Gerechtigkeit- was ist das?

  • Babyjane, ich hinterfrage Statistiken.
    Und ich weiß, daß diese Statistik mit vorsicht zu genießen ist.
    Ich will auch gar nicht mit den absoluten Zahlen hier jonglieren.
    Mein Beitrag war auch nicht an dich gerichtet, sondern an andere hier.
    Aber sollte so eine Statistik nicht auch mal jene zum Nachdenken bringen, die hier so pauschal in den Raum schmeißen: "die USA hat die höchste Kriminalstatistik...." und das hernehmen um ihre Meinung zu untermauern, daß Menschen, die keine Sozialhilfe bekommen, kriminell werden (müssen)?


    Das war der einzige Anlaß diese Statistik zu posten. Ich will überhaupt nicht darüber reden, wieviel % man ab oder zugeben müsste. Das ist Kleinkrämerei um die es hier bei dem Thema nicht geht.


    Es bleibt das Bild, daß in Deutschland nicht alles so schön aussieht, wenn man es mal in den direkten Vergleich stellt und in den USA nicht alles so schlecht.



    Zum Thema gefühlte Kriminalität: nun, ich kann nur sagen, daß ich mich in Frankfurt genauso sicher / unsicher gefühlt habe, wie in New York.
    Und das es sehr idyllische Kleinstädte in den USA gibt mit hoher sozialer Kontrolle, wo so manche deutsche Kleinstadt in der gefühlten Sicherheit weit hinten ansteht.
    Es ist nicht alle schwarz oder weiß... es gibt viele Grautöne.
    Auch und besonders in den USA!

    :lesend
    If you can read, you can empathize, luxuriate, take a chance, have a laugh, hit the road, witness history, become enlightened, turn the page, and do it all again
    Oprah Winfrey

    Dieser Beitrag wurde bereits 2 Mal editiert, zuletzt von janda ()

  • janda
    und wenn du einen Amerikaner mit seinem für Europäer gelinde gesagt seltsamen Sozialsystem fragen würdest, ob es in den US of A gerecht zugeht, wäre das vermutete Ergebniss der Umfrage wahrscheinlich in der Gegend des reziproken Wertes zur deutschen Umfrage (war der mathematische Ausdruck jetzt korrekt ?*langsam wegduck*)

  • Gerechtigkeit, also Justice, ist für einen US-Amerkaner ein sehr hoher Wert, aber dieser liegt im Bereich Rechtssystem, nicht im sozialen Gefüge. Dort wollen die Leute nicht, dass sich der Staat einmischt.


    Rentenansprüche hat man z.B. über seine Gewerkschaft an den direkten Arbeitgeber. Auch Abfindungen haben hier eine andere Stellung, sie dienen dazu einem den Übergang zu einem neuen Job zu ermöglichen. Wenn jemand also viel Geld verdient, dann hat er sich das auch verdient, weil er hart arbeitet. Und es wird ihm gegönnt. Tatsächlich ist eine der ersten Fragen "How much do you make?" (Man produziert also Geld, verdient es nicht wie im Deutschen oder gewinnt es wie im Spanischen.)


    Wenn aber jemand ehrliche Menschen übers Ohr haut (s. ENRON), dann geht diese Person ins Gefängnis. Gleiches gilt, wenn sie sich einen unfairen Vorteil verschafft oder verschafft bekommt (z.B. Insidertips an der Börse) und damit Geld verdient. Martha Stewart hat das am eigenen Leib erfahren, obwohl es ein Anwalt war, der für sie die Aktienkäufe getätigt hatte.
    Sie war 6 Monate im Gefängnis und nun hat sie (in den amerikanischen Augen) dafür bezahlt und das war gerecht und sie darf nun wieder in der Öffentlichkeit auftreten, ihre Zeitschriften verkaufen und sogar, wie Donald Trump, einen "Apprentice" im TV einstellen.


    Wer sich in den USA öffentlich entschuldigt (z.B. vor ein paar Tagen Kerry) oder seine Strafe akzeptiert, der wird auch von der Gemeinschaft wieder aufgenommen und ihm wird vergeben.
    Vergeben wird in Europa nicht so schnell.

  • Zitat

    Original von beowulf
    janda
    und wenn du einen Amerikaner mit seinem für Europäer gelinde gesagt seltsamen Sozialsystem fragen würdest, ob es in den US of A gerecht zugeht, wäre das vermutete Ergebniss der Umfrage wahrscheinlich in der Gegend des reziproken Wertes zur deutschen Umfrage (war der mathematische Ausdruck jetzt korrekt ?*langsam wegduck*)


    Ich habe die Frage ehrlich gesagt nicht verstanden. Und auch wikipedia hilft mir nicht weiter?
    Der Begriff reziprok (lat. reciprocere bzw. reciprocus, Substantiv Reziprozität) bedeutet wahlweise


    * aufeinander bezüglich
    * gegenseitig
    * wechselseitig
    * im umgekehrten Zusammenhang zueinander stehend.


    In welchem Wert soll das amerikanische Ergebnis deiner Meinung nach stehen?


