Kartoffelchipsparty
Mütter und Söhne sind so ein Thema. Ich und Männer sind auch so ein Thema.
Vermischen darf man diese Themen nicht -das ein absolutes TABU!- und wenn man das doch macht- unvernünftigen Müttern wie mir passiert sowas, dann rächt es sich.
Ich hatte Liebeskummer. Das konnte ich ganz gut bändigen und unterdrücken und damit auch gut schlafen gehen. Alles im Griff und im grünen beherrschbaren Bereich. Tageslichtgebändigt.
Mitten in der Nacht aber- zack- war es aus mit dem im Griff haben und dem Unterdrücken und dem Bändigen. Das Unglück fiel über mich her, biss mir seine Zähne ins Genick und beutelte mich solange, bis ich wach war. Ganz wach und ganz unglücklich. Ich habe gegrübelt, gehadert und die schwersten Selbstanklagen gegen mich erhoben.
Richtig hilfreich sind solche Gedanken ja nicht, das wusste ich schon, aber ich bekam sie auch nicht los. Schon gar nicht des Nachts....da blähte sich dann alles auf, bis ich völlig am Boden zerstört und zu einem miesen Wurm mutiert war.
Irgendwann habe ich das Licht angemacht und gelesen, nur um mich abzulenken. Aber in meinem Kopf lief das Gedanken-Hamster-Rad weiter und weiter und weiter...unaufhaltsam und nicht zu bremsen, eine Art dagmar - Selbstvernichtungsprogramm.
Gefühle! man will sie unbedingt und wenn man sie hat, sind sie auch nicht recht.
Ich war in einem ganz schlechten Zustand und das war Pech für meinen Sohn, der dann nach Hause kam.
Mein Söhnchen -der Süße!-, kurz vor seinem achtzehnten Lebensjahr nimmt er alles mit, was man in diesem Alter so tun und nicht lassen kann. Das sind sicher mal alles ganz nette Geschichten für später, wenn ich denn dann mal zahnlos und klapprig und weise bin. Jetzt ist es gerade etwas stressig. Denn wenn Söhne JEDEN Müll machen, den sie nur machen können, hält sich die Begeisterung einer Mutter im Rahmen.
Als er da heim kam, war es spät. Richtig spät. Draußen war es eisig und kalt und Lennie -eigentlich Leonard- war nicht mehr ganz zurechnungsfähig. Freitagnacht + Party + Alkohol= ??
DAS war nochmal sein Pech, denn sein natürliches Gespür für Mütterstimmungen war gänzlich ausgeschalt. Sonst hätte er einen großen Bogen um mich gemacht. Die unsichtbare Gefahrenampel über meinem Kopf stand auf *rot* und er hat es nicht bemerkt.
Er kam völlig arglos zu mir - ‚oh guck mal an, meine Mutter ist noch wach.(Wie oft ist die Mutter um drei Uhr nachts wach und liest? Das hätte ihm zu denken geben sollen.) Wie praktisch, denn ich bin gerade auf mein Knie gefallen, das tut weh und das könnte ich ihr doch gerade mal zeigen!‘
Es prallen also aufeinander folgende Darsteller: DER ‚Mama-puste-mal‘ und DIE ‚Liebe-ist-grausam‘.
Das geht nicht konform.
Nach einem flüchtigen Blick auf sein Knie (häh?), habe ich ihn nur tief und schwer leidend angeschaut. Und geseufzt. Tief geseufzt. Ganz schwer geseufzt. Also, das wir uns hier richtig verstehen: ganz schwer und sehr leidend und überhaupt aus ganzem Herzen GESEUFZT!
Hat er nicht mitbekommen der Gute, immer noch völlig vertrauensselig fiel sein Blick von seinem verbeulten Knie auf meine (!) Kartoffelchips und er war hocherfreut.
Bei uns herrscht eiskalter gefrässiger Futterneid. Kaufe ich Süßigkeiten, dann verschwindet es aus dem Küchenschrank. Sofort und ins unendliche Nirwana.
Drei Kinder - eine Mutter. Ich unterliege natürlich. Aber nicht kampflos, denn ich verstecke. Schokolade und Chips ausschließlich für mich und schlechte Zeiten.
Meine Freundinnen sind sich alles einig - VERSTECKEN! - ganz schlecht!- ... die denkbar miserabelste Mutter- und Erziehungsposition! Ich soll, wenn Verbote schon nichts helfen, wenigstens große Schilder : *DAS ist meins!!!!! dagmar* anbringen und das müsste die gefräßige Meute bändigen. Tut es nicht.
Ich verstecke also und meine Kinder suchen. Heimlich. Ein lautloser und stillschweigend geführter Kampf. Ich bin erfinderisch und die Chips, die ich jetzt da nachts bei mir liegen hatte (statt Mann) und zum Trost gefuttert habe, lagen schon seit Ewigkeiten zwischen meinen Unterhosen.
Andere Leute verstecken da Geld, ich Kartoffelchips.
Mein Sohn hat sich eine Schüssel besorgt, um sich etwas abzuzwacken (mit der ganzen Tüte konnte er ja wohl kaum abziehen) und sieht IMMER noch nicht seine nervlich völlig zerrüttete Mutter. Eigentlich unverständlich. Erst als er mit dem Umfüllen begann, habe ich zu ihm gesagt, mit Grabesstimme: „Es ist Schluss! Vorbei für immer und ewig!"
Ich sah genau, was in ihm vorging. Das war ein übler Schock und pures Entsetzen. Der Sohn erstarrte kurz und handelte blitzartig. Überlebensreflexe funktionieren auch noch im angedusselten Zustand und die Chipstüte wurde gekippt, die Schüssel gepackt und schon war er auf der Flucht. Das waren Mikrosekunden.
Nanosekunden.
Aber ich hatte ihn in meiner Kralle und er war verloren, denn ich war in bester -d.h. schlechtester- Stimmungslage und wach und nüchtern und tendiere zum dramatisieren.
Ich weiß, sowas macht man nicht.
Nicht mit Männern und nicht mit Söhnen und schon gar nicht mit Sohn Leo. Es hat sich ja auch gerächt, ich hätte mal besser mit der Katze geredet. Meine Strafe folgte auf dem Fuß.
„Sag mir, was ist gut an mir!", habe ich ihn aufgefordert. „Warum könnte man mich lieben?"
(SO schlimm, aber das habe ich wirklich gesagt! und ich wollte eine vernünftige Antwort und Trost und Liebe und...)
Ich habe ein Hochbett und an der Stelle fing mein Kind an dasselbige zu verlassen, rückwärts und schnell und OHNE irgendwelche Stufen zu benutzen, gerade noch die Schüssel in der Hand balancierend.
Immerhin und eigentlich nett, hat er noch seinen benebelten Kopf zermartert und sich bemüht mir eine Antwort zu geben.
„Ähm,.... du bist intelligent, du rauchst nicht, nimmst keine Drogen -außer Kaffee!- Du trinkst nicht mal Alkohol! Das ist schon ganz schön gut!", sprach mein Sohn und verschwand.
KEINE Drogen? DAS ist das Gute an mir???
Ich sprach dann doch noch mit der Katze.
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ich danke für das Lob! bin ganz überrascht, dagmar