Lieber Feind - Jean Webster

  • Ich hab mir diese Ausgabe zum Verlinken ausgesucht, weil sie wenigstens ein Bild hat; erhältlich ist sie wie alle anderen nur noch antiquarisch (auch über Amazon Marketplace).


    Und was schreibe ich jetzt über das Buch? :gruebel Ist nämlich auch gar nicht so einfach.


    Fangen wir lieber mit der Autorin an. ;-) Jean Webster (1876-1916), eine Nichte von Mark Twain, war Journalistin und Schriftstellerin.


    Jean Websters bekanntestes Buch ist "Daddy Langbein", und ich werde versuchen, dazu aus dem Gedächtnis auch noch eine Rezi zu schreiben, weil es zu meinen All-time-Favourites gehört. Darum musste ich auch "Dear Enemy" unbedingt lesen.


    "Dear Enemy", zu Deutsch eben "Lieber Feind", entstand 1915. Es ist die Fortsetzung von "Daddy Langbein", was ein Jugendbuch ist; dieses ist aber eigentlich keins mehr, denn die Hauptpersonen sind inzwischen erwachsen geworden. (Komische Argumentation, ich weiß.) Vom Stil her ist das Buch trotzdem für Jugendliche geeignet. Vom Inhalt her kann man es Jugendlichen heute nicht mehr guten Gewissens empfehlen, denn die Darstellung der Geschlechterrollen ist entstehungszeitbedingt extrem veraltet, ebenso wie einige Ansichten über Geisteskrankheiten, Alkoholismus und Vererbung. Sie müssten es unbedingt als "zeitgeschichtliches Dokument" erklärt bekommen, nicht als erziehungstechnisch erbauliches Jugendbuch.


    Also. "Zum Buch". Da geht das Problem gleich weiter: Wer "Daddy Langbein" nicht gelesen hat, für den verliert das Buch viel von seinem Reiz, weil die ganze Vorgeschichte fehlt und auch nicht aufgerollt, sondern vorausgesetzt wird. Dafür ist der Riesenspoiler des ersten Bandes hier verständlicherweise aufgelöst, was das anschließende Lesevergnügen des ersten Bandes doch sehr schmälern würde. Also unbedingt mit dem ersten Band einsteigen.


    So. Nun fangen wir noch mal von vorne an ;-) : "Zum Buch", für diejenigen, die "Daddy Langbein" kennen. Wer es noch nicht kennt, aber eventuell lesen will, lese bitte auf keinen Fall den untenstehenden Spoiler. Es ist schwierig, nichts über den ersten Band zu verraten, wenn man die Handlung des zweiten beschreibt.


    Es ist wieder ein Briefroman. Die Briefe sind diesmal alle von Sallie McBride, Judys Freundin aus Collegezeiten. Die beiden sind inzwischen erwachsen geworden. Die meisten Briefe sind an Judy gerichtet. Mit "Lieber Feind" schreibt Sallie zudem an den Arzt, mit dem sie zusammen arbeitet.


    Sallie geht mit viel Engagement und Schwung an ihre Aufgabe heran, den armen kleinen Waisen ihr Los zu erleichtern. Sie hat viel Spaß dabei, die Räume zu renovieren, neue Wohnformen auszuprobieren, das knöchern-steife Personal durch Menschen zu ersetzen, denen die Kinder am Herzen liegen und so weiter.


    Neben ihrer Arbeit berichtet sie auch über ihre romantischen Verquickungen, die sie allerdings kein bisschen kitschig, sondern sehr bodenständig-realistisch-humorvoll betrachtet.


    Mir war leider ungefähr auf Seite 13 klar, wie das Buch ausgehen würde; das war im ersten Band viel besser gemacht. Dazu kamen obige Kritikpunkte bezüglich zeitbedingter Auffassungen; auch das kam im ersten Buch nicht so heraus. Dennoch fand ich als Daddy-Langbein-Fan auch den Folgeband sehr lesenswert. Der Stil ist wunderbar humorvoll und fließend, so wie in "Daddy Langbein" auch; man wird gut unterhalten. Wenn man der Amazon-Kritik glauben will, ist die Übersetzung gut gelungen; ich habe nur das englische Original gelesen.


    Fazit: Für Daddy-Langbein-Fans sehr zu empfehlen. Wer Daddy Langbein ganz OK fand, ohne begeistert zu sein - das Lesen lieber lassen. Wer Daddy Langbein nicht kennt, Finger weg.

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

  • Hier ist die englische Ausgabe, die ich gelesen habe. Die Aufmachung ist leider richtig schlecht. Nicht sehr lesefreundlicher Satz mit langen Zeilen, Absätze oft aneinandergeklatscht, selbst wenn ein neuer Brief beginnt, dafür manchmal unmotiviert große Zwischenüberschriften, die Zeichnungen, mit denen schon Judy in "Daddy Langbein" ihre Briefe verzierte und deren auch Sallie sich offenbar bedient, fehlen ganz.


