Der Pfaffenkönig- Iris Kammerer

  • Zitat

    Original von beowulf
    und die Legende legt Eduard III eben nicht die Worte in den Mund: Honnecker sei, wer sich etwas böses dabei denkt, sondern ein Schelm, wer Böses dabei denkt.


    Jetzt muss ich die Frau von Werner in Schutz nehmen! :lache
    "Honni" ist eine von drei überlieferten Schreibweisen neben "hony" und "honi". In Deutschland ist meist die letzte geläufig, das Lexikon des Mittelalters zitiert "Hony soit...".
    :gruebel Und ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wie du auf den Honnecker kommst!?! Jetzt versteh ich 's! :knuddel1



    Zitat

    Muß es einem Autor nicht eigentlich recht sein, wenn sein Buch kontrovers diskutiert wird- es ist dann doch zumindestens so interessant, dass man auch als Leser dem das Buch nicht gefällt nicht einfach sagt ab in die Tonne, kein Wort darüber, sondern eben Reibungspunkte findet?


    Ist es. :-]


    Abgesehen von persönlich gemeinten Angriffen, die immer in dieselbe Kerbe hauen, finde ich die Debatte hochinteressant. Sie speist sich ja nicht zuletzt aus einer ganzen Fülle von Aspekten, die weniger mit diesem Roman im Speziellen als mit dem Genre im Allgemeinen zu tun haben. Von der Solidarisierung mit der verunglimpften (mutmaßlichen) Zielgruppe bis hin zur freudigen Nutzung der Gelegenheit, gleichzeitig sein Negativurteil und seine eigene Beurteilung dieser (mutmaßlichen) Zielgruppe bestätigt zu sehen, taucht ja jede Reaktion auf.


    Es wird ja gerne angenommen (da nehme ich mich gar nicht aus), dass hinter der eigenen Meinung eine schweigende Mehrheit steht; das hilft, das eigene Unbehagen zu verallgemeinern und ggf. polemisch zu nutzen, z.B. um Widerspruch prophylaktisch als idiotisch oder schäbig zu deklassieren. Wer von uns könnte sich denn davon freisprechen?


    Im Gegenzug stellt sich mir auch die (rein rezeptionsästhetische) Frage, warum manche sich wegen einer einzigen Szene in diesem Roman (wohlgemerkt: 4 Seiten, < 1 % des Textkorpus!) dermaßen auf die Zehen getreten fühlen, dass sie jede Beißhemmung verlieren, während sie ähnliche, süffiger dargestellte Szenen in anderen Romane durchaus zu goutieren wissen? :wow
    Kann diese Reaktion eigentlich wirklich zwingend ausschließlich am Text und seiner Qualität oder gar am Autor und seiner persönlichen Einstellung festgemacht werden?

  • Zitat

    Original von Charlie
    Womit ich "Mir hat's nicht gefallen, weil ich gar nicht gerne Krimis lese und mich nicht fuer Landdwirtschaft interessiere" dann als Aussage immer noch ziemlich wertlos finde (in einem Forum, wo ich mich ueber Buecher informieren moecht' - natuerlich nicht von Freunden in der Kneipe, wo ich gern wissen moecht', was die so lesen).


    Stimmt. Aber ich gestehe auch jedem zu, daß er sich mal aus Neugier für eine Leserunde oder ein Buch meldet, das ihn thematisch nicht sooo interessiert, um mal etwas Neues auszuprobieren. Und wie das so ist, mal gefällt's und mal nicht. So erleben wir das immer mal wieder in den Leserunden. Und das ist ok und es ist auch ok, dann zu sagen "leider packt es mich doch nicht", "leider langweilt es mich" oder was auch immer (Einschränkung: immer höflich bleiben!).


    Iris hat es z. B. bei mir geschafft, Interesse an den "ollen Römern" zu wecken, für die ich mich zuvor überhaupt nicht interessiert hatte (ist das dann gleich ein Qualitätsurteil? :grin)


    Du schaffst es vielleicht bei mir Interesse für "die Perle der Ostsee" zu wecken, die mich bisher nie interessiert hat (zumindest wenn mein Verdacht richtig ist und demnächst ein Buch von Dir über dieses Thema veröffentlicht wird :grin)


    Aber manchmal kommt man eben auch zu dem Schluß, daß einem ein Buch oder sogar ein Werk nichts sagt. Ich konnte z. B. noch nie etwas mit "Das Parfum" anfangen.

