'Werte' - Mensch und Recht

  • Ich hb in diesem Abschnitt bisher die ersten 3 Texte gelesen.
    Protgoras:
    Ja, kann ich soweit unterschreiben. Die Sicht der Dinge ist entscheidend. Und was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Okee, darüber ließe sich streiten, aber was Werte angeht, ist es für Kinder doch einfacher, gewisse Dinge zu lernen, als sie sich später anzueignen.


    Epikur:
    Wenn das so einfach wäre, dass man alles mit Verträgen regeln könnte, was wäre die Welt gerecht. Nee, tut mir leid, so funktioniert das in meinen Augen nicht :-(
    Ich fand den Text nicht gut zu lesen, wegen der umständlichen Schreibweise und den ständigen Wiederholungen.


    Magna Charta Libertatum
    Dieser Text macht Lust auf mehr, ich hätte gern eine Buchempfehlung für einen historischen Roman, der in dieser Zeit spielt. Muss ich doch glatt mal stöbern.
    Der Auszug hat mir gut gefallen, er zeigte mir ein Bild der Zeit, in der es gesetzlich verboten werden musste, "uns nicht gehörendes Holz gegen den Willen der Eigentümer zu beschlagnahmen" oder Transportdienste erzwingen. Die Schreibweise ist zwar alt und teilweise auch verwurschtelt, aber authentisch. (@ Iris: Was sagst Du zu der Übersetzung? Ich mag sie)


    Auf Cervantes bin ich gespannt, ebenso auf Einstein und Kohlhaas.



    Danke für den Link, Eli :wave

  • Zitat

    Original von Batcat


    Ich weiß nicht, ob es anderen auch so ergeht: Es fällt mir schwer, hier richtiggehend über das Buchzu DISKUTIEREN. Ich lese und lese, dabei mache ich mir 1000 eigene Gedanken, ich mache mir Notizen, worüber ich googeln und was an Lektüre ich darüberhinaus lesen will. Ich lese auch ganz aufmerksam all Eure Gedanken und nicke, oder schüttle mit dem Kopf - aber es sind SOVIELE Gedanken und Ideen, die ich dazu habe, daß es mir schwer fällt, diese hier auch noch in Worte zu fassen. Und dabei bin ich erst auf Seite 170!


    Das ist kein Buch, das man einfach nur lesen kann. Das ist ein Buch, das man sich erarbeiten muß - und es macht überraschend viel Spaß! Ich werde zwar zwischendurch immer wieder mal ein Päuschen einlegen und was lockeres lesen, aber ich bin gefangen vom und im Buch. Chapeau!


    Ja, so recht diskutieren kann ich auch nicht. Ich lese und gucke, was andere dazu gelesen/geschrieben haben, aber ich bin noch nicht fertig, vor allem nicht mit (nach)denken.


    Und das "erarbeiten" ist es, was das Buch interessant, teilweise aber auch sperrig macht. Doch wie in dem TV-Beitrag gesagt (den ich sehr gut fand, für die Kürze der Zeit) es wird kein feritges Wertebild präsentiert, sondern nur ein Angebot zur eigenen Meinungsbildung.

  • Zitat

    Original von geli73
    Protgoras:
    Ja, kann ich soweit unterschreiben. Die Sicht der Dinge ist entscheidend. Und was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Okee, darüber ließe sich streiten, aber was Werte angeht, ist es für Kinder doch einfacher, gewisse Dinge zu lernen, als sie sich später anzueignen.