    Dafür praktisch keine Fehler im Text, wunderschön geschrieben und so weiter.


    Des Rätsels Lösung: Das Buch ist in der "Echo Library" erschienen, die es sich offenbar zum Ziel gesetzt hat, ohne allzu großes Budget OOP-Büchern wieder Leben einzuhauchen. Also keinen Firlefanz mit dem Layout, aber der Text selbst ist ja vorhanden und von ausgezeichneter Qualität. Dafür 100 Punkte - alles ist verziehen! :anbet

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  • :wow die ist ja schön!!! :wow


    na dann, liebe Leute, nichts wie ran!


    edit: allerliebste Delphin, falls du das Buch wieder loswerden willst, wüsstest du hiermit schon, an wen :-]

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von MaryRead ()

  • Zitat

    Original von MaryRead
    :wow die ist ja schön!!! :wow


    na dann, liebe Leute, nichts wie ran!


    edit: allerliebste Delphin, falls du das Buch wieder loswerden willst, wüsstest du hiermit schon, an wen :-]


    Nix da! Das steht schön auf einem Ehrenplatz in meiner Vitrine. :-]

  • "Dear Enemy" habe ich jetzt auch durch und ich glaube, es hat mir sogar noch besser gefallen als "Daddy-Long-Legs". "Daddy-Long-Legs" habe ich als charmanter und leichter empfunden, aber "Dear Enemy" war für mich aus psychologischer Sicht sehr interessant, weil ich von vielen Büchern, die Judy und der Doc lesen, im meinem Studium schon gehört hatte.


    Tolles Buch und diese Penguin-Ausgabe kann ich wirklich sehr empfehlen, gerade auch wegen des Anhangs, in dem die ganze Literatur, die Judy erwähnt, erklärt wird


    :-)

  • Ich habe das Buch, hatte dtv-Doppelband, als Jugendliche auch gelesen und später entdeckt, dass sogar diese Titel meine Mutter auch früher schon gelesen hat. Ich hab mehrere Ausgaben, weil in den Öffentl. Bücherschränken immer mal wieder eine andere "hübschere" Ausgabe steht und ich dann eigentlich zuhause entscheiden will, welche ich behalte. :lache


    Lesen sollte ich die beiden Bücher aber ruhig auch mal wieder. Damals haben sie mir gut gefallen, zumindest der erste Band sehr.

    Manche Bücher müssen gekostet werden, manche verschlingt man, und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz.
    (Tintenherz - Cornelia Funke)

  • Gerade habe ich gemerkt, dass ich die Neuausgabe des ersten Teils aus Versehen hier beim zweiten Teil verlinkt habe. Sorry.


    Zitat

    Original von Pelican
    Stimmt Salome, da muß ich direkt mal schauen, ob meine alte Ausgabe nicht viiiiiiiiel zu zerfleddert ist...


    Ich bin auch am Überlegen mir die neue Ausgabe selbst zu schenken. :grin

  • Ich fand den angestaubten Charme von „Daddy Langbein“ ja schon so bezaubernd, daher habe ich gleich nach diesem Buch gesucht.


    Hier spielt Jerusha/Jodys beste Freundin Sally McBride die Hauptrolle. Sie läßt sich dazu breitschlagen, die Leitung des John Grier Heimes zu übernehmen, zumindest für eine kleine Weile. Denn eigentlich ist sie ja mit dem schneidigen Politiker Gordon Hallock liiert, der ihre neue Aufgabe zwar mit milden Gaben unterstützt, seine Freundin aber dennoch lieber in einer anderen Rolle sehen würde.


    Sally bemüht sich nach Kräften, das Waisenhaus zu modernisieren, doch sie erlebt auch immer wieder Rückschläge. In Dr Robin McRae hat sie sowohl einen Mitstreiter, wenn es um die Belange der Kinder geht, als auch einen Gegner in allen anderen Dingen...


    Doch Sally macht ihren Weg. Die Handlung ist schon allein durch den Titel absolut vorhersehbar. Im Prinzip wußte ich schon vor der Lektüre, wie das Buch ausgehen wird. Aber das macht nichts. Diese nostalgische kleine Geschichte hat mir großen Spaß gemacht.


    Irritiert hat mich nur, daß etliche Male das Wort „Neger“ verwendet wurde. Zwar nicht in abwertender Form, sondern einfach nur, um die Person zu beschreiben (so wie an anderer Stelle z.B. rothaarig steht) – aber in heutiger Zeit empfand ich das bei der Lektüre wirklich irritierend. Natürlich ist das der Tatsache geschuldet, daß das Buch schon vor über 100 Jahren geschrieben wurde und auch so um die Jahrhundertwende spielt.


    Nichtsdestotrotz ist es ein bezauberndes kleines Büchlein, dessen Lektüre mir großen Spaß bereitet hat, das aber dennoch nicht ganz an den Vorgänger herankommt.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)