich bin immernoch ziemlich benommen.


    Ich habe Herr Palomars Meinung gelesen und kann dem eigentlich nichts hinzufügen.


    Man kann mit den Charakteren ziemlich mitfiebern. Zum einen der unsterblich verliebte arme Teufel, dem man teils Mitgefühl entgegenbringt und teils ohrfeigen könnte für seine Naivität und dann das böse Mädchen, welches diesem Spitznamen alle Ehre macht und man sie von Zeit zu Zeit abgrundtief hassen könnte für ihre Kaltblütigkeit, aber die Hoffnung, daß sie in ihrem Herzen ganz tief eigentlich ein guter Mensch ist und alles sich zum guten wenden wird, nie aufgeben möchte.


    Spannend und mitreisend, vorallem sprachlich ein Genuss!


    Unbedingt lesen würde ich sagen!


    LG,
    Sibel

  • Nachdem gestern bekannt wurde, dass der Autor den Literatur-Nobelpreis erhalten hat und auf der Buchmesse in Frankfurt ganz stolz dieses Buch in die Kameras gehalten wurde (es gab nur 4 ganze Exemplare von Mario Vargas Llosa), musste ich unbedingt hier bei uns Eulen suchen, ob es eine Rezi zu dem Buch gibt...schön, sie hier zu finden! Sie macht neugierig auf das Buch und auch die Leseprobe, die ich im Netz gefunden habe, klingt toll. Es ist bestellt. Danke für eure Meinungen. :wave

  • Nach einem Drittel lege ich diesen Roman nun beiseite - aus 2 Gründen: zum einen kann ich die Obsession nicht nachvollziehen, sprich sie wirkt nicht glaubwürdig, und zum anderen fabuliert mir Llosa ein wenig zu viel. Das ist zwar Markenzeichen der lateinamerikanischen Erzähler und ihres magischen Realismus, mir aber momentan etwas zu viel Rumgeeiere.

  • Also ich habe das Buch vor einigen Jahren gelesen. Ich weiß noch, dass ich es in zwei Tagen verschlungen habe und dass es mich tief berührt hat. Aber es mag sein, dass dies nicht unbedingt an der herausragenden literarischen Qualität lag sondern an den Emotionen, die es bei mir hervorrief aufgrund gewisser Wiedererkennungseffekte. Ich konnte die Obsession des Protagonisten möglicherweise zu gut nachvollziehen.

  • Vielleicht fehlt mir im Moment noch der nötige Abstand, um meine Meinung zu diesem Buch kund zu tun, denn ich habe "Das böse Mädchen" erst vor wenigen Minuten beendet, doch gerade, weil alles noch so frisch ist, weil ich noch so halb in der Geschichte schwelge, will ich meine Gedanken dazu gleich los werden.
    Als erstes sei gesagt, dass dies das erste Buch ist, das ich von Mario Vargas Llosa gelesen habe. Mir fehlt also jeglicher Vergleich zu seinen früheren Werken. Allerdings hatte ich mich, nachdem ich es ausgeliehen hatte, ein wenig darüber informiert, und wollte es fast schon ungelesen wieder in die Bücherei zurückbringen, so schlecht, wie manche Rezensionen bei amazon.de ausgefallen sind. Aber irgendwie konnte ich meine Voreingenommenheit dann doch ablegen und gab dem Buch eine Chance. Und siehe da, der Anfang gefiel mir gar nicht so schlecht wie erwartet. Ich sah in den ersten hundert Seiten kein Meisterwerk, mehr Trivialliteratur, aber doch sehr unterhaltsame und einigermaßen spannende, zuweilen recht gut geschriebene Trivialliteratur. Doch dann begann dieses Buch, mich zu fesseln. Es müsste etwa an der Stelle gewesen sein, wo Juans Leben als Hippie in London beschrieben wird, als er sich mit der alten Dame anfreundet, deren Hündchen er portraitiert. Irgendwo da machte es "klick" und ich konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen.
    Die Obsession, die Ricardo für das böse Mädchen teilt, konnte ich lange nicht nachvollziehen. Aber ich muss sagen, dass mir Ricardo, trotz seiner augenscheinlichen Dummheit (kann man es anders nennen, sich von einer Frau, die einen nur verletzt und ausnützt, derart abhängig zu machen?), sehr sympathisch war. Das böse Mädchen konnte ich lange nicht leiden, erst später, in den letzten hundertfünfzig Seiten, konnte ich auch an ihr einiges Menschliches erkennen, und damit wurde auch sie mir... zwar nicht sympathisch, aber zumindest sympathischer. Vor allen Dingen tut sie mir aber leid.
    Was mir an dieser Geschichte aber am meisten imponiert, ist ihre Authentizität. Auch wenn ich das Verhalten der Protagnonisten nicht immer nachvollziehen konnte, erschien mir alles ausgesprochen glaubhaft... realitätsnah. Vielleicht gerade deswegen, weil ich es nicht immer nachvollziehen kann. Denn in der Realität ist es ja auch nicht anders bestellt.


