Viele Neuerscheinungen - wenig Auswahl bei den öffentlichen Besprechungen?

  • Jedes Jahr gibt es über 100.000 Neuerscheinungen. Und jedes Jahr werden nur ein paar wenige Bücher in den Feuilletons, in den Bücherzeitschriften, in den Büchersendungen besprochen, gelobt oder verrissen.


    Ich frage mich da:


    Gibt es nur so wenige Bücher, die es wert sind besprochen zu werden?


    Meint Rezensent A er muss auch das "ach so tolle" Buch vorstellen, dass Rezensent B schon so hervorragend gefunden hat?


    Wieso beachtet kaum jemand die Bücher und/oder Autoren der Longlist des Deutschen Buchpreises? (Die ich übrigens sehr interessant fand, die Zusammenstellung, die Bücher und Autoren, die darauf Platz gefunden haben.)


    Schaffen die Rezensenten nicht mehr Bücher zu lesen, als die, die man diese Saison "gelesen haben muss?"


    Oder sehe ich das Ganze vielleicht falsch und diese Bücher tauchen zwar überall auf, aber fast überall, immer dort wo mehr Platz und Zeit zur Verfügung steht, werden auch andere Bücher vorgestellt und in diesem "zusätzlichen" Bereich trifft man dann auf die Abwechslung?



    Wie empfindet ihr die Auswahl der Bücher, die in den Medien rezensiert werden? Sind es die richtigen Bücher? Ist die Auswahl groß genug? Haben die meisten Rezensenten den gleichen Geschmack? Oder gibt es doch noch Sparten, die auf Bücher jenseits des intellektuellen Mainstreams vorstellen? Heidenreich? Fröhlich? Lippe? Das bücher-Magazin?


    Nicht, dass ein falscher Eindruck entsteht: Viele dieser Bücher, die derzeit überall besprochen werden, interessieren mich sehr! Aber durch die restlichen 985.000 muss sich der Leser dann doch selber wühlen um zu finden was er sucht.


    Ist dieser Thread überflüssig? Habe ich mir meine Fragen schon selber beantwortet? Ist es nicht klar, dass die Bücher der Shortlist des Deutschen Buchpreises überall besprochen werden (sollten)?


    Egal. Ich stelle diesen Thread jetzt einfach mal ein und bin gespannt auf eure Meinungen. :-)

  • Sehr interessante Fragen, die du hier stellst, Ronja. Ich bin gespannt, ob es Eingeweihte gibt, die uns eine Antwort geben können. Meine Vermutung ist ja: Die Bücher, die die Verlage am aggressivsten vermarkten, werden am häufigsten rezensiert. Und dann kommen noch die ganzen Bücher aus dem Gastland der Buchmesse hinzu.


    Und danke, du hast mich daran erinnert, dass ich mir die ganzen Sonderausgaben zur Buchmesse kaufen wollte!!!

  • Ich denke auch, dass das meiste von den Verlagen gesteuert wird. Nur selten ist mal was dabei was jemand aus persönlichem Antrieb vorstellt.

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    Grüßle, Heaven


    Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen. (Goethe) ;-)

  • Ronja


    so ganz versteh ich die Frage nicht.


    Wer ist 'kaum jemand', die oder der die Long - resp. Shortlist des Deutschen Buchpreises nicht beachtet? Oder die des Booker-Preises oder anderer?
    Eben diese Titel wurden in allen großen Zeitungen und auch Internet breit besprochen.


    Ob diese Bücher dem 'intellektuellen' Mainstream entsprechen, wer kann das sagen? Darf das sagen??
    Es geht nicht um 'Intellektualität' (warum wird das eigentlich wieder so zum Schimpfwort??), sondern um Literatur. Die hat eigene Gesetze, folgt eigenen Gesetzmäßigkeiten. Ein Teil der Titel auf den Preislisten entspricht diesen Gesetzmäßigkeiten.
    Darüber informieren eine Reihe von Literaturzeitschriften, die man lesen muß.


    Dann befinden sich unter den 100 000 Titeln auch Sach - und vor allem Tausende von Fachbüchern, darunter hochspezialisierte für einen extrem kleinen Interessentenkreis.


    Daß Bücher bevorzugt besprochen werden, wenn sie dick beworben werden, trifft vor allem auf die Unterhaltungsliteratur zu. Das sind Massenerzeugnisse, oft genug vom Fließband. Und wie Joghurt Nr. 347 den VerbraucherInnen besonders anempfohlen werden muß, weil sie es sonst unter den anderen 346 gar nicht mehr bemerken, so werden eben bestimmte Titel von dem Marketing-Abteilungen beworben. Den Endverbrauchern aufgedrückt.


    Die Rezensionen sind Teil des Marketings.


    Was den Alltag in Zeitungs - oder Zeitschriften - Redaktionen betrifft:


    die wissenschaftlichen arbeiten sehr langsam, wenn man da etwas über Neuerscheinungen zu lesen bekommt, bedeutet 'neu' im Durchschnitt drei Jahre alt. Online sieht das wenig besser aus.



    Die Tagespresse dagegen erstickt schier unter das Last der eingesandten Rezensionsexemplare. Alle zu besprechen gelingt keiner Redaktion. Die meisten landen gleich im Schrank und werden an Weihnachten unter den MitarbeiterInnen verteilt.
    Einige Verlage reagieren seit Jahren darauf und schicken Rezensionsexemplare nur noch auf Anfrage. Angesichts der schieren Mengen, die von anderen weiterhin eingesandt wird, verlangt kaum eine noch ein Exemplar.
    Es gibt auf der anderen seite auch schon Redaktionen, von ganz kelinen Zeitungen z.B., die ausrücklich auf Rezensionsexemplare verzichten.


    Was mich persönlich betrifft:


    mir reicht es völlig, was ich durch tägliche Besprechung im Radio (jeden Tag ein Buch), durch eine Literaturzeitschrift, hier im Forum und schließlich im Bekanntenkreis mitbekomme. Damit bin ich de facto schon überfordert. (Fachlich jetzt mal nicht miteingerechnet)
    Noch mehr Information über Bücher könnte ich nicht aufnehmen.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Ja, Ronja, manchmal kommt es mir so vor, als ob ich überall die selben Buchbesprechungen lese. Bei Elke Heidenreichs "Lesen" sind häufig Bücher dabei, von denen ich noch nichts gehört habe, aber da sind auch oft welche darunter, die mich nicht ansprechen.


    Magalis Beitrag dazu ist sehr interessant.


    Schlußendlich ist jeder selbst gefordert, aus der Masse das heraus zu filtern, was dem eigenen Geschmack oder Interesse entspricht.


    Bei den Eulen haben wir ja sehr vielseitige Geschmäcker und auch viele, die neue Bücher vorstellen, so dass ich für mich nicht befürchte, irgendwas zu verpassen.

  • Hmmh, die Frage von Ronja ist schon recht spannend. Vieles hat magali ja schon genannt, man sollte sich wirklich vor Augen führen, dass von den "100 000" Neuerscheinungen extrem viele Fachliteratur-Ausgaben sind, dann kommen unzählige regionale Ausgaben - Regionalkrimis, lokalhistorische und -kulturelle Bändchen - und sonstiger Kruscht dazu. Der Kernbereich Belletristik schrumpft da schon mal zusammen. Freilich: Es bleibt noch ein ordentlich großer Rest und tatsächlich gibt es dann bei den Besprechungen zu diesem Sektor die Tendenz, dass sich die veröffentlichte Meinung auf einen kleinen (wohl gut vermarkteten) Bereich mit einer Handvoll Bücher einschießt. Upps, was für ein martialischer Begriff, sorry. Es gibt ein paar "Leitmedien", die bundesweit Themen setzen, machen wir uns da nix vor. Und viele kleinere Medien ziehen diese Vorgaben weitgehend nach, weil sie es sich nicht leisten können, völlig abseits zu stehen, und weil sie sich, ganz einfach, keinen medienpolitischen Individualismus leisten können. Was die Agenturen liefern, was der eh schon unter Vertrag stehende Korrespondent noch mitliefert, ist einfach billiger, als sich in der Redaktion einen dickköpfigen Querdenker zu leisten ... wie es vielleicht ein magälchen wäre .... ;-)


    Okay: Da bleibt sicherlich manch' Interessantes auf der Strecke. Aber es hat auch Vorteile (und das meine ich jetzt nicht gänzlich zynisch ...): Zum einen ist es kaum noch möglich, in der täglichen Info-Flut den Kopf über Wasser zu halten; eine gewisse breit transportierte Vorauswahl hilft vielen dabei, überhaupt noch ein Buch in die Hand zu nehmen. Und zum anderen dient dies einer Art "Kanon"-Bildung in der Diskussion; die "Kulturnation" kann sich somit im Disput über Literatur auf eine bestimmte Auswahl begrenzen - und sich somit auch "finden". Nicht zuletzt dieser identitätsstiftenden Wirkung wegen gibt es ja auch Preise - vom Nobelpreis bis hin zum Deutschen Buchpreis - und letztlich auch die großen Büchermessen in Frankfurt und vielleicht noch mehr in Leipzig. Man trifft sich, man spricht über die gleichen Themen, man bringt die gleichen Themen nach vorn - und schafft so Gemeinschaft.
    Liebe Grüße
    Columbo

  • Ich habe den Eindruck, dass die "Macher" im deutschen Literaturbetrieb ein recht überschaubarer Kreis sind. Dazu gehören die Cheflektoren der großen Verlage, die Verlagsleiter, die Marketingleiter, die tonangebenden Rezensenten. Man kennt sich, und das seit Jahren oder Jahrzehnten.
    Das wiederum führt dazu, dass einige Bücher gezielt platziert werden. Reich-Ranicki hat mal in einem Interview erwähnt, dass der Chef von Suhrkamp ihm immer wieder Bücher aufschwatzt. Solche Lobbyarbeit gehört ja auch zu dessen Job - auch das ist Marketing.
    Wenn meine Annahme mit dem überschaubaren Kreis von Personen stimmt, die in diesem Spiel mitmachen (können/ dürfen), dann ist auch klar, dass nur eine vergleichsweise geringe Anzahl von Büchern diese Art der persönlichen Förderung erfahren kann. Das ist meine Erklärung für die verhältnismäßig kleine Zahl von rezensierten Titeln.

  • Sehr interessantes Thema. Ich bin auch immer wieder erstaunt über die Massen an Büchern die jährlich neu erscheinen (oder wie jetzt zur Buchmesse :wow ) und sich da zu orientieren ist wirklich nicht leicht. Ich denke mir manchmal... vielleicht gibt es irgendwo dort draußen DAS Buch, dass dir besser gefallen würde als alle anderen und du wirst es nie finden. (wie in jedem anderen Lebensbereich halt auch *g*)


    magali
    Welche Literaturzeitschrift liest Du? Sowas würde mich nämlich auch interessieren, ist mir aber (zumindest bewußt) nie über den Weg gelaufen.

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda