Louis Begley - Lügen in Zeiten des Krieges

  • So ganz bin ich mir nicht sicher ob dieses Buch hier richtig eingeordnet ist.


    Lügen in Zeiten des Krieges
    OT: Wartime Lies
    Verlag: Suhrkamp
    222 Seiten
    ISBN: 3518406523


    Kurzbeschreibung von Amazon
    Der erste und bekannteste Roman Louis Begleys erzählt die Geschichte einer Kindheit in Polen. Maciek, Sohn jüdischer Eltern, wächst behütet in einem wohlhabenden Arzthaushalt auf, bis der Herbst 1939 mit einem Schlag das Schicksal seiner Familie verändert. "Ich erinnere mich lebhaft daran, dass mich die Lektüre der polnischen Übersetzung meines Buchs, die ausgezeichnet war, zu Tränen rührte. So würde mein Buch ausgesehen haben, sagte ich mir, wenn ich Polen nicht knapp vor meinem dreizehnten Geburtstag verlassen hätte, wenn ich polnischer Schriftsteller geworden wäre. Als ich wieder zur Besinnung kam, sagte ich mir vernünftigerweise, dass ich natürlich Lügen in Zeiten des Krieges weder in der polnischen noch in irgendeiner anderen Sprache hätte schreiben können, wenn ich nicht Exilant geworden wäre, so jemand wie dieser "Mann mit freundlichem Gesicht und traurigen Augen", der auf der ersten Seite meines Romans über der Aeneis und Erinnerungen an seine Geburtsstadt weit weg in Polens Osten brütet", schreibt Louis Begley im Nachwort zu dieser Neuausgabe seines bekanntesten Romans.
    Lügen in Zeiten des Krieges erzählt die Geschichte einer Kindheit in Polen. Maciek, Sohn jüdischer Eltern, wächst behütet in einem wohlhabenden Arzthaushalt auf - bis die deutsche Invasion im Herbst 1939 mit einem Schlag das Schicksal seiner Familie verändert.
    "Ein gewissenhafter Berichterstatter und ein nüchterner Chronist hat das Buch Lügen in Zeiten des Krieges geschrieben. Doch zugleich stammt es aus der Feder eines temperamentvollen Geschichtenerzählers. So ist es beides zugleich und auf einmal: ein einzigartiges Zeitdokument und ein ergreifender Roman." Marcel Reich-Ranicki


    Über den Autor (von Wikipedia)
    Louis Begley wurde als Ludwig Beglejter am 6.Oktober 1933 in Stryj im damaligen Polen geboren. Er blieb Einzelkind. Sein Vater, ein Arzt, war gezwungen, sich der russischen Armee anzuschließen und verbrachte den Großteil des Krieges in Samarkand. Begley und seine Mutter blieben bis zur Errichtung des Ghettos in Stryj. Mit Hilfe falscher Papiere, die sie als katholische Polen auswiesen, flüchteten sie zuerst nach Llow, dann nach Warschau. Dort erlebten sie den Untergang des Warschauer Ghettos. Das Ende des Krieges brachte beide in Krakau wieder mit Begleys Vater zusammen. Die Familie behielt weiterhin den falschen polnischen Namen und wagte es auch nach dem Krieg nicht, sich zu ihrer jüdischen Identität zu bekennen. Mit dem Schuljahr 1945/46, das Begley am Jan Sobieski Gymnasium in Krakau verbrachte, erhielt der den ersten formellen Unterricht. Bis dahin war er nur privat unterrichtet worden.


    Die Familie verließ Polen im Herbst 1946, um von Paris aus in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Am 3. Februar 1947 kamen sie in New York an und ließen sich im Herbst 1948 in Flatbush nieder. Begley besuchte dort die Erasmus Hall High School, die er 1950 abschloss. Im gleichen Jahr erhielt er ein Stipendium der Harvard University und studierte neben Jura gemeinsam mit John Updike Englische Literatur und schloss mit Auszeichnung ab. Darauf folgte der Dienst in der US-Armee, die letzten 18 Monate davon in Göppingen mit der 9. Division.


    Anschließend entschied sich Begley für eine Berufstätigkeit als Rechtsanwalt. Sein spätes literarisches Debut Lügen in Zeiten des Krieges verfasste er während eines Sabbaticals. In dem Roman verarbeitet er autobiographisch seine Erlebnisse als Jude in Polen unter der Naziherrschaft. Auch nach dem Erfolg als Schriftsteller blieb er als Jurist tätig. Von 1993 bis 1995 war er Präsident des amerikanischen P.E.N.-Zentrums.


