Ein Kind ist tot

  • Entsetzen, tiefe Betroffenheit allerorten, nachdem in Bremen ein kleiner Junge in der Obhut des Jugendamtes zu Tode kam.
    Sicher spricht nach den zur Zeit vorliegenden Informationen viel dafür, dass hier seitens des Jugendamtes schuldhaft versäumt wurde, seiner Pflicht nachzugehen.
    Etwas anderes aber stößt mir mindestens genauso auf: In vielen Stellungnahmen ist davon die Rede, dass die Sozialbehörden u.a. auch deshalb eine Heimunterbringung gefährdeter Kinder zu vermeiden versuchen, weil diese teuer ist. In welch einer Gesellschaft leben wir eigentlich, die es nicht schafft, die Mittel bereitzustellen, um hilflosen Menschen den notwendigen Schutz angedeihen zu lassen? Es gibt ein Recht auf körperliche Unversehrtheit, aber wird dieses Recht nur nach Kassenlage gewährt?
    Manchmal ist es eben notwendig, Prioritäten zu setzen. Wenn nicht genug Geld für alle öffentlichen Aufgaben da ist muss man sich den dringlichsten eben zuerst widmen. Die Sorge um Kinder gehört dazu.
    Zur Verdeutlichung: Was geschähe wohl, wenn eine Kommune beschlösse, ihre Feuerwehrfahrzeuge nicht mehr ausrücken zu lassen, weil der Etat für deren Wartung aufgebraucht ist?

    "Hebt eure Prinzipien für die wenigen Augenblicke im Leben auf, in denen es auf Prinzipien ankommt. Für das meiste genügt ein wenig Barmherzigkeit."
    (Albert Camus)

  • Wenn man bedenkt, daß in anderen Fällen Kinder aufgrund von Nichtigkeiten aus Familien genommen werden, so ist der Tod dieses Jungen nicht zu entschuldigen. Aber er wäre sowieso nicht zu entschuldigen.
    Hier wird ein marodes, kranken System deutlich in dem überarbeitete und ausgepowerte Mitarbeiter nicht mehr Herr der Lage sind.


    Leider sind in unserem Staat Kinder nicht viel wert - und das ist dadurch mal wieder mehr als deutlich geworden.


    Auch wenn Frau von Leyen jetzt mal schnell Geld zur Verfügung stellt, und Pflichtuntersuchungen einführen will, das hilft dem Jungen leider nicht mehr. Ob's für andere Kinder was bringt, wird sich erst in Jahren zeigen.


    LG Silly


  • :write :-(

  • Zitat

    Auch wenn Frau von Leyen jetzt mal schnell Geld zur Verfügung stellt, und Pflichtuntersuchungen einführen will, das hilft dem Jungen leider nicht mehr. Ob's für andere Kinder was bringt, wird sich erst in Jahren zeigen.


    Ja das hat sie gestern in der Sendung "Berlin Mitte" gesagt.


    Aber soviel ich weiß waren beide Eltern Drogenabhängig.
    Ich muß mal ehrlich sagen den hätte ich das Kind weggenommen und gesagt tut was gegen eure Sucht.
    Und hätte die dann im Auge behalten und in etwas späterer Zeit mal geschaut wie die sich gemacht oder nicht gemacht haben.


    Weiter oben wird das gesagt das bei anderen wegen nix ständig das JA auf der Matte steht und da wo es wirklich notwendig ist da lassen die Mitarbeiter mal eben den Mantel des Schweigens drüber hängen.


    Naja und der erste Fall ist es ja nun auch nicht, und glaubt mir so traurig wie das alles ist es wird nicht der letzte fall sein.