  • Zitat

    Original von Pelican
    Wir hatten das ja schon mal in der Leserunde andiskutiert:


    Habe meine Unterlagen gesichtet und die entsprechende Frucht in meiner Requisitensammlung für das Bankett in Ravenna mit dickem Fragezeichen versehen gefunden. Und da standen genau die Punkte, die ich dir geantwortet habe.
    Es ist und bleibt eine schwierige Entscheidung, da Melonen nun mal leicht verderbliche Früchte sind und damals keine entsprechenden Konservierungsmittel zur Verfügung standen.
    Hatte ich völlig aus dem Gedächtnis verloren ... Mea culpa! Ich gelobe Besserung!

  • Die heftige Reaktion in der Leserunde führe ich auch darauf zurück, dass wir aus dem alten Rom ja meinten die Autorin gut zu kennen und die dezenteren Liebesakte der Trilogie "gewöhnt" waren- da haut so eine Szene erstmal ins Gebälk. Ich fand im übrigen die Szene der "Hebung der Gebeine" viel heftiger- und auch da hat mich an der Rezension gestört, wie Frau von Werner das Friedrichbild des Romanes bewertet.

    Nemo tenetur :gruebel


    Ware Vreundschavt ißt, wen mahn di Schreipfelerdes andereen übersiet :grin


    :lesend  :lesend

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  • Zitat

    Original von beowulf


    edit: Frage an Iris und andere Autoren


    Muß es einem Autor nicht eigentlich recht sein, wenn sein Buch kontrovers diskutiert wird- es ist dann doch zumindestens so interessant, dass man auch als Leser dem das Buch nicht gefällt nicht einfach sagt ab in die Tonne, kein Wort darüber, sondern eben Reibungspunkte findet?


    Ist auf jeden Fall besser, als wenn ein Buch totgeschwiegen wird. ;-) Und gerade unterschiedliche Meinungen machen eher neugierig.
    Ich habe für meinen historischen Liebesroman zwar bisher noch keine Prügel bezogen, aber auch schon allein zum Titel "Boah, was ein Schmacht" gehört :lache
    Nur bei mir greift aufgrund des Titels und Covers wirklich (oder zumindest wohl überwiegend) nur die Zielgruppe zu, da für Nicht-Anhänger dieses Genres der Titel schon eine ähnliche Wirkung wie eine rote Warnleuchte hat. ;-)


    Der Roman von Iris zielt dagegen auf eine weit größere Zielgruppe ab und diese Zielgruppe hat wahrscheinlich unterschiedliche Erwartungen an das Buch. Darin sehe ich aber nichts Negatives, im Gegenteil.

  • Zitat

    Original von Leserättin
    Der Roman von Iris zielt dagegen auf eine weit größere Zielgruppe ab und diese Zielgruppe hat wahrscheinlich unterschiedliche Erwartungen an das Buch. Darin sehe ich aber nichts Negatives, im Gegenteil.


    Viele Eulen waren sich darüber einig, dass man ein gutes Buch bestrafen kann, wenn der Titel von HC zum TB in ein klassisches "Die.. in" wechselt. (Die Farbe der Revolution- zu Die Tochter des Advokaten). Darum geht es hier, die gute Frau von hat dieses Buch in die selbe Schublade, rührt kräftig um und setzt sich dann mit der Schublade, nicht mit dem Buch auseinander, das- und da gebe ich Milla ausdrüclkich Recht natürlich auch verrissen werden kann- das ich das nicht tue sieht am am Eröffnungsbeitrag dieses Threads die Reszensentin verreisst aber "den" historischen Roman in der heutigen Zeit und nicht diesen historischen Roman.

  • Liebe Pelican,
    ich habe die beiden Sexszenen in einem Internetforum gelesen, in dem auch andere Autoren ihre Sexszenen vorgestellt haben. Darüber bin ich dann auf "Der Pfaffenkönig" aufmerksam geworden und habe ein wenig recherchiert, bin hier gelandet - und habe gerade das Buch gekauft. Und noch ein paar andere... mein armes Kont :-)
    Liebe Grüße
    Lille

  • Ist zwar etwas OT, aber ...


    Zitat

    Original von Leserättin
    Der Roman von Iris zielt dagegen auf eine weit größere Zielgruppe ab und diese Zielgruppe hat wahrscheinlich unterschiedliche Erwartungen an das Buch.


