Tim Parks - Stille

  • Titel: Stille
    Originaltitel: Cleaver
    Autor: Tim Parks
    Seitenzahl: 359
    Verlag: Antje Kunstmann GmbH München
    Erschienen: August 2006
    ISBN: 3888974437
    Preis: 22,00 EUR


    Inhalt:
    Harold Cleaver ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere als Fernsehjournalist. Über sein denkwürdiges Interview mit dem amerikanischen Präsidenten spricht man im ganzen Land, nicht nur in London. Man spricht aber auch über das gerade erschienene Buch seines Sohnes, ein kaum verschlüsselter Roman über seinen Vater: ¯Im Schatten des Allmächtigen®. Und plötzlich ist ihm klar, dass er weg muss. Weg von der medialen Öffentlichkeit, die er so hervorragend bedient und die ihn gleichzeitig beherrscht, weg von seiner langjährigen Lebensgefährtin und den gemeinsamen Kindern. Das Bedürfnis nach Stille ist übermächtig. Wochen später, eingeschneit in einer abgelegenen Hütte, allein und sprachlos, weil er die Sprache der Bauern nicht versteht, die ihn mit Lebensmitteln und Whisky versorgen, muss er feststellen, dass die Stille kein Garant für Ruhe ist und dass nichts so verstörend ist wie die Stimmen im eigenen Kopf.


    Autor:
    Tim Parks wurde 1954 in Manchester geboren. Er studierte in Cambridge und Harvard. Er gewann zahlreiche Literaturpreise, darunter den Somerset-Maugham-Award. Er lebt mit seiner Familie in Verona.


    Meine Meinung:
    Tim Parks schafft es nicht ganz, der Stille eine Stimme zu geben. Das Buch enttäuscht nicht, lässt einen aber auch nicht in einen echten Begeisterungstaumel geraten. Routiniert wird die Geschichte von einem Aussteiger erzählt, der sich selbst noch nicht darüber im Klaren ist, ob er eigentlich wirklich aussteigen will. Sein Kampf mit den Elementen der Berge (Schnee und Sturm) wird nur am Rande und ziemlich lieblos erwähnt. Die handelnden Personen bleiben blass, mit einer Ausnahme vielleicht, und diese Ausnahme ist die Hündin Uli. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn die Handlungen und Zweifel des Harold Cleaver etwas mehr in die Tiefe gehend geschildert worden wären, so bleibt alles ein wenig zu sehr an der Oberfläche. Das Buch ist durchaus gut zu lesen, der Schreibstil ist angenehm und die Lesezeit dieses Buches ist beileibe keine vergeudete Zeit. Nur bin ich der Meinung, dass man aus diesem Thema hätte mehr machen können. Vieles wirkt sehr routiniert und nicht immer mit Herzblut geschrieben. Aber vielleicht ist diese Distanz zum Leser ja auch gewollt. Man taucht in dieses Buch nicht so richtig rein, aber das sind natürlich nur alles ganz subjektive Eindrücke.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Voltaire
    Routiniert wird die Geschichte von einem Aussteiger erzählt, der sich selbst noch nicht darüber im Klaren ist, ob er eigentlich wirklich aussteigen will.


    Was bei mir vor allem hängen blieb:
    Seine - fast schon verzweifelt wirkende - Sehnsucht, irgendwo "einzusteigen". Sehr schnell redet er sich ein, bei den Familien des Dorfes wäre ein Platz für ihn, die Frauen hätten quasi nur auf ihn gewartet - ohne die einzelnen Familiensituationen wirklich zu kennen.
    Außerdem scheint er häufig einen Skandal zu wittern - mit dem typischen Blick des Medienmanns!?
    Dazu die Abhängigkeit vom Handy - so richtig klappt das Aussteigen wirklich nicht.... ;-)


    Zitat

    Original von Voltaire
    Sein Kampf mit den Elementen der Berge (Schnee und Sturm) wird nur am Rande und ziemlich lieblos erwähnt.


