Schreibwettbewerb September 2006 - Thema: "Zukunftsmusik"

  • Thema September 2006:


    "Zukunftsmusik"


    Vom 01. bis 20. September 2006 könnt Ihr uns Eure Beiträge für den Schreibwettbewerb September 2006 zu o.g. Thema per Email an webmistress@buechereule.de zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym eingestellt.


    Den Ablauf und die Regeln könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 500 Wörter zu verwenden. Jeder Beitrag mit mehr als 500 Wörtern wird nicht zum Wettbewerb zugelassen!


    Nur für registrierte Mitglieder mit mindestens 50 Beiträgen!


    Eine Bitte: Schickt uns Eure Beiträge als .doc oder .rtf und sendet sie uns als Anhang in einer Mail. Damit kommen dann auch Zeilenumbrüche, etc. richtig bei uns an. In Word könnt ihr dann auch die Rechtschreibhilfe nutzen und unter „Extras“ habt ihr die Möglichkeit „Wörter zählen“.


    Wir wünschen Euch viel Spaß und viel Erfolg!

  • von Ravanah



    »He Kleine!«
    Ihr Kopf ruckt herum, die blonden Haare fliegen kurz durch die Luft. Es sieht aus wie im Film, so ist es sicher auch beabsichtigt. Bestimmt hat sie diese Bewegung hundert Mal vor dem Spiegel geübt.
    »Kleine?«, fragt sie skeptisch. Eine der perfekt gezupften Augenbrauen wandert dabei nach oben. Sieht aus wie eine Skipiste.
    »Darf ich dir was zu trinken anbieten?«
    Die blauen Augen mustern ihn, tasten seinen Körper von oben bis unten ab. Ein leichtes Lächeln und ein verheißungsvoller Blick folgen. »In Ordnung. Einen A La Donna.«
    Der Barkeeper mixt Rum mit Zitronen- und Orangensaft. Derweil mustert sie ihn noch etwas genauer. »So ein gutaussehender Junge ist ganz ohne Begleitung hier?«
    »Meine Freundin hat mich verlassen.« Gelogen. »Sie ist inzwischen schon wieder vergeben.« Nochmal gelogen. Eigentlich liegt sie mit ner Grippe im Bett, aber das muss Miss A La Donna ja nicht wissen. Morgen wird er für sie sowieso nur noch eine Erinnerung sein.»Und warum ist eine so schöne Lady allein unterwegs?«
    »Die schöne Lady bindet sich nicht gerne.« Oha, eine von der Sorte.
    »Warum?«
    »Man macht damit ein Versprechen für die Zukunft. Man verspricht für den anderen da sein und wenn man dieses Versprechen nicht hält, tut es mindestens einem von beiden weh.«
    »Bist du Philosophin?«
    »Nein. Aber ich verschwende meine Zeit nicht.«
    »Versteh ich nicht...«
    »Hab ich mir gedacht. Die Zukunft ist wie ein unauskomponiertes Lied. Man hat ein bestimmtes Tonrepertoire, das man verwenden kann. So geht man einen Schritt nach dem anderen. Was bringt es, über das Ende des Stücks nachzudenken, wenn man Gerade erst beim Trompetensolo angekommen ist? Viel sinniger ist es, erst mal über den nächsten Ton nachzudenken. Verstehst dus jetzt?«
    Er zuckt mit den Schultern. Miss A La Donna sollte wirklich Philosophie studieren. Aber sie denkt ja nicht über die Zukunft nach. Über die Zukunftsmusik, genauer gesagt.
    Sie scheint seine Gedanken zu lesen und verdreht die Augen. »Lass uns tanzen, okay?«


    Die Matratze neben ihm ist noch warm. Sie kann noch nicht lange weg sein. In der Luft hängt noch der unverwechselbare Rumgeruch.
    Er reckt sich und versucht sich an die Nacht zu erinnern, als plötzlich das Telefon klingelt.
    »’N Moin«, nuschelt er in die Sprechmuschel.
    »Morgen Liebling.«
    Oh nein. Das ist das schlimmste. Jetzt muss er sie belügen oder ihr zumindest etwas verheimlichen. Daran hat er gestern Abend nicht gedacht. Miss A La Donnas Worte fallen ihm wieder ein. Naja, selber Schuld, seine Zukunft hat er sich schließlich selbst so komponiert.

