Ausgaben:
The House Gun. HC Farrar Straus Giroux 1998. ISBN: 0374173079
PB Bloomsbury 1999. ISBN: 0747542570
Klappentext:
Ein junger Mann betritt das Haus einer Wohngemeinschaft, wechselt ein paar Worte mit einem auf der Couch liegenden Freund, ergreift Die Hauswaffe, die in Johannesburg zum Schutz gegen Einbrecher in fast jedem Haushalt anzutreffen ist, und erschießt ihn ...
In diesem enorm spannenden und meisterhaft komponierten Roman geht Nadine Gordimer den Spuren einer Gewalttat und ihren Motiven nach, um die Gewalt zu entschlüsseln.
Aus: Joachim Kaiser, Das Buch der 1000 Bücher (Harenberg Verlag 2002):
Sechs Jahre nach dem Ende der Apartheid in Südafrika (1991) beschäftigt sich Nadine Gordimer in diesem Roman mit den Nachwirkungen der blutigen Vergangenheit und den Chancen auf ein friedliches Zusammenleben in Zukunft. Anhand einer Familiengeschichte aus dem liberalen weißen Milieu schildert sie Zweifel, Verunsicherungen, aber auch Hoffnungen der Menschen in einer nunmehr freien Gesellschaft, in der alle ihren Platz und ihr Verhältnis zur Geschichte noch finden müssen.
Inhalt: Die Ärztin Claudia und der Versicherungsvorstand Harald Lindgard sind ein geachtetes weißes Ehepaar aus Johannesburg. Ihr begütertes Leben gerät völlig aus den Fugen, als sie erfahren, dass ihr 27-jähriger Sohn Duncan, ein begabter Architekt, wegen Mordes verhaftet worden ist. Ihr sensibler Sohn soll Carl, einen seiner besten Freunde und Wohngenossen, erschossen haben, nachdem er ihn auf dem Sofa in flagranti mit seiner Freundin Natalie erwischt hatte. Tatwerkzeug ist die "Hauswaffe", die im gefährlichen Johannesburg zum Schutz gegen Einbrecher in fast jeder Wohnung zu finden ist.
Bei der Rekonstruktion des psychologisch vielschichtigen Falles stellen Duncans Eltern ihr gesamtes Leben infrage: ihre langjährige Ehe, die liebevolle Erziehung ihres Sohnes, das Verhältnis zu weißen Freunden und Kollegen. Ihre einzige Hoffnung verkörpert ausgerechnet ein Schwarzer, der brillante Verteidiger Hamilton Motsami, der ein mildes Urteil für Duncan erreicht. Der Richterspruch – sieben Jahre Haft – weckt Zuversicht, dass der Justizapparat, der zur Zeit der Apartheid ein Instrument staatlicher Repression war, im freien Südafrika zur Säule des Rechtsstaats werden kann.
Wirkung: Die Autorin beweist mit diesem Roman erneut, dass sie menschliche Dramen aus unterschiedlichen Perspektiven präzise und glaubhaft schildern kann – mal kühl und distanziert, mal mit tiefem Mitgefühl. Mit Elementen des Kriminalromans (Rekonstruktion, psychologische Motivation, Gerichtsverhandlung) variiert sie das Grundthema ihres umfangreichen Gesamtwerks, das Verhältnis zwischen Schwarz und Weiß. Die Hauswaffe wurde als Gordimers literarisches Bekenntnis zum demokratischen Südafrika gewertet. Die Figur des erfolgreichen schwarzen Anwalts steht für die Hoffnung der lange unterdrückten Bevölkerungsmehrheit auf Gerechtigkeit und Chancengleichheit.
Meine Meinung:
In ihrem Roman Die Hauswaffe benutzt die südafrikanische Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer viele Elemente des Kriminalromans, aber am Ende ist es eine Studie über die Grausamkeit des Apartheid-Systems und seiner noch immer wirksamen Konsequenzen.
Duncan Lindgard, der Tatverdächtige und Angeklagte, widersetzt sich standhaft jedem Versuch, seiner Tat durch eine Erklärung einen Sinn zu geben, während sein Anwalt Hamilton Motsamai ihn nach allen Regeln der Kunst rauszuhauen versucht. Es gelingt Motsamai auch, den Vorwurf "Hemtücke" und "niedere Beweggründe" zu widerlegen. Dennoch steht die Tat selbst wie ein Fanal im Raum.
Die Erschließung der Umstände und der Motivationskette, welche dazu führten, dass Duncan Carl erschoss, und die Tragödie, die aus dieser Tat für Duncans Eltern erwächst, sind eingebettet in die Auseinandersetzung um die Abschaffung der Todesstrafe in Südafrika.
Diese große Frage verpackt Nadine Gordimer in die dramatische Auseinandersetzung eines Elternpaares, das seinen Anteil an der Schuld des Sohnes, seine Verantwortung für dessen tun zu erkennen versucht. Die behütete Kindheit und Jugend eines weißen südafrikanischen Mittelklassejungen wird ausgebreitet, die sich in nichts von der eines europäischen oder amerikanischen Bürgerkindes zu unterscheiden scheint.
Und dennoch schwelt dieser Unterschied - zumindest zwischen Südafrika und Europa - unter der Oberfläche: Südafrika ist eine gespaltene Gesellschaft, in der sich die allermeisten Weißen noch immer vom "Rest" der Bevölkerung abschotten, eine Gesellschaft, durchtränkt von Gewalt und Gleichgültigkeit gegenüber Gewalt. Die Waffe im Haus ist nicht nur Schutz, sondern vor allem Bedrohung.
Mit karger Sprache, aber kraftvoll und eindringlich in der Darstellung lässt Nadine Gordimer das realistische Bild einer Gesellschaft am Scheideweg vor unseren Augen entstehen. Trotzdem ist es ein optimistisches Buch, schon weil die Figur des erfolgreichen schwarzen Rechtsanwalts Hamilton Motsamai geradezu serientauglich geworden ist!
Und sicherlich ist auch Die Hauswaffe wieder einmal große Literatur!