Info zum Film:
Los Angeles im Morgengrauen. Das Meer, die Hügel von Hollywood, im Vordergrund die Hochhäuser und Elendsquartiere von Downtown L.A. "The Million Dollar Hotel" verkündet eine Leuchtschrift auf einem der Gebäude, bevor sie erlischt. Auf dem Dach des Hauses steht Tom Tom. Er besinnt sich, nimmt Anlauf und springt - zwölf Stockwerke tief in den Tod. Im Fallen sieht er den morgendlichen Alltag hinter den Fenstern: Ein Mann spielt Trompete, ein Ehepaar streitet sich, eine Prostituierte erwacht neben ihrem Freier. Dann hört man Tom Toms Stimme: "Nachdem ich gesprungen bin, wurde mir klar..."
Mit einem Sterbenden, der spricht, beginnt Wim Wenders' neuer Film. Er erzählt von dem Selbstmörder Tom Tom, den Menschen, die er gekannt, und den Dingen, die er gesehen hat. Eine Filmstory als Monolog aus dem Jenseits? Das ist nicht so ungewöhnlich, wie es klingt. Schon vor 50 Jahren hat Billy Wilder in "Boulevard der Dämmerung" einen Erschossenen seine Geschichte erzählen lassen.
In der ersten halben Stunde von "The Million Dollar Hotel" lernen wir ein ganzes Arsenal verrückter Typen kennen. Da ist Dixie (Peter Stormare), ein sanftmütiger Späthippie, der sich für den fünften Beatle hält, dem die Welt in Wahrheit sämtliche Songs von John, Paul, George und Ringo zu verdanken habe. Da ist Geronimo (Jimmy Smits), ein esoterisch raunender und existenzialistisch maulender Großstadtindianer, hinter dessen flatterhafter Fassade sich ein kalt berechnender Verstand verbirgt. Da sind Shorty (Bud Cort) und Jesu (Tito Larriva), zwei komische Heilige, der eine aus dem Show-, der andere aus dem Church-Business. Da ist Vivien (Amanda Plummer), über die man nicht viel erfährt - außer, dass sie einmal schön war und noch immer vom Leben der Schönen und Reichen träumt. Oder Jessica (Gloria Stuart aus "Titanic"), eine exzentrische Alte, die man sich gut als Inhaberin eines Friseursalons in Venice Beach vorstellen könnte.
Und mittendrin Tom Tom, der reine Tor, der Parsifal dieses Films. "Ein Kind-Mann", so hat Wenders ihn gesehen, und so spielt ihn Jeremy Davies, der tapfere Kompanieschreiber aus Spielbergs "Der Soldat James Ryan". Tom Tom liebt die kühle, rätselhafte Eloise (Milla Jovovich), die nachts ihren Körper an den Meistbietenden verkauft und tagsüber wie eine Schlafwandlerin durch die Räume des Hotels schleicht. Für Eloise legt er ein falsches Mordgeständnis ab, und für sie geht er am Ende sogar in den Tod - in einer Umkehrung des großen Sprungs aus "Der Himmel über Berlin" (1987), wo der Engel durch die Liebe erst zum Leben erwacht. Hier stirbt er an ihr.
Eine Geschichte ist das alles nicht. Deshalb hat Drehbuchautor Klein sich eine detective story ausgedacht, die die verstreuten Handlungsfäden zusammenhalten soll. Izzy Goldkiss (Tim Roth), ein reicher Erbe, der vor seinem tyrannischen Vater ins Million Dollar Hotel geflüchtet war, ist eines Tages vom Dach gestürzt. Der FBI-Agent Skinner (Mel Gibson) soll Izzys Mörder finden. Die Situation wird dadurch kompliziert, dass Izzy zu seinen Lebzeiten ein paar Leinwände mit Teer begossen hat; die so entstandenen "Gemälde" hat er Geronimo vermacht. Dieser lädt einen Kunsthändler ein, die Teer-Werke zu begutachten. Ergebnis: Die "Kunst" ist ein Vermögen wert. Die Hotelbewohner freuen sich auf ein Leben im Wohlstand. Doch sie haben ihre Rechnung ohne Mr. Skinner gemacht...
Aus diesem dramaturgischen Gerüst hätte ein halbwegs spannender Film entstehen können. Aber Wenders interessiert sich weder für die Detektivgeschichte im Allgemeinen noch für den Detektiv im Besonderen. Er macht aus Skinner einen Kauz unter Käuzen, eine Art Holo-Cop, der nach einer grausigen Wirbelsäulenoperation ein Rückenkorsett tragen muss und in seiner stocksteifen Entrücktheit nie ganz unter uns zu weilen scheint. Einmal setzt er das Hotel unter Wasser, um dessen Bewohner zu Geständnissen zu zwingen. So seltsam und linkisch wie diese Tat ist auch Mel Gibsons Präsenz in diesem Film. Er wirkt wie ein mittelalterlicher Ritter, der sich unter die Schöngeister verirrt hat und in seiner schweren Rüstung weder gehen noch reden kann. Statt in einer Charakterrolle aufzublühen, weckt Gibson in "The Million Dollar Hotel" die Sehnsucht nach einem Film, in dem er wieder so richtig zuschlagen darf.
Izzys Todessturz schließlich, der Auslöser der Geschichte, wird nicht einmal in Andeutungen gezeigt. So kreist die Handlung um ein Loch, das sich mit jeder weiteren Figur, jeder neuen Episode spürbarer öffnet. Es gibt viele interessante Einfälle, aber keinen Zusammenhang. Die Suche nach Izzys Mörder, die dem Film eine Form geben sollte, verkommt zum Hintergrundgeplänkel. Was bleibt, ist eine Revue der Raritäten, ein virtuos fotografiertes Typenkabinett. Tom Tom, der mit seinem Skateboard wie ein Wirbelwind durch die Gänge des Hotels fegt, gibt der Kamera Phedeon Papamichaels ihren gleitenden Rhythmus vor. Wie enthemmt schweift der Blick des Films durch das Innere des Gebäudes. Manchmal hat man das Gefühl, ein Road-Movie zu sehen, das auf der Stelle tritt. Im Grunde gilt das für das Kino des Wim Wenders überhaupt: Früher waren seine Filme unterwegs, auf der Suche nach Geschichten. Heute glaubt er, da zu sein, wo er immer hin wollte, doch es gelingt ihm nicht, sich auf eine Geschichte zu konzentrieren. Seine Filme haben die Offenheit von einst verloren, ohne eine neue erzählerische Geschlossenheit zu finden. Deshalb zittern sie wie Irrlichter über die Leinwand, unwirklich und rätselhaft.
Etwa nach der Hälfte der zwei Stunden, die der Film dauert, nimmt "The Million Dollar Hotel" einen erstaunlichen Aufschwung. Kann sein, dass man sich an die Figuren und ihre Geschichten gewöhnt hat, kann auch sein, dass die sehr unterschiedlichen Schauspielstars, die sich bei Wenders die Ehre geben, im Lauf der Dreharbeiten besser miteinander zurecht kamen als zu Beginn. Jedenfalls wird die Story vom Millionen-Dollar-Hotel am Ende so poetisch, wie ein Film sein muss, der von einer Liebe ohne Hoffnung erzählt. Man sieht, wie sehr Wenders vom französischen Kino beeindruckt ist, etwa von Carax' "Die Liebenden von Pont-Neuf", und wie er versucht, die Stimmung und den Ton der Franzosen nach Amerika zu übertragen. Aber Los Angeles ist nicht Paris. Hier riechen die Straßen anders, sind die Geschichten härter, böser. Deshalb ist die zarte Melancholie, in die Wenders den traurigen Ausgang seiner Liebesgeschichte taucht, nur ein flüchtiger Schein. Er hält nicht. Die Stadt streift ihn ab wie eine überflüssige Haut.
Ganz zum Schluss sieht man noch einmal die Skyline von L.A. Wim Wenders ist hierher gekommen, um die Filme zu drehen, die er in Deutschland nicht drehen kann - großes Kino mit internationalen Stars, Leinwandepen in der Tradition von John Ford, Howard Hawks und Nicholas Ray. Aber die erste Lektion der großen Amerikaner besteht darin, dass jeder Film nur so gut ist wie die Geschichte, die er erzählt. Wim Wenders irrt sich, wenn er glaubt, er hätte diese Lektion schon lange hinter sich. Mit jedem neuen Film beginnt der Kampf um die Story von vorne. In "The Million Dollar Hotel" hat er diesen Kampf nicht gewonnen. Der Film hat ihn der Stadt Los Angeles und ihrem Vorort Hollywood ein Stück näher gebracht. Doch vom Kino der alten Meister ist Wim Wenders jetzt weiter entfernt als zuvor.
Meine Meinung:
Diesen Film hatten wir schon etliche Wochen hier auf Video liegen und nie den Dreh gehabt ihn zu gucken, weil wir nicht wußten, in welche Richtung er so geht... Ich kannte zumindest den Soundtrack (als U2-Fan selbstverständlich ). Gestern abend haben wir ihn uns nun angeguckt... Tja, ich kann nur sagen: gut, daß ich nicht irgendwelche hohen Erwartungen hatte. Die hätte der Film in seiner Eigenart bestimmt nicht erfüllen können. Er ist nämlich sehr eigenartig. Die Typen sehr schön schräg (mein Favorit ist Dixie, der meint, er wäre ein Mitglied der Beatles), die Handlung sehr anrührend und auf der anderen Seite auch spannend. Wenn ich ihn in eine Kategorie packen müßte, wüßte ich nicht in welche... Liebesfilm? Nicht nur. Thriller? Nicht ganz. Komödie? Zwar schräg komisch manchmal, aber eben auch bitter. Er hat von allem etwas und daher auch einen ganz eigenen Reiz: die zarte, kindliche Liebe zwischen Tom Tom und Eloise, die Suche nach dem Mörder, die schrägen Versuche der Hotelbewohner, aus ihrem Elend herauszukommen, indem sie sich die Medien zunutze machen und versuchen durch ihre Story an Geld zu kommen...
An diesen Film sollte man wirklich ohne Erwartungen rangehen, dann entwickelt er eine ganz eigene Spannung und nimmt den Zuschauer gefangen! Falls man irgendwann jedenfalls denkt, hm, was soll das? - einfach weitergucken!!!