Im Original: „The Distant Mirror - The Calamitous 14th Century“ ( erschienen 1978 )
Aus dem Vorwort:
"Das Buch ist entstanden, weil ich herausfinden wollte, welche Einflüsse das verheerendeste Ereignis der überlieferten Geschichte auf unsere Gesellschaft gehabt hat - ich meine den Schwarzen Tod, der in der Zeit von 1348 bis 1350 schätzungsweise ein Drittel der zwischen Island und Indien lebenden Bevölkerung hinweg gerafft hat.
Das Ergebnis meiner Nachforschungen ist schwer zu fassen, denn das 14. Jahrhundert war (in den Worten eines Zeitgenossen) so vielen „fremden und übermächtigen Gefahren und Widrigkeiten ausgesetzt“, dass sich seine Wirren nicht auf einen einheitlichen Ursprung zurückverfolgen lassen. Nicht nur die vier Reiter aus der Vision des heiligen Johannes haben ihre Spuren hinterlassen, es sind sieben geworden: Seuche, Krieg, Steuern, Räuberei, Misswirtschaft, Aufruhr und Kirchenschisma haben das Jahrhundert geprägt. Bis auf die Seuche selbst entstammte all dies einer Zeit, die vor dem Schwarzen Tod lag, und es dauerte an, als die Seuche vorüber war. [...]
Die fünfzig Jahre nach dem schwarzen Tod sind der Kern dessen, was ich einen zusammenhängenden historischen Zeitabschnitt nennen möchte. Er hat von 1350 bis 1400 gedauert, vielleicht einige Jahre länger. Um den Gegenstand einzuengen und mein Thema in den Griff zu bekommen, habe ich das Leben einer authentischen Person zu Medium meiner Untersuchung gemacht. Neben dem menschlichen Interesse hat dies den Vorteil, dass ich näher an der Realität bleibe. So bin ich nämlich gezwungen, den konkreten Umständen und Abschnitten einer mittelalterlichen Lebensgeschichte zu folgen, mag dies Leben führen, wohin es will, und es führt, so meine ich, zu einer getreueren Schilderung der Zeit, als wenn ich ihr meinen eigenen Plan aufgezwungen hätte.
Es handelt sich dabei weder um die Lebensgeschichte eines Königs noch einer Königin, weil alle solche Hoheiten in sich schon außergewöhnlich sind und, das sei nur nebenbei bemerkt, weil sie schon zu abgegriffen wirken. Es geht aber auch nicht um einen einfachen Zeitgenossen, weil diese alltäglichen Lebensgeschichten nicht so umfassend sein können, wie ich es wollte. Ich habe auch keinen Klerikalen oder Heiligen ausgewählt, weil sie sich außerhalb der Grenzen meines Verständnisses bewegen. Auch habe ich Frauen gemieden, da jede mittelalterliche Frauengestalt, deren Leben in einer angemessenen Form überliefert ist, atypisch wäre.
Die Wahl ist nun eingeschränkt auf die Gruppe der Männer des zweiten Standes - auf den Adel -, und sie ist schließlich auf Enguerrand de Coucy VII. gefallen, den letzten einer großen Dynastie und den „erfahrensten und klügsten aller Ritter Frankreichs“*. Sein Leben (1340 - 1397) deckt sich mit dem Zeitabschnitt, dem meine Untersuchung gilt. Außerdem scheint er wie für meinen Plan vorherbestimmt, angefangen von dem Tod seiner Mutter in der Zeit der Seuche bis hin zu seinem sehr passenden Tod in der kulminierenden Katastrophe des Jahrhunderts."
*hier wird Froissart zitiert, der wichtigste Chronist des 14. Jahrhunderts, zu dessen Gönnern und Förderern Coucy zählte. Insbesondere durch Froissart erhält Tuchmans Buch eine große Fülle von Material, aber Coucy war ein so wichtiger Mann der französischen Politik, dass es auch viele andere Quellen und Belege gibt.
Die Autorin:
Barbara Tuchman wurde 1912 in New York geboren. Sie studierte am Radcliffe College, wurde dann Korrespondentin der 'Nation'. Für zwei ihrer Werke wurde sie mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet: 1963 für 'August 1914' und 1972 für 'Sand gegen den Wind'. Barbara Tuchman ist 1989 verstorben.
Meine Meinung:
Frau Tuchman arbeitet mit vielen Quellen. Alle Zitate sind belegt (alle Quellenangaben am Ende des Buches, keine Fußnoten, was der Lesbarkeit zugute kommt). In meiner Ausgabe von 1985 sind auch noch verschiedene Gemälde etc. abgedruckt, die Frau Tuchman im Buch auswertet.
Trotz der Detailfülle ist ein gut lesbares Werk entstanden, das mir als Leser die großen Ereignisse des 14. Jahrhunderts verständlich macht, und erst recht die Verfassung der brüchiger werdenden Ständegesellschaft. Wie viele Zusammenhänge werden dadurch klar!
Die typisch journalistische Idee, die Zeitgeschichte anhand einer Person darzustellen, ist sehr überzeugend. De Coucy verkehrt mit Königen, Päpsten und Briganten, ist oft der Beauftragte mächtiger Herzöge, ist Heerführer und Diplomat. Er wird kurz vor der Pest geboren und stirbt auf dem letzten Kreuzzug. Zudem ist er einer der wenigen, dessen Handlungen auch im Licht unserer Zeit „vernünftig“ erscheinen.
Wer -wie ich - mehr über die Zeit wissen will, in der Rebecca Gablés Romane "Das Rad der Fortuna" bzw. "Der König der purpurnen Stadt" spielen, macht mit diesem Buch einen exzellenten Griff.
GleichSamm