    Da habe ich aber schon gegenteilige Meinungen gehört! :lache


    Ich finde den Begriff "Zielgruppe" in diesem Zusammenhang nicht angemessen. Eigentlich geht es um unterschiedliche Lesebedürfnisse. Manchmal will man etwas Gehaltvolles, manchmal möchte man einfach berieselt werden oder abtauchen oder -- wie du sagst -- wegschmelzen.
    Es ist doch absolut normal, dass Leser(innen), die zum Schlafengehen schlichte Krimis oder Historicals genießen, zu anderen Gelegenheiten sich durchaus auch mal einen Klassiker vornehmen.


    Auch unter diesem Aspekt fand ich die pauschale Publikumsverunglimpfung ziemlich ungeschickt -- aber das Thema haben wir jetzt zur Genüge durchgekaut ... :grin



    Lille ... wovon redest du??? Kenn ich dich? Du mich?

  • Zitat

    Original von Leserättin


    Der Roman von Iris zielt dagegen auf eine weit größere Zielgruppe ab und diese Zielgruppe hat wahrscheinlich unterschiedliche Erwartungen an das Buch. Darin sehe ich aber nichts Negatives, im Gegenteil.


    Das ist, denke ich, durchaus ein Punkt, der zu kontroversen Meinungen führen kann, allerdings wohl weniger bei der Zielgruppe von Iris als der Zielgruppe, die durch die Vermarktung angesprochen wird. Ich denke, ein Großteil der Leser und Käufer dieses Buches erwartet eine Romanbiographie. Iris hat aber keine Romanbiographie geschrieben sondern ist die Gratwanderung gegangen, Heinrichs Leben aus seiner Sicht zu zeigen und dabei romanbiographische Elemente zu nutzen. Diese Kombination bedingt, daß dem Leser u. U. nicht sofort auffällt, daß er gar nicht die erwartete Romanbiographie in Händen hält und läßt ihn einiges vermissen, enttäuscht ihn eventuell sogar. Natürlich gibt es auch Leser, die von dem besonderen Blickwinkel persönlich überrascht werden und damit eine positive Erfahrung machen, wer aber so etwas gar nicht mag, wird eher eine ablehnende Haltung einnehmen.

  • Meine Güte, ihr macht mich ja immer neugieriger und gespannter. Na ja, das Buch ist unterwegs und sollte am Montag hier sein. Und da meine Tochter sich kurzfristig entschieden hat, bei der heute beginnenden Leserunde auch mitzumachen, komme ich da (sie muß ja auch auf die Schule Rücksicht nehmen, was sich in der verfügbaren Zeit niederschlägt; wir lesen in solchen Fällen immer zusammen) recht langsam voran. Da werde ich in den "Zwangsleserundenpausen" mich diesem widmen (falls ich die beiden parallel "verkrafte".) Danach dann mehr.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von Pelican
    Ich denke, ein Großteil der Leser und Käufer dieses Buches erwartet eine Romanbiographie. Iris hat aber keine Romanbiographie geschrieben


    PMFJI: Naürlich ist das eine Romanbiographie! Niemand legt fest, dass eine Romanbiographie eine lineare Abfolge der Ereignisse im Leben der Hauptperson sein muss. Das gilt im engeren Sinne nicht einmal für "richtige" Biographien!
    Jede Biographie folgt einem Schwerpunkt, das ist unvermeidlich, weil es immer ein bestimmtes Thema gibt, dass den Biographen an der beschriebenen Person am meisten interessiert. ;-)


    SiCollier, ich bin im September im Urlaub und werde sicherlich keinen Internetzugang haben (will ich auch gar nicht). Deshalb werde ich dir vor Ende September ggf. kein Feedback geben können. Das nur als Hinweis und faule Vorabentschuldigung. :wave

  • @ Iris


    Kein Problem. Ich wollte mich (in Vermeidung des von Nicole anderweitig angesprochenen "virus indicus" ;-) ) eigentlich ins alte Rom begeben, aber nun wird es halt dieses. Thematisch ist das auch für mich interessant, und so bin ich im Oktober besser vorbereitet. :-)

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von Iris


    PMFJI: Naürlich ist das eine Romanbiographie! Niemand legt fest, dass eine Romanbiographie eine lineare Abfolge der Ereignisse im Leben der Hauptperson sein muss. Das gilt im engeren Sinne nicht einmal für "richtige" Biographien!


    Seufz. Eigentlich wollte ich ja nur sagen, daß derjenige, der eine dokumentarische Romanbiographie erwartet, enttäuscht sein könnte, weil es das nicht ist.


    Oder um Dich zu zitieren:


    Zitat

    Original von Iris vom 05.01.07
    Der "Rahmen" des Romans gerät offenbar immer wieder aus dem Blickfeld -- und das, obwohl er 25 - 30 % des Textes ausmacht. :wow
    Ich erzähle nicht Heinrichs Leben als halbdokumentarische Biographie, sondern mich hat interessiert, woran der sterbende sich wohl erinnert haben mochte, was ihm wichtig war, was sich ihm aufdrängte, wie er am Ende dieses Lebens bewußt und unbewußt die Gewichtungen legt, was er noch immer verdrängt, weil er es nicht erträgt usw.

  • Eine Rezi ist es nicht, aber ich habe mal aus meinen Notizen meine Leseeindrücke zusammengefasst.


    Iris Kammerer führt uns in ihrem Roman „Der Pfaffenkönig“ ins Mittelalter und läßt ihre Leser Heinrich Raspe, Landgraf von Thüringen und 1246 / 47 Gegenkönig zu Kaiser Friedrich II. kennenlernen.


    Heinrich erzählt uns die Geschichte seines Lebens nicht selbst, sondern ein Erzähler übernimmt diese Aufgabe in den Szenen, die für Heinrich im Angesicht seines Todes maßgeblich gewesen sein könnten, versucht aber dennoch den Blickwinkel Heinrichs einzuhalten. Das ist zweifellos keine einfache Erzählhaltung, um dem Leser zu verdeutlichen, daß er Heinrichs Leben und insbesondere seine Beziehung zu Elisabeth aus Heinrichs Blickwinkel erzählt bekommt und nicht aus der Sicht eines allwissenden Erzählers. Das bedingt m. E. auch durchaus inhaltliche Schwierigkeiten. So wird Heinrichs Sicht auf Elisabeth, die als Figur eher im Nebel bleibt, nicht wirklich greifbar, des Weiteren erlebt der Leser die Szenen aus dem Leben Heinrichs ohne Wertung. Der Roman schwankt für mich teilweise zu stark zwischen dokumentarischer Romanbiographie und speziellem Blickwinkel, so daß einige Szenen für mich in ihrer Ausgestaltung nicht schlüssig sind.


    Der spezielle Blickwinkel des Romans und der Gedanke der Autorin, daß für Heinrich in seinen letzten Lebensstunden die lebensbestimmende Liebe zu und die Auseinandersetzung mit seiner eigenen Religiosität im Vordergrund gestanden haben muß, bedingt, daß die politische Situation zur fraglichen Zeit nicht im Vordergrund des Romans steht.

    Sprachlich liest sich der von langen Sätzen und Bildern geprägte Roman angenehm locker, leicht und flüssig und niemals sperrig. Gelegentlich empfand ich einige der eingesetzten Bilder als überzogen oder unnötig. Die eingestreuten Psalmen und Bibelzitate und deren Wiederholung empfand ich teilweise als verzichtbar, da m. E. auch weniger genügt hätte, um deutlich zu machen, daß sie Bestandteil Heinrichs Lebens und Erlebens sind.

  • Ein historischer Roman, der thematisch mit einem Jubiläum zusammenfällt, weckt bei Leserinnen und Lesern hohe Ansprüche. Ist das historische Jubiläum noch dazu das Jubiläum einer Heiligen, steigert das den Anspruch nur noch, schließlich leben wir in weitgehend säkularisierten Gesellschaft. Ein Roman, der sich nicht nur an ein Publikum wenden will, das sich für katholisch - religiöse Tradition interessiert, muß also Brücken schlagen. Eine Brücke ist bereits die Person der Heiligen. Die hl. Elisabeth ist auch innerhalb der evangelischen Schwesterkirche nicht ganz unbekannt geblieben. Eine weitere Brücke ist Elisabeths Stand und ihre Familie. Sie entstammte dem europäischen Hochadel des Mittelalters und sie heiratete in eine aufstrebende, politisch äußerst ehrgeizige Familie, die der Landgrafen von Thüringen. Hierin also besteht die Verbindung zum weltlichen Teil der Welt, der auch heute durchaus auf Interesse stößt. In den damaligen ‚großen’ politischen Konflikten zwischen Welfen und Staufern waren die Thüringer ein entscheidender Faktor, ein Angehöriger der Familie gelangte sogar zur Königswürde. Das verhinderte nicht, daß ihn spätere Zeiten unter veränderten Bedingungen zunächst verleumdeten und dann vergaßen. Die Rede ist von Heinrich Raspe.