    Das hat mich auch etwas gewundert. Hier hätte ich mir eine eindrücklichere Schilderung der unausweichlichen Schwierigkeiten erwartet.


    Zitat

    Original von Voltaire
    Es wäre wünschenswert gewesen, wenn die Handlungen und Zweifel des Harold Cleaver etwas mehr in die Tiefe gehend geschildert worden wären, so bleibt alles ein wenig zu sehr an der Oberfläche.


    Ich glaube, dass Harold Cleaver einfach ein sehr oberflächlicher Mensch ist, dementsprechend sind auch seine geschilderten Gedanken...
    Aufgefallen ist mir noch der häufige Wechsel der Perspektive:
    Mal wird von Cleaver in der dritten Person gesprochen ("Er schlug sich die Schulter an"), dann gibt es in einer Art Selbstgespräch die zweite Person ("Du hast dich für alles übereilt entschieden"), und schließliche die erste Person ("Ich bin ein hastiger Mensch"). Diese Wechsel folgen in sehr kurzen Abständen aufeinander und ich überlege noch immer, ob das einfach ein besonders Stilmittel ist, um etwas Abwechslung hineinzubringen oder ob der Autor damit etwas bestimmtes bezweckt (z. B. den Aussagen jeweils ein besonderes, eigenes Gewicht oder eine andere Perspektive mit anderem Hintergrund zu geben) und ich einfach nicht dahintergekommen bin... :gruebel
    Bei einer der englischen Stellen habe ich - trotz der dahinterstehenden Übersetzung - ein Verständnisproblem:
    "A man shall cleave unto his wife, and they shall be one flesh. One meat. Ein Mann wird an seinem Weibe hangen, und werden die zwei ein Fleisch sein. Ein Fleisch."
    Ich denke, es hat schon etwas zu bedeuten, dass hier im englischen zwei Begriffe für "Fleisch" stehen - ist das so unmöglich zu übersetzen? Mich hat der deutsche Satz mit zweimal "Fleisch" jedenfalls etwas irritiert... :gruebel

  • Meine Meinung:


    Aufgrund des Klappentextes hatte ich mir eine ruhige, kontemplative Lektüre versprochen und im Prinzip genau das bekommen. Allerdings nicht unbedingt im positiven Sinne, über weite Strecken habe ich den Roman eher als zäh und ermüdend empfunden.


    Obwohl Harold Cleaver in seinen Charaktereigenschaften und auch vom äußeren Erscheinungsbild her durchaus greifbar gezeichnet ist, habe ich ihn als blasse, uninteressante Figur erlebt, wobei ich diesen Eindruck nicht mal konkret begründen kann. Im Grunde passiert nichts in diesem Buch, Cleaver sinniert immer wieder über einzelne Passagen aus dem Roman, den sein Sohn unter dem Deckmantel der Fiktion über seinen Vater geschrieben hat, um festzustellen, dass sein Selbstverständnis ein ganz anderes ist. Es mag dieser Figur nicht recht gelingen, zur Ruhe zu kommen, einen schonungslos ehrlichen Blick auf die eigene Person zu werfen und sich weiterzuentwickeln ...


    Irritiert hat mich, dass der Verlust seiner Tochter Angela, der in Cleavers Gedanken immer präsent ist und ihn in meinem Empfinden entscheidend geprägt hat , nicht näher thematisiert wurde. Gerade diese Stellen im Buch, an denen sich Cleaver an Angela erinnert, bringen etwas zum Klingen, verheißen einen wie auch immer gearteten tieferen Sinn und wem das zu schwülstig ist, wenigstens einen emotionalen Zugang zur Figur Cleavers. Da lässt Tim Parks den Leser allerdings an ausgestreckter Hand verhungern ...


    Im Endeffekt weiß ich nicht so recht, was mir Stille nun sagen wollte ...
    Was aber nicht weiter schlimm ist, da dieser Roman m. E. nicht genug Substanz hat, um großartig darüber nachzudenken.
    Zudem war es ganz angenehm, eine Bettlektüre zu haben, die einen nicht ewig wach hält, sondern nach spätestens 5 Seiten einschlummern lässt.

