Markus Werner - Zündels Abgang

  • Inhalt:


    Konrad Zündel ist ein pflichtbewusster, angepasster Geschichtelehrer, absoluter Kopfmensch, 33 Jahre alt und verheiratet mit Magda. Eines Sommers beschließt das Ehepaar, getrennt Urlaub zu machen., denn „es sei hochgradig neurotisch, wie eng wir seit Jahren aufeinanderhocken“. Zündel beschließt eine Reise nach Griechenland zu machen, doch ein ausgefallener Stiftzahn zwingt ihn heimzukehren. Das Verhältnis zu seiner Frau ist nach 5-jähriger Ehe etwas abgekühlt, der zermürbende Alltagstrott hat seine Spuren hinterlassen. Das Paar reibt sich auf wegen Nebensächlichkeiten wie ein zu heiß aufgedrehter Wasserhahn, das berühmte Zahnpastentuben-Problem, das Brennenlassen des Lichtes, usw. Seine Frau verbringt ein Wochenende bei einer Freundin und Zündel fährt nach Italien, wo ihm Absurdes, Lächerliches, Todernstes und Tragischkomisches wiederfährt.


    Meine Meinung


    Richtig warm geworden bin ich mit dem Buch nicht. Die Sprache würde ich mit „Prädikat wertvoll“ versehen, doch es ist sehr anstrengend zu lesen, sodass ich eigentlich froh bin, dass das Buch nur 114 Seiten hat. Doch gerade durch diese – fast schon hochtrabende – Sprache entsteht eine ungemeine Distanz zum Geschehenen. Zündel ist mit seinen Problemen weit weg, sehr weit weg.
    Sehr gelungen finde ich allerdings die Schilderung, wie der Alltagstrott eine Ehe zermürbt und auch der Lebensfreude insgesamt zusetzt. Auch die Gratwanderung, auf der Zündel sich bewegt – ist die Ehe noch sinnvoll, oder ist sie längst vorbei, die letzten Hoffnungsschimmer wechseln sich ab mit der Einsicht, dass in Wirklichkeit alles vorbei ist. Zündel, für den in den letzten 32 Jahren galt „Auf des Mannes Stirne thronet hoch als Königin die Pflicht“ lernt auf dieser Reise ihm bisher verborgene Abgründe seiner Seele kennen und hadert auch mit einem folgenschweren Entschluss…

  • Zündels Abgang ist die Geschichte eines Mannes, dem die Wirklichkeit abhanden kommt, weil er sie plötzlich scharf sieht.
    So klar und ohne verlogene Deckmäntelchen, dass sie unerträglich wird.
    Zündel zündelt gefährlich, indem er die Medien-, Werbe- und Politikphrasen entlarvt, die Gnadenlosigkeit und Ungerechtigkeit der Machtstrukturen, in der sich immer die Wölfe und die Schweine durchsetzen, die Feigheit der Mehrheit, die ganze miese verlogene Welt.
    Der "Verrat" in der Ehe ist dafür sowohl Auslöser als auch Gleichnis.


    Ist ein Leben in solcher Scharfsichtigkeit möglich, ohne zu verzweifeln? Und wer ist hier eigentlich verrückt?


    Absolut dringend empfehlen kann ich dieses Buch allen, die beim Lesen gern ein bisschen zum Nachdenken gebracht werden und die wirklich virtuose Sprache :anbet zu schätzen wissen.
    Und zudem ist das Buch unglaublich witzig geschrieben.

  • Noch ein Zitat als Beispiel für die entlarvende Sprachgewalt dieses Buches (aufdass es hier vielleicht doch noch den einen oder anderen begeisterten Leser findet :-)):


    "Lockvogelpolitik á la Kreml und faires Angebot des Weißen Hauses und dauerbequemtaugliche Schutzräume zur Überbrückung von Jammertalsohlen. Und die Wörter stinken, unddie Sätze stinken, als ob sie ausgeschlüpft wären aus den hämorrhidenbekränzten Mastdärmen pestkranker Vollidioten. Der Aktienmarkt ist gut gelaunt, kompromisslos das Dreilagentoilettenpapier, ausgewogen das Marschflugkörperprogramm. Formulierungen stülpen sich röhrend über stöhnende Fakten. Tatsachen spreizen die Schenkel und gewähren korrupten Sprachstücken Einlass. Das Substantiv hat ein steifes Adjektiv und rammt die Wirklichkeit von hinten. Endlos, schamlos, trostlos paaren sich Sätze und Sachverhalte, und das Produkt dieser Unzucht heißt Zeitung."

  • Ich habe das Buch vor etwas mehr als einem halben Jahr gelesen und möchte mich von der Grundtendenz her flashfrog anschließen. Zündel ist schon ein bisschen abgedreht, was ich aber gar nicht schlimm finde. Und einige Sätze im Buch fand ich auch ziemlich genial.

  • Meine Begeisterung für "Am Hang" verbietet mir, kein Interesse für Zündel aufzubringen, aber ehrlich gesagt schreckt mich der Textauszug doch eher ab - das ist mir zu dick aufgetragen (Wo bei "Am Hang" Ausgewogenheit vorzufinden und Einwände zugelassen waren, scheint hier die totale Verbitterung und Zynismus hoch 10 zu herrschen.), kann mir jemand sagen, ob Werner das durchzieht in diesem Buch?


    Gruß, Bell

  • Zitat

    Original von Bell
    Meine Begeisterung für "Am Hang" verbietet mir, kein Interesse für Zündel aufzubringen, aber ehrlich gesagt schreckt mich der Textauszug doch eher ab - das ist mir zu dick aufgetragen (Wo bei "Am Hang" Ausgewogenheit vorzufinden und Einwände zugelassen waren, scheint hier die totale Verbitterung und Zynismus hoch 10 zu herrschen.), kann mir jemand sagen, ob Werner das durchzieht in diesem Buch?


    Gruß, Bell


    Wenn dir "Am Hang" gefallen hat, kann ich dir "Zündels Abgang" besten Gewissens empfehlen! :-)
    Es ist zwar ganz schön böse im Aufdecken alltäglicher Verlogenheiten, aber deshalb eben auch sehr hellsichtig und zudem wahnsinnig witzig geschrieben, und sprachlich sicher mit Abstand das Beste, was ich von dem Autor bisher gelesen habe.

  • Ich finde, die beiden Bücher kann man nicht vergleichen. "Am Hang" habe ich als lsehr gut lesbar in Erinnerung, es hat mir äußerst gut gefallen. Zündel brauchte da schon mehr Aufmerksamkeit und Konzentration.