Henry Miller - Wendekreis des Krebses

  • Henry Miller's "Wendekreis des Krebses" 1934 (!!!) veröffentlich, war damals ein wagemutiger Schritt in Richtung Skandalofferte. Er wurde 1891 geboren, der Mann, den man als literarisches Phänomen und als einen der Väter der später aufkommenden Beat-Generation bezeichnen kann. Er schrieb in künstlerisch ungewöhlicher Weise auf sein "hirnverbranntes Zeitalter" reagierend und wie kaum ein anderer amerikanischer Schriftsteller löste er Begeisterung und auch Ablehnung unter seiner Leserschaft aus.


    Das Elternhaus empfand er als Kerker, die Schule als Halfter, die Arbeit als Fessel. Zahlreiche Jobs und das unkonventionelle Leben unter Hungerleidern und Ausgeflippten New Yorks wurden zu seinen Universitäten und formten sein kritisches Amerikabild.


    Im "Wendekreis des Krebses" hat es ihn nach Europa getrieben, ins Paris der 30er Jahre, jene faszinierende Stadt, die schon Dante und Van Gogh anzog, in der man einfach "von Kummer und Qual" leben kann. Ob als Arbeitsloser, als Fotomodell oder Zeitungskorrektor, ob in Gesellschaft von Künstlern, von Huren oder Exzentrikern, stets schwebt er zwischen Weltuntergangsstimmung und Daseinseuphorie, artikuliert er in radikaler Selbstentblößung, seinem großen Vorbild Walt Whitman getreu, leidenschaftliche Bekenntnisse zu einem von Zwängen und Tabus befreiten Leben, zu ungehemmter Geschlechtsliebe und rüttelt mit poesievollen Wortkaskaden, wahnwitzigen Metaphern, Haßtiraden und Obszönitäten an den Grundfesten der bürgerlichen Moral.


    Und wenn auch die gewaltigen Explosionen dieses widersprüchlichen enfant terrible nach einem Abstand von über 60 Jahren ein wenig an Sprengkraft verloren haben und oft nicht frei sind von unbeabsichtigter Komik, haben sie doch in ihrer Zeit ein deutliches Zeichen in die Prosaliteratur des letzten Jahrhunderts gesetzt.


    Das Buch weckt "unser Verlangen nach den ursprünglichen Wirklichkeiten, sein vorherrschender Ton scheint ein Ton der Bitterkeit zu sein, und wirklich ist darin Bitterkeit der Fülle. Doch auch wilde Ausgelassenheit ist darin, eine irre Fröhlichkeit, eine Verve, ein lustvolles Behagen, zuweilen fast ein Delirium. Ein ständiges Schwanken zwischen den Extremen mit öden Zwischenstrecken, die wie Messing schmecken und den ganzen Geschmack der Leere hinterlassen. Es steht jenseits von Optimismus oder Pessimismus. Miller hat uns den letzten frisson gegeben. Geheimere Schlupfwinkel kennt der Schmerz nicht." (Anais Nin) - ich hätte es nicht treffender beschreiben können.

  • Hab ich vor 13 Jahren gelesen....


    Damit fing eine kleine Miller-Sucht bei mir an. Allerdings ist die dann eher zu einer :anbet Anais Nin-Sucht geworden...

    ...der Sinn des Lebens kann nicht sein, am Ende die Wohnung aufgeräumt zu hinterlassen, oder?


    Elke Heidenreich


    BT

  • Bei mir ist es noch viel länger her und jetzt habe ich gerade nachgesehen und festgestellt, dass ich noch "Sexus" von ihm habe. Aber heute gehört er eigentlich nicht mehr zu meine Favoriten.

  • Ich hab mich aus der Bücherei mit allem eingedeckt, was da so an Miller zu kriegen war. Nach allem, was ich so gehört habe, will ich jetzt auch wissen, was er so schreibt.


    Allerdings muss Henry noch warten, bis ich meine Weissheitszähne gezogen kriege, dafür wird grad schon ein gewisser Büchervorrat zusammengerafft.


    Ich bin gespannt.

  • Noch nicht ganz ein Jahr ist es her, dass der letzte Beitrag hier geschrieben wurde.


    Ist denn Henry Miller bei euch eher verpöhnt oder schreibt er einfach zu sehr unter der Gürtellinie?


    Ich habe bisher das Buch "Sexus", allerdings noch immer nicht durch, es sind ein paar andere Bücher dazwischengerutscht :-), die erst noch gelesen werden müssen.


    Opus Pistorium habe ich mir neulich auch noch zugelegt.



    "Wendekreis des Krebses" - hm, das wird vielleicht irgendwann einmal gekauft, wenn mein SUB fertig gelesen ist.


    Also, was meint ihr zu diesem Autor eigentlich??

  • Ich hatte mir eigentlich vorgenommen über Weihnachten etwas von Henry Miller zu lesen und hatte dabei "Sexus" ins Auge gefasst. Nachdem ich jetzt einige Male im Buchladen durch das Buch geblättert habe, bin ich mir nicht mehr so ganz sicher, ob ich es WIRKLICH lesen möchte. ;-)


    Hat es einer von den Eulen schon gelesen und kann es mir entweder empfehlen oder davon abraten?

  • Zitat

    Original von buzzaldrin
    Ich hatte mir eigentlich vorgenommen über Weihnachten etwas von Henry Miller zu lesen und hatte dabei "Sexus" ins Auge gefasst. Nachdem ich jetzt einige Male im Buchladen durch das Buch geblättert habe, bin ich mir nicht mehr so ganz sicher, ob ich es WIRKLICH lesen möchte. ;-)


    Hat es einer von den Eulen schon gelesen und kann es mir entweder empfehlen oder davon abraten?


    Ja ich habe das Buch "Sexus" von Miller. Ich habe es mal angefangen zu lesen. Einige Stellen sind schön aber dann wurde es nach einer Zeit leider zu langweilig. Also man MUSS es nicht kaufen.

  • Zitat

    Original von Majorana
    Ja ich habe das Buch "Sexus" von Miller. Ich habe es mal angefangen zu lesen. Einige Stellen sind schön aber dann wurde es nach einer Zeit leider zu langweilig. Also man MUSS es nicht kaufen.


    Danke für deine Antwort Majorana. Dann werde ich es mir vielleicht doch lieber einfach aus der Bücherei ausleihen ... ich bin schon gespannt, wie es mir gefallen wird.

  • Moin, lieber buzzaldrin!


    Ich habe Sexus vor, hmm, sagen wir mal 20 Jahren gelesen, dazu fast den ganzen Rest seines Werks. Mir gefiel das unkonventionelle, rebellische, anti-bürgerliche in Millers Büchern, auch wenn ich von seinem Stil und den Läääääääääääääääägen darin nicht unbedingt begeistert war. :gruebel


    Wenn ich mittlerweile mal nur zum Spaß ein paar Seiten lese, finde ich es eigentlich ziemlich nervig und lange nicht so "tief" und "relevant" wie früher...


    Ich stimme Majorana zu, dass man das Buch wirklich nicht kaufen muss. Den Wendekreis empfand ich schon einen Tick besser, auch weil er kompakter ist, aber auch den gibt es in der Bücherhalle :chen


    LG harimau :wave

  • Zitat

    Original von harimau


    Wenn ich mittlerweile mal nur zum Spaß ein paar Seiten lese, finde ich es eigentlich ziemlich nervig und lange nicht so "tief" und "relevant" wie früher...


    Miller kann man wohl nicht losgelöst von der Zeit sehen über die und in der er schrieb. Lässt man diesen Zeitfaktor außer Acht, so wirken seine Bücher heute sicher nervig und auch die Tiefe und Relevanz, die eben nur im Hinblick auf die damalige Zeit deutlich werden, fehlen.


    Miller "hochgerechnet auf die heutige Zeit" würde unter Garantie genauso für Diskussionsstoff sorgen, wie seine Bücher es weiland getan haben. Liest man Miller aber mit dem passenden "Zeitfaktor" werden sich Tiefe und Relevanz ganz von allein wieder einstellen.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Hallo harimau! :wave


    Danke für deine interessante Einschätzung! Im Wendekreis des Krebses rückt jetzt auf jeden Fall etwas höher auf meiner langen Wunschliste - das werde ich sicherlich lesen.


    Bei Sexus schwanke ich immer noch ... aber vielleicht werde ich es ja doch als "tief und relevant" empfinden, da ich es zum ersten Mal lesen werde (und in einem rebellischen Alter bin :grin). Ich bin auf jeden Fall schon gespannt. :-)

  • Zitat

    Original von Voltaire


    Miller kann man wohl nicht losgelöst von der Zeit sehen über die und in der er schrieb. Lässt man diesen Zeitfaktor außer Acht, so wirken seine Bücher heute sicher nervig und auch die Tiefe und Relevanz, die eben nur im Hinblick auf die damalige Zeit deutlich werden, fehlen.


