Valis - ultimative Dick-Trilogie

  • Es sind drei in sich abgeschlossene Romane, die inhaltlich nur sehr lose
    gekoppelt sind. Drei Romane, die das erzählerische Vermächtnis eines
    Schriftsteller darstellen, der zu einem Metaphysiker geworden ist, zu
    einem Wanderer zwischen Wirklichkeit und Wahnsinn:
    "Valis", "Die göttliche Invasion" und "Die Wiedergeburt des Timothy Archer".


    Es ist keine Neuerscheinung, aber eine Neuentdeckung für mich, und eines jener
    Werke, die Bestand haben werden, obwohl sie sperrig sind, obwohl nur wenige sie lesen
    werden, und obwohl (oder gerade weil) sie letztendlich ein Scheitern dokumentieren.


    Zwar werden drei völlig unterschiedliche Geschichten erzählt, trotzdem
    bilden die Romane eine Einheit. Das Thema, das Zentralmotiv des
    Autors ist offensichtlich und oft benannt; es zieht sich als roter
    Faden durch alle drei Bücher: Immer geht es um die Suche nach Gott, um
    Offenbarungen, göttliche Zeichen, letztlich um obskuren Mystizismus,
    um Wahnvorstellungen und - wie immer bei Dick - um den
    Realitätsbegriff.


    Es ist allgemein üblich, Dick mit solchen Vokabuleln zu beschreiben. Aber hat man
    ihn mit diesen Schlagwörtern schon ausgelotet? Nein!



    Dicks Gedankenspiele sind ausgefeilt und ausgereift. Sie machen keinen Sinn, wirken
    absurd, abstrus, banal, lachhaft - und sind doch stets strukturiert, durchdacht,
    komponiert. Der Leser wird geführt und in Bann geschlagen, manchmal ohne dass es ihm
    bewußt wird. Wer zum Beispiel damit beginnt, Valis zu lesen, der stellt sich sofort die
    Frage, ob der Verfasser dieses Werks nicht psychisch krank gewesen ist. Und genau mit
    dieser Frage ist er auch schon mitten im Roman angekommen, denn die fiktiven Gestalten
    stellen sich ebenfalls diese Frage. Und der Autor, mehrmals gebrochen und gespiegelt in zwei
    Charakteren, stellt sich diese Frage genauso. So wird man hineingezogen in eine der sonderbarsten Erlösertheorien,
    die je zu Papier gebracht worden sind ...


    Weil ich hier noch neu bin, weiss ich nicht genau, ob das jetzt ein Diskussions-Thread ist, oder nicht. Jedenfalls, wenn Interesse besteht, dann schreibe ich gerne mehr über die Bücher, man kann da schon noch einiges
    hinzügen ...


  • Ja, gerne würde ich noch mehr über deine Meinung zu den einzelnen Teilen der Trilogie erfahren, da sie doch sehr unterschiedlich sind.



    Philip K. Dick habe ich jahrelang immer wieder gelesen. Für mich ist er der wichtigste amerikanischen Science Fiction Autor, da bei ihm sein Pessimismus mit einer kleinen Spur Hoffnung gewürzt ist. Ich kenne fast alle seine Romane. Die Valistrilogie habe ich erst recht spät gelesen.


    Die wiedergeburt des Timothy Archer ist für mich eigentlich kaum Science Fiction zu nennen. besonders bemerkenswert finde ich, dass Dick in dem Roman eine Frau als Hauptfigur und Erzähler gewählt hat. Timothy Archer (der lose auf den amerikanischen Bischof James A. Pike basiert) spielt ja kaum mit. In Mary and the Giant hatte Philip K. Dich schon einmal einen weiblichen Hauptprotagonisten.
    In Science Fiction Romanen, die von Männern geschrieben sind, ist das eher ungewöhnlich.


    Philip K. Dick hat einige Romane geschrieben, die keine Science fiction ist, meist in den 50ziger jahren. Er ist in diesen Romanen fast eine Art Chronist der 50ziger Jahre, wobei fast immer Beziehungsprobleme im Mittelpunkt stehen.
    In deutsch sind von den Nicht-Science Fiction Romanen nur "Eine Bande von Verrückten" und "Der Mann, dessen Zähne alle exakt gleich waren" erschienen.


    Das Beste Buch über Philip K. Dick ist für mich Entropie und Hoffnung von Uwe Anton.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Ja, gerne würde ich noch mehr über deine Meinung zu den einzelnen Teilen der Trilogie erfahren, da sie doch sehr unterschiedlich sind.


