Ein Buch, das man mindestens zwei Mal liest!
Klappentext:
Frankreich im 13. Jahrhundert: Eine grausige Mordserie erschüttert das Damenstift von Corbeil: Mehrere Nonnen werden erdrosselt aufgefunden. Äbtissin Roesia versucht die Morde aufzuklären und stößt dabei auf eine geheimnisvolle Chronik, die das erste Mordopfer – Sophia de Guscelin – kurz vor ihrem Tod geschrieben hat. Darin erfährt die Äbtissin, dass Sophia, um ihrer großen Leidenschaft frönen zu können, dem Lesen und Lernen, nicht vor Verrat, Betrug und sogar Mord zurückschreckte. Doch warum sterben auch all jene, die ihre Chronik gelesen haben?
Der Roman beginnt mit einer Liebesszene voller Blut und Schnee, kurz darauf wird eine Leiche entdeckt. Es ist die Leiche der Schreiberin Ragnhild, die sich selbst Sophia nennt. Es heißt, sie hätte an einer Chronik geschrieben. Doch die Chronik ist verschwunden.
Der zweite Erzählstrang hat die Biografie der Sophia zum Inhalt. Aufgewachsen und erzogen in einem Kloster, stellt das Kind schon sehr bald fest, dass es über eine besondere Gabe verfügt: Jeden Text, den sie jemals gelesen hat, kann sie auswendig hersagen. Schon bald eignet sich Ragnhild ein umfassendes Wissen an, schon bald prahlt sie auch mit diesem Wissen. Hochmütig ist sie, unbeherrscht, egozentrisch. So sehr, dass eine Nonne durch ihre Schuld zu Tode kommt.
Dann wird sie der schwachsinnigen Isambour, Gemahlin des französischen Königs Philipp II. als "Betreuerin" zur Seite gestellt. Und wieder gerät ein Mensch durch Sophias Schuld ins Unglück. Sophia wird mit einem Mann verheiratet, der ein Geheimnis in sich trägt und seine Frau nicht anrührt. Sophia bleiben die Bücher des Mannes, Bücher über Heilkunde. Durch ihre Begabung wird sie zur Heilerin, rettet sogar Leben, doch ihren Ekel vor den Menschen und ihrer Banalität kann sie nicht verwinden. Sie zwingt ihren Stiefsohn zum Lernen. Er soll werden, was ihr als Frau versagt ist: der größte Gelehrte der Zeit.
Ihrer Tochter Catherine dagegen, der Frucht einer ehebrecherischen Nacht, kann sie nichts abgewinnen. Eine Mutter-Tochter-Beziehung, die bis zum Schluss die gegenseitige Abneigung nicht überwinden kann, wird ohne Scheu vor Konventionen dargestellt.
Meine Meinung:
Dieses Buch ist derartig vielschichtig, dass es schwer fällt, es in wenigen Sätzen nachzuerzählen. Es ist ein Buch wie eine Schatzkiste. Auf jeder Seite warten Überraschungen, interessante Gedanken, bereichernde Sichtweisen. Julia Kröhn zeichnet mit ihrer Hauptfigur Sophia das Bild einer hochmittelalterlichen Intellektuellen. Sie zeichnet mit Sophia aber auch das Bild einer Frau, die um ihren Lebenssinn gebracht wird und sich nicht anders zu wehren weiß als mit Hohn, Hochmut, Skrupellosigkeit und Kaltherzigkeit. Diese Sophia wächst ans Herz. Nicht, weil ihr Charakter liebenswert ist, sondern weil sie den Mut hat, anders zu sein und dieses Anderssein jeden Tag neu erkämpfen muss. Sophia ist keine starke Frau, sie ist außergewöhnlich. War es in ihrer Zeit, wäre es heute.
Bestechend ist das Bild, welches Julia Kröhn von dieser Zeit zeichnet. Mit Sätzen, die alle Sinne ansprechen, gelingt es ihr, den Leser die Zeit nicht nur malen, sondern sie überdies auch riechen, schmecken, hören und fühlen zu können.
Das Buch ist eine Sammlung gelungener Metaphern, kluger Gedanken, interessant gezeichneter Figuren und insbesondere einer unkonventionellen Sichtweise.
Der beste, klügste, originellste, spannendste historische Roman, den ich seit Jahren gelesen habe.
Über die Autorin:
Julia Kröhn, geboren 1975 in Linz, Österreich, hat Geschichte, Philosophie, Theologie und Religionspädagogik studiert. Zur Zeit arbeitet sie als Fernsehjournalistin in Frankfurt am Main. Julia Kröhn recherchiert für ihre Romane aufwändig an Originalschauplätzen. Ihr nächster Roman erscheint unter dem Titel "Die Regentin" im Sommer 2007 bei Btb.
HINWEIS:
Julia Kröhn liest am 15.02.07 um 20 Uhr in der Buchhandlung Eisenbletter und Naumann in der Bergerstraße 168 in Frankfurt/Main - Bornheim.