Der fliegende Berg - Christoph Ransmayr

  • Klappentext


    "Der fliegende Berg" ist die Geschichte zweier Brüder, die von der Südwestküste Irlands in den Transhimalaya, nach dem Land Kham und in die Gebirge Osttibets aufbrechen, um dort wider besseres (durch Satelliten und Computernavigation gestütztes) Wissen einen bislang unentdeckten, namenlosen Berg zu suchen, viellecht den letzten "weißen Fleck" der Weltkarte.
    Auf ihrer Suche begegnen die Brüder nicht nur der archaischen, mit chinesischen Besatzern und den Zwängen der Gegenwart im Krieg liegenden Welt der Nomaden, sondern auch auf sehr unterschiedliche Weise auch dem Tod. Nur einer der beiden kehrt aus den Bergen ans Meer und schließlich in ein Leben zurück, in dem er das Rätsel der Liebe als sein und seines verlorenen Bruders tatsächliches, lange verborgenes, niemals ganz zu vermessendes und niemals zu eroberndes Ziel zu begreifen beginnt. Verwandelt von der Erfahrung, ja der Entdeckung der Wirklichkeit, macht sich der Überlebende am Ende ein zweites Mal auf den Weg.


    Über den Autor
    (dem Buch entnommen)


    Christoph Ransmayr, geboren 1954 in Wels / Oberösterreich, studierte Philosophie und Ethnologie, lebt in Irland und Wien. Seine Romane "Die Schrecken des Eises und der Finsternis" (1984), "Die letzte Welt" (1988 ) und "Morbus Kitahara" (1995) wurden in 30 Sprachen übersetzt. Kleiner Prosaarbeiten in den Bänden "Der Weg nach Surabaya" (1997), "Die Verbeugung des Riesen" (2003) und "Geständnisse eines Touristen" (2004) erzählen von den ausgedehnten Reisen, die Ransmayr seit den 90er Jahren unternommen hat.
    Für seine Bücher erhielt er zahlreiche literarische auszeichnungen, u.a. den Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (1992), den Franz-Kafka-Preis (1995), den Premio Litterario Internazionale Mondello (1997), den Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad homburg (1998 ), den Bert-Brecht-Preis (2004).


    Meine Meinung


    Mein erster Ransmayr!
    Ich habe das Buch auf dringlichste Empfehlung "blind" aus dem Regal gekauft und erst einmal große Augen gemacht, als ich es aus der Folie gepult hatte. Denn obwohl vorne drauf "Roman" steht, findet sich nicht der gewohnte Fließtext eines solchen darin. Sondern das, was Ransmayr vorneweg in der "Notiz am Rand" als "Flattersatz - oder besser: der fliegende Satz" bezeichnet. Es sieht also aus wie Poesie, wie eine Ballade, ohne Reime. Irritiert betrachtete ich mir noch einmal das Cover - doch, tatsächlich, "Roman" steht drauf. Dann die zweite Irritation: obwohl der Titel von einem Berg spricht und der Klappentext von Bergsteigern, zeigt das Cover eine verschwommene Unterwasserwelt.
    Und falls Ihr beim Lesen der Rezi den Klappentext unklar und kompliziert finden solltet - genauso ging es mir auch.


    Vorneweg gesagt: ich werde das Buch sicher noch ein zweites oder drittes Mal lesen, in gebührendem Abstand, und selbst dann glaube ich nicht, alles erfassen zu können. Es ist für mich ein irritierendes, aber auch ein betörendes Buch gewesen, über das ich sicher noch einige Zeit nachdenken werde.


    Irritierend fand ich auch, dass die beiden Brüder Liam und Padraic aus Irland stammen. Bei Bergsteigern hatte ich irgendwie einen deutsch-österreichisch-schweizerischen Hintergrund erwartet - vielleicht auch, weil sich mir die Assoziation mit Reinhold Messner und dem tragischen Tod seines Bruders bei einer Bergbesteigung aufgedrängt und bis zum Schluß nicht verlassen hat.
    Irland - da ist auch der Gedanke an die IRA nicht fern, und tatsächlich wird darauf Bezug genommen. Dann Tibet, die Besatzung durch die Chinesen, eine Liebesgeschichte zwischen Padraic und einer Tibeterin, während Liam homosexuell ist. Es geht um die See und die Berge. Um Realität, Fiktion, Mythen, Traditionen. Eine Familiengeschichte kommt ebenfalls hinzu - alles recht viel, wenn es aufgezählt wirkt, aber innerhalb des Buches passt alles zusammen. "Roman" mag ich gar nicht sagen, es ist für mich so "un-roman-haft" - und natürlich denke ich dann darüber nach, was eigentlich einen Roman ausmacht?