    Hallo lyrx,
    vielleicht kannst du die Bücher in 3 eigenen Threads vorstellen, so dass man sie später im Verzeichnis besser finden kann :wave

  • Zitat

    Original von Herr Palomar


    Die wiedergeburt des Timothy Archer ist für mich eigentlich kaum Science Fiction zu nennen.


    Richtig! Es spielt ja auch gar nicht in der Zukunft, sondern ist zeitlich markiert durch John Lennons Todestag. Und während man in den beiden vorhergehenden Teilen der Trilogie noch vermuten darf, dass die Theorien und Spinnereien der Charaktere in der äußeren Welt doch irgendwie belegt werden können, gibt es dafür im "Timothy Archer" keine Anzeichen. Der Spuk durch den verstorbenen Mann der Ich-Erzählerin wird als Hirngespinst geschildert, genau wie die "Wiedergeburt Timothies" in Bills Bewußtsein: Alles nur Einbildung kranker Gehirne!


    In gewisser Weise hat sich Dick also mit diesem letzten Band zurück in die Wirklichkeit geschrieben, vielleicht seine eigenen Besessenheit zu einem gewissen Grade überwunden: Die Grenzen zwischen Realität und Einbildung sind jedenfalls viel klarer, als in den ersten beiden Teilen.


    Es ist ohnehin wahrscheinlich, dass hier einer gegen seine inneren Dämonen angeschrieben hat. Und ich glaube, es ist ihm gelungen! Wie absurd auch immer die seitenlangen Exkurse in Religion und Mystik zu sein scheinen, so bleiben sie doch stets wohlstrukturiert und klar. Immerwieder wird die Grenze neu gezogen, wo der Wahnsinn beginnt und die Wirklichkeit aufhört. Aber eben dieses ständige Ziehen der Grenzlinie hält den Wahnsinn in Grenzen, hat wahrscheinlich auch den Wahnsinn in Dicks Kopf in Grenzen gehalten.


    Nun könnte man natürlich fragen: Warum muss ein bodenständiger Geist des 21. Jahrhunderts die Selbsttherapie eines alten Hippies lesen?

  • Zitat

    Original von Buechereule


    Hallo lyrx,
    vielleicht kannst du die Bücher in 3 eigenen Threads vorstellen, so dass man sie später im Verzeichnis besser finden kann :wave


    Jetzt bin ich grade mal ein paar Tage dabei, und muss schon der Büchereule widersprechen .... aber ich kann nicht anders. :-)Die drei Bände sind für mich eine Einheit und bei Heyne auch nur als Sammelband erschienen. Einzeln kriegt man die wohl nur noch antiquarisch, vermute ich. Ich kann auch nicht drei Threads gleichzeitig schreiben, das wäre mir in meiner Anfangsphase noch ein wenig zu viel.


    Die Trilogie ist ohnehin ein harter Brocken, und es werden die wenigstens bereit sein, sich durchzuquälen. Wenn aber, dann richtig und gleich alle drei: Einzeln betrachtet wird's schwierig, um nicht zu sagen "vordergründig"

  • Zitat

    Original von lyrx
    [Die drei Bände sind für mich eine Einheit und bei Heyne auch nur als Sammelband erschienen. Einzeln kriegt man die wohl nur noch antiquarisch, vermute ich.


    Selbst in den 80zigern bei Moewig sind die 3 Romane zusammen in einem Sammelband erschienen.

  • Zitat

    Original von lyrx
    Nun könnte man natürlich fragen: Warum muss ein bodenständiger Geist des 21. Jahrhunderts die Selbsttherapie eines alten Hippies lesen?


    Dann werde ich mal versuchen, meine Frage selbst zu beantworten:


    Dicks Romane sind schon deshalb lesenswert, weil sie eine hohes erzählerisches Können unter Beweis stellen. Der Mann hat viel geschrieben, verdammt viel, und diese große Übung macht sich bei ihm durch einen klaren Stil und sauberen Handlungsaufbau bemerkbar.


    Dick hat eine sehr einfache, aber exakte Sprache, und das sorgt für ein Gegengewicht zu den kompexen und oft aberwitzigen Theorien, die er entwickelt.


    Die Lektüre hört dann auf, mühevoll und langweilig zu werden, wenn man sich einmal darauf eingelassen hat, dass man hier einem Sinnsucher zuhört. Da ringt einer mit der Wahrheit und kämpft - letztlich erfolgreich - um seine seelische Gesundheit, und das ist doch sehr eindrucksvoll.

