Historische Frage

  • Zur Zeit wird ja der Film "Das Parfüm" stark beworben.
    Nun, da gab es gestern bei Galileo einen Bericht über das 18 Jahrhundert..die Leute haben angeblich dahin gesch....wo sie gerade standen oder gingen, hat keinen interessiert, die Wohnungen haben dermassen nach Fäkalien gestunken, dass ab und zu ausgeräuchert wurde..was den Gestank nicht gerade besser machte
    Wasser war angeblich Gift, die Menschen fanden den animalischen Gestank anziehend :wow
    So nun meine Fragen, speziell an die der Historien-Romanschreiberlinge.


    1. Die Helden dieser Geschichten sind meist ganz furchtbar saubere Zeitgenossen suchen jeden Bachlauf und jede Möglichkeit um sich zu waschen, die Frauen glänzen NATÜRLICH mit ihrem rosigen Teint.....ist das von euch erfunden, weil es einfach die heutige Vorstellung übersteigt?


    2. Bei den Gerbern wurde das abgeschabte Fell wohl in Fäkalien gelegt um abzusäuern oder so...diese Fäkalienhändler werden mit keinem Wort erwähnt..nie wird erwähnt dass es zu dieser Zeit ganz erbärmlich gestunken haben muss und das es einfach unmöglich dreckig war in dieser Zeit....Also..warum wird davon (in den Romanen) nicht berichtet???


    Ach ja über noch mehr eklige wahre Einzelheiten würde ich mich freuen :grin

  • Zitat

    Original von Alexx61
    Ach ja über noch mehr eklige wahre Einzelheiten würde ich mich freuen :grin


    Ja, DUUUUU!


    Aber mal im Ernst - wer möchte so einen Stinkekram schon in einem Roman lesen? :lache


    Wobei mich die Lebensumstände der damaligen Zeit schon sehr interessieren. In einem gewissen Rahmen dürfte das für mich auch in einem Roman Platz finden - allerdings wenn Du seitenweise stinkenden Männer hast und Frauen, die alle fünf Straßen ihren Rock lüften, um in die Straßenrinne zu pieseln... hm... das sprengt jedes Genre :-)

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • hm...ich bin vielleicht nicht normal, aber MICH interessiert das :grin
    Und ich finde schon dass das in genau diesen Romanen Platz haben müsste.
    Nach dem Motto, Sabrina stand wie jeden Morgen auf, schob ihre 10 Geschwister zur Seite, rieb sich das Gesicht mit Asche ab, und sch...in die Ecke.


    Wenns doch so war!

  • Huhu Alexx!
    Da muss ich mal widersprechen - es gibt sehr wohl Romane, in denen auch der damalige Gestank beschrieben wird. Für mich sind solche Bücher die authentischen. Weil echten.
    Grundsätzlich kann ich nur für mich persönlich sprechen (und auch nur ein Jahrhundert später, denn im 19. kenne ich mich besser aus) - ich hab shcon versucht, zu beschreiben, welche Flüssigkeiten in welcher Farbe und mit welchem Odeur bei Cholera den Körper verlassen. Ich finde, das gehört dazu, wenn man ein genaues Bild der Zeit zeichnen will. (Wobei das immer nur ein VERSUCH sein kann, denn dabei war man nicht - es sei denn, man lässt sich mal rückführen in die ehemaligen Inkarnationen, aber was bringt mir ein Blick ins Tirol vor 500 Jahren, wenn ich in Spanien recherchiere? :grin)
    Ist Dir mal aufgefallen, dass in Filmen die Protags morgens nie Mundgeruch haben, sondern gleich wild miteinander knutschen? Und dass die so gut wie nie Pipi müssen? Hollywood lässt das ganz bewusst weg - wie wohl auch manche Autoren. Wer will schon so etwas Banales wie einen Pups lesen, wenn er sich gerade mittels Roman in die Welt eines Helden TRÄUMT? Das ist es, was Romane sind - Träume zwischen Buchdeckeln (okay, im historischen Genre kommt im Idealfall Information geschichtlichen Hintergrunds hinzu).
    Und der rosige Bachlauf nebst rosigen Wangen...das sind Stereotypen, die gerne aus der Lade gekramt werden.
    :wave

  • Zitat

    Original von keinkomma
    Huhu Alexx!
    Da muss ich mal widersprechen - es gibt sehr wohl Romane, in denen auch der damalige Gestank beschrieben wird. Für mich sind solche Bücher die authentischen. Weil echten.
    Und der rosige Bachlauf nebst rosigen Wangen...das sind Stereotypen, die gerne aus der Lade gekramt werden.


