Johan Harstad - Buzz Aldrin, wo warst du in all dem Durcheinander

  • Titel: Buzz Aldrin, wo warst du in all dem Durcheinander
    Originaltitel: Buzz Aldrin, hvor ble det av deg i alt mylderet
    Autor: Johan Harstad
    Verlag: Piper (Nordiska)
    Seitenzahl: 605
    Erschienen: September 2006
    ISBN: 3492048773
    Preis: 22.90 EUR


    Inhalt:
    Harstad erzählt darin die kuriose, verspielte und poetische Geschichte eines schüchternen jungen Gärtners aus Stavanger: In dem Moment, als Buzz Aldrin am 11. Juli 1969 als zweiter Mann den Mond betritt, erblickt Mattias das Licht der Welt. Natürlich verbindet so etwas. Und wie Aldrin ist Mattias seither bei allem der zweite Mann gewesen, der unsichtbare Zweite hinter einem Ersten. Daran war für ihn nichts auszusetzen. Bis seine Freundin Helle ihm den Laufpaß gibt und Mattias auch noch seinen Job verliert. Mattias wird aus seiner Umlaufbahn gerissen, und das Leben schleudert ihn bis auf die Färöerinseln. Der Plan ist, eine Woche mit Jörns Band dortzubleiben. Doch auf den Färöerinseln sieht plötzlich alles ganz anders aus. (Quelle: www.amazon.de)


    Autor:
    Johan Harstad, geboren 1979 in Stavanger, veröffentlichte in Norwegen zwei vielbeachtete Erzählungssammlungen, bevor 2005 sein erster Roman erschien, der alle großen Hoffnungen von Publikum und Presse erfüllte und zur Zeit in zahlreiche Sprachen übersetzt wird. Johan Harstad studiert an der Universität Trondheim Vergleichende Literaturwissenschaften.


    Meine Meinung:
    Es gibt Bücher, die man sehr ungern aus der Hand legt. Manchmal lässt sich aber dieses leider nicht ändern. Irgendwann fallen einem dann so um 4 Uhr morgens dann doch die Augen zu; Augen, die bis dahin fasziniert auf den Seiten dieses Buches unterwegs waren. Es ist ein Buch, bei dem man die Zeit in der man es liest nicht bereut. Harstad gibt seinen Figuren jede Freiheit, lässt sie aber trotzdem nicht das machen was der Leser von ihnen erwartet. Harstad ist ohne Frage in der Geschichte „drin“. Er erzählt nicht als distanzierter, außenstehender Beobachter, er erzählt mit Gefühl und innerer Anteilnahme. Nebenbei erfährt man dazu sehr viel über die Färöer Inseln. Dieses Buch ist ein Beweis dafür, dass die skandinavische Literatur und insbesondere da die norwegische Literatur wirklich viel zu bieten hat und das diese Literatur aus dem hohen Norden lebt. Nicht so gut hat mir der Schluss des Buches gefallen. Er passt durchaus ins Buch, passt durchaus in die Geschichte – wird aber leider ein wenig zu hastig erzählt. Vielleicht wollte der Autor endlich den letzten Anschlag auf seiner Schreibmaschine vornehmen? Keine Ahnung – hier hätte in jedem Fall etwas mehr Sorgfalt dem Buch sicher nicht schlecht zu Gesicht gestanden.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Komisch, dass es das immer noch nicht als TB gibt, wahrscheinlich waren die Verkaufszahlen so schlecht, dass keiner die TB Lizenz verwursten wollte :gruebel



    hin und her überlegende Grüße von Elbereth :wave

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson

  • Zitat

    Original von buzzaldrin
    Das ist einer meiner Lieblingsbücher, Foer - aufgrund dieses Buches bin ich auch auf meinen Usernamen hier gekommen. ;-)


    Hab ich mir gedacht und so drauf aufmerksam geworden :-]


    Bin schon sehr gespannt!

  • Ein Buch wie ein bester Freund


    fuenfsterne.gif


    Seit ich Harstads genialen Glücklichmachziegel „Max, Mischa und die Tet-Offensive“ (Rowohlt, 2019) gelesen hatte, war ich auf der Suche nach einer gut erhaltenen Ausgabe von „Buzz Aldrin“, das hierzulande im Jahr 2006 bei Piper erschienen, aber längst vergriffen ist – und leider wohl auch nicht mehr neu aufgelegt werden wird. Vor zwei Wochen wurde meine Geduld belohnt, aber ich habe das 600 Seiten starke, international recht erfolgreiche Romandebüt von Johan Harstad noch eine Weile auf dem Regal stehenlassen, um die Vorfreude zu genießen.


    Es geht um die Geschichte des Ich-Erzählers Mattias, der am Tag der ersten Mondlandung geboren wurde, und zwar just in dem Augenblick, als der zweite Mann nach Neil Armstrong den Trabanten betrat – Edwin Eugene Aldrin jr., genannt „Buzz“ Aldrin. „Buzz“ steht für summen oder schwirren, als Substantiv oder Verb, je nach Schreibung oder Verwendung.


    Mattias kommt in Stavanger auf die Welt, in der mit knapp 150.000 Einwohnern viertgrößten Stadt Norwegens und an dessen südwestlichem Zipfel gelegen. Er ist von Schulbeginn an mit Jørn befreundet, der später eine Band gründet – und der Mattias, der ein unglaublich guter Sänger ist, dazu überreden möchte, doch mitzumachen. Aber Mattias gefällt sich in der Rolle desjenigen, der nicht auffällt, der mitschwimmt, der ein Rädchen ist, der nicht aneckt und auch höchstens so mittelhalbwichtig ist, jemand aus der zweiten Reihe also, ungefähr wie Aldrin, aber im irdischen Maßstab. Er wird wahrgenommen, wenn er mit seinen coolen Freunden unterwegs ist, sonst nicht. Das wird zum ersten Mal zu einem ernsthaften Problem, als Helle auf Mattias‘ Schule wechselt, das Mädchen, in das er sich praktisch sofort verliebt. Bei einem großen Kostümball, zu dem er natürlich als Astronaut geht, nimmt er – schon leicht angetrunken – seinen Mut zusammen, betritt die Bühne und singt mit der Band ein Stück, dessen Titel allerdings erst ganz am Ende des Romans genannt wird, und er haut das Publikum komplett aus den Socken.

    Vor allem aber gewinnt er Helles Herz.

    Das er dreizehn Jahre später wieder verlieren wird.

    Mattias, inzwischen Anfang dreißig, steckt fest in der Stagnation, nichts funktioniert mehr, er ist Gärtner in einer kleinen Blumengärtnerei, die von der Konkurrenz der Supermärkte erdrückt wird, er zieht sich immer mehr zurück, und irgendwann hat Helle davon genug. Mattias bricht fast zusammen, aber als Jørn ihm das Angebot macht, die Band zu einem Konzert auf die Färöer zu begleiten, wohl auch mit dem Hintergedanken, ihn doch noch zum Sänger zu machen, sagt er kurzerhand zu.


    Harstads Roman erzählt in der Hauptsache von der Zeit auf den Färöern, die dann folgt, auf dieser winzigen Inselgruppe im Nordatlantik, auf der es fast pausenlos regnet, auf der es zwar zotteliges Gras gibt, aber kaum ein Baum Wurzeln zu schlagen in der Lage ist, wo die Höchsttemperatur im August (!) um die 13 Grad Celsius beträgt, wo ein Drittel der Menschen leben, die Stavanger bevölkern, wie erwähnt die viertgrößte Stadt Norwegens. Wo so wenige sind und die Bedingungen so anstrengen, da herrscht aber auch eine andere Art des Umgangs, der Wahrnehmung, der Lebensführung, der Fokussierung. Mattias wird nach einem Unglück, an das er sich nicht genau erinnern kann, von einem Mann namens Havstein aufgegabelt, der eine Art Reha-Einrichtung für psychisch erkrankte Menschen führt, in Gjógv an der Nordostküste von Eysturoy, der Ostinsel der Färöer. Der Ort hat drei Dutzend Einwohner, von denen fünf in der umgebauten Fabrik leben, die Havstein leitet. Hier lernt Mattias Palli, Anna und Ennen kennen, vor allem Ennen, die eigentlich ganz anders heißt und ununterbrochen eines der „The Cardigans“-Alben hört, nach denen die vier Teile des Romans benannt sind.


    „Buzz Aldrin – wo warst Du in all dem Durcheinander“ handelt von vielem, eigentlich von nahezu allem, aber es erzählt in der Hauptsache von Selbstfindung und -wahrnehmung, von Liebe, Freundschaft, von Störung und Normalität und beidem zugleich, vom Zuhören und Erfahren, von der Lüge und der Wahrheit, vom Erkennen und Verstehen, vom Handeln und Nichthandeln und von den Konsequenzen, vom Summen und Schwirren. Die Geschichte ist genau genommen nicht sehr komplex und nur selten spektakulär, aber sie ist enorm dicht erzählt, wirkt trotz der 600 Seiten wie komprimiert, weil einfach so viel drinsteckt, in diesen Bandwurmsätzen und Lebensbetrachtungen, in dieser liebevollen, klugen, kunstvollen und unkonventionellen Erzählung. Die durchaus auch ihre Hänger hat, die ins Stocken gerät, die nicht so verläuft, wie man sich das als Leser erhofft hatte, die auch anstrengt und manchmal ein bisschen enttäuscht. Von der man sich aber vor allem wünscht, dass sie niemals aufhören möge.


    Ganz genau so, wie die Verbindung zu einem besten Freund.

  • Dein vorletzter Satz passt so schön zu den wunderbaren und so "unperfekten" Figuren, ihren nicht linearen Lebenswegen und vor allem den Freundschaften, mit all den Höhen und Tiefen, um die es hier geht. Das ist auch das, was bleibt, wenn es schon eine Weile her ist, dass man es gelesen hat. Es ist einfach ein wunderbares Buch.


    Ich habe das Buch ja nur wenige Wochen nach dem Glücklichmachziegel gelesen (im Sommerurlaub 2019 auf einer dänischen Insel) und stand noch völlig unter diesen Eindrücken, die Max, Mischa, Mordecai und Owen bei mir hinterlassen haben. Ich hatte damals immer das Gefühl, es ist die Vorstufe zu dem, was er dann Jahre später in fast dreifacher Länge veröffentlichen konnte.

  • Ich hatte damals immer das Gefühl, es ist die Vorstufe zu dem, was er dann Jahre später in fast dreifacher Länge veröffentlichen konnte.

    Ja, es hat etwas Frisches, oft sogar ein wenige Rohes, man merkt dem Text den Ungestüm noch an, und Harstads Willen, möglichst viel unterzubringen. Und die Freude an der Freiheit, das zu können.


    In "Max, Mischa und die Tet-Offensive" wird das alles dann filtriert, es geht um die gleichen Themen, aber es ist planvoller, sorgsamer, bedachter, doch es hat die gleiche Intensität und den gleichen starken Willen.


    Schade, dass Harstad nur alle Jubeljahre einen Ziegel rauskloppt. Ich würde mir ein Haus aus Harstad-Ziegeln bauen.