Stephan Harbort: Das Serienmörder-Prinzip. Was zwingt Menschen zum Bösen? HC/SU, 336 Seiten, Droste Verlag, Düsseldorf, 18,95 €.
Inhalt (Klappentext):
Basierend auf Interviews mit mehr als 50 Serienmördern
"Da war so eine Energie. Da saß ich dem gegenüber und hab' den so angeguckt. Der wusste nicht, dass ich ihn gleich killen würde - aber ich. Das war so ein Machtspielchen. Das hab' ich genossen, das war klasse."
Serienmörder. Dieses Wort schürt Urängste: Hier droht tödliche Gefahr. Grausamkeit und Erbarmungslosigkeit kennzeichnen diese Täter als vermeintliche Unmenschen. Gerade deshalb rücken sie in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses. Aber wie und warum werden normale Menschen zu „Bestien“? Stephan Harbort hat mit mehr als 50 Serienmördern gesprochen und schildert die spektakulärsten Fälle der vergangenen Jahre. Dabei zeigt sich, dass kein idealtypisches Täterprofil existiert. Und doch gibt es Gemeinsamkeiten.
Nach fünfzehnjähriger Forschungsarbeit ist es Stephan Harbort gelungen, den Code des Bösen zu entschlüsseln. Er deckt Ursache und Wirkung des Phänomens Serienmord auf. Dabei wird deutlich, dass sich hinter dem Gesicht des „freundlichen Nachbarn“ auch eine hässliche Fratze verbergen könnte, die urplötzlich losschlägt und seinem Opfer einen grauenvollen Tod beschert. Wir müssen aber ebenso zur Kenntnis nehmen, dass hinter jedem „Monster“ auch ein Mensch steht. Und es stellt sich die beängstigende Frage: Könnte auch ich zum Serienmörder werden?
Meine Meinung:
Ein wirklich gelungenes Buch. Der Autor wechselt zwischen drei Ebenen: Fallgeschichte, Interview und wissenschaftliche Erläuterungen. Diese Perspektivverschiebungen vermitteln nicht nur tiefere Einblicke, sondern auch ein Mehr an Verständnis. Sehr interessant ist auch das 7-Phasen-Modell "Serienmörder-Prinzip". Hier wird davon ausgegangen, dass diese Entwicklung zum mehrfachen Mörder nicht wie aus heiterm Himmel passiert, sondern auch eine Vorgeschichte hat, die sich phasenweise vollzieht. Empfehlen kann ich dieses auch spannend zu lesende Buch allen, die sich für Kriminalpsychologie interessieren und menschliche Abgründe.
Mit Einverständnis des Autors stelle ich hier die Leseprobe von seiner HP vor:
(…)
Am 11. April 2002 fuhr er mit dem Zug von Hannover nach Bremen, zwei Tage später weiter nach Münster. Wieder suchte er nach Übernachtungsmöglichkeiten, musste aber in einem Park oder unter einer Brücke nächtigen. Von Münster aus verschlug es ihn nach Osnabrück. Dort wollte er bei einem jungen Mann unterkommen, den er im Knast in Meppen kennen gelernt hatte. Der ließ ihn aber abblitzen.
Gefrustet fuhr er zurück nach Münster. Dort traf er am Bahnhof auf Frank Lüdtke, einen Ex-Knacki aus Meppen. Diesem erzählte er, dass er auf der Flucht sei. Lüdtke ließ sich überreden ihm zu helfen, und Kuhlmann hatte nicht nur eine Bleibe gefunden, sondern auch jemanden, mit dem er auf Tour gehen konnte. In den frühen Morgenstunden des 18. April überfielen die beiden eine Tankstelle in Münster. Während Kuhlmann dem Kassierer ein Messer an den Hals drückte, plünderte Lüdtke die Kasse. Mit 300 Euro Beute flüchteten sie, das Opfer blieb körperlich unversehrt.
Der hat doch nichts gemacht. Und das ging alles so schnell.
Während Lüdtke bald gefasst wurde, konnte Kuhlmann entkommen. Noch am selben Vormittag fuhr er mit dem Zug nach Dortmund und von dort aus nach Aachen. Er hielt sich an keinem Ort längere Zeit auf, seine Flucht-Odyssee führte ihn bis ins belgische Lüttich. Dort erkannte er schnell, dass er so nicht weiterkommen würde: Die Leute verstanden ihn nicht, und er verstand die Leute nicht. Am 24. April kehrte er zurück nach Aachen.
Dort machte er bald die Bekanntschaft von Jörg Esser, einem 33-jährigen Alkoholkranken, der im städtischen Obdachlosenheim lebte.
Den hab' ich auch am Bahnhof getroffen, mit ihm gelabert. Dann sind wir los, in ein Edeka-Geschäft. Wir saßen später davor, er hat Geld geschnorrt von den Leuten. Wir haben was getrunken. Irgendwann bin ich da eingeschlafen, später wieder aufgewacht. Er war weg, aber im nächsten Moment kam er schon wieder um die Ecke. Dann sind wir zu ihm in die Wohnung gegangen.
Er hatte vor, einen günstigen Moment abzupassen, in dem sein Gastgeber sich nicht vorsehen konnte. Kuhlmann wollte sein Opfer heimtückisch überfallen. Jörg Esser ahnte von all dem nichts.
In der Wohnung hatte ich den Plan, ihn plattzumachen. Weil wir da ungestört waren. Ich war voll mit Adrenalin, als ich mir das vorgenommen hab'. Voll gut. Ich hatte wieder dieses Machtgefühl.
Während er sich mit Jörg Esser über Belanglosigkeiten austauschte, war er in Gedanken schon den entscheidenden Schritt weiter.