    Eben im Hinblick auf ein Jubiläum ist es als begrüßenswerte Entscheidung anzusehen, daß von Elisabeth als Hauptgegenstand eines Romans abgesehen wurde und statt dessen Heinrich gewählt. Für eine Autorin ist seine Person doppelt reizvoll. Nicht nur wird so ein weitgehend Unbekannter in den Blick eines breiteren Publikums gerückt, auch sind die zeitgenössischen Überlieferungen so spärlich, daß der Freiheit schriftstellerischer Komposition zunächst kaum Schranken auferlegt sind. Die Schranken darf sich die Autorin vor allem selbst setzen, sie ergeben sich aus ihrer Entscheidung der Komposition des Ganzen.


    Angelegt ist der Roman als Biographie, Heinrichs Leben steht im Vordergrund. Die Leserinnen und Leser aber erwartet keine geradlinig aufgebaute Lebensbeschreibung, von den Windeln bis zum Schließen des Sargdeckels. Das Buch ist bei weitem origineller aufgebaut. Nicht nur treffen wir gleich auf der ersten Seite den sterbenskranken erwachsenen Heinrich, erleben ein Leben also im Rückblick, wir bekommen sein Leben auch nur in den Ausschnitten präsentiert, die ihm in der Zeit seines Sterbens wichtig erscheinen.
    Auch die Fülle der Ereignisse - Heinrich wurde nicht sehr alt, aber es müssen trotzdem gut vierzig Jahre Landes - und Reichspolitik durchmessen werden - kann auf diese Weise eingegrenzt werden. Die Autorin geht noch weiter und beschränkt den Fokus auf das Innere, die Emotionen und die seelische Entwicklung ihrer Hauptfigur. Deren Empfindung in der jeweiligen Situation gibt das Tempo und die Farbe und soll zugleich Essenz des Texts sein. Die äußeren Ereignisse, Politik, Kriege sind dem untergeordnet.


    Die wichtigste Empfindung, die im Roman in den verschiedensten Facetten durchleuchtet wird, ist die Liebe. Heinrichs Liebe zu Elisabeth, zu seinen Brüdern, dem älteren wie dem jüngeren, zu seinen Ehefrauen, zu seinem Beichtvater, zum Kaiser, zur Welt und zu Gott. Die Liebes-Diskussion ist immer präsent, körperliche wie geistige Liebe wird durchgespielt. Dabei finden sich immer wieder wunderbare Einfälle, etwa den, die Frauen Heinrichs durch verschiedene Düfte zu charakterisieren, von Elisabeths Veilchen über Sandelholz bis hin zu Honig und Zimt. Von daher ist auch die jüngst monierte Schlußsequenz in Duft und Farbe vom Veilchenblau zum Blau des Himmels grundsätzlich richtig.
    Der Aufbau, auf den ersten Blick hin Erinnerungsfetzen, ist stimmig und natürlich zusammenhängend. Die Geschichte ist übersichtlich. Es gibt Verbindungsglieder, man muß nicht einmal übermäßig aufpassen, sie sind mit normaler Aufmerksamkeit leicht zu finden.
    Themenwahl, Fokus, Aufbau sind grundsätzlich richtig.


    Daß der Roman letztlich aber doch nicht funktioniert, liegt vor allem daran, daß zu sehr reduziert wurde. Auch nach hundert Seiten werden die Personen nicht lebendig. Keine von ihnen. Es fehlt ihnen an Komplexität. Es wird einseitig. Liebe allein trägt als Thema nicht.
    Am ehesten fällt das in der Darstellung der Beziehungen Heinrichs zu seinen nächsten Familienangehörigen auf, Tante, Bruder, Ehefrauen, aber auch Elisabeth. In der Wahrnehmung Heinrichs sind die drei Ehefrauen durch die drei Hochzeitsnächte charakterisiert, Varianten seines Begehrens, dessen Objekt eigentlich Elisabeth ist, die er nur sterbend in den Armen halten darf. Auch das Gefühl seiner eigenen Sündhaftigkeit, seine Höllenerfahrung, erlebt man als Leserin und Leser durch die Beschreibung eines wilden Rauschs von Körperlichkeit.
    Die fehlende Komplexität der Charaktere aber verhindert, daß diese Szenen mehr werden, als recht standardiserte Darstellungen körperlicher Beziehungen. Sie werden nicht zum organischen Bestandteil eines Ganzen, sondern im Gegenteil zu Leuchtfeuern in einer Romanlandschaft, die sich eher durch Gleichförmigkeit auszeichnet.