    Ich kann nur von einem eigenen Eindruck schildern: und der ist, daß in den USA der Bürger Gerechtigkeit nicht danach bemisst, was der Staat ihm gibt, seinem Nachbarn gibt und man eher sich selbst verantwortlich macht für das finanzielle Wohlsein, als den Staat.
    Für den US-Bürger hat das Sozialsystem wohl eher weniger mit Gerechtigkeitsempfinden zu tun.
    Eine empirische Studie dazu kann ich nicht nachweisen, aber einfach nur meinen persönlichen Eindruck.
    Wo man hier gleich nach dem Staat schreit, jeden Cent, der einem vermeintlich zusteht einklagt, klagt auch der Amerikaner mal, aber versucht sich dann selbst aus dem Sumpf zu ziehen in Eigeninitiative.
    Es soll nicht heißen, daß das dort so toll ist. Es ist erschreckend, wie viele Familien ohne jegliche Krankenversicherung leben und von Wohltätigkeitskliniken abhängig sind. Und es ist für unsereins auch erschreckend, wie viele Jobs Eltern des armen Mittelstandes ausüben müssen, um eine Familie durchzubringen. Und trotzdem käme keiner auf die Idee dort, auf den Staat zu schimpfen und sich ungerecht behandelt zu fühlen, weil man zu wenig Geld vom Staat bekommt, oder besser ... gar keins. Gejammert wird in unserem Land mehr - das ist mein Eindruck.

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  • @ Janda,
    ich neige dazu, dir zuzustimmen. Im Prinzip scheitert ein Vergleich zwischen den USA und Deutschland bereits daran, dass die Systeme zu unterschiedlich sind. Das ist wie Äpfel mit Birnen vergleichen und von vorn herein zum Scheitern verurteilt.
    Deutschland ist ein Sozialstaat mit einem ausgeprägten sozialen Netz bestehend aus einer Vielzahl von Sozialleistungen, das garantiert, dass niemand ernsthaft hungern muss, oder auf Gesundheitsfürsorge verzichten muss. Diese soziale Hängematte ist meiner Meinung nach dafür verantwortlich, dass man deren Schutz vehement und lauthals einfordert, wenn sich entweder die Bedürftigkeit ändert, oder aber Sozialleistungen gekürzt werden.
    In Amerika kennt man diesen Schutz erst gar nicht. Dort ist jeder größtenteils für sein eigenes Wohlergehen einschließich Gesundheits- und Altersvorsorge verantwortlich. Daher mag auch erst gar kein Geschrei aufkommen.
    In einer Diskussion mit Amerikanern habe ich kürzlich die Aussage eines gebürtigen Deutschen mit mittlerweile US-amerikanischem Pass gehört, dass die meisten Amerikaner in erster Linie interessiert, dass die Wirtschaft gut läuft, sie einen job haben und nicht durch zu hohe Steuern abgezockt werden. Kein Wort von einer Daseinsfürsorge durch den Staat. Das ist nun hier wirklich komplett anders.

  • Eine Frage an euch – haltet ihr Gerechtigkeit wirklich für einen maßgeblich politischen Begriff?
    Politisch, das klingt jetzt vermutlich eher wie ein Schlagwort, aber weiter gedacht, schmälert das dies Frage auch nicht unbedingt; verstehen wir zu Anfang halt erst einmal ein öffentliches Gemeinschaftsprinzip darunter. Differenziert werden, könnte die später. Auch ansonsten fällt eben wirklich auf, dass hier innerhalb dieser Einschränkung stets auf einen Leistungsausgleich fokussiert wird.
    Könnt ihr euch Gerechtigkeit nicht unter Handlungsräumen und Entscheidungsfragen vorstellen? Wirklich in ethisch allgemeiner Hinsicht. Oder worin liegt das durchaus gezeigte Desinteresse, haltet ihr nicht-materielle Gerechtigkeitsvorstellungen für obsolet?


    Nachtrag - Worin besteht dann das Interesse an diesem Begriff? Die Motivation der Frage und der Auseinandersetzung...


    Wirklich irritierte Grüße vom Waldlaeufer

  • Zitat

    Original von Waldlaeufer
    Könnt ihr euch Gerechtigkeit nicht unter Handlungsräumen und Entscheidungsfragen vorstellen? Wirklich in ethisch allgemeiner Hinsicht. Oder worin liegt das durchaus gezeigte Desinteresse, haltet ihr nicht-materielle Gerechtigkeitsvorstellungen für obsolet?


    Nachtrag - Worin besteht dann das Interesse an diesem Begriff? Die Motivation der Frage und der Auseinandersetzung...


    Tja, du triffst den Kern der Sache! :grin


    Das Streben nach Gerechtigkeit sollte m.A.n. von jedem einzelnen ausgehen und Grundlage der Ethik sein. Wenn allerdings die Mehrheit eines Staatsvolkes das Streben nach dem persönlichen Vorteil als allerhöchsten Wert ansieht ("Man muß doch sehen, wo man bleibt"), dürfen die Einzelnen sich nicht wundern, daß "der Staat" genauso handelt. IMmerhin ist "der Staat" kein abgehobenen, aufgezwungener Fremdherrscher, sondern ihr mehrheitlich selbst gewählter Repräsentant.


    Die ("graduelle") Verwirklichung von Gerechtigkeit funktioniert nun mal nicht "von oben".

  • Das Gefühl für Gerechtigkeit kennen schon kleine Kinder. Ich denke, Fairness ist uns angeboren, so lange wir nicht weniger bekommen, sei es nun ein Stück Kuchen oder eine Banane. Wir fühlen uns ungerecht behandelt, wenn jemand in unserem engeren Umfeld etwas darf, was wir nicht dürfen (z.B. länger aufbleiben), aber es akzeptieren, wenn uns hinreichende Argumente geliefert werden und wir schon über eine gewisse mentale Reife verfügen.
    Teilen und Fairness lernt man von den Eltern und anschliessend von den "peers" (Gleichaltrigen mit Vorbildstellung in der gleichen Gemeinschaft/Umfeld). Man setzt sich für seinesgleichen ein, die u.U. schlechter behandelt werden, und man lernt seinen Egoismus etwas unter Kontrolle zu bekommen.