  • Stille - naja, nicht wirklich.


    Harold Cleaver steigt aus. Bisher gefeierter Medienstar, will er nun in den Schweizer Alpen seine Ruhe finden. Er reist ohne Gepäck an, nicht mal eine Lesebrille hat er dabei. Und er spricht die Sprache nicht, beste Voraussetzungen, mal völlig abzuschalten. Soweit der Vorsatz.


    Doch in ihm rumort es. Er kommt kaum zur Ruhe, sinniert ständig über sich und sein Leben nach und setzt sich mit dem Buch seines Sohnes auseinander, das ihn, den Vater, zum Thema hat.


    Ich habe das Buch im Rahmen eines Lesekreises gelesen, ansonsten hätte ich es wohl nicht angefasst bzw. nicht beendet.


    Harold Cleaver war mir total unsympathisch. Nicht mal zu sich selbst scheint er ehrlich zu sein. Ständig ist im Hinterkopf das Mediengehabe, das er bisher als Lebenselixier brauchte. Die Auseinandersetzung mit dem Sohn erfolgt nur halbherzig. Jeder Angriff auf sich selbst wird abgetan, nicht ernsthaft durchdacht. Ein Harold Cleaver hat doch keine Zweifel an sich selbst.


    Der Roman hätte um etliche Seiten gekürzt werden können, meiner Meinung nach. Harold kommt mit sich nicht voran, und zur Stille findet er auch nicht. Das hätte man interessanter gestalten können.


    Die häufigen Perspektivwechsel und Wiederholungen haben mich irgendwann auch nur noch genervt. Tim Parks kommt mir nicht mehr ins Haus.


    Henning Mankells "Italienischen Schuhe" zeigen auch einen Mann in der Einsamkeit, doch da passiert wesentlich mehr, auch in der inneren Auseinandersetzung.


    Von mir nur 5 Punkte.

  • Der Vergleich mit "Die italenischen Schuhe" ist gar nicht schlecht... obwohl die Entwicklungen natürlich ganz andere sind.
    "Stille" hat mich auch nicht wirklich überzeugt, obwohl die Thematik interessant war und es auch teilweise interessante Ansätze gab. Die Idee, einfach alles hinter sich zu lassen, fasziniert mich ziemlich. Aber ich fand es hier in großen Teilen nicht besonders überzeugend ge- und beschrieben.

    "Ich bin dreimal angeschossen worden – was soll man da machen." (Robert Enke)


    "Accidents" happen in the dark.

  • Habe gestern den Film angeschaut und jetzt die Rezi von Voltaire gelesen. Es scheint, als hätte Voltaire diese Rezi auch gleich für den Film geschrieben. :anbet


    Genau mit diesen Worten hätte ich den Film beschrieben:
    Tim Parks schafft es nicht ganz, der Stille eine Stimme zu geben. Der Film enttäuscht nicht, lässt einen aber auch nicht in einen echten Begeisterungstaumel geraten. Routiniert von Berben und Fedder gespielt, bleiben die Personen doch etwas blass. Der Hund hat mich persönlich im Film nur genervt. Routiniert und mit zu wenig Herzblut...
    Und das Ende war etwas gewollt und nicht ganz auserzählt, fand ich


    Wie gesagt, hat Voltaire ja bereits alles genau so perfekt ausgedrückt. :wave

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Die Hexenholzkrone 1 - Tad Williams



    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Zitat

    Original von hollyhollunder
    Und das Ende war etwas gewollt und nicht ganz auserzählt, fand ich


    Das Ende habe ich nicht ganz verstanden ?(


    Ansonsten stimme ich auch vollkommen zu,aber verglichen mit dem was ARD und ZDF sonst so senden, war ich noch ganz zufrieden.
    Und Jan Fedder hat endlich mal wieder eine etwas andere Rolle gespielt, immerhin!