gleich vorweg - den deutschen Titel finde ich saublöd!!
Aber der Reihe nach:
Klappentext
(dem Buch entnommen)
Die achtzehnjährige Phoebe ist wie besessen von der Erinnerung an ihre große Schwester Faith, die 1970 in Italien ums Leben kam. Unfall? Mord? Selbstmord? Acht Jahre sind seither vergangen, und Phoebe beschließt, die Wahrheit herauszufinden. Sie macht sich auf den Weg nach Europa und läßt sich von achtzehn Postkarten leiten, die ihre schöne und abenteuerlustige Schwester von den Stationen ihrer Reise geschrieben hat. London, Amsterdam, Paris - Faith hat alles mitgenommen und ausprobiert, was die Zeit des Umbruchs hergab: Demos, Drogen und die Träume von einer besseren Welt. In München trifft Phoebe schließlich Wolf, den ehemaligen Freund ihrer Schwester, mit dem sie nach Italien fährt, der letzten Station von Faiths Reise. Der sensibel erzählte Roman schildert nicht nur Phoebes Suche nach der Wahrheit, die zu einer Reise ins eigene Ich wird, sondern auch den Aufbruch einer Generation, deren Traum von Freiheit in Gewalttätigkeit umschlug.
Über die Autorin
(dito, Geburtsjahr bei Wikipedia recherchiert)
Jennifer Egan, geboren 1962 in Chicago und aufgewachsen in San Francisco, lebt heute in New York. Sie schrieb zahlreiche Kurzgeschichten, unter anderem für den "New Yorker". Zuletzt erschien von ihr auf deutsch der Erzählungsband "Emerald City" und der Roman "Look at Me".
Meine Meinung
Der Roman (OT: "The Invisible Circus) ist ein moderner Entwicklungsroman, eine Art Roadmovie in Romanform.
Phoebe hat zeitlebens im Schatten ihrer schöneren, begabteren Schwester gestanden, die das Lieblingskind des früh verstorbenen Vaters war. Nach Faiths Tod scheint für Phoebe die Zeit stehen geblieben zu sein - sie setzt alles daran, die übriggebliebene Familie zu "konservieren". Das scheitert, als sich ihre Mutter wieder verliebt. Und dies ist der Impuls für Phoebe, in die Fußstapfen ihrer Schwester zu treten und Faiths Spuren auf der Reise durch Europa zu verfolgen.
Im Englischen sagt man ja "to walk in somebody else's shoes", und genau das macht Phoebe, in dem sie die Plätze aufsucht, an denen Faith damals war, Menschen aufsucht, die ihre Schwester gekannt haben und sich in eine Liebesaffaire mit Faiths früherem Freund Wolf stürzt.
Doch im Lauf der Reise muss Phoebe erkennen, dass ihr Bild von Faith nicht der Realität entspricht. Sie muss einige Illusionen begraben, spätestens, als sie die Wahrheit über Faiths Tod herausfindet. Aber so kann sie sich schlußendlich vom übermächtigen Schatten ihrer Schwester befreien und ihr eigenes Leben beginnen.
Ich kenne das englische Original leider nicht (habe das Buch mal wieder am Grabbeltisch ergattert ), aber bis auf einige wenige Stellen, an denen die englischen Wendungen spürbar besser passen, halte ich den deutschen Text für gelungen. Der deutsche Titel stört mich wie oben angeführt allerdings sehr, denn "The Invisible Circus" bezieht sich auf eine Kindheitserinnerung von Phoebe, die eng mit Faith und Wolf verbunden ist und die als wichtige Metapher noch einige Male im Lauf der GEschichte aufgegriffen wird.
Der Roman vermittelt gut den damaligen Zeitgeist und Phoebes Sinneseindrücke der verschiedenen Länder, Städte und Erfahrungen. Spannend fand ich nicht zuletzt auch die externe Sicht auf eine Episode deutscher Geschichte, nämlich die 70er Jahre und die RAF.
Vor allem aber ist es die Geschichte Phoebes, die mich berührt hat - das Ringen um die eigene Identität, den Platz im Leben, die klare Sicht auf die eigene Vergangenheit und die Familie. Und darüber hinaus enthält das Buch einige sehr wahre und kluge Gedanken über das Wesen der Liebe. Sehr schön zu lesen!
Tipp: Mal wieder stand ein Film am Anfang, den ich zufällig in meinem heiss geliebten Schweizer Fernsehen spät nachts im Original gesehen habe:
"The Invisible Circus" von 2001, mit Jordana Brewster als Phoebe, Christopher Eccleston ("most underrated actor ever" ) als Wolf, Cameron Diaz in der Rolle der Faith und in einer winzigen Nebenrolle - jawoll!! - "uns" Moritz Bleibtreu.
Mich hatte der Film sofort am Haken, weil er traumhaft schön photographiert ist, in sehr intensiven, sonnigen Farben, und weil er Phoebes Besessenheit von Faith in ganz eigenen Bildern sichtbar macht. Absolut empfehlenswert und gleichwertig mit dem Roman!
(DVD gibt's günstig bei amazon - und falls möglich, unbedingt im Original angucken: Cameron Diaz ein paar deutsche Worte schwer akzentbeladen sprechen hören ist einfach klasse! )