Originaltitel: The Religion 2006
Ein Sakrament, so informiert einen das Lexikon, ist einerseits ein Geheimnis, andererseits eine bestimmte sichtbare Handlung, die auf die unsichtbare Anwesenheit Gottes hinweist. Der deutsche Titel zeigt demnach eine Verbindung der Romanhandlung mit dem christlichen Mythos, ebenso wie es der englische Titel ‚The Religion’ tut. Dieser verrät noch ein wenig mehr, denn ‚Heilige Religion’ war die Bezeichnung, die sich der Orden der Johanniter selbst gab.
Die Johanniter stehen im Mittelpunkt des Romans, genau gesagt die Belagerung ihrer Insel Malta im Sommer 1565 durch die Truppen des osmanischen Reichs. Ideologisch muß diese Belagerung bis heute immer wieder als die entscheidende Auseinandersetzung zwischen dem Islam und dem Christentum herhalten. In der historischen Realität war sie ein eher begrenztes Ereignis im Rahmen einer fast dreihundertjährigen Auseinandersetzung zwischen den europäischen Großmächten, hier Spanien, und dem Osmanischen Reich um die Herrschaft über das Mittelmeer.
‚Das Sakrament’ ist der erste historische Roman von Tim Willocks. 1957 in Cheshire geboren, studierte er Medizin und Psychologie in London, wandte sich dann aber dem Schreiben zu, Thriller zunächst, vor allem aber Drehbücher. Eine gewisse Vorliebe für die Totale, für dramatische Momente, schnelle Schnitte und grelle Farben kann der Roman auch nicht verleugnen. Solchen Szenen widmet der Autor seine ganze Energie, die Handlungslogik bleibt dabei ein wenig auf der Strecke. Auch den allgemeinhistorischen Hintergrund sollte man besser nicht genauer betrachten.
Zunächst einmal zur Handlung:
Mai 1565. Der Orden der Johanniter ist in einer bedrängten Lage, die türkische Flotte hält auf die Insel zu. Der amtierende Großmeister, Jean Parisot de la Vallette findet, daß er Hilfe braucht. Diese Hilfe kann ihm nur einer bringen: Mattias Tannhäuser, ein Deutscher, ehemaliger osmanischer Elitesoldat, inzwischen Kaufmann auf Sizilien. Tannhäuser zeigt aber wenig Neigung, sich nach Malta einzuschiffen. La Vallette weiß, wie man Tannhäuser überreden kann. Auf Sizilien wartet auch die wunderschöne Contessa Carla auf Einreise-Erlaubnis. Der drängende Wunsch, ihren vor zwölf Jahren unehelich geborenen und ausgesetzten Sohn wiederzufinden, treibt sie dazu. Schönen Frauen kann Tannhäuser nicht widerstehen. Was also liegt näher, als Carlas Einreise mit der Bedingung zu verknüpfen, daß sie Tannhäuser mitbringen muß?
Es gibt aber einen, der etwas dagegen hat. Der Inquisitor Ludovico Ludovici nämlich. Nicht nur ist er der Vater von Carlas unehelichem Sohn, eine Sünde, die er unbedingt verbergen muß, nein, er hat auch finstere Pläne mit La Vallette und dem Orden. Und so treffen nicht nur Türken und Christen, sondern auch Feinde im eigenen Lager aufeinander, während sich der Ring der Belagerer immer enger um Maltas letzte Festung zusammenzieht.
Stoff für einen Traum von Roman? Vielleicht. Wenn man das eigene Denkvermögen ausschaltet. Denkt man jedoch auch nur eine Spur mit, dann wird dieser Traum zum absurden Theater und schließlich zu einem Albtraum.
Man muß zunächst einiges unhinterfragt schlucken. Es ist nicht leicht für AutorInnen, die jeweiligen Heldinnen und Helden an den Ort zu bringen, an dem sie loslegen sollen, aber eine grundlegende Logik sollte die Entscheidung haben.
Carla, die mit 15 aus Liebe fehltrat, soll sie aus maltesischem Adel stammen, den es aber leider nicht gab. Was es gab, war ein Inquisitor für Malta. Der wäre recht verdutzt gewesen über die Ankunft eines Amtsbruders aus Rom, der, kaum gelandet, ohne ein Wort die Geschäfte an sich reißt.
Am schlimmsten trifft es den Protagonisten Tannhäuser. Was La Vallette, der zum Zeitpunkt der Belagerung auf rund 50jährige kriegerische Erfahrung, zum größten Teil mit Türken, zurückblicken kann, von einem ihm ganz unbekannten Mann, der ca. halb so alt ist wie er, noch Wichtiges zu dem Thema hören will, ist nicht wirklich erklärlich noch erklärt.
Sicher ist Tannhäuser nicht irgendeiner. Seine Biographie allerdings erfahren wir gerade so im Vorbeigehen. Sohn eines sächsischen Schmieds aus Ungarn, wurde er, nachdem seine Mutter und seine Schwestern niedergemetzelt wurden (ausführliche hochdramatische Beschreibung im Prolog, der im übrigen völlig falsch betitelt ist), von Türken verschleppt und zum Soldaten ausgebildet – in einer mißverständlich-sensationslüstern interpretierten Darstellung der sog. Knabenlese.
In der Elitetruppe der Janitscharen, von denen wir lesen, daß es ‚fanatische Glaubenskämpfer’ sind – was für die Johanniter ebenso gilt, nebenbei bemerkt - steigt Tannhäuser auf, flüchtet aber auf dem Höhepunkt seines Ruhms aus dem osmanischen Heer, um sich zu dem Zeitpunkt, an dem die Romanhandlung einsetzt, als zwielichtiger Händler auf Sizilien wiederzufinden.
