Die russische Konkubine, Kate Furnivall, Originaltitel „Wind and Fire“, Übersetzung Werner Schmitz, Page & Turner, August 2006, 640 Seiten, 3-442-20312-0, 19,95 €
Über die Autorin: lt. Buch
Kate Furnivall wurde 1950 in Penarth, England, geboren, und arbeitete nach ihrem Studium der Englischen Literaturwissenschaft viele Jahre in der Werbung und als TV-Produzentin. Die Autorin lebt mit ihrem Mann, zwei Söhnen und mehreren Katzen in der Nähe von Devon.
Buchspecial bei Random House mit Interview der Autorin
Meine Meinung:
Inspiriert durch die ungewöhnliche Lebensgeschichte Ihrer Mutter hat Kate Furnivall den historischen Roman „Die russische Konkubine“ geschrieben, dessen Handlung im vorrevolutionären China der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts angesiedelt ist.
In Russland tobt im Jahr 1917 die Oktoberrevolution, weshalb die Eltern der 5-jährigen Lydia mit ihrer Tochter fliehen. Kurz vor der Grenze werden sie gefasst, die russischen Soldaten führen Lydias Vater ab. Seiner Frau Valentina, einer jungen Pianistin, gelingt die Flucht mit ihrer Tochter nach Nordchina. Die 1928 mittlerweile 16-jährige Lydia lebt mit ihrer Mutter in der internationalen Siedlung der nordchinesischen Stadt Tschangschu in äußerst eingeschränkten Verhältnissen. Valentina kümmert sich scheinbar wenig um ihre Tochter und verfällt immer wieder ihren Depressionen und ihrer Alkoholsucht. Sie sieht nicht oder verdrängt, dass ihre Tochter, um das Überleben der beiden zu sichern, angefangen hat zu stehlen und sich immer häufiger in Stadtteilen aufhält, wo sie sich in Gefahr bringt. Das Leben und Handeln der einzelnen Bewohner der internationalen Siedlung der fiktiven Stadt Tschangschu, angelehnt an der Stadt Tsientsin, ist eng miteinander verwoben. Kontakte zu Chinesen gibt es rein auf geschäftlicher oder politischer Ebene. Eines Tages begegnet Lydia bei einem ihrer Beutezüge dem 19-jährigen Chinesen Chang An Lo, der ihr aus einer kritischen Situation hilft. Zwischen den beiden entsteht eine geistige Bindung, die dazu führt, dass ihre Wege sich im weiteren immer wieder kreuzen und ihre Verbindung immer intensiver wird. Chang An Lo ist überzeugter Kommunist und bewegt sich im Spannungsfeld zwischen den Kuomintang Tschiang Kai-scheks und einem mafiösen Geheimbund. So verbindet sich Lydias und Chang An Los Schicksal mit dem einiger weiterer Personen aus der internationalen Siedlung Tschangschus und dramatische Entwicklungen nehmen ihren Lauf...
Kate Furnivall ist es mit ihrem Roman gelungen, die Atmosphäre des China am Vorabend der Revolution einzufangen und gekonnt mit der Entwicklung der jungen Lydia und der Geschichte einer verbotenen Liebe zu verknüpfen. Da ich keine Freundin großer Liebesgeschichten bin, hat mir dabei besonders gut gefallen, dass Kate Furnivall neben der Beziehung zwischen Lydia und Chang An Lo auch anderen Beziehungen ausreichend Raum gibt. So zum Beispiel der Beziehung zwischen Lydia und ihrer selbstsüchtigen und bequemen Mutter, der es schwer fällt, die Gefühle, die sie ihrer Tochter gegenüber hat, direkt zum Ausdruck zu bringen oder auch die Beziehung zwischen Lydia und ihrem späteren Stiefvater. Die Autorin gibt aber auch den Beziehungen ihrer Nebenfiguren Raum, so z. B. der von Lydias englischem Lehrer Theo Willoughby zum Kopf des mafiösen chinesischen Geheimbundes und Vaters seiner Geliebten. Lydias Reifeprozess entwickelt Kate Furnivall schlüssig und sensibel. Durch die Augen Lydias wird dem Leser ein kritischer Blick auf das vorrevolutionäre China ermöglicht.
Kate Furnivalls Roman ist die Geschichte von Außenseitern, die sich in einer Welt der unterschiedlichen Kulturen und Lebensanschauungen behaupten müssen. Jeder löst diese Schwierigkeit auf seine Weise. Sowohl Haupt- als auch Nebenfiguren sind von Kate Furnivall als mehrdimensionale, komplexe Figuren gestaltet worden, die zum Teil voller Widersprüche stecken. Und so überrascht Kate Furnivall mit ihren Figuren genau dann, wenn man glaubt, dass ihr Wesen oder Handeln vorhersehbar wäre.
„Die russische Konkubine“ von Kate Furnivall ist ein historischer Roman, der Exotik, Intrigen, Dramatik und interessante Charaktere miteinander zu einem faszinierenden und spannenden Epos vereint. Bei mir hat die Autorin mit diesem Buch einen wahren Lesesog ausgelöst, so dass ich das Buch am liebsten nicht mehr zur Seite gelegt hätte. Bei einem weiteren Buch von Kate Furnivall werde ich sicher wieder zugreifen.