    Ist man dieser Reduktion einmal auf der Spur, findet man sie unseligerweise allenthalben. In den Beschreibungen, in den Charakterisierungen, in den Situationen. Statt Trivia auszuweichen, Klischees zu vermeiden, werden sie im Verlauf der Geschichte nur wiederholt. Heinrich liebt Elisabeth, Elisabeth liebt Jesu Worte. Wer den Himmel mehr liebt als die Welt, vernachlässigt Haus und Kinder. Ein Geistlicher ist entweder weise oder Inquisitor. Eine Tante ist vernünftig und bodenständig. Eine Schwester geld - und machtgierig. Die dritte Ehefrau, Beatrix, darf Heinrich auf seinem letzten Weg zur Seite stehen. Ihr ist ein wenig Lebendigkeit vergönnt, wenn auch sie letztlich zusammenschnurrt auf einen Typ, den der guten Hausfrau nämlich.
    Ein Tiefpunkt, geradezu ein Tiefschlag, ist die Begründung, die für den Eintritt des jüngsten Bruders von Heinrich, Konrad, in den Deutschen Orden gegeben wird.
    Heinrich selbst wirkt merkwürdig blaß. Er bleibt als eher passiver Charakter im Gedächtnis, zögernd, zweifelnd, durch äußere Ereignisse angetrieben. Daß Heinrich, dem an Liebes - und Weltleid erkrankten, doch etwas fehlt, scheint auch die Autorin gemerkt zu haben. So wird er kurzerhand zum Auftraggeber eines Mords.
    So etwas ist Verrat. An einer Romanfigur, der man nur mit extremen Mitteln noch eine Funken Leben einhauchen kann. Und natürlich an einer historischen Persönlichkeit, die mit dem Mord nicht in Verbindung gebracht werden kann.
    Was thematisch noch bleibt, sind Aspekte christlicher Religion. Pater Wigo, eine der wenigen einigermaßen ‚runden’ Figuren, ist der weise Beichtvater, der Heinrich - und damit auch Leserinnen und Leser durch die Verschlingungen von Liebe, Schuld und Sühne leitet. Tiefergehend sind seine Worte aber nicht, da ist nichts von dem Mystisch- Weltentrückten der Zeit, nichts von dem tiefen Empfinden, dem eigentlich archaisch Wilden, das die Zerrissenheit zwischen Hier und Jenseits kennzeichnet. Letztendlich ist Wigo vor allem ein lieber Kerl. Sonst nichts.


    Man begegnet vielen historischen Persönlichkeiten, vom Vasallen über Herzögen und Erzbischöfen bis zum Kaiser. Sie treten auf und gehen wieder ab. Dazwischen sagen sie ihre Sprüchlein auf. Unterschiede zwischen ihnen sind im Verlauf der Geschichte kaum auszumachen.
    Daß ein Verzeichnis der Personen fehlt und daß die Autorin nicht einmal auf das einfachste Hilfsmittel verfällt, nämlich die gleichlautenden Namen all der Konrads und Friedriche und Heinriche mittelalterlich - zeitgenössisch etwa in Hinz oder Kuno oder mit etwas Phantasie ‚der mit der Narbe’ zu ändern, trägt nur dazu bei, daß spätestens ab der zweiten Hälfte des Buchs die Konturen völlig verschwommen sind.


    Stilistisch schließlich ist das Buch sehr unausgewogen. Sprachliche Register werden offenbar beliebig gezogen, der Kontext, den die Wahl von bestimmten Ausdrücken schafft, nicht berücksichtigt. Zwischen lyrischen Ansätzen und Plattitüden ist alles möglich, nicht selten auf einer einzigen Seite. Unwesentliches kann bis zum letzten Detail beschrieben werden, für Wichtiges gibt es einen Halbsatz. Das Vokabular wird im Lauf der Geschichte zusehends kleiner. Die langen lateinischen Passagen erweisen sich als Falle. Wozu dienen sie? Klingt der Roman mittelalterlicher, wenn man lateinischen Text sieht? Kirchlicher? Im Textzusammenhang weckt es auf Dauer eher den Verdacht, als fehlten der Autorin die eigenen Worte.
    Das Verblüffende ist, daß auch die schlimmste Plattheit mit ungeheuerer Ernsthaftigkeit hingeschrieben wurde. Daß das zuweilen ungewollt urkomische Effekte gibt, bleibt nicht aus.