    Ich habe es nicht so mit Bergsteiger-Geschichten, und trotzdem haben mich die Schilderungen der div. Aufstiege fasziniert. Inhaltlich, gedanklich, ist das Buch manchmal sperrig - und dann hat es mich doch wieder so angeschmeichelt, in sich hineingezogen, dass ich Gänsehaut hatte, gar feuchte Augen und erst mal tief durchatmen musste. Manche Stellen sind leise hingetupft, nur ein Hauch, manche schmerzhaft kantig und hart.
    Vor allem ist es reinste Poesie, betörend in der Wortwahl, in Klang und Reihung von Worten und Sätzen.


    Der verwendete "Flattersatz" breitet den Text auf über 350 Seiten aus - eigentlich ein "kurzes" Buch, in dem aber so viel mehr steckt als die gedruckten Buchstaben vermuten lassen. Ein rätselhaftes Buch, das es mir unmöglich macht, es irgendwie zu bewerten. Das geht glaube ich gar nicht, und ich möchte es auch gar nicht.


    Aber es sind Stellen wie diese hier (S.212):

    Nach ihren Worten könnte ein Mensch,
    der zu lesen und zu schreiben imstande sei,
    seine Zeit und seinen Ort verlassen wie eine Gottheit,
    wenn er Gedanken, Namen, jedes seiner Worte
    in Schrift verwandelte
    und ein Stück Holz, einen Stein
    oder Papier in der Gewißheit beschrieb,
    damit eine Botschaft zu hinterlassen, die lesbar blieb,
    wenn er selbst längst schon verschwunden
    oder gefangen war in einer anderen Gestalt des Lebens.


    an denen ich mit den Tränen kämpfte, weil ich sie so unglaublich schön fand und sie mir so unter die Haut gingen.


    Danke, Herr Ransmayr, für dieses Buch.

  • Mir ging es ähnlich - zumindest was die Form des Textes betraf.


    Ich war im Wiener Burgtheater auf der Buchpräsentation dieses Buches, wo Ransmayr völlig normal draus vorlas. Er las es einfach wie einen Roman - alles in allem sehr spannend und unterhaltsman. Als ich das Buch dann in Händen hatte, war ich auch völlig irritiert.


    Ich hab das Buch noch nicht gelesen, aber nach deiner Rezi und der Präsentation selbst bin ich jetzt schon ganz begeistert und werde es sicher bald in Angriff nehmen.

  • Auch für mich war es das erste Buch von Ransmayr (gerade zu Ende gelesen).


    Ich denke, der "Flattersatz" ist für jeden zunächst gewöhnungsbedürftig. Im Laufe des Buches wurde ich aber mehr und mehr von der Rythmik und Ausdruckskraft der Sprache in den Bann gezogen.


    Zitat

    Irritierend fand ich auch, dass die beiden Brüder Liam und Padraic aus Irland stammen. Bei Bergsteigern hatte ich irgendwie einen deutsch-österreichisch-schweizerischen Hintergrund erwartet - vielleicht auch, weil sich mir die Assoziation mit Reinhold Messner und dem tragischen Tod seines Bruders bei einer Bergbesteigung aufgedrängt und bis zum Schluß nicht verlassen hat.


    Das es ausgerechnet zwei Iren, zwei "Meermenschen", wie sie im Buch von den Khampas genannt werden, sind, von denen der Roman handelt, ist wohl tatsächlich für eine Bergsteigergeschichte ziemlich ungewöhnlich - und gerade hierin liegt, denke ich, ein zentrales Thema des Romans: die Relativierung von regionalen Stereotypen durch die Globalisierung (die Brüder entdecken ihr Reiseziel ja im Internet); die Welt "wächst zusammen", Atlantikküste und Himalaya sind keine unüberbrückbaren Gegensätze mehr, sondern können sich direkt berühren - der Roman findet ja effektiv fast zur Hälfte in Irland statt, die Übergänge sind fließend. Den Gegenpol bilden die Khampas, die einen seit Jahrhunderten tradierten Lebensstil pflegen und sich nicht nur mit ihrer Region, sondern auch mit der darin noch einmal eingeschränkten Menschenwelt (im Gegensatz zur Götterwelt der Berggipfel) zufrieden geben.


    Mich hat der "Fliegende Berg" davon überzeugt, dass doch noch gute deutschsprachige Literatur geschrieben wird - woran ich vorher längere Zeit gezweifelt, und mich eher auf Älteres konzentriert hatte. Als nächstes habe ich mir "Die Schrecken des Eises und der Finsternis" von Christoph Ransmayr vorgenommen. Da bin ich schon gespannt...

  • huch, jetzt erst gesehen, dass zu meiner Rezi noch was kam.. :schaem


    Zitat

    Original von bogart
    sowas liest man ja nicht nebenbei...


    nein, bo, das geht mit diesem Buch sicher nicht! :wave


    Zitat

    Original von kidflash
    Das es ausgerechnet zwei Iren, zwei "Meermenschen", wie sie im Buch von den Khampas genannt werden, sind, von denen der Roman handelt, ist wohl tatsächlich für eine Bergsteigergeschichte ziemlich ungewöhnlich - und gerade hierin liegt, denke ich, ein zentrales Thema des Romans: die Relativierung von regionalen Stereotypen durch die Globalisierung (die Brüder entdecken ihr Reiseziel ja im Internet); die Welt "wächst zusammen", Atlantikküste und Himalaya sind keine unüberbrückbaren Gegensätze mehr, sondern können sich direkt berühren - der Roman findet ja effektiv fast zur Hälfte in Irland statt, die Übergänge sind fließend. Den Gegenpol bilden die Khampas, die einen seit Jahrhunderten tradierten Lebensstil pflegen und sich nicht nur mit ihrer Region, sondern auch mit der darin noch einmal eingeschränkten Menschenwelt (im Gegensatz zur Götterwelt der Berggipfel) zufrieden geben.


    Bin ich beim Lesen gar nicht drauf gekommen, aber klar!
    Genialer Gedanke! :anbet

  • Zwei irische Brüder machen sich auf den Weg vom Meer zu den höchsten Bergen der Welt, um den vermeintlich letzten weißen Fleck auf der Landkarte zu finden. Dort begegnen sie nicht nur der Liebe und der grenzenlosen Freiheit über den Wolken, sondern vor allem sich selbst.


    Ein beeindruckendes Werk, das dem Leser wunderschöne Bilder von den Klippen Irlands und den hohen Bergen des Transhimalayas vor Augen führt, selbst wenn die im Buch beschriebenen Berge nur aus der Feder des Autors stammen und nicht wirklich existieren. Trotzdem hat man als Leser zu keinem Zeitpunkt das Gefühl einer erfundenen Geschichte zu folgen. Fast wirkt das Buch biographisch, was dem Leser den Inhalt, als auch die Charaktere umso näher bringt.


    Die Form des Buches ist außergewöhnlich und einzigartig für einen Roman. Im ersten Moment ist es fast ein wenig anstrengend sich an den „fliegenden“ Satz zu gewöhnen und eine Weile hat man das Gefühl man müsse ihn wie ein Gedicht lesen, doch nach einer Weile fällt das Lesen wieder leicht und spätestens nach den ersten Kapiteln bemerkt man den Unterschied zu anderen Büchern überhaupt nicht mehr. Das Buch wirkt durch diese Besonderheit gar flotter und kompakter, obwohl der Inhalt weder rasant, noch an sich auf Spannung getrimmt ist. Doch das Buch vermag auf seine eigene Art und Weise zu fesseln.
    Die wenigen Charaktere, denen man auf dem Weg begegnet, sind durchwegs leuchtend und realistisch gestaltet. Sie wecken Interesse und Neugier für eine Welt, die der unseren eigentlich in nichts ähnelt. Das Streben zu den Berggipfeln verleiht dem Buch ein Gefühl, das ich – von Kindesbeinen an mit Bergen vertraut – nur allzu gut nachvollziehen kann.


    Fazit: Die wunderschönen und teilweise gleichzeitig traurigen Bilder, welche das Buch in den Kopf des Lesers projiziert, sind die Lektüre auf jeden Fall wert.

    "Sobald ich ein wenig Geld bekomme, kaufe ich Bücher; und wenn noch was übrig bleibt, kaufe ich Essen und Kleidung." - Desiderius Erasmus

  • Ich möchte mich den positiven Rezis anschließen und auch zum Inhalt nichts mehr schreiben.


    Aber einem muss ich widersprechen, ich habe das gesamte Buch gelesen wie ein Gedicht. Und gerade darum gewinnt es für mich noch mehr.
    Ich habe nicht runtergelesen, sondern inne gehalten, was kommt wohl als nächstes?
    Gerade der "Flattersatz" bewirkt bei mir, dass mir das Buch besonders nah ging. Und mich mehr als einmal zu Tränen rührte. Gerade die Form ist hier für mich der Höhepunkt, denn dadurch wurde ich als Leserin gezwungen, langsamer zu lesen als sonst und auch anders.
    Ich habe für das Buch, trotz der Kürze, länger gebraucht als sonst. Weil mich viel Zeilen eingeladen haben, Pause zu machen, nachzudenken. Und das wird eben durch die ungewöhnliche Form bewirkt, bei der es nicht mal Reime gibt. Selbst den Faust liest man so runter (naja, nicht einfach so), weil es Reime gibt, die den Lesefluss beeinflussen. Aber ohne Reimschema und Versmaß, wirkt der Text, wie ein Prosatext, der einfach zerstückelt wurde.
    Und ich glaube, hier wurde bewusst an den richtigen Stellen zerstückelt.
    Nochmal das Zitat aus der ersten Rezi:


    Nach ihren Worten könnte ein Mensch,
    der zu lesen und zu schreiben imstande sei,
    seine Zeit und seinen Ort verlassen wie eine Gottheit,
    wenn er Gedanken, Namen, jedes seiner Worte
    in Schrift verwandelte
    und ein Stück Holz, einen Stein
    oder Papier in der Gewißheit beschrieb,
    damit eine Botschaft zu hinterlassen, die lesbar blieb,
    wenn er selbst längst schon verschwunden
    oder gefangen war in einer anderen Gestalt des Lebens.


    Ich fand das Buch "sperrig" zu lesen, aber ich habe es gern gelesen und es hat mich sehr berührt. Weil man hier mit jeder Zeile eingeladen wird, sich seine eigenen Gedanken zu machen. Ein Buch, für das man sich Zeit nehmen sollte. Und nicht einfach runterlesen wie einen normalen Roman.


    Gerade aufgrund der Form wurde ich umso mehr berührt, weil ich nach vielen Zeilen inne hielt und nachdachte. Mein Bestreben war gar nicht, das Buch zu lesen wie einen "normalen" Roman. Und wenn man das zulässt, die Zerstückelung, das Entschleunigen, die vielen Anregungen, ohne gleich wissen zu wollen, wie es weiter geht, sondern lieber erst mal selbst zu überlegen: wie könnte es weiter gehen. Dann ist das ein Superbuch.


    Wobei ja auch Menschen, die das Buch normal gelesen haben als Roman, es gut fanden. Aber ich persönlich fand besonders die Form das Tolle. Hier wird man eingeladen, nach fast jeder Zeile selbst zu denken, obwohl der Satz noch gar nicht beendet ist. Oder auch zu fühlen, obwohl man noch gar nicht weiß, wie der Satz nun endet.


    Ich fand auch Inhalt und Sprache sehr gut. Aber der Clou ist für mich eben die Form. Darum mag ich das Buch noch mehr als eh schon.


    Wer sich drauf einlässt und wirklich nach jeder Zeile stoppt kurz, der wird so berührt sein und nachdenken, wie schon lange nicht. Jedenfalls mir ging es so.


    Ein Buch, das einen hindert, es an einem Stück in 4 Stunden runterzulesen. Und daher für mich genial.


    Ich gebe, selbstverständlich nach dem Gelaber, 10 Punkte und hoffe, dass Viele das Buch lesen. Ist ein tolles Buch, aber die ganze Wucht entfaltet es in meinem Augen nur, wenn man den Flattersatz nicht abtut als: der Autor ist bisschen komisch, aber ich lese das mal normal runter. Ich glaube, der Autor hat was bezweckt damit, das zumindest bei mir auch voll gewirkt hat.

    Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.


    Johann Nepomuk Nestroy
    (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor