Kiran Nagarkar
Gottes kleiner Krieger
Inhaltsangabe des Verlages (A 1)
Von den dunklen Seitenstraßen in Bombay zu den heiligen Hallen von Cambridge, von der Jagd nach Salman Rushdie zu den Terroristencamps in den Bergen Afghanistans, vom abgeschiedenen Trappistenkloster in Kalifornien zu den geheimen Weihen und kriminellen Machenschaften der
internationalen Finanzwelt führt der Kreuzzug von Zia Khan – Gottes kleinem Krieger. Egal, welchen Glauben er verteidigt und welcher Weltreligion er sich in den verschiedenen Phasen seines Lebens verpflichtet fühlt: Zia – Sprössling einer liberalen muslimischen Familie aus Bombay und ein begnadetes Mathematikgenie – glaubt, der Auserwählte zu sein, dazu erkoren, die Welt zu retten. Eng verknüpft mit Zias Schicksal ist das seines Bruders Amanat, der einen ganz anderen Weg wählt – brüchig, voller Zweifel, nicht ohne Schuld, doch offen für die Welt und das Leben.
Ihre Überzeugungen könnten unterschiedlicher nicht sein, aber beide sind auf ihre Weise konfrontiert mit den großen Themen von Hingabe und Verrat, Gott und Moral, Gut und Böse, Religion und purem Leben.
Daraus entsteht ein meisterhaft erzählter, mitreißender Roman, der philosophische und zugleich politische Einblicke in die Fragen unserer Zeit eröffnet: Religiosität, Extremismus, Globalisierung, Liebe, die menschliche Natur und die universelle Frage nach dem Sinn des Lebens.
»Gottes kleiner Krieger« zeigt schonungslos, wie schmal die Grenze zwischen echter Hingabe und Fanatismus ist.
Der Autor
Kiran Nagarkar lebt in Bombay.
Der zweisprachige Autor - er schreibt in Marathi und Englisch - veröffentlichte Romane, Theaterstücke und Filmdrehbücher.
Sein erster Roman »Seven Sixes are Forty-three« gilt als Meilenstein der indischen Literatur nach der Unabhängigkeit. Auch sein Roman »Ravan & Eddie« spielt im postkolonialen urbanen Indien und beschäftigt sich auf sehr amüsante Weise mit Schuld, Sünde und Sex, Verbrechen und Strafe
sowie der Entdeckung des eigenen Ichs. Nach Erscheinen seines jüngsten Romans »Krishnas Schatten« (Original: »Cuckold«) wurde Kiran Nagarkar im Jahr 2000 die höchste Anerkennung der indischen Literaturakademie, der Sahitya Academy Award, verliehen.
(Quelle:A1 Verlag)
Meine Meinung
Mein erster Eindruck war ja nicht so prickelnd. Aber ab Seite 100 nimmt das Buch Fahrt auf und hat mich bis zum Schluß nicht mehr losgelassen. Das Ende kam dann völlig unerwartet und hat mich regelrecht geschockt, war aber absolut passend und stimmig zur Gesamthandlung (und eigentlich auch nicht anders zu erwarten).
Aber der Reihe nach:
Das Buch erzählt die Geschichte der beiden Brüder Amanad und Zia Khan. Die Brüder können unterschiedlicher nicht sein. Amanad ist kränklich, pessimistisch und grüblerisch. Um nicht in die Fußstapfen seines Vaters treten zu müssen, studiert er Industriedesign - ein Fach, an dem er
eigentlich überhaupt kein Interesse hat. Dann versucht er sich erfolglos als Schriftsteller und folgt dann schließlich doch seinem Vater und wird Architekt.
Während Amanads religiöser Standpunkt dem diffusen Liberalismus seiner Eltern ähnelt, wird sein Bruder Zia von der mit im Haushalt lebenden Tante streng moslemisch erzogen. Dies muß teilweise heimlich geschehen, da die Eltern sich an ihrer eigenen Interpretation des Koran orientieren. So verbieten Zias Eltern ihm, gemeinsam mit seiner Tante den Fastenmonat zu begehen. Also fastet Zia heimlich, indem er die zu sich genommenen Mahlzeiten absichtlich wieder erbricht.
Zia ist ein begnadeter Mathematiker. Dementsprechend muß er natürlich auch Mathematik studieren. Über eine Bekannte seines Vaters bekommt Zia einen Studienplatz in England. Diese Bekannte, die Zia "Tante" Antonia nennt, ist als Inhaberin eines Lehrstuhls für Theologie eine der bekanntesten Katholikinnen Englands. Entgegen aller Erwartungen versagt Zia beim Studium, weil es ihm viel zu theoretisch ist. Durch einen Zufall landet er in einer Volkswirtschaftlichen Vorlesung und entdeckt hier seine wahre Berufung. Schnell profiliert er sich dank seines mathematischen Genies als Entwickler neuer Wirtschaftstheorien und so ist der Abschluß nur noch Formsache.