  • von Doc Hollywood



    Das Besondere an Augustin war, dass er einem stets das Gefühl gab, an etwas Großem teilzuhaben - selbst auf dem Schulhof, als es nur darum ging zwei Mannschaften zu bilden, um einen Fussball über den Platz zu dreschen. Beim Tipp-Topp war er nicht zu schlagen. Einen Fuß vor den anderen setzend, den Wartenden fast beiläufig einen wissenden Blick zuwerfend, machte Augustin selbst aus dieser simplen Prozedur ein Zeremoniell.


    Wir waren Freunde, irgendwie. Nicht so, dass wir stets nach der Schule zusammen den Bolzplatz oder die Grünanlagen unsicher machten. Uns verband etwas, das wir nie aussprachen, wofür es für uns damals keine Worte gab. So traf ich Augustin nach der Schule meist zufällig, wenn ich mir die neueste Ausgabe von YPS holte und dabei auch gleich meine aufgelaufenen Schulden im Tabakwarenladen der Hölzigs beglich. Für Comics durfte ich das wenige Taschengeld eigentlich nicht ausgeben, nur manchmal ein Heft, das war erlaubt. Da ich aber weder auf die Gimmicks des karierten Känguruhs, noch auf die Abenteuer von Silberpfeil und Durango Kid verzichten konnte, ließ ich bei der großherzigen Frau Hölzig anschreiben, um nach ein paar Wochen meine mühsam zusammengesparten Markstücke auf das ermattete Glas ihres Tresens zu zählen. Und dort traf ich auch Augustin, der mir vor dem Laden die neueste Ausgabe von Superman hinhielt.
    „Brainiac hat eine Zeitmaschine gebaut, um Superman als Baby umzubringen“, sagte er und blätterte die Seite auf, in der ein grüngesichtiger Schurke eine schimmernde Metallkapsel bestieg.
    „Wow“, antwortete ich und konnte meinen Blick kaum von den in weißen Balken gerahmten Zeichnungen nehmen. „So eine Zeitmaschine ist ’ne Wucht. Da könnte ich die vergeigte Matheprobe von letzter Woche nochmal machen.“
    „Viel besser“, flüsterte Augustin mir zu, während er mit funkelnden Augen dem Zeitsprung Brainiacs zusah.


    Wochen später nahm mich Augustin nach der letzten Stunde zur Seite. „Heute Abend um sechs, Garagenhof, ganz hinten.“ Damit ließ er mich verdutzt stehen und ging eilig davon.
    Der Nachmittag war endlos. Nach den Hausaufgaben, ein paar hastig verschlungenen Pfannkuchen und einem flüchtigen Blick auf die Barbapapas, wurde es endlich Abend. Ich nahm vier Treppen auf einmal, zog die schwere Tür zum Hinterhof auf und schwang mich über die bröckelnde Ziegelsteinmauer in den benachbarten Garagenhof. Unter den schiefen Türen der letzen Wellblechbox schimmerte Licht hervor. Ich klopfte, von innen wurde klappernd die Verriegelung gelöst.
    „Komm rein“, sagte Augustin und zog mich in die Garage.
    „Was ist das?“ Ich starrte mit offenem Mund auf das silberne Ding vor mir.
    „Opas Käfer, naja, die Überreste davon“, erklärte er und wischte sich die Hände an der Hose ab, während er mir bei der Umrundung des Gefährts zusah.
    „Jetzt ist er eine Zeitmaschine.“ Seine Stimme wurde zu einem ehrfürchtigen Flüstern.


    Wir saßen noch lange in Augustins Zeitmaschine und schmiedeten Pläne die Welt damit zu verändern. Doch wie wir in den folgenden Jahren unsere Utopien aus den Augen verloren, verloren wir auch uns selbst. Augustin verschwand irgendwann aus meinem Leben, bis vor zwei Tagen dieses Päckchen eintraf: Eine kurze Nachricht von Augustin und die Tageszeitung von Übermorgen.

  • von churchill



    Alles begann mit der These, die Cäcilia, ihres Zeichens Heilige und deshalb in ständiger Nähe zur himmlischen Chefetage , auf der Jahrestagung der Komponisten geistlicher abendländischer Musik in der Aeterna - Philharmonie lauthals in ihrem Begrüßungsreferat vertrat:


    „Die Zukunft der Musik ist weiblich oder gar nicht“.


    Zugegeben, in den letzten 100 Jahren waren nicht mehr allzu viele Kollegen zu unserem Kreis gestoßen. Orff und einige Franzosen wie Messiaen. Und noch ein paar, deren Namen ich nicht richtig mitbekommen hatte. Deren Bedeutung sich auch in gewissen Grenzen hielt. Der jüngste Neuzugang hieß György Ligeti. Juni 2006.