    Im Grunde genommen, ist "Das böse Mädchen" eine sehr große, wahre Liebesgeschichte, die nur nicht als solche erscheint. Wie sollen wir darin auch eine Liebesgeschichte erkennen, wenn die Norm eine ganz andere Sicht darüber suggeriert, wie Liebesbeziehungen auszusehen haben. Filme, Bücher, ja vor allem die eigenen Erfahrungen geben uns ein Bild davon, was Liebe ist. Wir lernen alle möglichen Formen von Liebe kennen, erwiderte Liebe, unerwiderte Liebe, enttäuschte Liebe, glückliche Liebe, verlorene Liebe, abhängige Liebe... aber nur sehr selten haben wir es mit einer so verqueren Liebe zu tun, die Ricardo und das böse Mädchen für einander hegen, diese Liebe vereint eigentlich alle oben genannten und noch einige mehr. Eine sehr vielschichtige Liebe, die gleichermaßen Glück wie Unglück bringt, die nur ein sehr schmaler Grat zum Hass trennt, oft verwischen sich die Grenzen sogar.
    Ja, für mich ist dieses Buch eine ausgesprochen eindrucksvolle Liebesgeschichte, mit einem bitteren Beigeschmack.


    Rein sprachlich ist das Buch leider nur in wenigen, dafür aber entscheidenen Momenten ein Meisterwerk. Meist bewegt sie sich jedoch im besseren Mittelfeld des Unterhaltungsliteraturniveaus. Gut lesen lässt es sich aber auf jeden Fall.


    Trotz der sprachlichen Abzüge (die auf meine relative hohe Erwartung an Vargas Llosa zurückzuführen sind) und den anfänglichen Schwierigkeiten, gebe ich dem Buch 8,5 von 10 Punkten.

  • Mein Problem mit diesem Buch ist ganz einfach beschreiben: hätte da als Autor Thomas Meister, unbekannter Jungautor schreibt seinen Debütroman draufgestanden hätte ich das Buch sofort unbeeinträchtigt hoch gelobt. So hatte ich immer die Erwartung, da muss doch jetzt etwas kommen, dass dieses Buch so bedeutender macht, als wenn es von Lieschen Müller wäre? Ich habe mich dann irgendwann entschlossen mich von diesen von außen beeinflussten Erwartungen zu verabschieden und mich auf das Buch einfach einzulassen und finde es ein wirklich großartigen Roman. Sicher man kann Vargas Llosa vorwerfen er habe sich zuwenig mit der Politik seiner Zeit auseinandergesetzt. Doch das halt ich für verlogen. Das Buch ist konsequent aus der Binnensicht des Erzählers geschrieben, eines Menschen, der die persönliche Entwicklung seiner Person und seine Liebe zu einem Mädchen beschreibt und für den seine Umgebung zurücktritt vor diesem Lebenszentrum um den sich alles dreht. Ein Mann, dessen Lebensziel nichts anderes ist als in Paris zu leben. ein Mitglied der peruanischen Mittelschicht, dessen Ziel es ist als Mitglied der Mittelschicht in Frankreich zu leben - und der eigentlich innerlich schon daran scheitet - er ist irgendwann kein Peruaner mehr, aber auch nie Franzose. Daneben seine große Liebe, die er in genau dieses Leben integrieren will, die dies aber aufgrund ihrer eigenen Lebenseschichte nicht kann, obwohl sie sicher ihn genauso tief liebt wie er sie, sein Leben kann sie nicht teilen - sie stürzt sich und damit auch ihn auf ihrer eigenen Suche von einem Schockzustand in den Nächsten, sie will aufbauen und wirkt doch zerstörerisch. Eine sehr realistische Geschichte, eine tragische Geschichte zweier Liebender.