Margret Steenfatt - Mit aller Gewalt (Jugendroman ab 13 J.)

  • (erscheint Jan. 07 - rororo Verlag - 160 S - ISBN: 3499212838 / 6,90 €)


    Die coole Tessa übt auf die 14jährige Frederika eine magische Anziehung aus. Weil diese bei ihren Großeltern in sehr behüteten Verhältnissen aufwächst, sehnt sie sich nach Aufregung und Anderssein. So lässt sie sich von Tessa zum Klauen animieren und schreckt auch nicht davor zurück, ihre Lehrerin systematisch zu erpressen. Erst als Frederika sich in den 15jährigen Daniel verliebt und Tessa den Druck auf ihre «Freundin» erhöht, um sie nicht zu verlieren, erkennt Frederika, dass sie sich auf eine gefährliche Beziehung eingelassen hat. Doch nun findet sie nicht mehr heraus.



    Meine Meinung zu Buch:
    Ausgezeichnet, mehr als nur ein Buch für Jugendliche. Dieses sollten sich auch Erwachsene zu Gemüte führen und darüber nachdenken, was Freundschaft wirklich bedeutet. Die Thematik des Buches passt in unsere heutige Zeit. Da auch gerade an Schulen viel gemobbt wird.



    LG
    Caren

  • Ganz gegenteilige Meinung:
    :grin


    Das Thema dieses Jugendromans ist eine recht gefährliche Beziehung zwischen zwei 14jährigen Mädchen, Frederika und Tessa. Frederika findet Tessa einfach toll, sie will unbedingt mit ihr befreundet sein und ist überglücklich, als Tessa sie ‚erwählt’. Tessa allerdings schlägt gewaltig über die Stränge. Sie will Abenteuer, Action, Fun. Diese bestehen für sie im Rumhängen in teuren Cafés und Einkaufsorgien. Das Geld dafür wird kurzerhand gestohlen. Um nicht als uncool zu gelten, spielt Frederika mit, selbst als Tessa auf die Idee kommt, eine Lehrerin zu erpressen.
    Dann aber verliebt sich Frederika in Daniel. Tessa jedoch duldet es nicht, daß Frederika jemand anderem Aufmerksamkeit schenkt. Und so sitzt Frederika in einer üblen und gefährlichen Klemme.


    Eben das Thema war es, das mich dazu gebracht hat, den kleinen Jugendroman zu kaufen. Leider hat mich die Ausarbeitung nicht überzeugt. Das begann schon damit, daß nicht recht deutlich wird, warum Frederika Tessa so bewundert. Die Erklärungen, daß Frederika bei den Großeltern aufwächst, weil sich ihre Mutter, die als Stewardeß arbeitet, nicht um sie kümmern kann, wirkt nachgeschoben, wie auch die häufigen Einwürfe der Großmutter, daß das Kind in der Pubertät sei und deswegen ebenso schwierig wie die Mutter in dem Alter.
    Überhaupt bleibt die Gestalt Frederika blaß, ihre gelegentlichen Ausbrüche, ihr schlechtes Gewissen, aber auch die Faszination, die Tessa auf sie ausübt, sind eher beschrieben als nachzuempfinden. Ein wenig solider kommt die Liebesgeschichte mit Daniel an.


    Die Figur der Tessa wirkt von vorneherein lebendiger, leidet dann aber darunter, daß sie streckenweise fast dämonisiert wird. Sie ist eigenwillig, wild, voller Einfälle. dadurch aber, daß Gut und Böse von vorneherein schon klar verteilt sind, erstickt sozusagen der Zauber, der vom ‚Bösen’ ausgeht im Keim. Ihre höchst problematische Familiensituation wirkt gleichermaßen aufgesetzt wie die Frederikas.


