Die Ich-Form im Roman

  • Für viele Leserinnen der Jugendbuchreihe, für die ich schreibe, ist es ein eindeutiges Negativ-Kriterium, wenn der Roman nicht in der Ich-Perspektive geschrieben ist. Manche Bücher der Reihe werden tatsächlich von einigen aus diesem Grund abgelehnt. Ich richte mich gern danach, es kommt meiner Art zu schreiben entgegen, sehe aber auch eine gewisse Verantwortung, da sich die Mädchen vermutlich stark mit der Ich-Erzählerin identifizieren.


    Liebe Grüße,


    Tina

  • Zitat

    - Habt ihr als Leser/innen eine bevorzugte Erzählperspektive beim Roman? Wenn ja, warum?


    Nein, hab ich nicht. Tatsächlich ist es mir egal. Allerdings gelingt es manchen Autoren, die ihren Roman in der Ich-Form schreiben, ihre Geschichte wirklich zu "erzählen". Ich höre dann sozusagen ihre Erzählstimme im Kopf und lasse mich so an die Hand nehmen und durch die Geschichte leiten. Ich entwickele praktisch eine persönliche Beziehung zum Ich-Erzähler, weil ich ihm so gebannt lausche. Sie sind Shererazade und ich folge fasziniert ihrer Geschichte.
    Das gelingt aber nur manchmal.
    Spontan fallen mir "Der Historiker" von Elizabeth Kostova und gerade letztens "Die fremde Freundin" von Katy Gardner ein. Da habe ich mich durch die Ich-Erzählerin sehr nahe an der Geschichte gefühlt.

  • Wenn ich schreibe, wähle ich am liebsten die Ich-Form - weil ich so eine größere Nähe zu meiner Hauptfigur bekomme, mich besser in sie hineinversetzen kann und nicht zuletzt, weil das mein Blickfeld auf die Geschichte von vornherein beschränkt. Ich hätte Probleme eine Geschichte aus auktorialer Sicht zu schildern, ohne mich dabei zu verrennen.


    Ich überlege mir aber in jedem Fall, ob die Ich-Form wirklich angebracht ist. Dass ich beim Erzählen meist in den Präsenz verfalle, geschieht automatisch und scheint mein Stil zu sein.


    Beim Lesen bin ich für alle Perspektiven offen - so lange sie passen, durchgehalten werden und die Erzählung natürlich bleibt. Schlecht ist es, wenn ein Ich-Erzähler Hintergründe oder Nebenschauplätze erwähnt, die er gar nicht wissen kann. Usw...

  • Zitat

    Original von beowulf
    Ich merke das an so einer harmlosen Sache wie dem Thread "wo seid ihr" wenn ich ein neues Buch anfange muß ich immer etwas lesen um die Figur zu finden, deren "ich" dort beschreibe- z.B. beim aktuellen Eric Maron "Die Rebellinnen von Mallorca" gibt es drei Hauptfiguren mit getrennten Handlungssträngen, dort poste ich nur, wenn der Handlungsstrang die männliche Hauptfigur beschreibt (logo oder nicht?).


    Echt? Nö, geht mir nicht so. Da ich ja überwiegend Bücher mit männlichen Hauptfiguren lese, beschreibt mein "ich" in dem Thread nahezu immer einen Mann.


    Ich hab keine bevorzugte Erzählform, ausser, dass ich mit Büchern, die im Präsens geschrieben sind, meine Probleme habe. Und die Du-Form mag ich überhaupt nicht. Die für mich allerschlimmste Kombination ist mir mal bei Waltraut Lewin begegnet - Du + Präsens:


    "Aber Du bist nicht in der Lage, etwas zu sagen, von tun ganz zu schweigen. Was auch. Was könntest Du sagen oder tun? Du bist ein Knabe von vierzehn Jahren. Du stehst auf und gehst, verlässt diesen Raum, hinter dir hörst Du den Riegel."