  • Es ist immer schrecklich grausam, wenn so etwas passiert.
    Immer werden Schuldige gesucht, in diesem Falle eben das Jugendamt, bzw. deren Mitarbeiter, das ist aber müsig, denn schuld ist der Vater, sonst niemand.
    Auch die besten Jugendamtsmitarbeiter können nicht verhindern, dass Eltern ihre Kinder umbringen...nicht immer ist das JA informiert!
    Und ich glaube kaum, dass hier bewußt ein Kind in den Tod geschickt wurde


    Pflichtuntersuchen finde ich auch gut!

  • Zitat

    Original von Twiärsdriever
    Etwas anderes aber stößt mir mindestens genauso auf: In vielen Stellungnahmen ist davon die Rede, dass die Sozialbehörden u.a. auch deshalb eine Heimunterbringung gefährdeter Kinder zu vermeiden versuchen, weil diese teuer ist. In welch einer Gesellschaft leben wir eigentlich, die es nicht schafft, die Mittel bereitzustellen, um hilflosen Menschen den notwendigen Schutz angedeihen zu lassen? Es gibt ein Recht auf körperliche Unversehrtheit, aber wird dieses Recht nur nach Kassenlage gewährt?


    Es ist so und leider muss ich mich damit jeden Tag auf Arbeit auseinandersetzen. Denn Jugendämter fällt es nicht etwas dagegen zu unternehmen, um an Geld zu kommen.
    Vor drei Jahren hatten wir in unsere Stadt auch einen Fall, die Zustände in der Familie waren serh schlimm, viele haben gesagt das Kind soll raus aus der Familie. Das Jugendamt hat nichts unternommen. Das Kind ist tot.


    Mitarbeiter soll doch so profihaft und so geschult sein, das sie einschätzen müssten, wann ein Kind aus der Familie raus muss und wann nicht!!! Diese Ausrede wir haben kein Geld und Heimunterbringung ist zu teuer kann ich schon nicht mehr hören. :fetch

  • Es scheint, als liege in diesem konkreten Fall eine durchaus feststellbare Vernachlässigung der Pflichten seitens der Behörden vor.


    Insgesamt möchte ich aber vor Pauschalurteilen gegenüber Jugendämtern warnen. Auch wenn man die bisherigen Beiträge hier liest, besteht für die Jugendämter schon ein schwieriger Drahtseilakt zwischen "Eingreifen bei Nichtigkeiten" und "Vernachlässigen der Sorgfalt".


    Da wir drei Pflegekinder haben und ich darüberhinaus im Jugendhilfeausschuss unseres Kreises sitze, glaube ich einigermaßen beurteilen zu können, welch wertvolle Arbeit von unseren Jugendämtern geleistet wird. Und: Ja, ein Heimplatz ist sehr teuer. Die Unterbringung in Pflegefamilien ist bedeutend billiger, bringt aber wieder andere Probleme mit sich.


    Und von einer "leichtfertigen Herausnahme von Kindern wegen Nichtigkeiten" kann in Normallfall nie und nimmer gesprochen werden. Medienwirksame Heulszenarien leiblicher Eltern in der BILD und bei "Stern-TV"u.ä. ändern nichts daran, dass in Deutschland das Elternrecht faktisch immer noch weit vor dem Kindesrecht platziert ist.

    „Streite niemals mit dummen Leuten. Sie werden dich auf ihr Level runterziehen und dich dort mit Erfahrung schlagen.“ (Mark Twain)

  • :write


    Das kann ich nur unterschreiben. Ich arbeite eng an der Materie und oft ist das, was in der Presse geschrieben wird, leider nur die halbe Wahrheit.
    Ich will hier keinen verteidigen, denn sicher ist in Bremen was falsch gelaufen und wenn der Ansatz, über den in der Presse geschrieben wird, nur halb der Wahrheit entspricht, ist das schlimm für alle Kinder. Aber ich denke, da wir den Fall "nur" aus der Presse kennen, die ziemlich einseitig berichtet, vielfach zumindest, kann ich mir zumindest über die Sache kein Urteil erlauben.


    Ich finde es sehr sehr traurig.