    1991 "Wartime Lies", (Lügen in Zeiten des Krieges)
    1995 "Wie Max es sah"
    1996 "Der Mann, der zu spät kam"
    1997 "Schmidt"
    1998 "Mistlers Abschied"
    2000 "Schmidts Bewährung"
    2003 "Schiffbruch"


    Die deutsche Übersetzung seiner Werke erscheint im Suhrkamp-Verlag.


    Meine Meinung
    Louis Begley erzählt die Geschichte des jüdischen Jungen Maciek, der in gut situierter Familie in Ostpolen aufwächst. Sein Vater ist Arzt, seine Mutter ist im Kindbett gestorben. An deren Stelle trat seine Tante Tanja. Mit Beginn des Krieges wird der Vater eingezogen. Mit der Verfolgung der Juden wird die Familie vor immer größere Probleme gestellt. Es gibt zunehmend Einschnitte in das Leben und den Lebensstandard. So bauen sie sich ein Gerüst aus Lügen und Heimlichkeiten auf, das helfen soll, zu überleben. Da gibt es zum Beispiel falsche Namen und „neue“ Papiere sowie eine katholische Familiengeschichte. Das Schicksal verschlägt Tanja und Maciek nach Warschau, mitten in den Aufstand im Ghetto.


    Die Geschichte ist aus der Sicht des heranwachsenden Macieks in der Ich-Form geschrieben. Lediglich im Prolog und im VIII. Teil wird davon abgewichen.
    Die Sprache ist einfach gehalten und auch die schlimmsten Gräuel werden ohne jedes Pathos geschildert. Das hat zur Folge, dass dieser eher nüchterne Stil eine Eindringlichkeit beinhaltet, die Tage nachdem ich dieses Buch beendet hatte, immer noch in mir nachklang.


    Ich war tief berührt und trotz der Kenntnis der Geschichte stark beeindruckt vom Überlebenskampf von Tanja und Maciek. So traurig auch der Hintergrund dieses Romans auch war, beim Lesen war ich nie hoffnungslos, obwohl der Ausgang des Buches für mich lange Zeit nicht vorhersehbar war.


    Den tiefsten Eindruck aber hinterließ bei mir ein Satz von der ersten Seite des Buches:


    Zitat

    „…was ihn am meisten quälte: die Scham am Leben geblieben, mit heiler Haut, ohne Tätowierung davongekommen zu sein, während seine Verwandten und fast alle anderen im Feuer umgekommen waren, unter ihnen so viele, die das Überleben eher verdient hätten als gerade er.“


    Dieser Satz verfolgte mich durch das gesamte Buch. Er kam mir in den schlimmsten Situationen in den Sinn, so dass ich über die Bedeutung dieser Zeilen oft und lange nachgedacht habe.


    Diesen ruhigen und bedrückenden, aber auch hoffnungsvollen Roman sollte man unbedingt gelesen haben.


    Diesen Roman bewerte ich mit 9 von 10 Punkten. Hätte ich "Jakob der Lügner" von Jurek Becker noch nicht gelesen, bekäme er sicher 10 Punkte.

  • Ich fand das Buch rührend, mutig, aber auch ein wenig einseitig und verbittert. Der zweite Weltkrieg ist ein sehr schwieriges Thema, und für viele Nationen, die betroffen waren, schmerzhaft. Deswegen sollte man, wenn man ein so tragisches Thema anspricht, versuchen möglichst objektiv zu bleiben. Das ist zwar schwierig, insbesondere wenn man den Krieg und seine Folgen am eigenen Leibe erfahren hat, aber gute Schriftsteller können das. Der Autor versucht mit dem Buch seine Vergangenheit und tragische Kindheit zu verarbeiten. Das gelingt ihm sehr gut. Es ist zudem ein erschütternder Bericht . Erschütternd v.a deswegen, weil mit Augen eines kleinen Kindes gesehen. Dennoch bleibt für mich die Frage offen, was ist die Botschaft dieses Romanes? Was wolte der Autor mit ihm bezwecken? Ein Kunstwerk, dessen Existenz keiner Rechtfertigung bedarf, ist es nicht. Da hab leider ich schon bessere, klügere Romane zu diesem Thema gelesen.
    Trotzdem lesenswert und wichtig.