    Mein Fazit: eine ausgezeichnete Idee, ein ambitioniertes Projekt, doch der Autorin gelingt es nicht, die selbstgesetzten Ansprüche zu erfüllen.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • [quote]Original von Iris
    Aber natürlich ist es behaglich, wenn man sich auf diese Weise distanzieren kann von all den "kleinen sexuell enttäuschten, unerkannten, unerhörten, pubertierenden Leserinnen, denen bei solcher Lektüre schier die Augen aus dem Kopf quellen". :rofl
    [quote]


    :wow toller satz :wow hab ich den vorher wo überlesen, oder woher kommt der?


    :lache


    ach, magali, ich erwarte beim wort 'roman' von vorn herein nichts, und er kann mich nur positiv überraschen... - und das buch hat mich äusserst positiv überrascht - sonst gehören 'solche' bücher zu meiner 'igittigitt, noch so ein hysterischer roman - was wird denn das wohl wieder für ein scheiss sein?'- schablone.
    Ich war vom Pfaffenkönig nacherher wirklich angenehm angetan, ich weiss auch ein halbes jahr später noch, dass es ihn gegeben hat, also hat das buch seinen bildungsauftrag voll erfüllt.
    Enttäuschend fand ich nur, dass Heinrich nie auf seine Swatch-armbanduhr gesehen hat, und nie sein telering-Handy mit 30% neuensteiger-rabatt herausgeholt hat... die Melonen haben mich nur kurz beschäftigt, sie waren als fragepunkt entschieden zu unspektakulär.


    :gruebelUnd das einzige, das mir nach einem halben jahr noch im gedächtnis picken geblieben ist, war die randbemerkung mit dem byzantinischen am babenberger-hof, das sich danach auf ewig im unerreichten verlangen und der vagen sehnsucht der österreichischen höflingsseele eingenistet hat... das war äusserst scharfsichtig bemerkt, nur ist mir das vorher nie aufgefallen... :wow- die mentale achse Wien-Balkan-Byzanz stimmt wirklich... bis hin zur wahnwitzigen kafkaesken bürokratie und ämterhierachie.
    Das wird in mir vom Pfaffenkönig hängen bleiben wie weilands das mit dem 'irrationalen etruskischen alpenbarock' das dieser.. wie hiess er noch, Hitlers hofjud? - Rosenberg, im pamphlet vom !Mythus! des Jahrhunderts geschrieben hat...
    Ich kann nur sagen: tiefe historische einblicke in die wild zusammengepappten fundamente der österreichischen seele... - im vorbeigehen, in einem nebensatz angedeutet ;-)

    DC :lesend


    Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens I


    ...Darum Wandrer zieh doch weiter, denn Verwesung stimmt nicht heiter.
    (Grabinschrift F. Sauter )

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  • :wow


    Magna, Du siehst mich atemlos. Ein Beitrag von wahrhaft Magna'scher Größe.
    Wie üblich bist Du mit beiden Füßen punktgenau in der Mitte gelandet und liegst trotzdem voll daneben.
    Es ist Dein spezielles talent und, das ist kein Witz, ich liebe es. Kein Beitrag aus Deiner Tastatur entgeht meinem inzwischen süchtigen Blick.


    Ich überblicke gerade das Schlachtfeld und stelle fest, daß es kein Fettnäpfchen gibt, das Du nicht ausgelassen hast. Kein wichtiges, meine ich.


    Das ist das Leben. Oder meine ich dieses Forum? :gruebel
    Vom blutigen Drama zum Slapstick braucht es nur etwas Sublimat. In einer Magna-Packung.


    Gleichermassen hingerissen wie ehrfürchtig grüßt Dich aus dem Mittelpunkt des preußischen Seelenlebens


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • :knuddel :wave das fasst es wohl punktgenau zusammen... :chen


    hab grad festgestellt, meine schriftlichen irritationen stammen eindeutig von death metal

    DC :lesend


    Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens I


    ...Darum Wandrer zieh doch weiter, denn Verwesung stimmt nicht heiter.
    (Grabinschrift F. Sauter )

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