    Das Wort auf unseren Konferenzen führten die Großen. Die B’s. Die Bachs, Bruckners und Buxtehudes. Beethoven auch, unerträglich laut, aber er musste es ja nicht mitanhören. Haydn und Händel. Alles ehrenwerte Komponisten. Gestandene Männer. Und ausgerechnet Cäcilia schwang sich nun zu Forderungen auf, die die versammelte Crème de la Crème der Komponistengilde erbleichen, wenn nicht gar verstummen ließen. Die gleiche Cäcilia, die ihren Patronatsstatus für Kirchenmusik einem Übersetzungsfehler verdankt, demzufolge sie auf ihrer eigenen Hochzeit die Orgel gespielt haben soll. Und selbst wenn sie da tastendrückend agiert hätte, welcher Stellenwert gebührte ihr im Vergleich zu Johann Sebastian, dem Meister? Nun gut, sie ist heilig. Und außerdem kommen jährlich Tausende Kirchenchorsängerinnen am Bahnhof Eden an, die wir auch Cäcilia-Groupies nennen. So traute sie sich, einen Aufnahmestopp für männliche Komponisten in unserem Verband auszurufen.


    Bach durfte als Vorsitzender legitimerweise einwenden, dass er das Weib eher in empfangender als in gestaltender Stellung sehe. Er selbst und seine Frauen hätten das stets so praktiziert. Händel stimmte ihm lebhaft zu und erinnerte an die Sopranistinnen, deren Produktion hoher Töne er nicht nur beim Singen zu schätzen gelernt habe. Schumann verwies vorsichtig auf seine Frau, die doch durchaus als Komponistin ...


    Aber nachdem ihn Brahms daraufhin anging, dass er ja verrückt sei, wenn er das meine und nicht nur, wenn er das meine, schwieg Schumann, und wir anwesenden Komponisten wiesen das Ansinnen Cäcilias einstimmig mit Entrüstung zurück. In diesem Augenblick zog sie ihren Trumpf, der nun mich völlig überraschend in den Blickpunkt des Geschehens beförderte:


    „Als Gegenbeweis für Ihre These, meine Herren, benenne ich die Person, die seinerzeit auf den Vornamen Johanna Theophila getauft wurde und in der Folge meisterhafte Messen und Opern komponierte.“


    Während raunende Ratlosigkeit die Versammlung durchfloss, lief ich rot an und begann nervös zu kichern, Eigenschaften, die sich in all den Ewigkeiten meiner Tarnung nie ganz hatten abstellen lassen, und die in diesem Moment jegliche Leugnungsversuche meinerseits unsinnig werden ließen. Die Maske war gefallen. Es stimmte, ich hieß eigentlich nicht Wolfgang und schon gar nicht Amadeus. So übernahm ich auf göttliches Verlangen hin den Vorsitz des neu geschaffenen himmlischen Rates für die Zukunft der Musik. Die Altherrenriege gestandener Komponisten aber verweigerte mir fortan den Gruß oder kontaktierte mich nunmehr ausschließlich aus sexuellen Gründen.


    Und Cäcilia offenbarte mir, dass auf Erden demnächst meine wahre Geschichte aus der Feder eines renommierten Autorenpaares, das selbstverständlich unter weiblichem Namen veröffentliche, erscheinen werde:
    „Die Komponistin“

  • von Lotta



    „Jetzt.“
    Ich balanciere die Bordsteinkante entlang und halte meine nackten Arme in die wärmende Sonne. Es ist früh. Bereits hell zwar, nach Tagesanbruch, und doch umhüllt ein leises Gefühl der Schläfrigkeit meine Schritte, als würden sich Bäume und Häuser blinzelnd die Augen reiben und zögerlich ihre Nasenspitzen in die kühle Morgenluft recken. Mir ist ruhig zumute. Von irgendwoher dringt Musik.
    „Und jetzt.“
    Ein Lächeln huscht durch die Baumkronen. Ich verziehe einen Mundwinkel als Erwiderung und vertraue darauf, dass es jemand fühlt. Ein eiliger Passant berührt mich im Vorbeigehen, deutet eine Entschuldigung an und stolpert dabei über seine eigenen Füße. Unsere Blicke treffen sich, verharren einen Moment, unentschlossen.
    „Jetzt wieder.“
    Es war mehr ein Murmeln, doch seine Augenbrauen schnellen in die Höhe.
    „Was machen Sie da?“
    „Ich sammle Gegenwarten.“