    Die Welt, in der die Geschichte spielt, wird nie ganz echt. Sie ist mit jeder Menge Versatzstücke ausgestattet, es kommt einem vor, als würde hier jemand Requisiten auflisten. Das etwas heruntergekommene Jugendstilhaus der Großeltern ist die Bühne und zugleich Symbol für die warme, kleinbürgerliche, beschützende Solidität. Sie wird im übrigen nie wirklich hinterfragt, das Erstickende, das eine solche Atmosphäre ausstrahlen kann, ist kein Thema.
    Gegen sie gestellt ist die (böse?) Stadt mit Cafés voller Palmen, Latte Macchiato, Tapas, mit teuren Boutiquen, hochfeinen Seiden-Dessous und italienischen Schuhe. Dazwischen schillert die Kunst, - Verkörperung der Ewigen Werte und der Sünde gleichermaßen? - , in Gestalt von Picassos ‚Taschenspieler’ im Museum und Kafkas ‚Verwandlung’ im Deutschunterricht. Die Idee ist tatsächlich gut, vor allem das Spiel mit dem Verwandeln, Täuschen, Tricks, Wahrheit und Betrug, zugleich aber für die eher dünne Handlung zu hoch angesetzt.


    Wenig glaubhaft fand ich, daß die Lehrerin ohne Zögern auf einen Erpresserbrief eingeht, den sie in der Schule zugesteckt bekommen hat. Denkt man in einem solchen Fall nicht zunächst an einen, wenn auch bösen, Schülerstreich? Geht man als Pädagogin das Risiko ein, Kindern 500 Euro zukommen zu lassen? Einfach so? Ist ein Verhältnis mit einem verheirateten Kollegen heutzutage tatsächlich eine so berufsgefährdende Angelegenheit?
    Gefragt habe ich mich ferner, ob es tatsächlich möglich ist, daß zwei 14jährige in einer Nobelkneipe bis Mitternacht als Bedienung arbeiten dürfen, wie es einmal erzählt wird.


    Unangenehm berührt haben mich die Großeltern. Die ewig besorgte, fast weinerliche Großmutter und ganz besonders der Großvater mit seinen grauen Haupt und der Pfeife im Mund. Nicht nur, daß er ein ehemaliger Kriminalinspektor im Ruhestand ist, nein, er wird regelrecht zum Übervater. Natürlich spioniert er seiner Enkelin hinterher, schaut Tessa bereits bei der ersten Begegnung bis auf den Grund ihrer schwarzen Seele, meint es unablässig gut, und hat immer recht. Sein moralischer Zeigefinger muß längst eingekalkt sein vom ewigen Hochhalten.
    Und seine weisen Sprüche lagen bei mir entschieden diesseits der Zahnwehgrenze.


    Verrückterweise ist er die Person in diesem Buch, die am lebendigsten wirkt. Da passen die Versatzstücke zusammen. Drei, vier Worte und der Mann steht da.
    In einer anderen Geschichte, z.B. einem klassischen Jugend-Detektivroman könnte er die Rolle des alten Polizisten übernehmen, der einer Gruppe jugendlicher Detektive bei der Aufklärung ihrer Fälle hilft. Pfeifeschmauchend, väterlich, weise, im Notfall mit einer altmodisch männlichen Faust dienend, während Großmama Topfkuchen bäckt und Caro-Kaffee serviert. Die Großeltern samt ihrem Haus stammen deutlich aus einer anderen Zeit.
    In einen Roman über zwei Mädchen, in dem der Schwerpunkt auf der inneren Entwicklung der beiden liegen sollte, eben diese eigenartige Faszination, die Kinder aufeinander ausüben können, auf der Frage nach dem ‚Kick’ und nach den Verletzungen, die das Leben mit psychisch kranken oder einfach abwesenden Eltern mit sich bringen kann, sind solche Personen fehl am Platz.


    LehrerInnen, NachbarInnen, Schulfreundinnen und - freunde, Diebstahlsopfer existieren fast nur als Namen. Es gibt nicht wirklich ein Beziehungsnetz in diesem Buch. Das gleiche gilt für die jeweiligen Eltern. Frederikas Tagebuch hat mehr Persönlichkeit als die Mutter, gegen die sie in Gedanken so oft wütet.


    Interessantes und wichtiges Thema, enttäuschende Umsetzung.


    Die Autorin wurde 1935 geboren, lebt in Hamburg und arbeitet seit 1976 als Schriftstellerin. Sie hat neben Romanen auch Biographien geschrieben, u.a. über Paula Modersohn-Becker, Hörspiele, Drehbücher und Theaterstücke. Auch wenn mir ‚Mit aller Gewalt’ nicht zugesagt hat, werde ich sicher noch das eine oder andere Buch von ihr lesen. Bei Gelegenheit.


    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus