Selim Özdogan - Mehr

  • Selim Özdogan – mittlerweile 30 jähriger “Popliterat” aus Köln, veröffentlichte “Mehr” im Jahre 1999, nachdem er


    1995 – Es ist so einsam im Sattel seit das Pferd tot ist
    1996 – Nirgendwo und Hormone
    1998 – Ein gutes Leben ist die beste Rache
    2000 – Im Juli
    2003 - Trinkgeld vom Schicksal
    2003 - Ein Spiel, das die Götter sich leisten


    ebenfalls unter die gierige Leserschaft brachte. Wie es denn auch eben so mit den jungen, deutschen Schriftstellern so ist – entweder man liebt oder haßt sie...


    ...bei Selim habe ich eine Art Liebe gefunden, eine Liebe zu seiner Art des Beschreibens – nicht hochtrabend, aber einfühlsam, ehrlich, direkt und vor allem mit einer Spur Sarkasmus, die Ich-Funktion des Erzählers immer etwas in den Schatten stellend, so, daß man denken kann, dem Leser scheint es im Leben besser zu gehen...


    „Drei Wünsche – und schon dein erster wär: „Mehr, mehr, mehr!“ (Tom Liwa)... wie so meist im Leben, wann weiß man, daß es genug ist, daß man nichts mehr erwarten kann. Was ist am Ende übrig? Keiner kann es sagen, aber „Mehr“ gibt einen kleinen Einblick dahingehend, was man anders machen kann als nur „über-leben“.


    Ein junger Mann kommt aus seinem Türkei-Urlaub zurück, er selbst ist „deutscher Türke“ und weiß nicht wie es weitergehen soll, kein Geld, keine Inspiration, kein gar nichts mehr...


    Als Schriftsteller, schreibt der Protagonist mehr schlecht als recht kleinere Kolumnen für diverse Zeitschriften, aber letztendlich läuft das Leben an ihm vorbei, ohne es richtig zu bemerken.


    Er hat zwar den Vorteil keinen 9 – 5 Job zu haben, aber auch seine sogenannte „künstlerische Freiheit“ scheint ihm keine Erlösung zu geben.


    Und so macht er sich auf die Suche, auf die Suche nach dem was das Leben lebenswert macht, aus seiner Sicht heraus.


    Er trifft Freunde aus früheren Zeiten, hat diverse Bekanntschaften, trotz fester Freundin und ist auch dem Alkohol und diversen Drogen nicht abgeneigt – er probiert sich aus und... findet seinen Glücksgriff im Leben, den ich hier allerdings nicht veräußern werde...

    Lilli
    "The more you ignore me, the closer I get." [Morrissey]

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  • *mal Feedback geb* ;-)


    Ich muss sagen,dass mich dieses Buch wirklich sehr berührt hat.Özdogan hat diese 'Ich finde meinen eigenen Weg'- Attitüde.Er schreibt wie er will und er tut es großartig.
    Ich konnte mich sehr mit der Hauptfigur in diesem Buch identifizieren.Teils diese Niedergeschlagenheit weil alles sinnlos erscheint,dann der Aktionismus,weil das doch nicht alles gewesen sein kann.Immer auf der Suche nach dem 'Mehr',dass das Leben lebenswert macht.Die Enttäuschung,die sich bei näherer Betrachtung des Erlebten breit macht vs. das gedankenlose Ausleben des Augenblicks.
    Einfach wunderschön!
    Dieses Buch ist sicherlich eines der Wichtigsten,das ich in meinem Leben gelesen habe und sicherlich werde ich mir nach und nach alle anderen Bücher von Özdogan vornehmen.


    Ich finde zum Buch passt ein Zitat von Hesse ganz gut:


    Wer nicht am Denken leidet, den freut das Aufstehen am Morgen und das Essen und Trinken, der findet Genüge darin und will es nicht anders. Wem aber diese Selbstverständlichkeit verloren ging, der sucht im Laufe der Tage begierig und wachsam nach den Augenblicken wahren Lebens, deren Aufblitzen beglückt und das Gefühl der Zeit samt allen Gedanken an Sinn und Ziel des ganzen auslöscht.

  • Zitat

    Original von Lilli
    *och da bin ich aber beruhigt*


    Jemand, der Özdogan zu schätzen weiß. :-]



    WAS? Das tue ich ja wohl auch, du hast mich fein angefüttert, das weisst du doch :grin

  • Hallo Lilli,


    ich habe noch keinen Özdogan gelesen, würde das aber gerne mal tun. Welches Buch von ihm hat dir denn am allerbesten gefallen??


    LG, die Waldfee

  • Ich bin gerade schwer beschäftigt mit "Mehr".


    Liest sich so gut wie erwartet, aber bis jetzt ist zumindest mein Favorit immer noch "Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist" Waldfee

  • Hallo Lilli,


    hier ist noch jemand, der Özdogan zu schätzen weiß. Mit "Es ist so einsam im Sattel, ..." hast du mich auf den Geschmack gebracht. Innerhalb kurzer Zeit habe ich alle Bücher gelesen, nein, besser: verschlungen.


