Das Bildnis der Schneiderin - Janice Graham

  • Die Autorin
    Janice Graham lebte in Frankreich, Griechenland und Israel, bevor sie ihr Filmstudium nach Los Angeles führte. Dort begann sie ihre schriftstellerische Laufbahn zunächst als Drehbuchautorin. Heute lebt die Autorin in Kansas City und Paris.



    Inhalt
    Die Geschichte von Veda Grenfell, der Tochter eines Schneiders im London Mitte des 19. Jahrhunderts, beginnt als sie als 16-Jährige nach einer Krankheit taub wird. Im Rückblick wird ihr Leben bis dahin geschildert, ihre Liebe zum Schneiderhandwerk, zu Stoffen, eben zu allem, was mit der Herstellung von Kleidung zu tun hat. Kurz bevor sie ertaubt, sterben ihre Mutter und ihr Bruder, der eigentlich die Firma übernehmen sollte. Jetzt liegt die Zukunft der Schneiderei „Grenfell’s“, die Herrschaften von Rang beliefert, erst mal im Dunkeln, denn eine Frau kann ja später schlecht das Geschäft führen. Außerdem befürchtet Veda, dass ihr aufgrund ihrer Behinderung verwehrt sein wird, eines Tages zu heiraten und Kinder zu bekommen. Wer will schon ein taubes Mädchen?


    Drei Männer kreuzen ihren Weg: Mr. Nichols – erst der Lehrer ihres Bruders, danach derjenige, der sie im Lippenlesen unterweist. Lord Ormelie, der Sohn einer Dame, die Veda kennen gelernt hat, während sie für ein Porträt saß. Und Mr. Balducci, ein begnadeter italienischer Schneider in der Werkstatt von Vedas Vater.


    Zunächst ist jedoch eine Leidenschaft wichtiger als die zu einem Mann: die des Nähens. Sie ist nicht bereit, sich ausgerechnet das nehmen zu lassen. Dafür geht sie einige Risiken ein und handelt gegen die damals geltenden Tabus und Konventionen. Parallel dazu gerät ihr Gefühlsleben in Liebesdingen durcheinander. Für welchen Mann soll/kann/darf sie sich entscheiden? Und aus welchen Gründen?



    Meine Meinung
    Das erste Kapitel beginnt mit einem Satz, der mich sofort in die Geschichte hineingezogen hat: „Wir glaubten alle, dass ich das Schlimmste überstanden hätte.“


    Janice Graham gelingt es, Vedas Welt und Gefühlschaos derart lebendig zu schildern, dass man meint zu hören, was man eben nicht hört: das Verstummen um einen herum. Zu Anfang spürt man Vedas Hoffnung, dass sich an ihrem Zustand doch noch etwas ändern könnte, dann versinkt man in ihrer Verzweiflung und später begehrt man mit ihr auf, dass ihr „nur“ wegen der Taubheit ein normales Leben verwehrt werden soll. Man kämpft mit ihr – um die Anerkennung ihres Talentes, auch und vor allem durch ihren Vater, um das Recht, aufgrund der Behinderung nicht wie eine Idiotin behandelt zu werden, und um den Mann, den sie liebt. Letzteres ist mir hin und wieder allerdings doch ein bisschen schwer gefallen. Veda ist hier viel geduldiger (zu geduldig für meinen Geschmack) als in allen anderen Dingen, die sie vorantreiben will. So ist die Liebesgeschichte an sich für mich auch an einigen Stellen ein bisschen zu bittersüß geraten. Noch ein kleiner Kritikpunkt: Ich habe immer darauf gewartet, dass der „Böse“ nicht gar so abgrundtief und ausschließlich böse ist – aber hier hat die Autorin offenbar dann doch einen durch und durch schlechten Charakter schaffen wollen.


    Ich habe „Das Bildnis der Schneiderin“ ausgesprochen gern gelesen, es fiel mir sehr oft schwer, das Buch überhaupt aus der Hand zu legen. Es ist flüssig und obwohl kein Spannungsroman durchaus in den passenden Teilen spannend geschrieben. Am packendsten fand ich es immer dann, wenn Veda auf sich allein gestellt war und allerlei Schicksalsschläge und auch überraschende Wendungen meistern musste. Davon gibt es nämlich gerade im letzten Drittel noch so einige. Sie steht plötzlich vor Herausforderungen, die sie (und auch ich als Leserin) kaum mehr vermutet hat. Wer sich für’s Schneiderhandwerk und/oder für die damalige Mode interessiert, wird auf seine Kosten kommen – es gibt sehr detailreiche Schilderungen sowohl der Kleidung, die Veda näht, als auch derjenigen, die sie trägt oder an anderen beobachtet. Selbst für mich, die ich froh bin, wenigstens einen Knopf annähen zu können, war das schönes schmückendes Beiwerk zu einem gelungenen Roman.


    „Das Bildnis der Schneiderin“ ist definitiv ein Buch, das mein Regal nicht wieder verlassen wird.

  • Schön, daß Du so schnell dazu gekommen bist, eine so ausführliche Rezi zu verfassen!


    Zitat

    Original von Corinna


    Das erste Kapitel beginnt mit einem Satz, der mich sofort in die Geschichte hineingezogen hat: „Wir glaubten alle, dass ich das Schlimmste überstanden hätte.“


    Das war der Satz, aufgrund dessen ich das Buch auch beinahe sofort mitgenommen hätte, dann habe ich aber gedacht, schau es Dir erst nochmal genauer an, hatte aber an dem Tag in der Buchhandlung keine Zeit.


    Nach Deiner Vorstellung geht es aber sicher beim nächsten Besuch der Buchhandlung mit! Obwohl ich ja eigentlich lieber männliche Protagonisten habe (deshalb hast Du mir mit den Sharpe CD's einen echten Floh ins Ohr gesetzt), klingt Veda nach Deiner Darstellung sehr interessant.



  • Das ist ja witzig! Ich hatte das Buch geschenkt bekommen (auf Wunsch, allerdings ohne diesen Satz zu kennen) und eigentlich "nur mal kurz" reinsehen wollen, als ich es endlich hatte - und dann musste ich direkt weiterlesen! :-)

  • Etwa das erste Drittel fand ich klasse: Einblicke ins Schneiderhandwerk, Vedas Taubheit und wie sie damit umgeht, ihr Portrait - richtig interessant. Aber dann hat das Buch stark nachgelassen und es ging eigentlich nur noch um diese Liebesgeschichte und das ewige Hin und Her, ob sie sich nun kriegen oder nicht... das fand ich langweilig.
    Alles in allem vergebe ich 7 Punkte.