    Wobei ich mit "dem Knaben von vierzehn Jahren" gut mitfühlen konnte, aber den Stil fand ich nahezu unerträglich.


    Ansonsten muss, wie schon gesagt, die Form zum Inhalt passen. Ich hab auch grad ein Buch gelesen (Die Frau mit den Regenhänden), in dem der neuere Teil in der Ich-Form geschrieben ist und der Teil in der weiteren Vergangenheit nicht und das passte und die Teile gingen nahtlos ineinenader über, trotz des Perspektivenwechsels.


    Zitat

    Original von Iris
    Als Leserin habe ich eigentlich nur Probleme damit, daß der triviale pseudo-auktoriale Erzähler inflationär verwendet wird (Dritte Person, Vergangenheit, allwissend, alles fertig ausdeutend und vorkauend ...). Solche Bücher kaufe ich nicht mehr. Sobald ich das im Buchladen merke, wandert das Teil wieder ins Regal.


    Ja. Ganz grauenhaft. Wenn ich irgendwas hasse, dann, alles vorgekaut zu bekommen. :fetch

  • Mir ist egal, welche Perspektive der Autor benutzt. Wichtig ist nur, dass ich mich in das Geschehen und in die Emotionen der Protagonisten einfühlen kann. Wenn ich während des Lesens meine Umwelt komplett ausblenden kann und wirklich in der Geschichte lebe, dann ist es dem Autor gelungen ;)
    Ich mag es vor allem, wenn der Autor mit der Perspektive spielt (na gut, das geht nicht bei jeder Geschichte, aber manchmal...)


    Selber benutze ich eigentlich auch beides, kommt ganz drauf an, was ich ausdrücken möchte.
    In meinem Buch hab ich beispielsweise etwas "rumgemixt". Im Prinzip ist es die Ich-Perspektive, allerdings erzählen zwei Personen (Lisa und Diana). Lisa trägt die Handlung sozusagen, sie erzählt, was passiert, schildert ihre eigenen Gefühle und erzählt, wie sie ihre Freundin Diana erlebt. Diana hingegen taucht nur in Form ihres Tagebuchs auf (Lisas Erzählung und Dianas Tagebuch wechseln sich immer ab). Diese Art "Perspektivenwechsel" habe ich gewählt um zu zeigen, wie Diana einerseits auf die Außenwelt wirkt und wie sie sich andererseits selbst erlebt. (oh Gott, ich hoffe, das war irgendwie verständlich?)


    Na ja, wie gesagt, letztlich zählt doch nur, wie das Geschriebene beim Leser ankommt und ob er sich einfühlen kann und dass er das Buch nicht entnervt in die Ecke wirft ;)


    Grüße,
    Sandra...

  • Zitat

    - Habt ihr als Leser/innen eine bevorzugte Erzählperspektive beim Roman? Wenn ja, warum?


    Ich komm eigentlich mit allen Erzählperspektiven klar.


    Zitat

    - Habt ihr als Autoren/innen eine bevorzugte Erzählperspektive? Wenn ja, warum? Was ist an der Ich-Form so schwierig?


    Ich habe vor kurzem eine Geschichte in Ich-Form angefangen. Bis jetzt ist mir nichts wirklich "schwieriges" aufgefallen, es ist nur ungewohnt, weil es mein erstes Projekt in dieser Form ist.


    LG,
    Rava

    Ich, ohne Bücher, bin nicht ich.


    Bücher sind lebensnotwendig. Ohne Bücher existiere ich. Aber ich lebe nicht.

  • Ich habe keine bevorzugte Erzählperspektive. Im Grunde komme ich mit allen klar.
    Da ich selbst nicht so viel schreibe, kann ich zur zweiten Frage nicht viel sagen. Wenn ich allerdings mal etwas geschrieben habe, fiel mir die Ich-Perspektive am Leichtesten.

    Auch aus Steinen,
    die dir in den Weg gelegt werden,
    kannst du etwas Schönes bauen

    Erich Kästner

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  • :write :write :write


    Ergänzung: Das Beispiel habe ich für mich aus dem Zitat gestrichen, weil ich das Buch nicht kenne.

