Das Haus der Schildkröten heißt eigentlich "Haus Ulmen" und ist ein Pflegeheim. Jeden Dienstag kommt Ernst, um seinen Vater zu besuchen, einen ehemaligen Professor, der an Demenz bzw. Alzheimer leidet.
Jeden Dienstag zur selben Zeit besucht Regina ihre Mutter, die wohl seit einem Schlaganfall nicht mehr sprechen und sich kaum noch selbst bewegen kann. Jeden Dienstag bringt sie ihr Blumen und Hohes C.
Jeden Dienstag kommen Ernst und Regina, gebeugt von Schuld, Scham und Hilflosigkeit.
Und jeden Dienstag fragt sich der Professor, wer der Mann ist, der da plötzlich im Zimmer steht, ihn bei seinen Aufzeichnungen stört und ihn Dinge fragt, auf die er wohl eine Antwort wissen müsste, die ihm jedoch nie einfällt.
Und jeden Dienstag treffen sich Regina und Ernst hinterher auf dem Parkplatz, noch immer gebeugt von Schuld und Scham und doch gottfroh, dem Haus Ulmen für eine Woche entkommen zu sein.
Sie klammern sich in einer hilflosen Liebe aneinander, die ihnen die Last mit den "Alten" aber nicht leichter macht. Regina wünscht sich heimlich den Tod der Mutter, betet in einer Kirche dafür. Ernst nennt seinen Vater einmal "Gemüse". Doch die Scham über diese "Ausbrüche" ist so groß, dass daran sogar die Liebe scheitert.
Annette Pehnt schreibt aus der Sicht der Kinder Regina und Ernst, aber auch aus der Sicht der Heimbewohner. Und plötzlich stellt sich vieles, woran der Leser bisher geglaubt hat, ganz anders dar. Ist es wirklich so, dass alle Alten unsere Besuche wollen? Oder belasten wir sie - wie den Professor im Roman -, für den jeder Dienstag eine Störung ist. Wie gehen wir mit den Alten um? Was wollen sie wirklich? Was brauchen sie von uns, von anderen?
Auch aus der Sicht des Heimpersonals wird berichtet. Am Ende bleibt für den Leser die Aufgabe, über das Alter und das Sterben nachzudenken, sich von manchen Konventionen zu befreien und der Trost, dass es vielen mit den Alten ähnlich geht.
Ein Buch, das aufschreckt, aber auch tröstet. Ein kluges, sensibles Buch, in dem jede Figur ernst genommen und geachtet wird. Ein Buch über ein Tabuthema, ein Buch, das jeder lesen sollte, der Eltern hat.
Doch nicht nur das Thema hat es in sich, auch Sprache und Stil sind ein Gewinn für jeden Leser.
Zur Autorin
Annette Pehnt lebt mit ihrer Familie in Freiburg, arbeitet dort als Literaturkritikerin und Schriftstellerin, lehrt an der dortigen Universität. Für ihre literarischen Arbeiten erhielt sie u.a. 2001 den Förderpreis zum Künstlerinnenpreis des Landes Nordrhein-Westfalen und den Mara-Cassens-Preis, 2002 den Preis der Jury bei den Klagenfurter Tagen der Deutschsprachigen Literatur.