  • Das Schaffen von Dick ist oftmals nur eine Aneinanderreihung von Wiederholungen. Sein "Stammthema" immer das gleiche. War er wirklich auf der Suche nach etwas, gar der Wahrheit, oder einfach nur ein bekiffter und von Drogen zerfressener Mann?


    Für mich ist er letzteres. Ich kann mit seinen Werken nichts anfangen, obwohl ich mich redlich bemüht habe.

  • Zitat

    Original von MA1
    Das Schaffen von Dick ist oftmals nur eine Aneinanderreihung von Wiederholungen. Sein "Stammthema" immer das gleiche. War er wirklich auf der Suche nach etwas, gar der Wahrheit, oder einfach nur ein bekiffter und von Drogen zerfressener Mann?


    Für mich ist er letzteres. Ich kann mit seinen Werken nichts anfangen, obwohl ich mich redlich bemüht habe.


    Das ist das andere Extrem! Mag sein, dass er von Drogen zerfressen war, aber er konnte definitiv schreiben. Bis zu einem gewissen Grade ist das natürlich Geschmackssache. Man muss sich das ja nicht antun, wenn man es nicht möchte. Ich selbst empfinde mich übrigens keineswegs als Seelenverwandter von dem Typ, aber ich schätze ihn trotzdem hoch ein.

  • Zitat

    Original von MA1
    Das Schaffen von Dick ist oftmals nur eine Aneinanderreihung von Wiederholungen. Sein "Stammthema" immer das gleiche. War er wirklich auf der Suche nach etwas, gar der Wahrheit, oder einfach nur ein bekiffter und von Drogen zerfressener Mann?


    Das war er mit Sicherheit nicht! Seine Biographen bescheinigen einheitlich, dass er seine Romane nicht unter Drogeneinfluss geschrieben hat.
    Ich bin entsetzt, dass man das so sehen kann. :-(


    Mir haben seine Phantasien über die Wahrnehmung der Realität und seine humanistische, wenn auch leicht pessimistische Sichtweise immer viel gebracht, da er dem Leser immer auch eine Spur Hoffnung lässt.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar


    Das war er mit Sicherheit nicht! Seine Biographen bescheinigen einheitlich, dass er seine Romane nicht unter Drogeneinfluss geschrieben hat.
    Ich bin entsetzt, dass man das so sehen kann. :-(


    Mir haben seine Phantasien über die Wahrnehmung der Realität und seine humanistische, wenn auch leicht pessimistische Sichtweise immer viel gebracht, da er dem Leser immer auch eine Spur Hoffnung lässt.


    Es ist auch ein gewisser Anteil Humor dabei, denke ich. Größtenteils ist sein Werk wohl von Ernsthaftigkeit geprägt, ich denke aber, dass ihm die Absurdität seiner Visionen so weit bewußt war, dass er sie mit einem gewissen Abstand und auch einer gewissen Selbstironie sehen konnte. Und, wie ich jetzt schon mehrmals sagte, es ist alle stets sauber aufgebaut und strukturiert. Das kriegt man so unter Drogeneinfluss wohl nicht hin ...

  • Mal eine dumme Frage: Um was geht es in den Büchern ein bisschen genauer? Suche nach Gott ist ja gut und schön, aber was sind so die groben Handlungsanfänge bzw. Verläufe? Irgendwie kann ich mir bei allen "Inhaltsangaben", die ich gefunden hab, einfach nichts drunter vorstellen...

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

  • Hallo saz,


    detailliert erinnere ich mich nicht mehr ganz so genau. Aber in Uwe Antons Dickbiographie entnehme ich folgende Handlung des ersten Teils VALIS:


    In Valis ist eine autobiographisch angehauchte Drogenwelt der Schauplatz, in der der Autor philosophische Monologe einstreut.
    Der drogenabhängige Horselover Fat (= P.K.Dick, obwohl es taucht auch noch ein Phil Dick in dem Roman auf) wird nach einem Zusammenbruch und Selbstmordversuchen in die Psychatrie eingeliefert. Dort begegnet er Gott, mit dem es sich gut über existenzialistische Themen plaudern lässt. Die Frage nach Realität und über das Sein werden diskutiert.
    Später wird es handlungsreicher. Horselover und seine Freunde (die nach echten Freunden von Dick, auch Schriftstellern nachgebildet sind) sehen sich einen Film namens Valis an. Sie pilgern dann zu Eric und Linda Hampton, den urhebern des Films, die behaupten, von einer Welt im Sonnensystem Albemuth abzustammen. Ihre Tochter Sophie soll die Erlöserin sein.