    Miller "hochgerechnet auf die heutige Zeit" würde unter Garantie genauso für Diskussionsstoff sorgen, wie seine Bücher es weiland getan haben. Liest man Miller aber mit dem passenden "Zeitfaktor" werden sich Tiefe und Relevanz ganz von allein wieder einstellen.


    Lieber Voltaire,


    da kann ich dir im Großen und Ganzen recht geben. Natürlich kann (und darf) man von Miller keine Jahrhunderte überdauernde Allgemeingültigkeit a la Shakespeare erwarten und muss ihn im Spiegel seiner Zeit betrachten. Trotzdem: er macht mir nun eben keinen Spaß mehr und hat sich für mich überlebt.


    Interessant finde ich deine Überlegung, Miller auf die heutige Zeit hochzurechnen. Was müsste er wohl schreiben, um den damaligen Skandal in unserer Zeit zu wiederholen??? :lache
    Starken Tobak, oder?


    LH harimau

  • Zitat

    Original von buzzaldrin
    Hallo harimau! :wave



    Bei Sexus schwanke ich immer noch ... aber vielleicht werde ich es ja doch als "tief und relevant" empfinden, da ich es zum ersten Mal lesen werde (und in einem rebellischen Alter bin :grin). Ich bin auf jeden Fall schon gespannt. :-)



    Hallo!


    Versuch dein Glück und stürz dich ins Lesevergnügen! :-) Wäre ja noch schöner, wenn sich die Jugend von alten Säcken wie mir das Lesen von kontrovers diskutierten Autoren ausreden ließe :lache


    Was Relevanz und Tiefe angeht, siehe Voltaire. Und beiseitelegen kannst du es schließlich immer noch...


    Lass mich wissen, wie es ausgegangen ist


    harimau

  • Ich habe den Krebs auch vor ein paar Monaten gelesen und empfand es schon als außergewöhnliches Leseerlebnis. Es kommt so ein Dahindümpern zwischen sehr atmosphärisch beschriebenen Stimmungen zustande, die einen dann beinah auch im eigenen Leben weiter begleiten.


    Das Opus Pistorum geht dagegen noch sehr viel stärker in Richtung erotische (wenn nicht sogar eher pornographische) Literatur. Ich habe es nie ganz gelesen, aber gerade dieses Werk eignet sich auch sehr gut für punktuelles Lesen, da es ziemlich episodenhaft geschrieben ist. Der Ich-Erzähler und sein 'Jean Jeudi' eben... :grin

    Unser Unglück erreicht erst dann seinen Tiefpunkt, wenn die in greifbare Nähe gerückte praktische Möglichkeit des Glücks erblickt worden ist. (Michel Houellebecq, Elementarteilchen)

  • Das Buch war so gar nichts für mich. Ich bin einfach damit nicht warm geworden. Ich habe Zeile für Zeile gelesen, aber es hat mich nicht berührt oder in irgendeiner Form erreicht.


    Das liegt aber nicht an der teilweise derben Ausdrucksweise oder an den provokanten Aussagen, sondern für mich war einfach keine Handlung erkennbar. Teilweise hatte ich das Gefühl, man bekommt ein paar Brocken hingeworfen und nun sieh zu.
    Sicherlich kann man in das Buch alle möglichen philosphischen Betrachtungen hineininterpretieren, aber wer weiß ob Miller das auch wirklich damit ausdrücken wollte? Oder wollte er einfach nur provozieren? Da bleibt gleich die Frage, was will man mir mit dem Buch mitteilen? Keine Ahnung.


    Für mich gehört es auf jeden Fall zu den Büchern, durch die ich mich am meisten gequält habe, das mich genervt hat und zu dem ich inhaltlich fast nichts sagen kann, außer das der Erzähler immer auf der Suche nach Unterkunft, Essen und Sex ist. Für ein gutes Buch ist mir das einfach zu wenig.