  • Früher konnte ich nichts anderes lesen als dritte Person Mitvergangenheit. Aber mittlerweile spielen Perspektive und Zeit nicht mehr wirklich eine Rolle für mich, solange das Buch gut ist.
    Gerade die von Delphin mit Schrecken zitierte Lewin, die für sie Negativbeispiel ist, ist für mich Positivbeispiel. Ich stecke nach einiger Zeit so tief drinnen, in einem guten Buch, daß mir solche Feinheiten gar nicht mehr auffallen.
    Bei der Ich-Form ist halt der Unterschied, daß man im Kopf des Erzählers drinsteckt und ihn schon mögen sollte, um das auf Dauer aushalten zu können. Und gleichzeitig sollte der Autor hier wohl noch mehr als bei der dritten Person darauf achten, daß er einen dreidimensionalen Charakter erschafft.


    Ganz besonders interessant finde ich es, wenn ein Autor Person und Zeit als Stilmittel einsetzt. Besonders eindrucksvoll habe ich das bei unten aufgeführtem Buch erlebt.
    Das Buch beginnt zum Schrecken der Leser mit 2. Person Gegenwart. Aber aus einem sehr guten Grund, da sich der Erzähler von dem Erzählten distanziert. "Das bin ja gar nicht ich."
    Dann wechselt er zu 1. Person Mitvergangenheit. Gegen Ende aber, als ihn die Ereignisse buchstäblich überrollen und ihn die Vergangenheit einholt, ist es auf einmal Gegenwart. Und genau das zieht einen noch tiefer in das Buch, weil man es mit ihm erlebt.
    Und das schöne an Lowachee ist, daß sie dieses Stilmittel in den beiden Nachfolgebüchern wieder ganz anders einsetzt. Habe ich in der Form noch nicht erlebt.

  • Zitat

    Anders kann ich das nicht ausdrücken.


    War schon ganz in Ordnung, Iris. :grin


    Ein Ich-Erzähler fokussiert das Geschehen eines Romans auf diese (dessen) Figur, ist überaus subjektiv und extrem persönlich. Der Leser erwartet, die Figur des Erzählers durchdringen zu können; dieser Erzähler darf sozusagen keine Geheimnisse vor dem Leser haben. Das funktioniert nicht in allen Genres und bei allen Textgattungen, aber einige leben nachgerade von dieser Erzählhaltung, zum Beispiel vieles aus dem Bereich "Popliteratur", aber auch einige Kriminalromane usw.


    Wenn personal erzählt wird, also zwar aus der Sicht einer Figur, aber nicht als Ich-Erzähler (kann auch von Figur zu Figur wechseln), nimmt der Erzähler mehr die Position eines Beobachters ein. Es ist zwar auch hier durchaus möglich, die subjektive Sicht der Figur zu unterstreichen, aber es bleibt eine gewisse Distanz zwischen Erzählschicht und Person. Die meisten Autoren, insbesondere von stark handlungsorientierter Belletristik, bevorzugen diese Perspektive. Sie hat ihre Vorteile, droht aber zuweilen, etwas diffus zu werden. Manch einer springt auch personal von Figur zu Figur.


    Und der allwissende, auktioriale Erzähler, da schließe ich mich vollumfänglich Iris an, nervt in der Hauptsache. Das liegt daran, daß viele Autoren, die diese Perspektive nutzen, zur Vorwegnahme von Ereignissen neigen, und Informationen aus der Sicht aller möglichen Figuren reichen, ohne das, was besser wäre, zum Bestandteil der Handlung zu machen. Auktorial erzählte Romane wirken manchmal auf seltsame Art unglaubwürdig. Es fühlt sich nicht richtig an, daß jemand alles weiß - und es auch noch berichtet.


    Das aus Autorensicht. Aus Lesersicht ist es mir weitgehend schnuppe, wobei mir spontan kein guter auktorial erzählter Roman einfällt, aber es gibt sicher welche.