    Die Sophisten, zu denen Protagoras gezählt wird, waren Männer, die von sich behaupteten, anderen (vor allem der jeweiligen männlichen Jugend) beibringen zu können, wie sie in den meist aristokratisch, oligarchisch oder demokratisch organisierten Stadtstaaten Griechenlands zu Macht kommen könnten. Ein wichtiger Teil der Unterrichtung war die Rhetorik, in der Ethik vertraten sie meist eine relativistische Position, der Zweck heiligte dann auch die Mittel. Wichtig war in der Ethik nur die Aufrechterhaltung eines positiven Images.
    Deshalb äußerten sich viele auch meist in derlei wohlfeilen Sentenzen, die man bloß nicht zu Ende denken darf.
    In vielen Dialogen Platons geht es genau darum, daß Sokrates die Sprüche und Versprechungen der Sophisten (Protagoras, Gorgias, Ion, Hippias, Kritias, Thrasymachos u.a.) abzuklopfen. Einigen Positionen wird dabei durchaus Respekt entgegengebracht (Protagoras, aber besonders Gorgias), andere wie Kritias scharf kritisiert oder wie und vor allem Thrasymachos, der im Ersten Buch der Politeia Gerechtigkeit mehr oder weniger als Machbarkeit (bayr. "Wer ko', der ko'!"), als Recht des Stärkeren propagiert, werden in geradezu ätzend hartnäckiger Weise auseinandergenommen (am Ende dieses Dialoges fallen dann wüste Drohungen des Thrasymachos, dem Sokrates schon noch beizukommen).
    Bei aller Bewunderung, die man der rhetorischen Brillianz eines Protagoras und der Klugheit und Bildung eines Gorgias entgegenbringen kann, grause ich mich vor solchen Standpunkten, die letztendlich eine "liberale" Ellbogengesellschaft propagieren, in der derjenige, der die richtigen Voraussetzungen mitbringt und sich entsprechend ausbildet, es zu "etwas" bringt, während die anderen als Stimmvieh angesehen werden, und wer nicht einmal mehr wählen darf, ist eh Abschaum. Kommt mir leider allzu bekannt vor. :-(


    Speziell zu Protagoras: Egon Gottwein (Lehrer für Lat./Griech.) hat auf seiner Website ein Unterrichtsprojekt zu Protagoras aufgeführt, das wirklich lesenswert ist: Protagoras als Repräsentant der Sophistik -- keine Bange! Alle Texte sind auch ins Deutsche übersetzt angegeben! :-)
    Daraus kann man z.B. ersehen, daß sämtliche Informationen über Protagoras indirekt überliefert sind, also aus anderen Quellen (z.B. den Dialogen Platons, antiken Philosophiehandbüchern und Streitschriften) zusammengetragen und kritisch ausgewertet werden müssen, um seine Lehren wenigstens in Grundzügen zu rekonstruieren.



    Zitat

    Epikur:
    Wenn das so einfach wäre, dass man alles mit Verträgen regeln könnte, was wäre die Welt gerecht. Nee, tut mir leid, so funktioniert das in meinen Augen nicht :-(
    Ich fand den Text nicht gut zu lesen, wegen der umständlichen Schreibweise und den ständigen Wiederholungen.


    Epikur arbeitet mit der "Gebetsmühle". :grin
    Wahrer und weiser wird das alles m.A.n. trotzdem nicht. Es ist eine simple Lebensphilosophie, deren Anhänger sich als Freundeskreis vom betriebsamen Leben in ihre Gärten zurückziehen, um dort den möglichst einfachen Freuden des Lebens zu frönen. Da interessiert die Frage nach Recht und Unrecht nur sehr peripher, solange sie nicht gewaltsam in den Garten geschleppt wird. :grin



    Zitat

    Magna Charta Libertatum
    Dieser Text macht Lust auf mehr, ich hätte gern eine Buchempfehlung für einen historischen Roman, der in dieser Zeit spielt. Muss ich doch glatt mal stöbern.
    Der Auszug hat mir gut gefallen, er zeigte mir ein Bild der Zeit, in der es gesetzlich verboten werden musste, "uns nicht gehörendes Holz gegen den Willen der Eigentümer zu beschlagnahmen" oder Transportdienste erzwingen. Die Schreibweise ist zwar alt und teilweise auch verwurschtelt, aber authentisch. (@ Iris: Was sagst Du zu der Übersetzung? Ich mag sie)


    Ich habe den Originaltext im Netz ausfindig gemacht: Magna Charta Libertatum und werde das mal parallel lesen. In Texten, die wie z.B. Rechtstexte keine philosophischen und theologischen Themen abhandeln, sondern eher "Anweisungen", finden sich erheblich weniger Übersetzungsprobleme. :wave

  • Das hier kann ich auch zu Protagoras empfehlen. Es geht mal wieder um die Frage, ob Areté lehrbar ist (sowas wie "Gutsein", wird oft mit Tugend übersetzt, was es aber nicht trifft, aber das kann Iris besser erklären). Ich erinnere mich dunkel daran, dass mir "Gorgias" besser gefiel, aber "Protagoras" war witziger.
    .

  • Protgoras:
    Ja, kann ich auch soweit unterschreiben. Das Buch werde ich gleich auf meine Wunschliste setzen


    Epikur:
    Ja, so einfach ist das Leben nicht.


    Magna Charta Libertatum


    Die Schreibweise ist der Zeit entsprechend.
    Mußte bei diesem Text schmunzeln.
    (Vergleich mit dem GG)

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

  • Iris, Du bist ein wandelndes Lexikon :anbet Du bereicherst diese Runde für mich wirklich sehr.


    Bezüglich Protagoras: So kompliziert denke ich gar nicht, so habe ich es auch gar nicht aufgefasst, wie Du es in der Konsequenz ausdrückst:


    Zitat

    Bei aller Bewunderung, die man der rhetorischen Brillianz eines Protagoras und der Klugheit und Bildung eines Gorgias entgegenbringen kann, grause ich mich vor solchen Standpunkten, die letztendlich eine "liberale" Ellbogengesellschaft propagieren, in der derjenige, der die richtigen Voraussetzungen mitbringt und sich entsprechend ausbildet, es zu "etwas" bringt, während die anderen als Stimmvieh angesehen werden, und wer nicht einmal mehr wählen darf, ist eh Abschaum. Kommt mir leider allzu bekannt vor.


    Das entnahm ich dem Text auch gar nicht. Ich vermute, Du hast mehr Hintergrundwissen, so dass Du einfach weiterdenkst.
    Klar hat es derjenige, der schon von Haus aus eine gute Basis vorweisen kann, grundsätzlich einfacher, als jemand aus einfachen Verhältnissen, der sich ein Studium nicht aus dem Ärmel schüttelt, schon gar nicht bei Studiengebühren. Die Verhältnisse dürften nicht zu einer Mehrklassengesellschaft führen, tun es aber immer mehr, siehe Studiengebühren.


    ich meinte eben nur, dass Eltern, die dem Kind ein gutes Benehmen und Sitte und Anstand auf dem Weg mitgeben, gute Voraussetzungen schaffen für das weitere Leben.

  • @ Geli
    (Ich komme mir eher vor wie der hier: )


    Zitat

    Original von geli73
    Ich vermute, Du hast mehr Hintergrundwissen, so dass Du einfach weiterdenkst.


    Liegt an meiner Ausbildung. Deshalb verwies ich ja auf das Unterrichtsprojekt -- und Delphin hat dankenswerterweise den Protagoras von Platon angegeben.
    Da fällt mir ein, daß man mal wieder so ein Leseründchen machen könnte ... :-)


    Zitat

    ich meinte eben nur, dass Eltern, die dem Kind ein gutes Benehmen und Sitte und Anstand auf dem Weg mitgeben, gute Voraussetzungen schaffen für das weitere Leben.


    Das ist absolut richtig.
    Dann stellt sich die Frage, woran man "gutes Benehmen" und "Sitte und Anstand" bemißt. Daß das von der jeweiligen Gesellschaft und Kultur abhängige Werte sind, ist leicht festzustellen, wenn wir uns anschauen, was vor 200 Jahren so genannt wurde, was vor 100 und was heute. Meist sind uns die moralischen Vorstellungen anderer Zeiten und/oder Kulturen ja vollkommen fremd.


    (Deshalb reg ich mich immer darüber auf, wenn in historischen Romanen "moderne" Figuren vorkommen, bzw. das gesamte Wertesystem ausschließlich durch unsere Brille beurteilt geschildert wird. Denn andere, uns heutigen fremde Wertvorstellungen haben in ihrem Umfeld durchaus ihre Berechtigung, wenn man bloß mal genauer hinschaut.)

  • Zitat

    Original von Iris
    Deshalb reg ich mich immer darüber auf, wenn in historischen Romanen "moderne" Figuren vorkommen, bzw. das gesamte Wertesystem ausschließlich durch unsere Brille beurteilt geschildert wird. Denn andere, uns heutigen fremde Wertvorstellungen haben in ihrem Umfeld durchaus ihre Berechtigung, wenn man bloß mal genauer hinschaut.)


    Du sprichst mir aus der Seele. Vior allem auch weil die Werte, die wir heute als die "unsrigen" bezeichnen, ja nicht vom Himmel gefallen sind. Das war eines der wichtigsten Motive unseres Buches: die "Gewordenheit" unserer Werte im Verlauf der Jahrhunderte durch die verschiedenen historischen Texte zu den einzelnen Kapiteln zu zeigen, das ewige Wechselspiel von Versuch und Irrtum, um uns in der heutigen Diskussion mit anderen Wertesystemen zwar einerseits zu stabiliseren, uns anderseits aber auch bewusst zu machen, wie vorläufig unsere eigenen Maßstäbe sind. Weshalb wir sie immer wieder der gedanklichen Überprüfung aussetzen müssen - so wie es hier im Forum geschieht.

  • Ein etwas trockenerer Text als die bisherigen, aber nicht weniger interessant.


    Epikur
    Gerechtigkeit ist zeit- und ortsabhängig - ein interessanter Gedanke, der mir noch nie so bewusst wurde. Also gibt es demnach aber DIE Gerechtigkeit wirklich nicht, sondern nur verschiedene Vorstellungen über Gerechtigkeit... Gleiches findet sich auch bei Montesquieu


    Magna Charta Libertatum
    Die drei Aspekte Gewaltenteilung, keine Willkür und individuelle (angemessene) Bestrafung bei Vergehen sind Merkmale eines demokratischen Staates, in einer Diktatur hingegen fehlen sie komplett.


    Locke
    Ein weiterer Aspekt einer politischen Gesellschaft wird ergänzt: keine Selbstjustiz.


    Französische Nationalversammlung:
    Ich bin erstaunt, die Maßgabe "Im Zweifel für den Angeklagten" (Art. IX) schon hier zu finden, ich hätte gedacht, das kam erst viel später, ich bin beeindruckt! :wow
    In Artikel XI steht eine sehr schöne Beschreibung und Definition der Gedanken- und Meinungsfreiheit, die ja auch in verschiedenen Ländern unterschiedlich gehandhabt wird (Beispiel: nationalsozialistische Äußerungen, Symbole, etc.). Sie so zu verstehen, dass sie so weit geht, bis die Freiheit des anderen verletzt wird, gefällt mir gut!


    Kleist
    Der Kohlhaas steht jetzt auf meiner Wunschliste! :-]


    Kafka
    Hm klingt wie eine Pointe - aber irgendwie ist sie an mir vorüber gegangen :cry Kann sie mir jemand erklären? Vielleicht Herr Palomar? Oder ein anderer Kafka-Fan? :help

  • Zitat

    Original von milla
    Epikur
    Gerechtigkeit ist zeit- und ortsabhängig - ein interessanter Gedanke, der mir noch nie so bewusst wurde. Also gibt es demnach aber DIE Gerechtigkeit wirklich nicht, sondern nur verschiedene Vorstellungen über Gerechtigkeit... Gleiches findet sich auch bei Montesquieu


    Dann fragt man sich allerdings trotzdem, was diese Vorstellung verbindet. Das muß keineswegs die Ausprägung in unserer Welt sein (z.B. Vorstellungen über was, was als (Ausdruck von) Un(ge)recht(igkeit) angesehen wird, Strafen und Strafmaße etc.).


    Zitat

    Magna Charta Libertatum
    Die drei Aspekte Gewaltenteilung, keine Willkür und individuelle (angemessene) Bestrafung bei Vergehen sind Merkmale eines demokratischen Staates, in einer Diktatur hingegen fehlen sie komplett.


    Demokratie gab es damals nicht. :grin
    Man kann auch in anderen Staatsformen Bemühungen anstellen, Rechtsstaatlichkeit herzustellen. In diesem Falle war es ein "Feudalsystem" (der Ausdruck bezeichnet mehrere unterschiedliche Ausprägungen des gleichen Grundprinzips).


    Zitat

    Locke
    Ein weiterer Aspekt einer politischen Gesellschaft wird ergänzt: keine Selbstjustiz.


    Stop! Das ist zu Lockes Zeiten auch nicht neu! Die Verhinderung von Selbstjustiz ist nahezu überall die Motivation für die Einführung (innerhalb der jeweiligen Gemeinschaft) allgemein verbindlicher Regeln über Deliket und Strafmaße etc.


    Zitat

    Französische Nationalversammlung:
    Ich bin erstaunt, die Maßgabe "Im Zweifel für den Angeklagten" (Art. IX) schon hier zu finden, ich hätte gedacht, das kam erst viel später, ich bin beeindruckt! :wow


    Auch geklaut! Den Rechtsgrundsatz in dubio pro reo kennen wir schon aus der Antike; vermutlich ist er sogar erheblich älter, denn schon damals war es offenbar eine Selbstverständlichkeit, daß ein Rechtswesen, das nicht danach handelte, als tyrannisch angesehen wurde.



    Auch wenn die Texte historisch-chronologisch angeordnet sind, bedeutet das nicht, daß es eine chronologische Entwicklung gegeben hat -- also daß die Fragen, die diskutiert werden, vor diesem Text nicht diskutiert worden seien. Das ist leider vollkommen falsch! Die wesentlichen Diskussionspunkte sind vermutlich so alt wie die Menschheit; immer dann, wenn sie virulent werden, werden sie auch laut diskutiert -- auch zu Zeiten und in Völkern ohne Schrift!



    Zitat

    Kafka
    Hm klingt wie eine Pointe - aber irgendwie ist sie an mir vorüber gegangen :cry Kann sie mir jemand erklären? Vielleicht Herr Palomar? Oder ein anderer Kafka-Fan? :help


    Kafka ist Jurist, dieser Text sicher einer seiner bekanntesten und einer von denen, die über sein Verhältnis zu Recht und Gesetz verdeutlicht: Jeder hat einen vollkommen individuellen, subjektiven Zugang zum Recht -- und zugleich ist Gesetzlichkeit bzw. auch Gerechtigkeit nicht einfach so zu erreichen; da müssen Umstände stimmen, auf die man als Individuum keinen Einfluß hat (= man muß warten).

  • Zitat

    Original von Iris
    Demokratie gab es damals nicht. :grin
    Man kann auch in anderen Staatsformen Bemühungen anstellen, Rechtsstaatlichkeit herzustellen. In diesem Falle war es ein "Feudalsystem" (der Ausdruck bezeichnet mehrere unterschiedliche Ausprägungen des gleichen Grundprinzips).


    Oh das meinte ich gar nicht, ich meinte eher, dass HEUTE diese drei Aspekte auch Merkmale der Demokratie sind - eben im Gegensatz zur Diktatur.


    Zitat


    Stop! Das ist zu Lockes Zeiten auch nicht neu! Die Verhinderung von Selbstjustiz ist nahezu überall die Motivation für die Einführung (innerhalb der jeweiligen Gemeinschaft) allgemein verbindlicher Regeln über Deliket und Strafmaße etc.


    Auch hier meinte ich das nicht als chronologische Entwicklung, sondern im Rahmen der ausgewählten Texte taucht hier die Abkehr von der Selbstjustiz explizit auf.


    Zitat


    Auch geklaut! Den Rechtsgrundsatz in dubio pro reo kennen wir schon aus der Antike; vermutlich ist er sogar erheblich älter, denn schon damals war es offenbar eine Selbstverständlichkeit, daß ein Rechtswesen, das nicht danach handelte, als tyrannisch angesehen wurde.


    Oh, also noch älter, wie gesagt, das wusste ich nicht :write


    Zitat


    Kafka ist Jurist, dieser Text sicher einer seiner bekanntesten und einer von denen, die über sein Verhältnis zu Recht und Gesetz verdeutlicht: Jeder hat einen vollkommen individuellen, subjektiven Zugang zum Recht -- und zugleich ist Gesetzlichkeit bzw. auch Gerechtigkeit nicht einfach so zu erreichen; da müssen Umstände stimmen, auf die man als Individuum keinen Einfluß hat (= man muß warten).