    Liebe Grüße amberle

    . :writeKeep smiling, don't be sad, than sadness is so bad, keep smiling and the sun will shine again.:knuddel1

  • @ churchill,


    ich arbeite in einer Heimeinrichtung und ich kenne viele Pflegefamilien, wir alle um jeden Cent kämpfen und Rechenschaft ablegen.
    Ich kreide es auch nicht allen Jugendämtern an, das nicht ihre Arbeit machen, aber in letzter Zeit höre ich den Satz ( kein Geld usw.) einfach zu oft.
    Ich denke es gibt einfach auch Fälle die nicht in eine Pflegefamilie passen.

  • Zitat

    Original von Cassandra79


    Ich denke es gibt einfach auch Fälle die nicht in eine Pflegefamilie passen.


    Absolut richtig. Im Einzelfall die richtige Entscheidung zu treffen, ist wirklich eine große Verantwortung. Aus unserem Kreistag weiß ich, dass nötige Heimunterbringungen nie finanziell diskutiert werden (da sind sich auch alle Fraktionen einig). Geld kann man sicherlich in vielen anderen Bereichen eher sparen. Dass der Satz "es ist kein Geld da" in letzter Zeit häufig zu hören ist, liegt wohl zu einem großen Teil daran, dass alle möglichen Zuschüsse, die "von oben" immer geflossen sind, seit einiger Zeit gewaltig stocken oder ganz ausbleiben...

    „Streite niemals mit dummen Leuten. Sie werden dich auf ihr Level runterziehen und dich dort mit Erfahrung schlagen.“ (Mark Twain)


  • churchill
    Herzlichen Dank für deinen Beitrag. Das ist das Beste was ich bisher zu diesem Thema gelesen habe, einschließlich der Beiträge in den verschiedenen Medien.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Das Problem ist immer die Motivation und die Ausbildung der Mitarbeiter der Jugendämter, es gibt nicht das Jugendamt, sondern nur den jeweiligen Sachbearbeiter, die manchmal auf Aussendienst sind und damit meinen Cafe nicht im Büro sondern im Garten trinken zu wollen und die, die manchmal von morgens sieben bis nachts um 23 Uhr ihre Familien besuchen. Es wird auch beim Jugendamt in Bremen solche von der zweiten Sorte geben.


    Ich bearbeite gerade einen Fall, da hat der Vater sein Kind geschlagen, einen Schlag mit dem Gürtel, weil das Kind Geld geklaut hat. Das hat er sofort bereut und sich auch bei dem Kind entschuldigt. Als das Kind dem Lehrer erklärt hat was passiert war, waren beide Kinder sofort weg, der Vater hat sie einen halbes Jahr eine Stunde die Woche besuchen dürfen, aufgrund des "seltsamen Verhaltens" der Kinder dann garnicht mehr- der Kinderpsychologe hat eine schwere Traumatisierung der Kinder festgestellt- wegen der Trennung vom Vater. Auch kein Einzelfall- deswegen beneide ich die Jugendamtsmitarbeiter die ihre Arbeit ernstnehmen auch nicht um die Verantwortung, die sie haben bei der Abwägung zwischen den Möglichkeiten was ist das beste für das Kind. Alle die es sich zu einfach machen, die ihre Arbeit als Job working nine to five verstehen- die allerdings (um einen anderen Liedtitel zu zitieren) give a one way ticket to the moon.

  • Seufz... hier herrscht mal wieder Stammtischmanier. Eigentlich wollt ich mich aus dem Beitrag raus halten. Kann ich dann aber irgendwie doch nicht.


    Leute Jugendamtmitarbeiter sind Menschen. Menschen mache Fehler, Menschen schätzen Situationen subjektiv ein, dies kann zu schlimmen Folgen führen, aber will man tatsächlich jemanden am Tod eines Kindes schuldig sprechen, weil er die Situation falsch eingeschätzt hat und das Kind nicht den Eltern entzogen hat?
    Mein Gott, wenn ich hier so manchen Beitrag lese, krieg ich echt nen mittelschweren Herzanfall.