    Da hätte ich doch gerne ein paar von gelesen, wenn du so lieb sein könntest und ein paar Beispiele nennst :-

  • Ich hab doch grad was gelesen... :gruebel


    Ein Tag im Leben eines Latrinenputzers:


    Bakha lebt in einer von Kloaken umgebenen Lehmhüttensiedlung am Rande der Stadt, dort, wo all die aus der Hindugesellschaft Ausgestoßenen wohnen: die Lederarbeiter, die Wäscher, die Barbiere, Wasserträger, Schinder und Grasmäher. Wohin Bakha in der Stadt auch immer geht, muss er sich ankündigen mit den Worten: »Posch, geht aus dem Weg! Posch, ein Latrinenputzer kommt!«
    Seit heute aber lastet auf ihm, dem Unberührbaren, ein Fluch: Aus Versehen hat er einen Hindu hoch gestellter Kaste berührt. Am Abend strömt eine riesige Menschenmenge zusammen: Mahatma Gandhi spricht von den Kindern Gottes, wie er die Ausgestoßenen nennt. In Bakha wird eine Hoffnung wach.

    Ok, ist kein historischer Roman...
    .

  • Hier stinken die Strassen ganz gewaltig, die Figuren benutzen Nachttöpfe...


    Kurzbeschreibung
    London 1874: William Rackham, glückloser und zu Müßiggang neigender Erbe eines Parfümimperiums, trifft auf Sugar, die das Schicksal der anderen Huren der Stadt teilt. Und doch strahlt sie etwas aus, das sie über die anderen erhebt und ihr den Luxus erlaubt, mit nur einem Liebhaber am Tag ihr Auskommen zu finden. Auch William Rackham verfällt ihren Künsten, so sehr,dass er Sugar fast zum Verhängnis wird.


    Ein erotischer Roman, der meisterhaft mit den Mitteln der erzählerischen Verführung spielt - vor allem aber eine unvergessliche Geschichte um die Hoffnungen und Täuschungen der Liebe.
    .

  • Zitat

    Original von Alexx61
    Danke Delphin..bist du Indien-fan?


    Auch. :-] Die fielen mir nur grad bei Lederarbeiter spontan ein.


    Wenn ich mich richtig erinnere, dann sind die Gerbereien bei SPQR auf der anderen Seite des Tibers und Decius beschreibt manchmal, wie es von dort herüberstinkt.

  • Hallo, Alex


    Guckst du in den Shogun (unten brav via Eulensite verlinktes Amazonien). Sehr nett ist der Kulturschock beschrieben, als Anjin-san zum Baden gezwungen wird, wo doch jeder zivilisierte Mensch weiß, wie gefährlich das ist. Nach einer Weile japanischer Sozialisation darf er mit seiner Schiffsmannschaft etwas Zeit verbringen. Prompt hält er deren Gestank nimmer aus und geht anschließend erst einmal baden.


    Schöne Grüße von blaustrumpf


    * * *


    Hallo, keinkomma


    Zitat

    Original von keinkomma
    Ist Dir mal aufgefallen, dass in Filmen die Protags morgens nie Mundgeruch haben, sondern gleich wild miteinander knutschen?


    Ha! Glaubst Du! Indiana Jones hat in seinem zweiten Filmabenteuer eine sehr nette Szene mit der blonden Heldin: Beide glauben, der/die andere würde gleich über den Gang spazieren und die Tür öffnen zwecks Otimierung der bilateralen ... Du weißt wohl, was ich meine. Und beide überlegen, dass sie nun schon eine Weile unterwegs waren. Er hält sich die Hand vor den Mund, bläst dagegen, schnüffelt und greift nach einem Apfel. Ja, ein echter Held eben.


    Schöne Grüße von blaustrumpf

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

  • Zitat

    Original von Alexx61
    Nun, da gab es gestern bei Galileo einen Bericht über das 18 Jahrhundert..


