Alle Menschen sind sterblich - Simone de Beauvoir

  • Fosca erhält im Jahr 1279 durch Zufall einen Trank, der ihn unsterblich macht.
    Das vermeintliche Glück wandelt sich im Verlauf von 7 Jahrhunderten zum Fluch. Alle Menschen, die Fosca etwas bedeuten, sterben im Laufe der Zeit. Und er selber hat alle Mühe, sein Geheimnis zu bewahren, um nicht Entsetzen und Abscheu zu erregen. Nebenher erlebt man einen schönen Querschnitt durch die Geschichte.


    Das Problem der Unsterblichkeit: ist sie erstrebenswert oder ein Fluch. Für uns "Normalsterbliche" wohl ein Privileg. Aber Simone de Beauvoir bringt mich zum Nachdenken.
    Ihr Schreibstil ist brilliant und die Geschichte unheimlich fesselnd.


    Eine uneingeschränte Empfehlung von mir!

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde

  • Ich hab grad mal die Rezensionen überflogen. Es scheint ein interessantes Buch zu sein. Was für ein Wahnsinn, in der Unsterblichkeit gefangen durch 7 Jahrhunderte zu irren!

  • Wenn ich mein anderes Buch von Simone de Beauvoir "Das andere Geschlecht" gelesen habe, werde ich mir dieses hier vielleicht auch besorgen.


    Interessant hört es sich ja an. Werde es auf alle Fälle schon mal auf meine Liste setzten.

  • Zitat

    Original von Ronja
    Wenn ich mein anderes Buch von Simone de Beauvoir "Das andere Geschlecht" gelesen habe, werde ich mir dieses hier vielleicht auch besorgen.


    Obwohl sich Das andere Geschlecht bei weitem nicht so flüssig liest wie der Roman. Aber immerhin ist das auch ein Sachbuch, das manche die "Bibel der Frauenbewegung" nennen.

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde

  • Es ist unglaubliche 20 Jahre her, dass ich dieses Buch gelesen habe, aber es hat mich so nachhaltig beeindruckt, dass ich mich noch heute sehr gut an die Geschichte erinnern kann!


    Wer das gelesen hat, wird sich niemals wünschen, unsterblich zu sein. Ein sehr gutes Buch!


    Die Waldfee

  • Hallo, Waldfee.


    Bei mir ist es, glaube ich, auch knapp zwanzig Jahre her, vielleicht sogar ein bißchen mehr, aber ich erinnere mich auch noch ziemlich intensiv an das Lesegefühl. Großartiges Buch - ich werd's mir bald nochmal schnappen.

  • Der Schreibstil, die Geschichte um Fosca und seine Unsterblichkeit, die lebendigen Dialoge, das alles hat mir sehr gut gefallen.


    de Beauvoir hat mich davon überzeugt, dass auf ewig leben ganz sicher nicht das Richtige für mich wäre :grin


    Fosca wird durch Jahrhunderte der Schlachten und Bürgerkriege begleitet.


    Ich sehe ein, dass gerade diese Kriegsszenen den Kontrast zu seiner Unsterblichkeit darstellen: nämlich die "normalen" Menschen, die in den Kriegen sterben und ein Leben führen "wie die Eintagsfliegen" und Fosca, dem keine Verletzung etwas anhaben kann. Dennoch waren mir diese Schlachten und strategischen Züge und Gedankengänge zur Kriegsführung etwas zu umfangreich.


    Absolut interessant hingegen fand ich die Beziehungen, die Fosca zu den unterschiedlichsten Menschen gepflegt hat. Wie diese mit ihrem Leben und der Tragik des Todes umgehen, wie Fosca dahingegen mit seiner Unsterblichkeit ebenso unglücklich ist. Das hat für mich irgendwie die Hauptessenz des Buches ausgemacht und davon hätte ich mir noch einen Tick mehr gewünscht, dafür weniger Kriegsschauplätze.

  • Danke, mina, fürs Herauskramen des Threads! :-)
    Mir gings (vor 20 Jahren) genau wie dir: das Buch hat jeglichen Reiz von Unsterblichkeit für mich zerstört. Und am meisten haben auch mich die Beziehungen Foscas zu den Menschen, die er geliebt hat, fasziniert, wie er z.B. das Mitaltern vortäuschen musste.

    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das nicht allemal das Buch.
    Georg Christoph Lichtenberg


  • Taschenbuch, Du hast Recht! Das fand ich auch sehr beklemmend.


    Habe mir sowieso gedacht, was wäre eigentlich, wenn die Menschheit irgendwann aussterben würde, die Erde explodiert oder keine Ahnung was...dann würde Fosca vielleicht durchs Weltall schweben auf alle Ewigkeiten :wow

  • Inhalt:


    Frankreich in den 1920er Jahren.
    Die Schauspielerin Regine steht kurz vor ihrem beruflichen Durchbruch und genießt ihren Ruhm sowie die Aussicht darauf, durch ihr Werk unsterblich zu werden. Sie ist ganz Kind ihrer Zeit - Amüsement, Selbstdarstellung und eine hedonistische Lebensführung bilden ihren Lebensmittelpunkt.