    Ich kann mich allerdings nicht recht entscheiden, ob das erste oder doch "Mehr" mein Favorit ist.


    Vielen Dank für deinen Tip.

    ToniO



    Betrachte nicht den Krug, sondern dessen Inhalt.
    Rabbi Me'ir


    Coincidence is God's way of remaining anonymous.
    Albert Einstein

  • Zitat

    Original von Waldfee
    Hallo Lilli,


    ich habe noch keinen Özdogan gelesen, würde das aber gerne mal tun. Welches Buch von ihm hat dir denn am allerbesten gefallen??


    LG, die Waldfee


    ... eindeutig... "Es ist so einsam im Sattel seit das Pferd tot ist"...

  • Habe fertig.


    Bin nicht enttäuscht und finde weiterhin:
    Er sagt nichts neues aber er sagt es so, das es wie etwas neues klingt.
    Auf jeden Fall hat er ein enormes Sprachtalent und eine besondere Art von Witz und beides gefällt mir.


    "Mehr" lässt sich ebenfalls angenehm lesen.


    Ob beabsichtigt oder nicht, ob zutreffend oder nicht: "Mehr" vermittelt auf jeden Fall ein ziemlich autobiografischen Eindruck. Besser gesagt: Ich hatte oft das Gefühl, der Protagonist hat stellenweise gewisse Ähnlichkeit mit Selim Özdogan selbst. Nicht mit ihm als Person (wie soll man das auch sagen können, wenn man ihn nicht kennt), sondern mit dem Selim Özdogan vom Klappentext und Zeitschrifteninterview.
    Das liegt aber wahrscheinlich daran, dass ja immer, wenn auch nur ansatzweise ähnlich Geglaubtes auftaucht, sofort willkürlich irgendwelche Rückschlüsse gezogen werden. Davon abgesehen ist ja immer jedes Buch eine Art autobiografische Aussage, egal ob der Autor das beabsichtigt oder nicht. Im Klaren, über das was er schreibt und wie es auf Leser wirkt, ist er sich zwar von seinem eigenen Standpunkt aus schon, aber was tatsächlich daraus im Kopf des Lesers geformt wird, darauf hat er natürlich nur einen gewissen Einfluss.
    Schluss mit der Philosphiererei, ich zumindest habe in meinem Kopf das Resultat geformt:
    Es ist ein auf jeden Fall ein lesenswertes Buch! :-)




    Edit: ich hab grad durch Zufall noch mal meine Rezi gelesen und auf der Stelle überarbeitet, ich glaub jetzt ist sie nicht mehr ganz so klischeehaft, wie sie vorher geklungen hat...

    Bücher sind nur große Briefe an Freunde. [Antoine de Saint-Exupéry]

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  • Jetzt ist meine Rezension ein halbes Jahr her, seit dem hab ich das Buch mehrmals wieder gelesen.


    Inzwischen finde ich, dass es das beste Buch von Selim ist.


    In fast jedem Satz steckt so viel und alles klingt so verdammt ehrlich. Man hat das Gefühl, nicht belogen zu werden. Der Inhalt formt die Wörter, nicht die Wörter den Inhalt.
    Kaum ein Buch lese ich so langsam wie "Mehr", ich brauche unbeabsichtigt Minuten für eine Seite. Nicht, weil ich über jedes einzelne Wort nachdenke, ich mag einfach, wieviel Selim hier in wenig Worten sagt.
    Sie klingen gefüllt und nicht nur bloß formuliert, um in den Text zu passen.
    Vor allem aber spricht aus ihnen eine große Bedachtheit, als hat sich jemand viele Gedanken zu etwas gemacht und schildert nun in zwei Sätzen, zu welchem Schluss er gekommen ist. Ob der jemand Selim ist, ist im Prinzip ja unerheblich. Alle paar Sätze Gedankenfazits tragen jedenfalls zu dem Gehalt des Buches, zumindest für mich, bei.


    Inzwischen hab ich Stellen in dem Buch, die ich auswendig kann, einfach weil sie mir so gefallen. Wenn sie kommen, dann spreche ich sie laut mit und grinse, fast wie bei einem Lied, wo man nur auf die gute Stelle wartet, damit man sie lauthals mitsingen kann.


    Ich mag auch, dass der Text sich selbst erzählt und man so genau hinhören kann, wie man es möchte. Man wird nicht gewaltsam durch die Geschichte gezogen, belehrt und bekehrt.

  • Ich bin ja immer noch froh über jedes Buch, das ich zu Ende bringe - ich hoffe, das ändert sich auch noch mal wieder! :fetch


    Bei diesem Buch war ich nach den ersten paar Seiten skeptisch, ich dachte, das wird wieder nix, denn da passiert ja nix. :rolleyes


    Jetzt bin ich durch, ich bin begeistert, und ich kann gar nicht erklären, warum. :wow


    Denn es hat nicht wirklich einen Spannungsbogen aus Anfang, Mitte und Ende, der einen zum Dranbleiben zwingen würde. Aber weglegen konnte ich's trotzdem nicht. Ja, vieles von dem, was der Erzähler erlebt und denkt, habe ich selbst schon so erfahren - das fand ich wunderbar beruhigend, dass ich eigene Marotten und Macken erklärt bekam und das Gefühl hatte, sie sind nicht nur zulässig, sondern sogar wünschenswert oder doch überaus normal und keineswegs verwerflich.


    Die Sprache ist wunderbar frisch und zugleich unaufgeregt. Äußerst angenehm.


    Einzig der Schluss hat mich etwas unbefriedigt zurückgelassen. Das ist aber nicht dem Buch anzulasten, denn das Ende passt zum Buch. Ich mag nun mal lieber "richtige" Schlüsse. Hier war es so, dass ich unten rechts angekommen war, umblätterte - und da nichts mehr kam. :wow Ich hätte schon noch gerne gewusst, ob

    Aber es ist eben unerheblich für das Buch, darum ist es nur logisch, dass es offen bleibt.


    Ich hatte bisher nur "Die Tochter des Schmieds" von Özdogan gelesen, und es hatte mir gut gefallen. Dieses ist ganz anders, und es gefällt mir womöglich noch besser. Jetzt will ich "Mehr"! :-]

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

  • Zitat

    Original von MaryRead
    Ich hatte bisher nur "Die Tochter des Schmieds" von Özdogan gelesen, und es hatte mir gut gefallen. Dieses ist ganz anders, und es gefällt mir womöglich noch besser. Jetzt will ich "Mehr"! :-]


    "Die Tochter des Schmieds" war auch ein "Ausnahme-Özdogan-Buch". Normalerweise ist sein Stil eher der von "Mehr" und "Es ist so einsam im Sattel, wenn das Pferd tot ist"... Ich habe einige seiner Bücher hier vorgestellt, bin nur zu faul, die jetzt zu suchen und hier einzutippen... Auf alle Fälle sind sie sehr sehr lesenswert! :-]

  • Zitat

    Original von Lilli
    "Die Tochter des Schmieds" war auch ein "Ausnahme-Özdogan-Buch". Normalerweise ist sein Stil eher der von "Mehr" und "Es ist so einsam im Sattel, wenn das Pferd tot ist"...


    Jaaa, das dachte ich mir schon.


    Zitat

    Original von Lilli
    Ich habe einige seiner Bücher hier vorgestellt, bin nur zu faul, die jetzt zu suchen und hier einzutippen...


    Danke, Lilli, aber was eine richtige Eule ist... ich werde sie schon finden! ;-)


    Zitat

    Original von Lilli
    Auf alle Fälle sind sie sehr sehr lesenswert! :-]


    Das glaub ich dir nämlich sofort! :grin

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von MaryRead ()

  • Eigentlich gefallen mir die "normalen" Özdogan-Bücher nicht so sehr, sie sind mehr Lilli-Bücher als Batcat-Bücher. :lache


    Die Tochter des Schmieds war eine stilistische Ausnahme und wirklich wunderschön geschrieben. Allerdings werde ich mir dennoch keine weiteren Bücher des Autors mehr zulegen.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Ich hab es geschenkt bekommen......
    Gekauft hätte ich es aus den bekannten persönlichen Abneigungsgründen dem Autor gegenüber nicht mehr. Leider bin ich nicht so konsequent, daß ich das Buch nicht lesen würde, daher hab ich heute, während ich auf meine Freundin wartete und eine heiße Schokolade trank, zu lesen begonnen, es ist gut. Es ist sogar sehr gut.....trotzdem ärger ich mich immer noch über den Autor und an gewissen Textpassagen, ("KARTOFFELFRESSER!") huscht mir kein Schmunzeln übers Gesicht, sondern ich bin verstimmt, weil ich mir sicher bin, hier ist vom Autor kein Schmunzeln erwünscht, denn er meint es genau so, wie es da steht.....


    Edit:
    Bin nun auch durch.
    Wie immer verzaubert Ö. durch seine Wortwahl, seine Sprache, sein Gefühl, seine schonungslose Wahrheit. Das Ende ist ein Kinnhaken und zwar ein gezielter und gemeiner.
    Dies ist mit Sicherheit nicht das Beste Buch Özdogans, aber es ist eins der ehrlichsten....Es zeigt in jedem Satz, welche Verachtung der Autor seinem Leser entgegenbringt und wie unwichtige jede Person neben dem Erzähler-Ich ist.
    Es war köstlich, es war hinreißend, es fühlte sich an wie warme Himbeeren auf Eis, man lutscht sie und merkt erst im letzten Moment, daß eine Wespe in der roten Pampe lauert und einen sticht.
    Der ein oder andere merkt es nie......