Musil war gerade zweiundzwanzig Jahre alt, als er seinen Erstling verfaßte. Das Buch handelt von den Erlebnissen eines etwa Achtzehnjährigen in einem religiös-militärischen Internat, einem sogenannten Konvikt, wie sie Anfang des vergangenen Jahrhunderts üblich waren, und es hat stark autobiographische Züge. Der nur recht kurze Roman (200 sehr großzügig gesetzte Seiten) fundamentierte Musils schriftstellerische Karriere, die ihren Höhepunkt mit dem - unvollendeten - "Der Mann ohne Eigenschaften" erreichte.
Törleß weiß so recht nichts mit dem Internatsleben anzufangen, er versteht die Motivation seiner Mitschüler nicht, und er befindet sich in einer Art philosophischer Bewußtwerdungsphase, reflektiert viel und sucht Antworten auf essentielle Fragen, etwa die, wie ein intelligenter Mensch mit imaginären Zahlen zu rechnen in der Lage sein kann, ohne dabei verrückt zu werden. Mehr aus Langeweile schließt er sich den Mitschülern Breiting und Beineberg an, die unter dem Dach des Internats ein geheimes Refugium betreiben, und die den schwächlichen, weibischen Basini als ihr Opfer auserkoren haben. Als sie Basini beim Diebstahl erwischen, dient dies als willkommener Anlaß für eine nicht endenwollende Kette von Demütigungen und Drangsalierungen, auch für sexuellen Mißbrauch. Törleß ist dabei, beobachtet aber eher, als sich aktiv zu beteiligen, findet mehr Faszination an seiner eigenen Gefühls- und Gedankenwelt als an den morbiden Spielchen mit dem leidenden Zimmerkameraden. Das ändert sich auch dann nicht, als er eine Beziehung mit dem geknechteten Basini beginnt.
Das Buch ist über hundert Jahre alt, und deshalb, aber auch aus anderen Gründen kann man es nicht mit dem üblichen Maß messen. Möglicherweise würde sich heutzutage kein Verleger für ein derartiges Werk finden, das sich gängigen Handlungsmustern verweigert, zuweilen essayistisch abschweift, auch mal vorgreift, also die eigene Spannung zerstört, und zudem in altbackener, komplizierter Sprache daherkommt. Es ist ein zeitgeschichtliches Dokument, und ein Roman, der zu seiner Zeit Furore gemacht hat - Musil hat Tabus durchbrochen, aber nicht in der Absicht, reißerisch damit umzugehen. "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" ist in erster Linie eine psychologische Studie, eine, die freilich Konzentration beim Lesen einfordert, was ein durchaus lohnenswerter Aufwand sein mag. Wer sich mit Musil beschäftigen will, kommt am "Törleß" nicht vorbei.