    Zuerst spürte sie Licht.
    Es stahl sich unter die halbgeöffneten Lider, brannte in den Augen, kroch durch die nachlässig geschlossenen Jalousien und hatte die Wirkung eines lästigen Moskitos, das ein Loch im sorgfältig gespannten Mückennetz findet. Sie versuchte ein Blinzeln und schob sich die Haare aus der schweißnassen Stirn. Ihr Umfeld flackerte ein wenig, als wäre die Verbindung unterbrochen worden.
    „Na, schlecht geträumt?“
    Sie schrak zusammen. Er sah sie mit einem Ausdruck skeptischer Belustigung an. Lars. Lebensabschnittsbegleiter, ein Mann, mit dem sie sich niemals unterhielt sondern lediglich parallele Selbstgespräche führte. Er drückte ihr einen Kuss auf die feuchten Lippen, schälte sich aus dem Bett und öffnete im Hinausgehen ein Fenster. Die Luft roch nach November, draußen tanzten die ersten Schneeflocken Samba. Ganz leicht sahen sie aus. Konnte man Hand in Hand einen Weg entlang gehen, ohne in ein Laufrad zu gelangen? Schlaftrunken versuchte sie die Gedanken zu verscheuchen, schlug mit der flachen Hand nach ihnen und probierte ein Lächeln, als sich Lars mit einem Glas Orangensaft auf der Bettkante niederließ.
    „Guten Morgen, Mademoiselle. Alles wieder gut?“
    Mit einem Anflug von Wehmut betrachtete sie sein Profil. Sein Blick erzählte von Zärtlichkeit und Fürsorge, von den Grenzen der Welt, von der Überschreitung jener und von einem kindlichen Optimismus, der das unbestimmte Später mit einer Handvoll Träumen füllte. Einmal hatte sie ihn gefragt, ob er Angst vor dem habe, was kommen wird, ob er sich Gedanken mache und würden sie wohl gemeinsam alt werden?
    Ja, klar, Schatz. Ich liebe dich.
    Die Erinnerung verschwamm zu einem anhaltenden Zustand.
    „Lars? Ich würde gerne noch etwas schlafen.“


    Meine Fußspuren glänzen weiß im frischen Schnee. Wenn ich Zeit hätte, ganz viel Zeit, würde ich wohl anhalten und sie mit der bloßen Hand verwischen, damit mir niemand folgen kann.
    Die Sonne geht langsam unter, ein trüber Lichtkreis, der zögernd schwächer wird.
    Mit Bedauern stelle ich fest, mein persönliches „Irgendwann“ erreicht zu haben. Es sieht nicht sehr viel anders aus.
    Ich drehe mich einmal um die eigene Achse und streife dabei einen Spaziergänger. Er stolpert, mein von Schwindel gezeichneter Blick kann ihn nicht richtig einfangen.
    „Entschuldigung“, murmele ich hastig.
    Der Fremde schweigt, sieht auf die Uhr, scheint nachzudenken.
    „Wie spät ist es?“
    „Zu spät.“

  • von Herr Palomar



    Mein abendlicher Spaziergang fällt mir immer schwerer. Mein Bonn, was sind deine Straßen steinig.


    Wagner, wenn ich an Euch denke, denke ich auch an Napoleon. Zu Tausenden sind wir Freiwilligen in Leipzig zusammengeströmt und haben ihm den Garaus gemacht, Zu Tausenden werden wir auch Wagner und seine Zukunftsmusik zum Rückzug zwingen.


    Ah, da läuft der junge Brahms. Ist wohl wieder auf dem Weg nach Düsseldorf zu Clara Schumann.
    Auch Brahms und seine Gesellen werden nicht die Zukunft sein. Währt ihr meine Schüler, ich würde euch erziehen. Mehr Mut, meine Freunde!


    Wagner, Euer Kunstwerk der Zukunft ist eine Vernichtung des Bestehenden. Doch es gilt zu bewahren, was gut und altbewährt ist. Natürlichkeit und Einfachheit sind der Schlüssel zur großen Kunst.
    Aber die Zukunftsmusik mit ihren Auswüchsen und Zumutungen ist ohne Form und Inhalt.


    Soll ich am Rhein entlang gehen, zur wohlthätigen Abkühlung? Oder lieber zum Friedhof? Na, da komm ich wohl noch früh genug hin.


    Ihr seid avantgardistisch und schwer, aber es geht nicht an, zu thun, als kenne die bürgerliche Welt keinen höheren Wert als Bombastik und Brimborium. Musik hat auch ein menschliches Criterium.


    Nach Tische hatte ich in den Schmierenblätter der Konkurrenz über ‚Das Kunstwerk der Zukunft’ gelesen. Angeblich macht die Mischung aus Volkstümelei und Dämonischen einen lebhaften Eindruck. Ich sage, diese Selbstverherrlichung ist mir zu pathetisch. Ein naives Kunstwerk. Grotesk und cynisch.


    Nicht Wagner, sondern Untiefe sollt ihr heißen. Euch folgen nur die faulen Schwätzer.


    Bedenkliche Tage sind diese Tage, ich bin sehr müde und fast ein Gefühl des Krankwerdens. Aber noch bin ich arbeitsfähig.
    Bei Thee und Cigarette werde ich mich heute Nacht ausruhen, bevor ich excerpiere und den Artikel zur Verteidigung der Zukunft entwerfe. Meine einzige Waffe ist diesmal noch das Wort.


    Die quälende Erinnerung an Eure schreckliche Aufführung. Der Concertsaal war überfüllt, das Publikum fast hysterisch und der Dirigierende auch noch überfordert. Grauenvoller Dilettantismus. Aber die Bühnenbilder waren sehr farbig.

    Wie anders doch die letzt jährige Aufführung der Beethovenschen Klaviersonate in unserer Musikgesellschaft. Distinguierte Musik, reine, vibrierende, emotionale Dramatik unter Vermeidung von Dissonanzen.
    Oder das Schubertkonzert. Das ist das Ideal voller Wärme und krystallhell. Ein so süßer Melodienstrom, da jauchzt das Herz in der Brust eines jeden Zuhörers.


    Lohengrin! Leven Här Componist, wenn me dat Sieg von det formlose Werk glööven däte, hätte me at längs ne Pistölsche an de Schläfe gelegt.


    Das Rathaus. Hier, wo vor 10 Jahren auf der Freitreppe die schwarz-rot-goldene Fahne geschwungen wurde, will ich kehrtmachen. Noch einmal zum Münsterplatz gehen und mich mit Beethoven gegen den Schwindel verbünden zur Verteidigung der Zukunft!



    „All’ die Ungegorenheit, der Schwindel, all’ die Eitelkeit, all’ die Selbstbespiegelung, all’ die Trägheit, der Zukunft zuzuschieben, was man selbst leisten müsste, all’ die Hohlheit und Salbaderei der ästhetischen Schwätzer – wie schön fasst sich das alles in dem einen Wort ‚Zukunftsmusik’ zusammen. (1)
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    (1) Prof. Ludwig Bischoff, Niederrheinische Musikzeitung

  • von Wilma Wattwurm



    „Was meinst du, Dad, fehlt da noch irgend etwas?“


    Der Sohn sah seinen Vater erwartungsvoll an und immenser Stolz schwang in seiner Stimme mit, als er die Einzelheiten seines Werkes näher erläuterte.
    „Ich glaube, ich habe an alles gedacht. Ich habe den Boden saniert und in den Bergen und Tälern - die übrigens auf natürliche Weise entstanden sind - mit Rücksicht auf ökologische Zusammenhänge eine dynamische Vegetation gestaltet, wobei ich besonders auf Rhythmus und Kontrast geachtet habe: Wälder und Baumgruppen, Sträucher und blühende Pflanzen, weite Rasenflächen und Felder, und zur Bewässerung Flüsse, Teiche und Seen ........
    Kurzum: ich habe eine abwechslungsreiche Kulturlandschaft geschaffen, in der sich alle Lebewesen wohl fühlen können. Mit großer Sorgfalt habe ich Tiere ausgewählt, jede erdenkliche Gattung findest du hier: Vögel und Insekten, Fische und Krebse, Schnecken und Würmer und natürlich Säugetiere, große und kleine.“


    Der Vater lächelte gütig.
    „Es ist schon erstaunlich, was du aus diesem öden Stück Land gemacht hast. Sicher, wenn man bedenkt, daß es dein erstes Großprojekt als Landschaftsarchtikekt ist. Ich bin beeindruckt. Mir gefällt vor allem dieses Wechselspiel zwischen Spannung und Ausgeglichenheit, zwischen Bewegung und Ruhe. Hut ab, Junior!“