    Dazu muß ich leider einwenden, daß Galileo ziemlich viel dummes Zeug sendet, weshalb ich diese Sendung ausschließlich zum Amüsement über "Wissenschaftsjournalismus, wie man ihn niemals machen sollte" anschaue. :lache
    Die Sendung mit der Maus ist zuverlässig, aber der Privat-TV-Kram so gut wie nie.


    Zitat

    Wasser war angeblich Gift, die Menschen fanden den animalischen Gestank anziehend :wow


    Das z.B. ist so ein typischer Sensationsscheiß, den sich die Galileos aus irgendwelchen halbscharigen Publikationen ziehen ...


    Zitat

    die Leute haben angeblich dahin gesch....wo sie gerade standen oder gingen, hat keinen interessiert, die Wohnungen haben dermassen nach Fäkalien gestunken, dass ab und zu ausgeräuchert wurde..was den Gestank nicht gerade besser machte


    Das stimmt mit Einschränkung für die zahlreichen Slums, die es damals gab. Die Schere zwischen arm und reich klaffte sehr weit auseinander -- und wenn du heute lateinamerikanische Favelas oder Slums am Rande von indischen oder afrikanischen Großstädten durchwanderst, wabert dir derselbe Duft um die Nase. Elend stumpft ab.


    Was die Schönen und Reichen angeht, war das Bedürfnis nach Hygiene seit dem Ausgang des Mittelalters dramatisch gesunken. Versailles wurde gebaut, weil die Tuilerien dem König ein wenig altbacken und muffig vorkamen. Das muß aber nicht daran gelegen haben, daß die edlen Damen und Herren des Barock und Rokoko nie mit Wasser, wohl aber mit diversen Wässerchen in Berührung gekommen seien. Man empfand schließlich den Pöbel als stinkende, viehische Masse.
    Man trug schließlich gerne weiß, und die Herstellung der hübschen Hemden, Unterkleidchen etc. (schöne Beispiele findet ihr bei La Pompadour) war nicht so billig, daß man sich jeden Tag 2, 3 neue leisten konnte. Der eine oder andere König schon, aber die meisten eben doch nicht. :grin
    Allerdings beschränkte sich das Waschen und Baden verglichen mit heute auf eine Art Katzenwäsche. Dennoch war man (das weiß man aus Briefzeugnissen und Literatur) durchaus daran interessiert, daß das Gegenüber nicht stank und eine weiße Haut und rosige Wangen hatte. Ganz ohne sich zu waschen, nur mit Duftwässerchen ging das nicht, auch wenn Duftwässerchen einiges übertünchen können.


    Die Ursache ist in den religiösen Erneuerungs- und Reformationsbewegungen zu suchen, die im 15./16. Jh. Europa erschütterten, die ihrerseits wiederum auf den Seuchenwellen, die Europa heimsuchten, zurückzuführen sind.
    Im Hochmittelalter entwickelte sich in den Städten eine rege Bäderkultur, die (wie in der Antike) häufig mit Prostitution gekoppelt war. Die Ausbreitung der Syphilis führte zu einer unheilvollen Gleichsetzung von Sünde und Hygiene, da in der damaligen Zeit die Auffassung, Krankheit sei eine Strafe Gottes für begangene Sünden, weit verbreitet war. Baden und Körperpflege wurden zunächst von den Reformatoren als besonders sündhaft angeprangert, da man sich dabei selbst berühren müsse; in der Gegenreformation übernahm auch die Katholische Kirche diese Auffassung und behielt sie bis ins 20. Jh. bei.
    Infolgedessen brach die Gesundheitsfürsorge fast völlig zusammen, man verlegte sich auf Magisches, auf den Kauf von Ablässen etc.


    Nebenbei waren Urin und Kot für einige Berufsstände wertvolle Rohstoffe, die gesammelt wurden. Diese Berufsstände (Gerber, Färber etc.) galten schon im Mittelalter als unrein, weil sie mit diesen Materialien arbeiteten.
    Bürger benutzten getrennte Eimer für Urin bzw. Fäkalien, die auch getrennt eingesammelt wurden. Nachttöpfe wurden allerdings auch schon mal auf die Straße gekippt, wenn draußen jemand randalierte, und umgefallene Dreckkübel dürften auch für Hygieneprobleme gesorgt haben.
    In den chaotischen Armenvierteln fand die Sammlung allein schon deshalb nicht statt, weil die Gassen eng und schlammig, also für Karren weitgehend unpassierbar waren. Dort spielten die Kinder also sprichwörtlich in der Scheiße.