    In einem Gasthaus in der Provinz trifft Regine auf einen Mann, der tagelang unbeteiligt in einem Gartenstuhl liegt und nichts tut. Sie ist fasziniert von seiner totalen Reglosigkeit und seinem Gesicht, das "unbewegt wie das eines Toten" ist. Er ist ihr ein Rätsel, das sie lösen muss. Sie setzt alles daran, ihn kennenzulernen und hat Erfolg.


    Bei dem Mann handelt es sich um Fosca, einen Italiener, der 1279 in der Stadt Carmona geboren wurde. Durch einen Zaubertrank gewinnt er auf der Höhe seiner Macht die Unsterblichkeit - ein Geschenk, das sich im Laufe der Jahrhunderte zu einem Fluch für ihn und die mit ihm verbandelten Personen verwandelt.


    "Alle Menschen sind sterblich" ist der Lebenbericht dieses Menschen und seiner Auseinandersetzung mit der (Un)Sterblichkeit. Dabei nimmt er den Leser mit auf eine Zeitreise in das 13./14. Jahrhundert (Italien), das 15. Jahrhundert am Hof des Kaisers Maximilians und später seines Enkels Karls V. Danach schaut er sich den neuentdeckten Kontinent an - nach Südamerika folgen Nordamerika und Kanada.
    Auch dort findet er nicht sein Glück. Er kehrt nach Europa zurück und erlebt in Frankreich zwei Revolutionen mit. Nach der letzten versetzt er sich in einen sechzigjährigen Schlaf - mit dem Ziel nicht mehr mit den Geschicken der Menschen behelligt zu werden. Eines hat er gelernt - er hat mit dem menschlichen Streben nichts gemein. Und obwohl er ein Fremdkörper ist, muss er akzeptieren, dass er er sich zwar zeitweilig zurückziehen, aber nicht für immer allein bleiben kann.


    Meine Meinung:


    Dies ist ein Roman, für den man sich Zeit nehmen muss. Er liest sich nicht nebenbei, gibt dem Leser dadurch aber sehr viel!


    Fosca ist ein Machtmensch, dessen Geltungsstreben und Wunsch nach einer besseren Welt in seiner Suche nach Unsterblichkeit mündet. Er hat realisiert, dass ein Menschenleben nicht ausreicht, um eine gerechte Welt zu schaffen. Als ihm eines Tages tatsächlich ein Trank das ewige Leben verspricht, trinkt er diesen. Er lebt von nun an, ohne zu altern. Natürlich sterben bald alle seine Bekannten. Er vergräbt sich in seiner Arbeit: dem Streben nach einem gerechten Staat. Dieses Werk im Kleinen reicht ihm aber bald nicht mehr - für eine Lösung auf großer Ebene ist es nötig Bündnisse zu schaffen und die Kleinstaaterei aufzugeben. Der Kaiser Maximilian scheint ihm dafür die geeeignete Person zu sein und so bietet er sich ihm als Berater an.
    Dieser Ortswechsel ist auch eine Flucht vor seiner Vergangenheit, merkt er doch zunehmend, dass er in seiner eigenen Stadt (Carmona) nur noch ein Fremder ist.


    Bald muss er erkennen, dass auch ein Kaiser nicht der absolute Herrscher ist, sondern auf verschiedenste Interessen Rücksicht nehmen muss. Enttäuscht wendet er sich neuen Abenteuern zu. Aber egal, was er wählt, er scheitert immer wieder mit seinen langfristigen Plänen.


    Der Ton des Romans ist nachdenklich und resignierend. Teilweise hat er mich förmlich nach unten gezogen, aber dann wieder vergisst man das Traurige, weil die Handlung so spannend ist! Die existentialistische Einstellung der Autorin scheint immer wieder durch. Im Mittelpunkt steht immer wieder die Frage danach, was den Menschen eigentlich ausmacht. Fosca rätselt viele Jahrhunderte lang darüber nach, was die Menschen in seiner Umgebung antreibt, sich unglücklich zu machen. Er kann es nicht verstehen und versucht seine Lieben entgegen ihres Willens zu retten. Im 19. Jahrhundert lernt er aber die Antriebskräfte der Menschen zu verstehen:


    Zitat

    Es war weder Hochmut noch Narrheit; soviel verstand ich jetzt. Sie waren Menschen, die ihr Menschengeschick erfüllen wollten, indem sie sich ihr Leben und ihren Tod selber wählten, sie waren freie Menschen.
    S. 284


    Fosca begreift zunehmend seine Unfreiheit und will sich vom Leben zurückziehen. Wird er - wie am Anfang darin durch Menschen wie Regine - gestört, versucht er sich jedweder Anteilnahme zu erwehren. Wird sein Geist erst wieder lebendig, kann er sich (verständlicherweise) einer gehörigen Portion Melancholie nicht entziehen. Sein Leben gestaltet sich immer wieder wie ein Kampf gegen Windmühlen.


    Der Epilog ist sehr toll konstruiert und war für mich das "Tüpfelchen auf dem i".