Der Störenfried (Gedicht)

  • Der Störenfried


    Der Tassenrand heiß, aber angenehm schmeckend,
    Schau ich hinaus auf das Treiben.
    Im Halbdunkel, Menschen in Eile feststeckend,
    Wie alle sie Hektik beschreiben.


    Nur
    mitten im Weg, als der Brecher der Ströme,
    Ein stämmiger Freund der Natur –
    Man muss ihm weichen, er hält stand ohne Töne
    Kein Wort dringt aus ihm, still und stur.


    Wie er es hier genießt, im Licht der Reklamen
    Zu seinen Füßen gerissener Asphalt;
    Keiner wünscht ihn sich hier, denn er ist ohne Namen,
    Sein Herz pocht erbarmungslos kalt.


    Er verdeckt uns die Sicht zu dem Glanze der Sterne,
    Er verhöhnt uns ohne sich zu regen,
    Doch
    bald, ich höre es genussvoll in Ferne,
    Kommen Männer mit Motorsägen.



    Ich hoffe, man versteht den Hintergedanken, den ich hatte. Kritisiert mich ruhig!

  • Mir gefällt dein Gedicht, Ruthpol.


    Ich möchte nur zwei Kleinigkeiten anmerken.


    Zitat

    Wie er es hier genießt, im Licht der Reklame
    Zu seinen Füßen gerissener Asphalt;
    Keiner wünscht ihn sich hier, denn er ist ohne Name,


    es müsste eigentlich "ohne Namen" heißen, zur Reimerhaltung kannst du dann "Reklamen" nehmen


    Außerdem finde ich das "Freund der Natur" falsch ist, da unser Freund, der Baum, der Natur angehört. Wie wäre es mit "ein stämmiges Kind der Natur"?


    Ich finde es gelungen, es zeigt schön den Kampf zwischen Mensch und Natur, die Zerstörung am Beispiel eines einzelnen "störenden" Baumes.


    bartimaeus :wave

  • Vielen Dank, für deinen Tipp, ich hab die Zeilen abgeändert.
    Eigentlich wollte ich gerade mit dem Wörtern "Freund der Natur"
    andeuten, dass sich das lyrische Ich zu dieser Zeit noch nicht so sehr an dem Baum stört; das kommt erst mit den nächsten Strophen.
    Aber vielleicht ist es auch zu unersichtlich, ich überlegs mir, ob ichs ändere.

  • Den Gedanken mag ich - nur störe ich mich persönlich an dem Wort "stur" und dem "erbarmungslos kaltem Herzen" - das macht den Baum zu einem Unsympathikus und etwa bei der Hälfte des Gedichts dachte ich noch, Du schrübest über den Tod udn nicht über etwas positiv belegtes wie einen Baum.
    Wenn Du allerdings das Experiment wagen willst und einen Baum als etwas Böses oder Unangenehmes darstellen willst (was cih auch mal spannend fände), dann solltest Du hinsichtlich der negativen Schilderung noch mehr in die Tasten hauen.
    Insgesamt aber: etwas holprig beim ersten Lesen, dennoch schön und gelungen. Weitermachen, gefällt mir!!!
    :wave Silke

  • Es ging mir ja darum, dass das lyrische Ich (und die Menschen) den Baum als störend sehen, als "stur" und "erbarmungslos kalt", und sie meinen, das er unbedingt wegmüsste von hier. Dabei ist es gerade der Baum, der hier kein besonders tolles Leben hat und lieber woanders wäre.
    Es geht um das Verhalten zwischen Mensch und Natur, das ich hier zum Teil zeigen wollte.

  • Meine Eindrücke:


    Bereits zu Beginn die erste Frage: Wer oder was schmeckt angenehm? Der Tassenrand???


    Die zweite Strophe ist m.E. die gelungenste. Sprachfluss und Bilder fügen sich harmonisch zusammen. ("Brecher der Ströme" - ein sehr schönes Bild)


    Wie Bartimäus finde ich allerdings die Bezeichnung "Freund der Natur" perspektivisch eher unpassend.


    Etwas holprig der Start in die dritte Strophe "Wie er es...". Die letzte Zeile dieser Strophe ("sein Herz pocht erbarmungslos kalt") gelangt eindeutig nicht als Einschätzung des lyrischen Ichs, sondern als objektivierte Feststellung an den Leser. Ein Beispiel dafür, dass irgendetwas nicht stimmt, wenn man die eigene Absicht so deutlich erklären muss, wie du es in deiner Antwort auf keinkomma tust.


    In der ersten Zeile der letzten Strophe stört mich die Wendung "verdeckt die Sicht zu". Meiner Meinung nach müsste es heißen "die Sicht auf". Das Wort "Glanze" ist eine unnötige Altertümelei der Sprache. Der Rhythmus müsste dann natürlich angepasst werden ("auf die glänzenden Sterne" oder "auf den Glanz heller Sterne" o.ä.). Die nächste Zeile wirkt ebenfalls unrhythmisch.


    Und jetzt der vielleicht überraschende Schluss meiner Bemerkungen: Du hast ein schönes Gefühl für Sprache und gute Ideen. Mach weiter. Arbeite daran. Aber arbeite, lass es nicht nur geschehen. Gute Technik gehört einfach dazu.

    „Streite niemals mit dummen Leuten. Sie werden dich auf ihr Level runterziehen und dich dort mit Erfahrung schlagen.“ (Mark Twain)

  • Hallo,


    stimme Churchill weitgehend zu. Seine Kritik basiert eindeutig auf der Erkenntnis, dass du schon so gut bist, dass eine strenge Detailkritik berechtigt und gewinnbringend ist.


    Die meisten scheitern bei ihren Lyrikversuchen deshalb, weil sie kein Gefühl für Sprachrhythmus haben und deshalb glauben, der Kern des Gedichtes sei der Reim. Dabei ist natürlich genau umgekehrt. Rhythmus und Takt sind das Herz eines jeden Gedichtes, der Reim bestenfalls Zugabe.


    Prima. Mach weiter so!


    Rabarat

  • Danke für eure lehrreichen Kritiken.
    Nachdem der Vers mit "Freund der Natur" schon mehrfach angezweifelt wurde, werde ich ihn wohl ändern.
    An dem Vers "Er verdeckt uns die Sicht zu dem Glanze der Sterne" habe ich lange getüftelt und viele Alternativen versucht, aber irgendwie habe ich nichts passendes gefunden. Es gefällt mir auch noch nicht, aber ich habe mal eine Frage zum nachträglichen Editieren:
    Wenn ich es verändere, sehen andere ja nicht mehr die Ursprungsform. Kommt das dann nicht irgendwie feige rüber? Oder steht nichts dagegen?


    Ruthpol :wave

  • Lass die Ursprungsform stehen und poste die geänderte Fassung in einem neuen Beitrag. Dann haben auch alle die eine Chance, die die Ursprungsform bevorzugen.

    „Streite niemals mit dummen Leuten. Sie werden dich auf ihr Level runterziehen und dich dort mit Erfahrung schlagen.“ (Mark Twain)

  • Gefällt mir!
    Besonders gelungen finde ich die Formulierungen: Menschen in Eile feststeckend, als der Brecher der Ströme, still und stur; die absurde Begründung mit dem Sternenlicht, das ja eher von den Leuchtreklamen ausgeblendet wird (im wahrsten Sinne des Wortes), und die Pointe: Kommen Männer mit Motorsägen.


    Inhaltlich nicht so stimmig: Nicht der Tassenrand schmeckt, sondern der Inhalt. Und das kalte Herz stört mich auch. Vielleicht wäre etwas mit "uralt" da gefälliger?

  • Ich habe es nun noch einmal abgeändert. Wahrscheinlich werde ich es aber nie allen recht machen können, deshalb seid bitte nicht beleidigt, falls ich einen eurer Verbesserungsvorschläge nicht berücksichtigt habe.


    @ Flashfrog:
    Das ist genau das, was ich ausdrücken wollte; um sich für die Wegschaffung des Baumes zu rechtfertigen, sagen "die Menschen", er verhindert ihnen die Freude an der Natur.


    Nun ja, eigentlich hätte ich den Vers "Sein Herz pocht erbarmungslos kalt" am liebsten dringelassen, weil ich finde, er klingt so schön, aber natürlich muss es inhaltlich auch stimmig sein. Da muss ich mit leben. Ich weiß auch nicht, ob es jetzt besser ist, aber solange ihr kritisiert, werde ich das früh genug erfahren.


    Der Störenfried


    Der Kaffee zu heiß, aber angenehm schmeckend,
    Schau ich hinaus auf das Treiben.
    Im Halbdunkel, Menschen in Eile feststeckend,
    Wie alle sie Hektik beschreiben.


    Nur
    mitten im Weg, als der Brecher der Ströme,
    Ein stämmiges Kind der Natur –
    Man muss ihm weichen, er hält stand ohne Töne
    Kein Wort dringt aus ihm, still und stur.


    Er genießt hier sein Leben, im Licht der Reklamen
    Zu seinen Füßen gerissener Asphalt;
    Keiner wünscht ihn sich hier, denn er ist ohne Namen,
    Seine knochigen Finger sind kalt.


    Er verdeckt uns die Sicht auf die glänzenden Sterne,
    Er lässt uns seinen Sonnenplatz pflegen,
    Doch
    bald, ich hör es genussvoll in Ferne,
    Kommen Männer mit Motorsägen.


    Ruthpol :wave

  • Ruthpol,
    an deiner neuen Version stört mich der Vers


    Zitat

    Er lässt uns seinen Sonnenplatz pflegen,


    Abgesehen davon, dass ich den Sinn nicht verstehe (=> Herbst => Blätter fallen => Pflege?; wieso nicht Schattenplatz ?(), gefiel mir der ursprüngliche Text dort besser.


    Warum hast du ihn geändert?
    Ich fand es dort klar, dass es eine Einschätzung des Lyrischen Ichs ist, da "uns" darin vorkam, gibt es einen anderen Grund?


    bartimaeus :wave

  • Ich meinte Sonnenplatz eigentlich im Sinne des Baumes, weil er an seinem Platz (aus der Sicht der "Menschen") viel Sonne abbekommt. Außerdem hielt ich es für einen guten Kontrast zum Sternenhimmel. Man muss einen Baum ja nicht nur im Herbst pflegen, Apfelbäume zum Beispiel müssen von faulen Früchten (sowohl in der Krone als auch am Boden) bereinigt werden, und eventuell müssen überstehende Äste abgesägt werden.
    Das ist zwar nicht unbedingt eine Riesenarbeit, aber das lyrische Ich sucht ja gerade nach jedem noch so kleinem Grund, um den Baum loszuwerden.