Seine Waren sind Waffen, Munition und Opium – ein abstruses Sortiment für das 16. Jahrhundert. Der für die Zeit ganz unmögliche Umgang mit großen Mengen Rohopium, die unser Held im Lauf der Geschichte abwechselnd als ‚zweite’ Währung oder als Mittel einsetzt, den bösen Feind zu berauschen, verleihen dem Ganzen übrigens ungewollt einen humoristischen Zug, der dem Buch ansonsten völlig abgeht.
Mattias ist groß, breitschultrig und gutaussehend, trotz seiner rauhen Schale im innersten Herzen ehrlich und edel. Er ist sprachbegabt und umfassend gebildet von Waffenkunde bis zur Musik (allerdings entgeht ihm, daß er für die von ihm bevorzugte Gambenmusik, die Carla so lieblich zu spielen weiß, etwa eine Generation zu früh dran ist). Er ist ein hervorragender Kämpfer und Reiter, seine Freunde wählt er unter den Anhängern aller politisch korrekten Religionen und steht ihnen mit seiner harten Rechten stets unverbrüchlich zur Seite.
Natürlich hat er durchdringend blaue Augen. Sie erlauben ihm nicht nur, beim jeweiligen Gegenüber sofort bis auf den Grund der jeweiligen Seele zu blicken, sondern auch, sobald das Gegenüber weiblich ist, die korrekte Körbchengröße unter der recht merkwürdig beschriebenen Renaissancegewandung zu erkennen.
Überlebensgroß ist auch der Bösewicht, der Inquisitor Ludovici (Augen durchdringend schwarz) und mit ihm alle seine Handlanger. Inquisitoren, so erfahren wir in diesem Buch, schnappen sich Ketzer, wo sie gehen und stehen, nageln sie am nächstbesten Sessel fest (das ist wörtlich zu verstehen) und foltern drauflos mit den mitgebrachten Folterwerkzeugen – wahrscheinlich hängen die an ihren Gürteln gleich neben dem Rosenkranz. Sind sie nicht mit Foltern beschäftigt, kämpfen sie gegen ihre Fleischeslust.
Mattias muß diese glücklicherweise nicht bekämpfen. Kräftig wie er ist, hat er gleich zwei Lieben. Da er auch edel ist, liebt er aber eine zunächst nur platonisch – Carla ist schließlich Gräfin und er will sie nach dem Krieg heiraten. Der Lust frönt er mit der anderen, Amparo, der geheimnisvollen Gefährtin Carlas, Seherin, die-mit-den-Blumen-spricht, der Schönen mit den ‚milchweißen Gliedern’, in der Badewanne unter dem maltesischen Sternenhimmel. Carla muß sich derweil, wenn sie nicht von Muttersorgen verzehrt wird, nach der anstrengenden Arbeit im Lazarett von erotischen Träumen von Mattias’ muskulöser Gestalt geplagt, allein im Stroh ihres Lagers wälzen.
So weit, so geschnulzt, so weit, so erlaubt. Wäre da nicht ein Krieg.
Belagerung, Waffen, Ausrüstung, Kriegstechnik, Kämpfe und blutiges Gemetzel nehmen den größten Raum ein in dieser Geschichte und sind erklärtermaßen auch der Grund für das Buch. Dafür hat der Autor recherchiert, was das Zeug hält. Ein paar Details gerieten auch hier daneben, aber bei soviel vorhandenem Material ist es nicht leicht, Sinn und Unsinn zu unterscheiden. Da wogt die Schlacht, da rollen die Köpfe und fliegen die abgehackten Glieder, da fällt die schwere Hand des Schicksals und vernichtet Tausende.
Dagegen ist nichts zu machen. Warum auch?
Wenn nämlich die Kriegstrommel schlägt, gerät das Blut eines jeden echten Mannes in Wallung. Dann will er nur noch eins: das Schwert zücken und sich auf den Feind stürzen. Das ist seine Bestimmung, das ist das Wahre. Der Kampf ist wichtiger als Leben und Liebe, der Kampf ist heilig. Das ist das ganze Geheimnis. Sagt uns der Autor.
Damit werden in diesem Buch nicht nur überkommene Mythen von Männlichkeit in billige Stereotypen gekleidet abgefeiert, sondern sie werden durch die direkte Anbindung an Religion geheiligt. Krieg, die sichtbare Handlung, ist das Höchste, wenn er für eine gerechte Sache ist. Gleich, ob man als Einzelner handelt oder im Verband.
Die gerechte Sache ist das Christentum. Wer den gerechten Kampf kämpft, erfährt die Rettung durch die himmlischen Mächte, Rettung der Seele wie des Körpers.
Die Belohnung folgt auf dem Fuß. Nicht nur enthüllt sich Tannhäuser ein tiefes, religiöses Geheimnis des Ordens und seiner eigenen Seele, nein, er bekommt, nachdem Amparo dem Bond-Girl-Prinzip folgend geopfert wurde, die Hand der Gräfin. Allerdings wird er dadurch kein Graf, wie der Autor meint, sondern Carla de facto Mrs. Tannhäuser. Doch wen interessieren schon Fakten.
Der Sohn wird – wer könnte es bezweifeln - auch gefunden, selbstverständlich mit zwölf schon ein Held, und der Bösewicht stürzt kopfüber über die Klippe, stracks in die Hölle, nehme ich an.
Autor und Verlag drohen mit zwei weiteren Bänden der Abenteuer von Mattias Tannhäuser und der schönen Carla. Ich hatte schon nach einem halben genug.