Das Terrarium
Meine Tochter hatte etwas gut bei mir. Sie ist elf, heißt Marie und hat ihren eigenen Kopf. Was gut ist im Prinzip, aber sie will nicht immer das Gleiche wie ich... und wenn man mit vielen guten Argumenten und *ich-bin-deine-Mutter! -deshalb-musst-du-tun! -was-ich-dir-sage!* völlig scheitert, muß man zu anderen Methoden greifen.
Sehr gut bewährt haben sich in solchen Fällen: Erpressungen, Drohungen und Bestechungen.
Das Letzte ist das Beste, vor allen, wenn sich das Kind mal wieder in eine InteressenPhase hinein gesteigert hat. Was sie zum Glück IMMER tut und so kann man sich dann annähern. Ich und meine Wünsche ihr, denn Marie muss sich mir nicht annähern.
Sie hatte da eine Phase... die ~der fleischfressenden Pflanzen~ .... (momentan hängt sie in der ... ~ Greifvogel sind toll und ich möchte einen Weißkopfseeadler! für mich alleine~ Phase und übrigens: ich werde Falknerin).
Sie ging also brav auf ein Judoturnier, ließ sich dort fürchterlich verprügeln (ja, natürlich habe ich es bereut - wir hatten leider nicht abgemacht, das sie auch noch GUT kämpft!) - und wir waren am nächsten Tag in einem Gartencenter, um eine gefährliche fleischfressende Pflanze zu kaufen.
Jetzt sind diese Pflanzen ja gerade unglaublich teuer. Immer noch mal ein schneller Wechsel in DM, um sich richtig zu schocken, dann stand ich vor diesem mickrigen Grünzeug und sollte mein bisschen Geld für ein paar grüne Hälmchen ausgeben. Das schmerzt schon.
Meine Begeisterung hielt sich also sehr in Grenzen und ich hatte schon geistig nach überzeugenden Fluchmöglichkeiten gesucht (lass uns Samen kaufen, dann haben wir viele Pflänzchen... ) aber nach einem abschätzenden Blick auf meinen Sohn und meine Tochter war mir klar - das war ein hoffnungsloser Ansatz. Ich erkenne Granit, wenn ich ihn denn sehe.
Ich würde zähneknirschend acht Euro für so ein Teil -und sie sahen alle gar nicht gut aus- hinlegen müssen. Noch war ich mich unwillig am winden und krümmen, da fiel mein Blick auf ein Glasterrarium, gerammelt voll mit unterschiedlichsten Sorten fleischfressender Pflanzen, mit Steinchen und Erde und Deckel und es war REDUZIERT!
Meine Augen fingen an zu glänzen. So toll.
Ehrlich, ganz Kinder und deren Wünsche unabhängig, so was wollte ICH schon immer mal haben!
Fünfundzwanzig Euro. Das war der genaue Restbestand meines Geldbeutels, sowieso mein ganzer Geldrestbestand und nicht für Sonderausgaben gedacht, sondern für unser Überleben in den nächsten Tagen.
Natürlich haben wir es gekauft, ohne zu zögern und sofort. Wir haben uns nicht mal beratschlagt.
Mit einem latent schlechten Gewissen, aber glücklich strahlend sind wir aus dem Center marschiert. Lennie- mein siebzehnjähriger Sohn- hat den schweren Kasten geschleppt, Marie den Deckel, ich den leeren Geldbeutel und wir sind nach Hause gefahren.
Jetzt wohnen wir in einem kleinem Ort, jeder kennt jeden und man grüßt sich immer und überall, auch prophylaktisch. Auf dem Heimweg mussten wir am Zebrastreifen anhalten und trafen dort auf einen Teil der Familie Wegner.
Das ist eine perfekte Familie, mit vielen vielen perfekten Kinder. Alles Superschüler, dabei keine genialen Überflieger, sondern sie lernen und machen ihre Hausaufgaben und passen auf und sie sind so nett und adrett. Jedes Kind hat einen kleinen Job und verdient Geld, das zuverlässig und ordentlich -auch bei Regen- und es lächelt dabei. Immer.
(nur so nebenbei- mein Sohn hat bei Regenwetter und Unwillen seine Zeitungen im Container versenkt)
Dazu die Mutter, leicht öko angehaucht, die man ständig und überall trifft und einem dann begeistert Geschichten über ihre vielen braven Kinderlein erzählt. Ob man das nun hören will oder nicht.
Zum Beispiel, wie nett ihre Kinder heute GEMEINSAM und harmonisch Weihnachtsplätzchen gebacken haben, NUR um ihr damit eine Freude zu machen. Sie selber musste überhaupt nichts tun. Das gab Plätzchen bis zum Jahresende und zum Verschenken, natürlich wohlschmeckend, schön geformt und alle alle waren sie glücklich.
Die Waltons in Reinkultur und das direkt in der Nachbarschaft. NICHT zu ertragen.
(Sollten das meine Kinder mal versuchen, also diese Plätzchenbacksache, dann gibt es nach fünf Minuten Mord- und Totschlag. Küche und Kinder sind völlig eingesaut, sie verlieren sehr schnell die Lust am Backen und wir haben sicher keine Plätzchen bis Weihnachten und schon gar keine Schönen und kein Mensch wollte mir damit eine Freude machen. DAS weiß ich aus Erfahrung.)
Das Allergarstigste, was man über diese Familie sagen kann: sie sind schrecklich langweilig und viel zu brav. Aber das ist ja nicht das, was mich richtig trösten kann. Ich finde, im Vergleich-im messbaren Mütter- Leistungsbereich- schneide ich verflixt schlecht ab und ich bin neidisch. (auch wenn meine Kinder mich ziemlich empört fragen: *Du willst doch nicht etwa, das WIR so sind wie DIE????* - Also SO schlecht wäre das ja nicht - keine Probleme!?! kein Stress!?! alles klappt? Und jeder lächelt?- WARUM nicht?)
Familie Wegner nervt mich also kolossal und ich meide diese Frau, bis ich auch mal eine schöne Harmoniegeschichte zu erzählen habe. Aber wie wahrscheinlich ist das?
Gleichzeitig warte ich, bis eine der normalen Katastrophen auch mal über diese Sippe herfällt. Ganz geduldig warte ich, wenigstens eins von sechs Kindern wird doch mal ausbrechen und sich piercen lassen? Ein kleines Tattoo? Ist das zu viel verlangt?
Oder Vaters Auto schrotten. EIN Kotflügel reicht mir vollkommen! Ohne Führerschein wäre natürlich ganz klasse. Damit bin ich nicht böse oder negativ eingestellt, ich verlange und fordere nur Gerechtigkeit.
So sah ich diese Frau auf dem Zebrastreifen und wir brausten an mit unserem neu erworbenem Glück: dem Terrarium, bremsten, die Galle stieg mir hoch, ich lächelte und winkte, sie lächelte und winkte und ich hasste sie und ihr selbstzufriedenes Ökolächeln.
Wenigstens habe ich bessere Klamotten -Hüfthosen!- und eine bessere Figur. Ein schwacher Trost, denn das ist ganz schön oberflächlich, aber besser als gar nichts.
Ich fuhr weiter und sagte so nebenbei zu meinen Kindern: "DIE gibt bestimmt nicht ihr letztes Geld für ein Terrarium mit fleischfressenden Pflanzen aus, einfach so!"
„Nein", meinte mein Sohn trocken. „Die sagt, lasst uns Zahnstocher und Klopapierrollen holen, wir basteln uns das selber!"
Wir haben uns totgelacht. Was sind wir fies.
Das Terrarium steht in der Küche und ist jetzt meins! Jede arme Fliege wird gepackt und da hineingeworfen. Gegen ihren Willen. Aber die Pflanzen sind etwas lahm, sie schnappen nicht so wild hinterher, wie man das von einer ordentlichen Killermaschine erwarten könnte.
Aber da drinnen wächst und sprießt es schön. Gute Aussichten.