  • Was mich ja auch fasziniert, ist das was Dorothy Dunnett ganz extrem macht. Da bekommt man nur ganz, ganz selten (also so ein, zwei Mal pro Buch) eine Innenansicht der Hauptfigur und ansonsten sieht man die Hauptfigur immer nur durch die Brille der anderen. Und die anderen sehen die Dinge eben nicht so wie sie sind. Und das wird auch nicht durch einen allwissenden Erzähler korrigiert. Dadurch bin ich schon unheimlich gut an der Nase herumgeführt worden. Wobei ich ja inzwischen misstrauisch bin. :grin


    Zitat

    dieser Erzähler darf sozusagen keine Geheimnisse vor dem Leser haben.


    Aber es gibt auch Bücher, bei denen das nicht so ist, glaub ich. :gruebel Zum Beispiel John Banvilles "Der Unberührbare" ist in der Ich-Form erzählt und die Hauptfigur hat bis zuletzt Geheimnisse vor dem Leser.
    .

  • Ich finde, die Form muss zum Buch passen.
    Bei "Bartimäus" sind einige Teile in Ich-Form geschrieben (also die von Bartimäus) und das finde ich toll, bei "Beute" von Michael Crichton musste ich mich an die Ich-Form etwas gewöhnen, aber das Buch war so toll, dass ich da eigentlch keine Schwierigkeiten hatte.
    Bei einem Buch von Patricia Cornwell hat es mich aber schlicht und einfach nur gestört. Ich gaube, dass sich für mich die Ich-Form und Thriller eher nicht verstehen. :gruebel

  • Mir persöhnlich gefällt die Ich-Form in Romanen sogar am besten! Sie ist meine Lieblingsperspektive, jedoch stört es mich jetzt nicht wenn ein Buch in einer anderen Perspektive geschrieben ist. Dort ist man einfach direkt angesprochen und man kann sich in die Romanfigur besser hineinversetzten! Bei Harry Potter ist das Buch z.B. nicht in der Ich-Form geschrieben und da fällt es einem doch oft schwer das ganze aus Harrys Sicht zu betrachten. Bei solchen Bücher fühlt man sich dann doch eher wie eine Person die daneben steht und das Geschehen betrachtet.


    Vom Schreiben her fällt es mir auch am leichtesten ein Buch in der Ich-Form zu schreiben! Da geht alles einfach viel leichter von der Hand!

  • Zitat

    Original von Tom
    Ein Ich-Erzähler fokussiert das Geschehen eines Romans auf diese (dessen) Figur, ist überaus subjektiv und extrem persönlich. Der Leser erwartet, die Figur des Erzählers durchdringen zu können; dieser Erzähler darf sozusagen keine Geheimnisse vor dem Leser haben.


    Das wäre ja doof! Literatur lebt doch von Täuschung und Ent-Täuschung.


    Außerdem bestreite ich, daß es auch nur einen Menschen gibt, der vor sich selbst keine Geheimnisse hat, was ja Voraussetzung dafür wäre. :grin

  • Zitat

    Original von Delphin
    Was mich ja auch fasziniert, ist das was Dorothy Dunnett ganz extrem macht. Da bekommt man nur ganz, ganz selten (also so ein, zwei Mal pro Buch) eine Innenansicht der Hauptfigur und ansonsten sieht man die Hauptfigur immer nur durch die Brille der anderen. Und die anderen sehen die Dinge eben nicht so wie sie sind. Und das wird auch nicht durch einen allwissenden Erzähler korrigiert. Dadurch bin ich schon unheimlich gut an der Nase herumgeführt worden. Wobei ich ja inzwischen misstrauisch bin. :grin
    .


    Und dieses an der Nase herumgeführt werden ist ein tolles Leseerlebnis. Das erzeugt für mich Spannung, wenn ich mir über die Person des Protagonisten bis zum Ende hin nie wirklich sicher sein kann.