    „Danke, freut mich, daß es dir gefällt, Dad. Ehrlich gesagt hatte ich ein bißchen Angst vor deinem kritischen Auge. Aber ich bin auch sehr zufrieden damit. Mehr als zufrieden. Besonders stolz bin ich auf den Obstgarten. Hast du den monumentalen Apfelbaum schon gesehen?“


    „Ja, natürlich, der ist ja nicht zu übersehen, oder vielmehr zu ‚überriechen’ Ein ganz besonderer Baum, der ein ganz besonderes Aroma ausströmt. Und diese Frucht. Da werde selbst ich schwach. Allerdings ist Vorsicht geboten, man kann davon schnell süchtig werden.“
    Der Vater zwinkerte dem Sohn bedeutungsvoll zu.
    „... und, hat deine Schöpfung inzwischen einen Namen? Bisher hast du ja immer nur von deinem ‚Projekt’ gesprochen, neulich hast du mal was von ‚Eden-Projekt’ gesagt.“


    „Eden, ja, es soll Eden heißen, ganz einfach Eden. Ist doch ein geiler Name, oder?“


    „Tztztz, geil, du mit deinen neumodischen Ausdrücken. Aber du hast recht, der Name hat was. Nur eine eine Frage noch: Wie willst du das Ganze verwalten und bewirtschaften?“


    „Auch daran habe ich gedacht. Ich habe ein Ehepaar als Pächter eingestellt, Herrn und Frau Adam. Der Rest kommt von selbst.“


    „Menschen, du willst Menschen deine Schöpfung überlassen?“
    Der Vater war entsetzt. „Das kann nicht gut gehen! Alles, nur keine Menschen, ich flehe dich an, tu’ das nicht. Da sind Schwierigkeiten gleich vorprogrammiert. Sodom und Gommorrha! Die lassen nichts heil.“


    „Ach Dad, du alter Pessimist. Das ist überhaupt kein Problem“, antwortete der Sohn, „ich paß schon auf!“


    Sprach’s und fiel in einen tiefen Schlaf.


    Und wenn er nicht wieder aufgewacht ist, dann schläft er noch heute.

  • von Sinela



    Dumpf hallten die Trommelschläge über die Prärie, verfingen sich in den Blättern der Bäume am Fluss, ließen die Kreaturen der Nacht verharren. In abgeschwächter Form erreichten die rythmischen Wellen auch die Häuser der Indianer-Agentur. Den beiden Männern, die vor dem Hauptgebäude standen, bescherten sie eine Gänsehaut.
    „Sie tanzen wieder. Jede Nacht geht das so, seit Tagen schon. Daraus kann nichts Gutes erwachsen.“
    „Nun mach dir mal nicht gleich in die Hose, Herr Indianeragent“, antwortete sein Gegenüber mit leicht ironischem Unterton, „ lass sie doch herumhüpfen. Da sind sie tagsüber so müde, dass sie nichts anstellen.“
    Lautes Lachen folgte seinen Worten.
    „Ich kann das nicht so locker sehen wie du. Gleich morgen früh werde ich ins Fort reiten und die 7. Kavallerie um Hilfe bitten. Man muss die Drahtzieher verhaften, damit dieser Geistertanz-Wahnsinn aufhört.“
    „Das ist keine gute Idee, Tom. Die 7. hat laut eigener Aussage noch ein Hühnchen mit den Sioux zu rupfen. Ich sage nur Little Big Horn.“
    „Das ist nicht mein Problem. Ich habe hier für Ruhe zu sorgen und wenn es nur mit Gewalt geht.....“
    „Du beschwörst völlig unnötig eine Konfliktsituation herauf. Diese Religion, die der Pajute-Seher Wovoka verbreitet, predigt doch keine Gewalt!“
    „Keine Diskussionen mehr, es ist entschieden. Das ist eine Sache für die Armee und damit basta.“
    Der untersetzte Mann drehte sich um und ging zurück in das Haus, während sich sein Gesprächspartner eine Zigarette drehte und weiter den Trommeln lauschte.


    Hoch loderten die Flammen des großen Feuers, das sich in der Mitte des Indianerlagers befand. Alle Bewohner hatten sich dort versammelt, um dem Medizinmann White Cloud zuzuhören.
    „Hört mich an, ihr Männer und Frauen vom Stamm der Lakota. Die Zeit ist gekommen, in der die Weißen Männer unser Land verlassen werden. Die Büffel, Antilopen und Mustangs werden wieder zahlreich über die Prärie wandern. Die Toten werden wieder kommen, um sich mit uns zu vereinen. Krankheit, Not und Elend werden zusammen mit dem Weißen Mann verschwinden. Es wird keine Kriege und andere Gewalttaten mehr geben. Zieht eure spirituellen Hemden für den Rundtanz an. Er wird uns vor der Katastrophe, die der Erneuerung der Welt vorangehen wird, schützen.“
    Zustimmendes Rufen erklang und kurze Zeit später tanzten alle Indianer um das Lagerfeuer. Federn wippten im Takt, Mokassins glitten geräuschlos über den Boden, sogar ein paar Gewehre wurden abgefeuert – die Menschen waren außer Rand und Band. Bald drehten sich einzelne der Teilnehmer um die eigene Achse, verließen die Gemeinschaft der Runde und fielen in Trance zu Boden. Der Großteil der Männer und Frauen aber tanzte weiter, Wakan Tanka zu Ehren. Endlich hatte er ihre Gebete erhört und würde den Weißen Mann endgültig vertreiben!


    Der Geistertanz verschwand genauso plötzlich wie er ein Jahr zuvor aufgetaucht war, nachdem die 7. Kavallerie am 29.12.1890 den aus der Reservation geflüchteten Stamm der Minniconjou-Sioux an dem kleinen Flüsschen Wounded Knee in Süd-Dakota einholte und 149 Männer, Frauen und Kinder mit Schnellfeuergewehren massakrierte. An diesem kalten Wintertag hatte die Zukunftsmusik der Indianer aufgehört zu spielen.

  • von Blaustrumpf



    „Wow, Mimi. Das war ... wow!“
    „Oh ja. Das war es. Und du warst super, echt super!“
    Zufrieden blies Franz Zigarettenrauch in das Halbdunkel des Schlafzimmers. Sein ganzes Leben war super. Damit das so blieb, hatte er vorgesorgt. Und er würde das auch weiter tun. Gleich Montag wird der Bausparvertrag unterschreiben, nahm er sich vor. Für meinen Sohn. Der soll es noch besser haben. Obwohl, noch besser als jetzt gerade, so super wie es läuft? Geht das überhaupt? Franz grübelte.
    „Na, Schatz, so in Gedanken?“
    Mia räkelte sich genüsslich. Sie liebte es, im Bett zu faulenzen. Franz hatte schnell herausgekriegt, dass sie dabei selten ans Ausruhen dachte. Oder nur ans Nebeneinander dabei. Ja, Mia, seine Mimi, die hatte Ideen. Und probierte sie aus. Mit ihm. Ausgerechnet. Franz Mollenkötter, Angestellter der Kreissparkasse Köln, Filiale Erftstadt-Lechenich, den die meisten Kollegen für einen Langweiler hielten. Wenn die wüssten, dachte Franz, na, wenn die wüssten!


    Aber selbst die Nachbarn ahnten nichts. Da konnten die Bettfedern noch so sehr für Musik sorgen und das am hellerlichten Samstagnachmittag. Der Bausparvertrag, den Onkel Franz, sein Pate, ihm zur Taufe geschenkt hatte, war längst zu einem schmucken Einfamilienhaus geworden.
    „Was ist denn los, Franz? Bist du so erschöpft?“
    „Würde dich das wundern? Nach der Ansage!“
    „Also, so richtig abgeneigt schienst du ja nicht gerade gewesen zu sein.“
    „Ach, Mimi. Du hättest mir doch keine Chance gelassen, abgeneigt zu sein. Stimmt’s? Wenn du dir mal was in den Kopf gesetzt hast ...“
    „Genau. Könnte ja klappen, das ist mein Motto. Aber besonders viel Überzeugungsarbeit hast du nicht gebraucht. Ich hätte nicht geglaubt, dass dich der alte Spruch so antörnen würde.“
    „Na, wenn du sagst: Ein Wetterchen zum Heldenzeugen! Mit so einer Aufgabe, da gibt man sich doch Mühe. An mir soll es jedenfalls nicht gelegen haben. Und dich hat das doch auch nicht kalt gelassen. Wenn es also danach geht, so super wie das war ... wir kriegen bestimmt einen Superhelden als Nachwuchs.“
    „Oder eine Superheldin. Ist es ein Vogel? Ist es ein Flugzeug? Nein, es ist Supermmollenkötter!“