    Eine Tour de force durch Dicksche Welten. Für Experten und Fans der Weg ins Dick-Nirvana!
    Ich habe die Lektüre genossen, ernst genommen habe ich sie nicht immer so ganz!


    Teil 2 und 3 haben handlungsmäßig nichts mit Valis zu tun, auch thematische Zusammenhänge sind auf den ersten Blick schwer zu erkennen von stilistischen Unterschieden ganz zu schweigen.

  • Die göttliche Invasion (Teil 2 der Valistrilogie)


    Auch hier mit Uwe Antons Hilfe ein wenig zur Handlung:


    Gott ist von der Erde auf einen fernen Planeten verbannt.
    Es geht im Roman um die Rückkehr Gottes zur Erde, die in der „Zone des Bösen“ liegt.
    Es ist Dämon Belial, der die Erde beherrscht.
    Hauptfigur ist Herb Asher, ein wie bei Dick üblich, kleiner Mann, der in die Spiele der größeren Mächte verstrickt wird.
    Herb wird von Belial gefangen genommen, durch seine Liebe zu der Sängerin Linda Fox jedoch erlöst.


    Der Roman ist handlungsorientierter als Valis, philosophische Spekulationen werden vergleichsweise zurückgenommen. Den Charakteren geht es nicht mehr so stark um religiöse Offenbarungen. Wichtiger ist es ihnen, ein glückliches leben zu finden.

  • Die Wiedergeburt des Timothy Archer (Teil 3 der Valistrilogie)


    Dieser Roman hat mir am besten gefallen von der gesamten Trilogie.
    Es ist diesmal fast nicht von Science Fiction zu sprechen.
    Geschildert wird das Amerika der späten 70ziger Jahre.
    Erzählerin ist mit Angel Archer eine Frau, die durchweg sympathisch gehalten ist.


    Timothy Archer ist ein Bischof, dem die Kirche Ketzerei vorwirft und der dabei ist, seinen Glauben zu verlieren. Als sein Sohn Jeff Selbstmord begeht, ist Archer überzeugt, dass sein Sohn aus dem jenseits mit ihm Kontakt aufnehmen wird und bricht nach Israel auf.


    Geschildert wird also die ganze Geschichte von Angel, die Witwe Jeffs und Schwiegertocher von Timothy Archer.


    Nachdem Dick diesen Roman beendet hatte, erlag er einem Schlaganfall.
    Sein letztes geplantes Werk The day of the owl ist nicht mehr entstanden.


    Mit Der Wiedergeburt des Timothy Archer hat Dick auf jeden Fall ein würdiges Finale geliefert. Der Roman ist für seine Verhältnisse relativ nüchtern und ruhig gehalten.
    Ein Zusammenhang zu Valis ist nur durch „Wahrheiten“ gegeben, die Bischof Archer in der Wüste Israels, in der stirbt, zu finden glaubt. Diese Wahrheiten unterstützen die Thesen, die Dick in Valis aufgestellt hat.

  • Über die Hintergründe und die Themen der Valisthesen kann man einiges durch "In Pursuit of Valis: Selections from the Exegesis" erfahren.


    Hier versucht Philip K. Dick seine Offenbarung zu erläutern, zu klären und zu untermauern.
    Da erst nach seinen Tod aus vielen unnummerierten Manuskriptseiten entstanden, ist mir unklar, wie der Autor selbst zu einer Veröffentlichung gestanden hätte.


    Leider habe ich das Buch aufgrund seiner Rarität und seines Preises nicht und kann mir kein Urteil erlauben.

  • "In Pursuit of Valis" ist unter dem Titel "Auf der Suche nach Valis" auch auf deutsch erschienen. Leider nicht mehr lieferbar!


    Aus dem Amerikanischen von Joachim Körber
    Edition Phantasia, Bellheim 2002
    ISBN 3-924959-66-8
    Leinen mit Schutzumschlag
    Deutsche Erstausgabe 2002

  • Den ersten Teil "Valis" habe ich hinter mich gebracht und fand ihn durchwachsen. Besonders die Handlungsarmut in Verbindung mit den vielen, sich wiederholenden philosophischen und metaphysischen Gedankengängen haben mir zu schaffen gemacht. Dies war nicht völlig uninteressant, las sich über weite Strecken doch reichlich zäh.