    2 von 10 Punkten

    Kein Buch ist so schlecht, dass es nicht auf irgendeine Weise nütze.
    (Gaius Plinius Secundus d.Ä., röm. Schriftsteller)

  • Titel: Wendekreis des Krebses
    OT: Tropic of Cancer
    Autor: Henry Miller
    Übersetzt von: Kurt Wagenseil
    Verlag: Rowohlt (rororo)
    Erschienen als TB: April 2012 (36. Auflage)
    Seitenzahl: 394
    ISBN-10: 3499143615
    ISBN-13: 978-3499143618
    Preis: 9.99 EUR


    Dieses Buch von Henry Miller gehört ohne Frage zu den herausragendsten und meistdiskutiertesten Werken der Weltliteratur. Immer wieder verfolgt, verboten und missverstanden hat sich dieses Buch doch dann einen festen Platz in der Literaturwelt erobert.


    Henry Miller formuliert gradlinig, schonungslos und dabei auch durchaus sensibel. Es ist diese ganz besondere Mischung, die unter anderem den Reiz dieses Buches ausmacht. Natürlich kann dieser Henry Miller auch austeilen, wer keine Gnade vor seinen Augen gefunden hat, den kann er schon literarisch niedermachen und ins Lächerliche ziehen. Aber das ist eben menschlich. Henry Miller stellt für sich ja nicht den Anspruch ein "Gutmensch" zu sein. Ganz im Gegenteil. Er ist ein Schnorrer, einer der gern auf Kosten anderer lebt, einer der nichts von Treue oder "unverbrüchlicher Freundschaft" hält. Er ist ein Mensch der zu seinen Charakterschwächen steht; denn es darf nicht vergessen werden, dass dieses Buch - wie so vieles von Henry Miller - autobiographische Züge trägt.


    Wer eine durchgehende Geschichte erwartet, wer einen Anfang und ein Ende erwartet, der sollte dieses Buch wohl besser nicht lesen. Dieses Buch hat eigentlich keine durchgehende Handlung bzw. fügen sich die einzelnen Momentaufnahmen nicht passgenau zusammen. Denn es sind Momentaufnahmen die Miller hier niedergeschrieben hat. Aber irgendwie schafft er es doch, dann ein Gesamtbild zu zeichnen, dessen Konturen aber fließend und oftmals verschwommen sind. Konturen, die auf jeden Leser durchaus verschieden wirken können.


    Miller beschreibt das Paris der Dreißiger Jahres des vorigen Jahrhunderts. Es ist nicht das Paris der Reichen und Schönen, es ist das Paris der einfachen Menschen, das proletarische Paris, das Paris der Lebenskünstler, Huren und Gestrandeten. Menschen die sicher vieles verloren haben - aber es sind auch Menschen die zumeist ihre Würde bewahrt haben. Auch bleierne Hoffnungslosigkeit lässt immer Raum für einen Silberstreif Hoffnung - und sei er noch so klein - am Horizont.


    Es ist ein Buch das nur vordergründig Tabus bricht. Denn Henry Miller macht nichts anderes als das Leben zu beschreiben - wo bitteschön sollen da irgendwelche Tabus gewesen sein? Und "gefickt" wurde schon zu allen Zeiten - also nichts was man besonders als Tabubruch titulieren sollte. Leben ist eben nicht immer strahlend und porentief rein - Leben ist auch mal dreckig, meistens hart und immer individuell. Und genau das ist es was Henry Miller so großartig beschreibt. Miller nimmt dabei auch eine Gesellschaft aufs Korn, die verlogen und ungerecht ist und nur das Recht des Stärkeren kennt.


    Henry Miller hat mit diesem Buch keine Tabus gebrochen - er hat eine Tür zur Gänze geöffnet, die vor ihm bereits Lawrence, Celine ggf. auch Proust schon einen Spalt geöffnet hatten. Henry Miller hatte dann den Mut diese Tür sperrangelweit zu öffnen - und natürlich gab es Widerstand, aber wie die heutige Zeit deutlich macht, hat sich dieses Buch durchgesetzt und ist aus der Weltliteratur nicht mehr wegzudenken.


    Fazit: Ein großartiges Buch, ein sehr lesenswertes Buch - ein Buch das das Leben in Momentaufnahmen zeichnet, Momentaufnahmen, die nur vordergründig nichts miteinander zu tun haben. Ein Buch, zusammengesetzt aus vielen Einzelteilen, kein kompaktes Ganzes. Ohne dieses Buch würde der literarischen Welt etwas Entscheidendes fehlen.


    Henry Miller wurde am 26. Dezember 1891 in New York geboren. Er starb am 7. Juni 1980 in Pacific Palisades in Kalifornien.


    In jedem Falle: mindestens 20 von 10 Punkten

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.