    Hm danke, aber AHA hat es trotzdem nicht gemacht. Ok, der Zugang zu Recht ist subjektiv und individuell - aber der Mann im Text WOLLTE doch Zugang haben - er wurde ihm verwehrt und wenn es zu spät ist, wird ihm gesagt: Sorry, es ist zu spät. ?(

  • Zitat

    Original von milla
    Hm danke, aber AHA hat es trotzdem nicht gemacht. Ok, der Zugang zu Recht ist subjektiv und individuell - aber der Mann im Text WOLLTE doch Zugang haben - er wurde ihm verwehrt und wenn es zu spät ist, wird ihm gesagt: Sorry, es ist zu spät. ?(


    Wenn man schon mal ein paar Prozesse miterlebt hat, ist es möglicherweise ersichtlicher. :lache


    Oder haben wir nicht oft das Gefühl, daß Gesetze, Recht und Rechtssprechung gar keine Gerechtigkeit schaffen, obwohl das per definitionem ihre Aufgabe ist. :grin

  • Zitat

    Original von milla



    Hm danke, aber AHA hat es trotzdem nicht gemacht. Ok, der Zugang zu Recht ist subjektiv und individuell - aber der Mann im Text WOLLTE doch Zugang haben - er wurde ihm verwehrt und wenn es zu spät ist, wird ihm gesagt: Sorry, es ist zu spät. ?(


    Einerseits werden die meisten sich selbst im Recht stehenden sehen. Zweitens gibt es durchaus einige Hindernisse zu überwinden um zu dem Recht zu gelangen. Einerseits gibt es Beweisprobleme. Du kannst rein rechtlich so sehr im Recht sein wie du willst, wenn du es nicht beweisen kannst, ist es wertlos.


    Dann ist ein Zivilprozeß auch immer mit Kosten verbunden. Frau Altman, die in diesem Jahr die fünf Klimtbilder zugesprochen wurden, konnte z.B. nicht den normalen Zivilweg in Österreich beschreiten, weil die Gerichtskosten bei diesem Streitwert, die von ihr als Klägerin vorzuschießen gewessen wären, schon ein kleines Vermögen gewesen wäre.


    Ich war vor zwei Wochen bei einem Prozeß zuhören. Nur eine mündliche Verhandlung. 4000 € Kosten bei einem Streitwert von knapp 6000 €.
    Schließlich kann auch noch durch die Rechtsschutzversicherungen ein großes Ungleichgewicht entstehen. Dadurch das ein Teil risikolos Prozeß führen kann, kann sie dem vielleicht im Recht seienden finanziell ausbluten, dass der schließlich aufgeben muss, weil die Kosten für den Prozeß schon in unermessliche Höhen geschossen sind.

  • Zitat

    Original von milla
    Kafka
    Hm klingt wie eine Pointe - aber irgendwie ist sie an mir vorüber gegangen :cry Kann sie mir jemand erklären? Vielleicht Herr Palomar?


    Milla, Kafka zu interpretieren ist eigentlich fast sinnlos, da jeder nach seinem Geschmack alles reindeuten kann.


    Meine subjektive Deutung (den Text mißzuverstehen ist bei Kafka durchaus möglich):
    Ich sehe diese Geschichte rein metaphorisch. Ich glaube nicht, dass ein realer Gerichtshof und Prozess gemeint ist. Es geht Kafka um eine innere Welt.
    Ich vermute, dass hier ein Mensch sich nach etwas ideellen sehnt, ein Erlösungszustand den er Erreichen möchte, aber nie das richtige Mittel dafür findet.
    Deshalb schließt der Torhüter am Ende den Zugang, da es für diesen Menschen zu spät ist.
    Und der Einlass war nur diesen bestimmten Menschen vorgesehen, also sein individuelles Schicksal, das er nicht erfüllen konnte. Teils selbstverschuldet, teils aus Unwissenheit wie er es erreichen sollte. So war der Einlass immerhin bis zum Schlusssatz möglich gewesen.


    Ich finde den Text im übrigens witzig!



    Es gibt auch einen Zusammenhang zu Kafkas Roman Der Prozess.
    Im Dom erzählt der Gefängniskaplan Josef K. die Parabel vom Gesetz und dessen Torhüter.
    Das deutet aber nicht unbedingt auf eine religiöse Erklärung der Geschichte Vor dem Gesetz hin, sonder stärkt wiederum die These der Erläuterung des Gerichtswesens und spricht gegen meine Deutung.


    In Kafkas Tagebücher erfährt man, dass er am 24.01.1915 Felice Bauer die Torhüterlegende vorliest, vor der Veröffentlichung in der Prager Wochenzeitschrift Selbstwehr am 7.September 1915. (Siehe hierzu auch „Briefe an Felice“)
    Zitat aus den Tagebüchern: Bei der Torhütergeschichte grö0ere Aufmerksamkeit und gute Beobachtung. Mir ging die Bedeutung der Geschichte erst auf, auch sie erfasste sie richtig, dann allerdings fuhren wir mit groben Bemerkungen in sie hinein.


