Zwanzig Jahre und ein Tag – Jorge Semprún

  • Originaltitel: Veinte anos y un dia


    Klappentext:
    Jahr für Jahr hält die herrschaftliche Familie Avendaño eine seltsame Bußzeremonie ab, mit der der Erschießung des jüngsten Sohns zu Beginn des Bürgerkriegs gedacht wird. Nun, zwanzig Jahre später, soll diese Zeremonie nach dem Willen der Witwe zum letzten Mal stattfinden. Unverhohlen brechen die politischen – und erotischen – Spannungen innerhalb der Familie auf, wird der Leser hineingezogen in eine tragische Familiengeschichte, die für die Zerrissenheit eines ganzen Landes steht.


    Semprúns neuer Roman ist nicht nur eine virtuos vor- und zurückblätternde Familienchronik, sondern auch ein Roman voll knisternder Erotik und einer die Generationen verbindenden Sinnlichkeit, die mit stets neuen Wendungen bis zur letzten Seite für Überraschungen gut ist.


    Zum Autor:
    Jorge Semprún wird am 10. Dezember 1923 in Madrid geboren. Mit 14 Jahren muss er bei Beginn des spanischen Bürgerkrieges mit seiner Familie nach Paris fliehen. Dort besucht er das Lycée Henri IV und studiert Philosophie an der Sorbonne. 1941 tritt er unter dem Pseudonym "Gérard" der kommunistischen Résistance-Bewegung "Francs-Tireurs et Partisans" bei. Die deutsche Gestapo verhaftet ihn 1943, und Semprun wird in das KZ Buchenwald deportiert. Befreiung 1945 und Rückkehr nach Paris. Ab 1953 koordiniert er als Mitglied des ZK der spanischen Exil-KP im Geheimen den Widerstand gegen das Franco-Regime in Paris. Unter dem Pseudonym Federico Sánchez arbeitet er zwischen 1957 und 1962 im Untergrund der kommunistischen Partei im franquistischen Spanien. 1964 wird er wegen Abweichung von der Parteilinie aus der KP ausgeschlossen. Seitdem widmet sich Semprun seiner schriftstellerischen Tätigkeit.
    In den sechziger Jahren wird er erstmals als Drehbuchautor bekannt; mit berühmten Filmen wie beispielsweise "La guerre est finie" (Der Krieg ist aus) von 1966, "Z" (Z) von 1968 und "L'aveu" (Das Geständnis) von 1970.
    Nach seiner Amtszeit als spanischer Kultusminister von 1988 - 1991 lebt Jorge Semprún in Paris.
    1994 erhält Jorge Semprún den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.



    Meine Meinung:
    Von Semprúns Büchern Der weiße Berg, Die große Reise, Die Ohnmacht und Unsre allzu kurzen Sommer war ich stets stark beeindruckt.
    Sein Roman Zwanzig Jahre und ein Tag von 2003 ist im August 2006 als Taschenbuch erschienen.
    Es ist ein vielschichtiger, dichter Roman, an dem ein unkonzentrierter Leser grandios scheitern kann.


    Bei diesem Roman bereitet die komplizierte Erzählstilistik dem Leser einige Mühen, obwohl er klug gewählt ist.


    Es ist zu Beginn schwierig herauszufinden, wer eigentlich der Erzähler ist. Hinzu kommen oft unangekündigte Zeitsprünge zwischen 1936 und 1956 und später sogar 1985, so dass der unaufmerksame und flüchtige Leser (also z.B. ich) manchmal nicht weiß, in welcher Zeit die Handlung gerade spielt. Das macht aber auch den Reiz und die Herausforderung des Romans mit aus.


    Ich glaube, es ist ein sehr spanischer Roman eines Autors, der seine fiktionalen Romane bisher immer auf Französisch schrieb.
    Immer wieder sind es kleine, sehr gelungene Episoden, die den Leser bei der Stange halten.
    z.B. das Ankommen des amerikanischen Historikers Michael Leidson, Mercedes Hochzeitsreise, die inzestuöse Liebe ihrer Kinder Lorenzo und Isabel, kurze Auftritte von Ernest Hemingway und Garcia Lorca.
    Viele Figuren sind sehr gelungen: Mercedes, Isabel, Lorenzo, Michael Leidson, die offenherzige Dienstmagd Raquel, der fanatische Francotreue Kommissar Roberto Sabuesa oder Eloy Estreda.


    Der Erzähler Federico Sanchez ist zunächst kaum fassbar, bis überraschend spät (dem wirklich geedelten Kapitel 6) 1985 Semprun selbst als Figur im Gespräch mit Michael Leidson auftaucht und sich als Federico Sanchez, einem seiner Pseudonyme als Untergrundkämpfer in Spanien, zu erkennen gibt.
    Dort erläutert er fast postmodern in den Worten des Historikers Leidson auch seinen Schreibstil:
    Zitat: „Da ich Historiker bin“ sagt Leidson, „werde ich es dir nicht erzählen, wie du erzählst, ungeordnet, in Assoziationen von Gedanken, Bildern oder Augenblicken, rückwärts, vorwärts …“


    Mit fortschreitenden Lesen, wird der geduldige Leser allmählich in Sempruns Erzählsog voller atmosphärischer Opulenz hineingezogen und so für anfängliche Anstrengung belohnt.