    Jetzt wird wieder geschrien, daß man die Kinder aus den Familien raus nehmen soll. Nächste Woche ist dann wieder ein Fall in den Medien, wo das Kind aus der Familie entfernt wurde und die "treusorgende" Mutter herzerweichend weint und da wird dann angekreidet, daß die Jugendämter zu unsensibel und gefühllos sind.
    Die Jugendämter stehen im Schußfeld, egal wie sie handeln, denn feststellen, daß sie richtig gehandelt haben, wird man nicht können, denn niemand kann in die Zukunft sehen und sagen, ja wenn man das Kind nicht entfernt hätte, dann wäre es drauf gegangen.
    Es gibt in der BRD so viele wirklich schlimme Zustände in Familien, ich verstehe den Aufschrei nicht. Ja, da ist ein Kind gestorben, ja das ist schlimm, aber mein Gott, von den 1000en Kindern, denen es in Pflegefamilien gut geht und um die sich gekümmert wird, von denen redet kein Schwein.
    Wo gehobelt wird fallen Spähne.... wenn ich mir teilweise das asoziale Volk so ansehe, dann frage ich mich ernsthaft, warum es nur so selten passiert.


    Ganz ehrlich, Schuld an solchen Dingen hat meiner Ansicht nach nicht das Jugendamt, sondern Mutti und Vati, die es nicht auf die Reihe bekommen sich um ihre 10 in die weltgesetzten Blagen zu kümmern und denen zwischen der Flasche Bier und dem Fußballspiel dann schon mal die Hand oder der Gürtel ausrutscht.
    Mich kotzt diese Weitergabe der Schuld an staatliche Institutionen zusehends an. Ja, das Jugendamt hätte eingreifen müssen/sollen/können. Das hat es aber nicht getan... und jetzt? Meint ihr nicht der zuständige Sachbearbeiter macht sich schon genug Vorwürfe, ohne daß die Öffentlichkeit auch noch ein Faß aufmacht und herumkrakelt, wie beschissen das gelaufen ist?
    Wie war das, wer ohne Fehl ist, der werfe den ersten Stein...

  • Das Kind wird dadurch nicht lebendig. Und ob ihr Rücktrittmoralisch gerechtfertigt war, das wird sie sich nur selbst beantworten können. In wie weit sie involviert war in die Entscheidungen etc. Zumindest sehe ich es so.


    Davon abgesehen hab ich wegen persönlicher Erfahrungen nur sehr wenig Vertrauen in die Jugendämter.

  • Ok.. da ich nichts wirkliches finde, eine vorsichtige Antwort auf Beowulfs Frage.
    Mich persönlich ärgern solche Rücktritte immer massiv. Es kommt mir vor, als wolle man sich der Verantwortung entziehen, dabei soll es ja eigentlich das Gegenteil ausdrücken, eben daß man erkennt Fehler gemacht zu haben.
    Für mich gehört zu dieser Erkenntnis aber auch die Einsicht, daß man etwas verbessern muß. Verbessern kann man nur etwas, wenn man dran bleibt, im Amt bleibt und sich mit der Materie beschäftigt.
    Ein Rücktritt ist für mich daher ein Eingeständnis, daß man sich selbst nicht in der Lage sieht die Situation zu verbessern und das Feld für fähigere Menschen räumt.
    Eine sinnvolle Bewertung dieses Rücktritts kann man daher aus meiner Sicht erst anstellen, wenn man sieht, was dadurch bewirkt wurde. Sprich, wenn man sieht was der Nachfolger aus diesen Vorgängen gelernt hat.
    Normalerweise lernt man aber nur aus Fehlern, die man selbst macht, daher finde ich es eigentlich feige.....


    *kann mir noch wer folgen?*