    Patrick Süßkind hat das eigentlich gut gelöst. Es sind die Stadtviertel der Armen und der Kleinbürger, in denen die Scheiße brodelt ... Deshalb sucht der geruchlose Mann ja auch nach dem perfekten Duft, der ihn in dieser abstoßenden, stinkenden Welt "beliebt" macht.

  • Vielleicht sind das auch wieder Vorgaben von den Verlagen, nach dem Motto "aber nicht zuviel Dreck und Gestank, sowas wollen unsere Leserinnen nicht lesen". :gruebel


    Ich kann mich erinnern, dass ich bei meinem allerersten historischen Roman (Die Säulen der Erde) ziemlich schockiert war über den Dreck. Inzwischen sehe ich es anders, aber ich weiss noch dass ich damals eigentlich lieber einen wohlriechenden Helden wollte. :grin

  • Danke Iris!
    auf euch ist Verlass! :knuddel1
    Das mit dem Urin beim Färben(daher enstspringt wohl auch der Begriff Blaumachen..die gerber soffen Bier, damit sie gut in den Bottisch pinkeln konnten, am nächsten Tag waren sie blau, die Stoffe färbten so vor sich hin und die Jungs schliefen ihren Rausch aus) war sogar mir bekannt, aber das mit den Fäkalien wusste ich tatsächlich nicht!

  • Urin ist ein gutes Mittel, um manche Farbpigmente in Wolle zu fixieren (Harnsäure, Stickstoffverbingungen). Ich müßte noch mal nachschauen, ob 's beim Indigo (Färberwaid) auch so war, beim Krapplack (rot) bin ich mir sicher, aber beschwören möchte ich jetzt nix.



    Nachtrag: Auf jeden Fall wißt ihr jetzt, warum ein Nasenmensch wie ich über diese Zeit nix schreiben will ... :wow

  • Ihr Lieben, Guten und Frischgewaschenen nebst allen anderen, die dies auch lesen


    Gerne wird ja kolportiert, Louis XIV. habe sich nicht gewaschen, gestunken wie ein Iltis (aus sämtlichen Körperöffnungen, besonders jedoch aus dem Munde), seine Notdurft und weiteres hinter den Wandteppichen oder den Vorhängen erledigt, die Zahl der Bäder und Toiletten im prächtigen Versailles sei ausgesprochen beklagenswert und diedeldum wie diedeldei.


    Tatsächlich starb Majestät an einem offenen Bein, oder deutlicher: An Wundbrand. Das wird gestunken haben. Tatsächlich litt Majestät an faulendem Zahnfleisch. Das wird gestunken haben.
    Aber was das Problem mit den Bädern etc. betrifft: Fließend Wasser braucht man nur im Bad, wenn man kein Personal hat. Und an letzterem mangelte es sicher nicht zu Versailles.


    Schöne Grüße von blaustrumpf

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag

  • Zitat

    Original von blaustrumpf
    Tatsächlich starb Majestät an einem offenen Bein, oder deutlicher: An Wundbrand. Das wird gestunken haben. Tatsächlich litt Majestät an faulendem Zahnfleisch. Das wird gestunken haben.


    Gemeinsame Ursache: Diabetes. Gepaart mit einer ordentlichen Gicht. Linksherzinsuffizienz infolge des Diabetes wird m.W. ebenfalls vermutet.


    Ein Opfer der Völlerei. Das erinnert an Wilhelm Busch:
    Der Dicke aber - autsch! mein Bein! -
    Hat wieder heut' das Zipperlein.

    (Der neidische Handwerksbursch)

  • Zitat

    Original von Iris
    Gemeinsame Ursache: Diabetes. Gepaart mit einer ordentlichen Gicht. Linksherzinsuffizienz infolge des Diabetes wird m.W. ebenfalls vermutet.


    Genau, Iris!


    Die gebrochene Gaumenplatte heilte wohl wie der Kieferbruch aus diesem Grunde so schlecht. Und was die Podagra betrifft: Friedericus Rex (a. k. a. Otto Gebühr) litt ebenfalls daran. Im Gegensatz dazu natürlich nicht das Bauernmädchen, jenes Sinnbild an Gesundheit.


    Schöne Grüße von blaustrumpf

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag