Stross' Roman ist Science Fiction im Wortsinn, also eine wissenschaftliche Vision.
Der Tenor des Buches lautet: Wir werden tun, was uns möglich sein wird. Irgendwann in naher Zukunft wird es nach dem Denkmodell des Autors möglich sein, eine echte Mensch-Maschine-Schnittstelle zu schaffen, also Computertechnik direkt an das menschliche Gehirn anzubinden und sie später sogar zu integrieren. Die Menschen in Stross' Roman erweitern zunächst ihre Sinne, später werden sie kommunizieren können, ohne ihre Sinne zu nutzen, während sie "Agenten" ausschicken, die pausenlos auf der Suche nach Wissen und Lösungen sind. Diejenigen, die nicht mit Implantaten oder einem sogenannten Exocortex leben, manövrieren sich selbst ins Aus, während die anderen die Entwicklung immer weiter vorantreiben, allerdings nicht immer aktiv. Denn irgendwann wird sie Eigendynamik und -leben entwickeln: Künstliche Intelligenzen, Expertensysteme und kopierte Persönlichkeiten verlangen nach Gleichstellung, und etwas später wird der "mißratene Nachwuchs" selbst die Führungsrolle übernehmen. Aus Wirtschaftssystemen und künstlichen Körperschaften wachsen diffuse Völker, die darangehen, sämtliche im Sonnensystem verfügbare Materie in Computronium zu verwandeln, denkfähige Nanocomputer, die sich als sogenanntes "Matroschka-Gehirn" um die Sonne scharen, während die noch (jedenfalls zeitweise) im eigenen Körper existierenden Präposthumanen auf Habitate im Saturnring zurückgedrängt werden und der exponentiell angewachsenen Computerpower hilflos gegenüberstehen.
Folgerichtig spielen die Menschen in diesem Buch ab einem gewissen Punkt keine entscheidende Rolle mehr. Letztlich geht es darum, zu dieser Einsicht zu gelangen, und genau diese Geschichte erzählt der Roman. Nach dem Eintreten der Singularität, dem vorläufigen Endpunkt der auf Menschen bezogenen Entwicklung, sind sie bestenfalls noch Statisten bei einem Schauspiel, das ihrer nicht mehr bedarf.
Das Buch ist konsequent, weil es seine Figuren häufig vernachlässigt und den Leser mit einem Erzählmodell konfrontiert, das nicht immer leicht zu bewältigen ist. Genaugenommen geschieht in "Accelerando" wenig im Sinne herkömmlicher Romane. Es gibt zwar lange Dialoge und Handlungssequenzen, diese aber sind bruchstückhaft zusammengesetzt, enden zuweilen im Nichts und dienen bestenfalls der Reflexion; Personal verschwindet und taucht wieder auf, häufig ohne mittelbar erkennbaren Zusammenhang. Das Buch ist überfüllt mit technischen Termini, gelegentlich wird in ironischen Abschnitten zusammengefaßt, was die eigentliche Entwicklung ist. Diese Struktur verlangt dem Leser einiges ab, "Accelerando" liest sich mühevoll, es ist an keiner Stelle wirklich spannend, sondern häufig zäh, scheinbar beliebig und manchmal sehr verkopft. Allerdings ist es dennoch interessant und durchaus nachvollziehbar, wenn man sich die Mühe macht. Kein Buch für zwischendurch, und ganz sicher auch keines für Leute, die mit den orgiastisch verwursteten Fachbegriffen nichts anfangen können. Aber eines, das einen wichtigen Beitrag zur Fragestellung liefert, ob wir wirklich alles tun sollten, was möglich ist oder sein wird.