Man versucht sich das eben richtig vorzustellen, wie das abgehen könnte jetzt in dem Moment. Man guckt sich um im Raum wegen der Gegebenheiten. Dann wartet man nur noch auf den richtigen Moment - der kommt dann. Es kommt dann von einer Sekunde auf die andere, das ist Wahnsinn. Von jetzt auf gleich. Und dann bin ich total aggressiv.
Kuhlmann kostete das langsame Hineingleiten in die Rolle des Killers aus. Er hatte jetzt genug Erfahrung, konnte sich voll auf seinen Egotrip einlassen. Er war stark und mächtig. Und er würde von seinen Fähigkeiten rücksichtslos Gebrauch machen.
Da war so eine Energie. Da saß ich dem gegenüber und hab' den so angeguckt, und dann kam das. Der wusste nicht, dass ich ihn gleich killen würde - aber ich. Das war so ein Machtspielchen. Das hab' ich genossen, das war klasse. Das ist auch körperlich, ich spür' das, so ein Kribbeln im Magen.
Er plante seine Verbrechen nicht von langer Hand, er ließ sie einfach passieren. Kurzentschlossen und unbewaffnet attackierte er seine Opfer.
Warum ich keine Waffen dabei hatte? Wie soll ich das sagen? Ich war kreativ.
Eine günstige Gelegenheit bahnte sich an, als die Männer mit den Vorbereitungen für das Mittagessen begannen. Kuhlmann schnappte sich ein Küchenmesser, Klingenlänge 20 Zentimeter. Eigentlich sollte er damit die Fettstreifen der mitgebrachten Schweineschnitzel abtrennen. (…)
Freddy Kuhlmann ist einer der Fälle, die man gerne als hoffnungslos bezeichnet. Ich durfte mich selbst davon überzeugen, als wir uns am 13. Mai 2005 in einer niedersächsischen Justizvollzugsanstalt gegenübersaßen. An seiner antisozialen Einstellung hielt er auch drei Jahre nach seinen Taten unverdrossen fest: Hier bin ich jetzt seit dem 30. Juli 2004. Ich bin jetzt verlegt worden von der Sicherheitsstation in den Normalvollzug, seit zweieinhalb Monaten. Wo ich verhaftet wurde, war ich im Krankenhaus, da habe ich alte Feinde wieder getroffen, die ich noch von draußen kannte. Mit denen hatte ich immer Stress und noch eine Rechnung zu begleichen. Der Typ hatte noch Geldschulden bei mir, und Geld kann man immer gebrauchen. Der hat dann einfach erzählt, ich hätte eine Geiselnahme vor, nur damit ich nicht mehr mit ihm in Kontakt kommen konnte. Nach drei Jahren hat sich das erst geklärt.
Ich bin eher zurückgezogen, habe hier zwar Kontakt zu anderen Leuten, aber irgendwann gehe ich dann lieber zurück in meine Zelle. Ich mag wohl mit anderen zusammen sein, aber viel lieber bin ich mit mir alleine. Das war schon damals so, aber seit ich auf der Sicherheitsstation war, ist das mehr geworden. Da ist man sowieso von den anderen Gefangenen isoliert. Ich glaube, das hat noch ein bisschen mehr bewirkt. Habe mich komplett zurückgezogen. Das hat was mit Vertrauen zu tun, denke ich.
Vertrauen heißt, dass man tiefsinnigere Gespräche führen kann, über das Persönliche, wie man sich fühlt und was man so vorhat. Das fehlt mir. Oder sagen wir mal so: Ein Freund fehlt mir, mit dem man sich mal so richtig unterhalten kann. Mit den anderen Gefangenen geht das nicht.
Mit seinem Vater war eine Kontaktaufnahme ebenfalls unmöglich. Der stand stellvertretend für alle verhassten Spießer, war in Kuhlmanns Augen obendrein unfähig, ein Versager: Dem habe ich einen Brief geschrieben, aber so: Jetzt siehst du, was du davon hast. Ich bin hart, ich bin ein Outlaw!
Sein Knastalltag war genauso trostlos wie sein vorheriges Leben: Ich spiele viel an der Spielekonsole, weil ich ziemlich zurückgezogen bin. Am liebsten Strategiespiele, Agentenspiele. Da muss man Geiseln befreien oder einen Atomkrieg verhindern. Man braucht nicht nur Fingerfertigkeit, man muss auch schon ein bisschen überlegen können. Ich spiele das jeden Tag, mal eine Stunde, kann aber auch mal den ganzen Tag sein, so zehn bis zwölf Stunden. Das wird nie langweilig.
Drei Stunden lang stand er Rede und Antwort, ließ keine Scheußlichkeit seiner Verbrechen unerwähnt. Der Mann mit der tief ins Gesicht gezogenen Baseballkappe sprach leise, verwaschen, hatte kaum Höhen und Tiefen in der Betonung, sein Wortschatz war sehr begrenzt, Gestik und Mimik blieben verhalten. Er zeigte keine Emotionen, wirkte auf mich linkisch, ungebildet, bisweilen infantil. Doch seine Aussagen waren authentisch und ehrlich.
Der verhaltene Versuch seiner Selbsteinschätzung spiegelte eindrucksvoll das Unvermögen wider, sich auf die eigene Persönlichkeit einzulassen. Erst nach jeweils längerem Nachdenken würgte er förmlich hervor: Ich stehe zu meinem Wort. Hilfsbereit. Großzügig. Dass ich halt dazu stehe. Dass ich schnell aufbrausend werde. Sein Charakterprofil konnte er mit gerade einmal 17 Worten beschreiben.
Nur ein einziges Mal stockte mir der Atem.
(…)