    "Die Bildung kommt nicht vom Lesen, sondern vom Nachdenken über das Gelesene."
    (Carl Hillty)

  • Zitat

    Zitat von AlicjaDeswegen sollte man, wenn man ein so tragisches Thema anspricht, versuchen möglichst objektiv zu bleiben. Das ist zwar schwierig, insbesondere wenn man den Krieg und seine Folgen am eigenen Leibe erfahren hat, aber gute Schriftsteller können das.


    Hm ... :gruebel
    Ist das nicht gerade das Interessante, wenn uns ein Schriftsteller seine subjektive Wahrnehmung der Dinge vermittelt?

  • Zitat

    Original von Cookie


    Hm ... :gruebel
    Ist das nicht gerade das Interessante, wenn uns ein Schriftsteller seine subjektive Wahrnehmung der Dinge vermittelt?


    Cookie
    Das sehe ich ebenfalls so. Objektivität bei einem Sach - und Fachbuch
    ist außer Frage.
    Einen guten Roman macht für mich gerade das Persönliche,
    Emotionale des Autors aus. :-)

    Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen,

    der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig. :lesend
    Ernst R. Hauschka

    Liebe Grüße von Estha :blume

  • Ich lese es gerade und hatte bereits hohe Erwartungen, da mir Schmidt schon ausnehmend gut gefallen hat.
    Bisher werden diese Erwartungen noch übertroffen, ein unheimlich gutes Buch! :anbet

  • Ein sehr gutes Buch zu einer Thematik, der ich eigentlich in Romanform mittlerweile überdrüssig bin. Umso verblüffender, daß Begley mich dennoch so begeistern konnte, wie er es auf den wenigen Seiten dieses Buches getan hat. In einer sehr eindrücklichen Sprache gelingt es ihm auf so wenigen Seiten eine unheimlich dichte Szenerie und Charakteristik seiner Figuren und Szenen aufzubauen und zu erhalten. Mitfühlend begleitet man seinen kleinen Maciek, wie er den Wirren des Kriegs trotz, wie er klug von seiner Tante begleitet das Überleben als Jude im Polen der damaligen Zeit meistert. Wie er lernt zu lügen und seine Herkunft zu verleugnen, wie er lernt seine Skrupel auszuschalten und sich so immer wieder selbst zu retten.
    Ein Einblick ganz anderer Art, ein Einblick vorallem auch in die Welt der Mitläufer, Verräter, Angsthasen, Kriegsgewinnler, Schmuggler und Flüchtlinge.
    Ein Einblick in menschliche Abgründe, die gerade aufgrund der einfachen und leicht sarkastischen Erzählweise, einen Schrecken und ein Nachempfinden zu wecken weiß, den bisher kaum ein anderes Buch über diese Zeit bei mir wecken konnte.
    Absolut empfehlenswert....

  • Meine Meinung:


    Basierend auf seinen Kindheitserinnerungen erzählt Louis Begley die Geschichte des 9-jährigen polnischen Jungen Maciek, dessen Leben sich durch den Beginn des Zweiten Weltkriegs grundlegend ändert. Begley beschreibt in einem klaren, fast nüchternen Stil, wie Maciek mit seiner Tante aus der Heimatstadt fliehen und auf dieser Flucht lernen muss, dass "Lügen in Zeiten des Krieges" überlebenswichtig sind. Die bedrückende und angstgeladene Atmosphäre, das ständige Gefühl der Bedrohung und die Furcht, dass ihre falsche Identität jederzeit entdeckt werden kann, schwebt über den aus der Sicht eines Kindes beschriebenen Ereignissen. Es mag an dem distanzierten Erzählstil liegen oder an den häufigen Ortswechseln, emotional "abgeholt" hat mich die Geschichte erst ab etwa der Hälfte. Vorher gelang es nicht, eine emotionale Beziehung zu den Figuren aufzubauen, was aber keineswegs daran gelegen hat, dass in dieser Geschichte vieles nicht explizit ausgedrückt, aber deshalb keineswegs ungesagt ist. Im Gegenteil: Letzteres verstärkt die Authentizität und Tragik der schrecklichen Ereignisse und Lebenswirklichkeit der jüdischen Familien in Polen während des Zweiten Weltkriegs.


    Von mir 7 Punkte.