In seine erste geistliche Kriese stürzt Zia, als ihm seine Tante gesteht, dass sie ihn als todkrankes Baby christlich hat taufen lassen. Ist er nun Moslem oder Katholik? Die geistliche Not aus dieser Frage treibt ihn in den religiösen Extremismus und er schließt sich muslimischen Terrorgruppen an. Immer wieder erscheint ihm der lebendige Jesus und möchte ihn von seinen Gewalttaten abhalten. Doch als Antwort treibt es Zia nur noch schlimmer.
Bis er schließlich von seiner Schuld überwältigt wird und sich dem christlichen Glauben zuwendet. Als Buße für seine Taten schließt er sich einer katholischen Kommunität an und wird Mönch. Die ganze Hingabe, mit der er einst Allah gedient hat, gilt nun seinem Erretter Jesus. Er wird ein vorbildlicher Mönch, der die biblischen Gebote bald strenger einhält als sein Abt.
Als ein Sturm die Abtei zerstört, ist es Zia (der sich nun Lucens nennt), der durch gewagte Finanzspekulationen das für den Wiederaufbau nötige Geld beschafft. Durch sein mathematisches Genie scheint er einen sechsten Sinn für den Aktienmarkt zu haben, und diese Fähigkeit setzt er zum Nutzen der Abtei ein.
Der Selbstmord eines Mit-Bruders der Abtei läßt die unterschiedlichen Glaubensauffassungen eskalieren und Lucens verläßt die Abtei im Einvernehmen mit seinem Abt.
Nun setzt er seine Fähigkeiten zum Wohle von Anti-Abtreibungsinitiativen ein. Hier ist er wiederum genauso fanatisch, wenn es darum geht, die Mörder ungeborenen Lebens zu bekämpfen. Auch hier schreckt er vor Terrorakten nicht zurück.
Doch eines Tages verläßt ihn sein sechster Sinn und er führt die inzwischen überregional etablierte Vereinigung an den Rand der finanziellen Katastrophe.
Wie der Teufel aus der Kiste erscheint nun Shakta-Muni auf der Bildfläche. Muni ist der Guru des Vaters seines ehemaligen Studienkollegen und besten Freundes Roy. Dieser Muni ist als Führer einer extremen Hindu-Sekte eine äußerst zwielichtige Figur. In Indien unterhält er ein riesiges religiöses Schulungs- und Einkehrzentrum, und nicht nur Lucens fragt sich, woher eigentlich das notwendige Geld dafür kommt. Er leiht Lucens 10 Millionen Dollar und deutet an, einen Weg zu kennen, wie Lucens seine verlorengegangene Fähigkeit zurückerhalten kann. Dem Leser drängt sich
der Eindruck einer Satansgeschichte auf: Verkauf mir deine Seele und ich gebe dir was du willst.
Und so kommt es auch.
Lucens unterzieht sich einem hinduistischen Initiationsritus, der mit einer Namensgebung abschließt. Spätestens jetzt, als er von Muni als Abschlußgeschenk einen Diplomatenpass auf seinen neuen Namen erhält, ahnt man die Quelle des Reichtums. Man verdingt sich als Waffenhändler!
Auch in diese Aufgabe legt Tejas, wie er seit der hinduistischen Initiation auch heißt, seinen vollen Einsatz. Er hat sich vorgenommen, das mit Kleingeschäften vor sich hin dümpelnde Unternehmen in die Liga der ganz Großen zu führen. Denn schließlich dient ja alles einem guten Zweck: dem Schutz des ungeborenen Lebens. Und schließlich: Wenn Tejas und seine Firma das Geschäft nicht mitnehmen, macht es eben ein anderer.
Und so bahnt er dann ein Geschäft mit zweistelligem Milliardenvolumen an. Bevor das jedoch unter Dach und Fach ist, wird es noch einmal richtig spannend...
Fazit
Der Schreibstil des Autors wechselt zwischen Erzählung, Tagebucheintragungen und Briefen. Das läßt die rund 700 Seien des Romans wie im Fluge vergehen, zumal der Perspektivenwechsel nie zwanghaft, sondern immer "passend" wirkt.
Der Roman ist unglaublich dicht durch die vielen Handlungsstränge. Nicht nur Zias Entwicklung wird beschrieben, sondern auch die seines Bruders Amanat - jede für sich schon Stoff für eine eigene Geschichte. Dazu kommt, dass Kiran Nagarkar ein phantastischer Erzähler ist. Wenn er die Landschaften beschreibt, tut er das so eindringlich, dass man meint, die schwüle Hitze Indiens, die Kargheit der afghanischen Berge oder die feuchte Kühle Englands direkt zu erleben.
Ich hatte keine Schwierigkeiten, mich auf die Figur Zia Khans einzulassen und seine Motive nachzuvollziehen. Nagarkar hat einen (nicht: "den") nachvollziehbaren Erklärungsansatz für religiösen Extremismus geliefert und erspart dem Leser - der sich darauf einläßt - nicht, sich eigene Gedanken zu machen.
Nach meinen anfänglichen Einstiegsschwierigkeiten konnte ich es kaum erwarten, weiterzulesen.
Für mich ist der Roman ganz große Literatur und das Beste, was ich seit langem gelesen habe.
Empfehlung: Unbedingt lesen!
Grüße
D.