Enttäuschung
Es gibt einen Menschen, ein ehemaliger und langjähriger Freund von uns, von mir und meinen drei Kindern - der war sogar ein ganz guter Freund. Sehr vertraut, sehr nahe. Ein kleiner Versuch, ob zwischen uns etwas mehr werden könnte, ein wenig intimer, misslang. Aber das wurde zu keinem Drama oder Thema, es blieb ein unbedeutendes Zwischenspiel, der Freundschaft tat es keinen Abbruch.
Als ich dann in eine Situation geriet, die wirklich verzweifelt war, in der mir mein Leben, meine Ordnung, meine Sicherheit und mein ganzes Weltbild gründlichst um die Ohren flogen und ich völlig hilflos da stand und nicht mehr wusste, wo oben und unten oder sonst was war, stand er mir zur Seite, hat mich besucht, getröstet, aufgebaut und versucht zusammen mit mir Lösungen zu finden.
Genauso wie ich und mein ganzes Umfeld hat er mit den Händen gerungen und stand entsetzt und ohnmächtig vor meinem Dilemma.
Nebenbei hat er sich alle Informationen verschafft, um diese Situation zu seinem Vorteil auszunutzen. Ich hatte weder Geheimnisse vor ihm oder auch noch den leisesten Verdacht und er hat alles bekommen -an Daten und Fakten- , was er brauchte und wollte.
Heimlich, sehr am Rande der Legalität und zu seinem enormen finanziellen Vorteil, hat er dann gehandelt.
Wie schlimm das eigentlich war ... nur daran zu denken oder hier darüber zu schreiben, das merke ich jetzt erst wieder. Elend ist es mir, blass bin ich und schon wieder zittrig alleine bei dieser Erinnerung.
Tatsache war, das er bis zum Schluss bei mir sass und mein Freund war, Kaffee getrunken, mir immer wieder beteuert hat, es wäre alles in Ordnung, ich müsste mir keine Sorgen machen und dabei genau wusste, das er, nachdem er unser Haus ersteigert hat, von Beginn an die Räumungsklage beantragt hatte. Ohne mir einen Ton davon zu sagen.
Ich habe es erst erfahren genau drei Wochen vor dem angesetzten Termin.... was das bedeutet, mit drei Kindern, finanziell völlig ruiniert und mental schon lange kurz vor dem Tod-Stell-Reflex, das kann man sich überhaupt nicht vorstellen.
Diese Wohnung hier ist ein Wunder und ein Mysterium. Sie ist mir zugeflogen -ohne mein Zutun- innerhalb von einer Stunde nach dem behördlichen Briefzustelltermin. Perfekt in jeder Hinsicht, als ob man sie sich für uns ausgedacht hätte.
Das ging also gut aus.
Was war jetzt meine Enttäuschung? Mal abgesehen davon, das mich zu dieser Zeit, nichts mehr enttäuschen oder auch nur noch hätte ein wenig verwundern konnte. Sass ich doch wie ein geblendetes Kaninchen vor dem herannahendem Auto, ohne mich bewegen oder handeln zu können.
Ich war nicht einmal so sehr enttäuscht über ihn, sondern über mich. Über meine Einschätzung, über meine Menschenkenntnis - und nicht mal das richtig, denn wenn ich ganz ehrlich bin und genau in mich hinein schaue, dann habe es gewusst.
SO überrascht war ich nicht.
Aber ich habe eben nicht hin genau gesehen, IHN mir nicht angesehen und das wollte ich auch nicht. Was mir ihm nicht gefiel und was ich durchaus geargwöhnt habe, das habe ich einfach ausgeblendet, negiert, das hat nicht existiert.
Statt dessen habe ich einen Freund gesehen, mir gemacht, mir hin gebastelt und zwar genau den, den ich sehen und haben wollte. Das war er aber nicht und das war er auch nie gewesen. Ich habe Größe gesehen -wo keine war-, ich habe Verantwortung gesehen -die nie existiert hat-, ich habe einen integeren Charakter gesehen -tja, nun- und eine gradlinige Moral -meine Moral natürlich- und Lebensziele -den meinen ähnlich- ohne es zu überprüfen.
Ich habe mich selber belogen und getäuscht, nicht er mich. Zehn Jahre lang. Das muss man mal schaffen. Er hat es natürlich zugelassen, vielleicht hat es ihm geschmeichelt, gefallen und er hat sich in meinem Bild von ihm gespiegelt, aber letztendlich, als er dann Farbe bekennen musste, zeigen wer er wirklich war, konnte er die schöne Fassade nicht mehr aufrecht erhalten.
Ich bin jetzt vorsichtiger oder misstrauischer, nicht mit der Auswahl meiner Freunde, -im Gegenteil- da stürze ich mich weiterhin kopfüber und freudig hinein, sondern ich überprüfe mich selber dabei.
Sehe ich nur das, was ich will? Höre ich nur das, was ich will? Was will der andere wirklich? Was denkt sie wirklich? Wer ist er? Wer ist sie? Was ist sein Ziel? Was bewegt sie? Wo ist sein wahrer Antrieb? Lebt er eigenverantwortlich oder auf Kosten anderer?
Ich filtere diese Informationen nicht mehr nach meinem Bedarf oder nach meinen Wünschen, sondern schaue mir die Realität an.
So gesehen habe ich nur gelernt und wie immer auf dem harten Weg. Mir muss immer erst etwas passieren, bevor ich begreife und mich dann ändere.
Das ist jetzt genau ein Jahr her, wir haben uns soweit erholt, noch nicht ganz... da sind noch zwei drei Sachen zu erledigen, aber es geht uns gut.
Und er?
Ich habe ihn letztens zufällig getroffen und nur, weil ich gespürt habe, da schaut jemand bemüht und angestrengt weg, ist er mir überhaupt aufgefallen.
Da hat er das Haus, zwei dicke Autos, Geld ohne Ende und kann mir nicht in die Augen schauen? Wo ist sein Problem?
Ich hätte ihm grüßt, ganz automatisch, wie jemanden, den man kennt, der einem nicht wichtig ist und später wäre mir dann eingefallen: „...oh! Das war doch...!...und der hat doch..."
Seine Rolle in meinem Leben hat er zu Ende gespielt, es reicht nicht mal mehr für Wut oder andere negative Gefühle. Gleichgültigkeit. Erledigt. Vergessen.
Seinen Preis allerdings, den möchte ich nicht bezahlen.