    Franz machte den Fehler, Mia anzuschauen. Einen Augenblick hielten beide durch, dann explodierten sie in haltlosem Gekicher. Franz erholte sich als erster.
    „Das will ich sehen. Vielleicht sind die Superkräfte so groß, dass unser Sprössling sogar unsere Rente zahlen wird.“
    „Meinst du wirklich, Franz? Wenn das mal nicht selbst Superfähigkeiten übersteigt.“
    „Hm. Die Gefahr besteht natürlich. Gleich am Montag werde ich einen Bausparvertrag abschließen. Man weiß ja nie. Das sollte doch für eine gewisse Sicherheit sorgen. Oder was meinst du: Sollen wir besser nochmal? So als Absicherung der Zukunftsplanung?“
    „Franz, du sagst einer Frau die romantischsten Dinge! Da muss ich doch schwach werden. Ideale Voraussetzungen für einen Superkind, finde ich.“
    Behutsam drückte Franz Mollenkötter seine Zigarette aus und stellte den Aschenbecher auf den Nachttisch. Schon bald ließ das Bett wieder sein rhythmisches Quietschen hören. Franz und Mia störten sich nicht daran. Es war genau die Art von Zukunftsmusik, die sie liebten.

  • von Ironie



    Wie kann einer so schrecklich konservativ und zurückgeblieben sein, hatten sich schon viele beim Anblick des alten Beckers gedacht oder es auch gesagt, aber das kümmerte Becker reichlich wenig. Die jungen Dinger hatten eben keine Ahnung, vor allem wie sie so dumm daher reden. Nicht mal ihre Sprache können sie mehr richtig aussprechen, alles ein Brei, ohne Betonung, Grammatik und Sinn, aber jede Menge sinnloser Füllwörter wissen diese nicht zu stoppenden Schnattermäuler einzubringen. Und worüber sie sich unterhalten war doch auch bloß dummes Zeugs, wie Fernsehsendungen. Das Fernsehen hatte es sich mit Becker schon lang verscherzt. Überall zu viele Farben, alles zu laut, alles zu hektisch. Und dauernd wollen die einem solchen Mist verkaufen. Ja ja, dass hätte es zu Beckers Zeiten nie gegeben. Danach kommen die Mobiltelefone. Wer braucht das denn schon. Früher kam man doch auch blendend ohne aus, was soll das also. Becker jedenfalls brauchte keine solche Nichtigkeit. Genauso wenig wie Computer oder Internet. Becker war ohne all das sehr zufrieden. Er hatte seinen Radio für klassische Klänge, seine Schallplatten und seine Ruhe.
    Doch so richtig zufrieden war Becker dann doch nicht. Diese Jugend um ihn herum belästigte ihn stets mit Kleidung, die offensichtlich den Geschwistern gehören musste. So liefen die Jungs in den Klamotten ihrer großen Brüder und die Mädchen in denen ihrer kleinen Schwestern herum. Dass es so schlecht um den Mittelstand steht, hätte Becker nie gedacht… Nein, damals war das alles nicht so. Die Mädchen trugen nette Kleidchen, die Buben angemessen im Anzug; natürlich war man auch zwanglos gekleidet, nun zwanglos war das falsche Wort, bequem wäre passender, aber niemals so völlig verlottert.
    Mit das schlimmste jedoch war die Unverschämtheit der Leute. Ihn als „Opa“ zu bezeichnen, ja glauben die denn es sei nicht auch so schon schwer genug alt zu sein?
    Opa… was war das überhaupt für eine Form der Beleidigung?
    An sich sollte doch jeder seinen eigenen Opa haben und respektieren und nicht ältere Herren auf der Straße damit offenkundig zu kränken versuchen. Aber diese unreifen Menschen haben keine Werte mehr. Wie oft hatte Becker der Zorn gepackt, wie oft hatte er seinen Stock gehoben und gefuchtelt, doch er bereute es jedes Mal, denn sie lachten ihn nur aus. Schlagen hatte man ja schon vor Langem verboten… Wieso war Becker auch nicht ganz klar, anders kann man denen doch offensichtlich keine Disziplin beibringen, wir damals, ja, wir kannten den Stock und wir haben oft gelitten, aber wir waren gemäßigt, hatten Respekt und wussten was Zucht und Ordnung heißt. Heute darf ja jeder was er will und niemand versteht einen wie den Becker. So war Becker stets allein in seinem großen Haus und oft sehnte er sich nach Gesellschaft, doch diese Menschen heute, verstand Becker nicht und sie verstanden ihn nicht. Da saß er dann in seinem alten Ohrensessel und schimpfte leise auf jene Welt und sehnte sich kummervoll zurück nach der seinen.