    Ich schließe daraus, das Kafka selbst eine ausführliche Interpretation (=grobe Bemerkungen) nicht schätzte.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Meine subjektive Deutung (den Text mißzuverstehen ist bei Kafka durchaus möglich):
    Ich sehe diese Geschichte rein metaphorisch. Ich glaube nicht, dass ein realer Gerichtshof und Prozess gemeint ist. Es geht Kafka um eine innere Welt.
    Ich vermute, dass hier ein Mensch sich nach etwas ideellen sehnt, ein Erlösungszustand den er Erreichen möchte, aber nie das richtige Mittel dafür findet.
    Deshalb schließt der Torhüter am Ende den Zugang, da es für diesen Menschen zu spät ist.
    Und der Einlass war nur diesen bestimmten Menschen vorgesehen, also sein individuelles Schicksal, das er nicht erfüllen konnte. Teils selbstverschuldet, teils aus Unwissenheit wie er es erreichen sollte. So war der Einlass immerhin bis zum Schlusssatz möglich gewesen.


    Vielen Dank Herr Palomar! Das macht es mir schon etwas deutlicher! :-)


    Zitat

    Milla, Kafka zu interpretieren ist eigentlich fast sinnlos, da jeder nach seinem Geschmack alles reindeuten kann.


    Und das beruhigt mich ungemein :grin

  • Zitat

    Original von Iris


    Oder haben wir nicht oft das Gefühl, daß Gesetze, Recht und Rechtssprechung gar keine Gerechtigkeit schaffen, obwohl das per definitionem ihre Aufgabe ist. :grin


    Njet.No. Nein.


    Per definitionem ist es die Aufgabe von Gesetz, Recht und Rechtssprechung Rechtsfrieden herzustellen. Gerechtigkeit gibt es nicht von Menschen.

  • Stimmt, der Indikativ "ist" in meinem Satz war sachlich falsch.


    Rechtsfrieden ist m.W. ein Zustand, in dem durch einen Kompromiß die größtmögliche Annäherung an Gerechtigkeit geschaffen werden soll. Deshalb hießen größere Gesetzesanstrengungen früher ja auch "Landfriede(n)" oder "Reichsfriede(n)", und auch Begriffe wie "Hausfriedensbruch" und "Landfriedensbruch" kommen daher. Diese noch immer bestehende Begrifflichkeit kommt aus dem Mittelalter, aus der Verbindung von verschriftlichem römischem Strafrecht und einem mündlichem germanischem Rechtsverständnis, das auf einem Ausgleichsprinzip ("Friede") basiert.Die Bedeutungen haben sich natürlich inzwischen gewandelt, aber die Begriffe sind geblieben.

  • Folgendes simplifizierendes Beispiel zum Thema Recht:


    Lehrer Rudi Sorglos hat seinen Geldbeutel vergessen und leiht sich in der fünften Stunde- vor der Mittagspause in seiner Klasse fünf Euro um zum Metzger gehen zu können. Vor versammelte Klasse gibt im Susi Hinterlist das Geld. Beim Metzger begegnet Rudi seiner Frau, die ihm zehn Euro in die Hand drückt. Im Gang vor dem Klassenzimmer drückt Rudi der Susi ihr Geld in die Hand und sagt Danke. Keine Quittung verlangt, niemand in der Nähe.


    Erfolgsaussichten einer Klage von Susi Hinterlist gegen den Lehrer auf Zahlung von fünf Euro- 100%, das ist Recht, keine Gerechtigkeit. Der Betrüger siegt. Der Jurist mag so etwas manchmal klar erkennen- ändern kann er es nicht.-- Gerechtigkeit kann nicht geschaffen werden.

  • Fabula docet: vor Gericht kann ich nur Recht bekommen. Punkt.


    Doch gibt es darum keine Gerechtigkeit? Ich meine doch. Zumindest kann ich mich darum bemühen, sie im Rahmen meiner eigenen Einflussmöglichkeiten herzustellen. Nicht im Gerichtssaal, aber im wirklichen Leben. Obwohl sie auch dort immer nur eine Leitgröße sein wird, die sich nur sehr annäherungsweise realisieren setzt.