Wenn Männer aus Frauensicht schreiben...

  • ... bin ich immer ein wenig misstrauisch. Geht das? Können sich Männer überhaupt in die weibliche Gefühls- und Gedankenwelt hinein versetzen? Sind das dann Frauenversteher, die ja sowieso langsam out sind? Oder sind sie einfach nur besonders einfühlsam?
    Eric, was sagst du dazu?


    Und wie ist das mit den Frauen, die aus Männersicht schreiben? Können die das überhaupt? Ticken Männer nicht ganz anders? Fühlen sich Männer von diesen Büchern besonders angezogen? Verstehen am Ende gar die Männer die Frauen besser als diese sich selbst und umgekehrt?
    Los, Iris, sag, wie du das mit dem Cinna gemacht hast.


    Wie reagieren die Leser auf Frauenbücher von Männerhand und umgekehrt?


    fragt Ines

  • Nicolas Evans' "Im Kreis des Wolfes" ist die meiste Zeit aus der Sicht von Helen geschrieben. Ich fand diesen Charakter überzeugender und lebendiger als viele weibliche Charaktere weiblicher Autoren.


    Bei Männercharakteren in Büchern weiblicher Autoren kann ich nun nicht so mitreden, dass mir ja selbst die Männersicht fehlt. Aber ich habe das Gefühl, entweder kann ein Autor sich in die Charaktere denken und deren Gefühle überzeugend darstellen, oder er kann es nicht. Da ist es egal, ob weiblich oder männlich, ob von Mann oder von Frau.


    Es ist doch so, dass es bei Männern und Frauen jeden Charakter gibt. Es gibt auf beiden Seiten Romantiker, Fußballfans, Jähzornige, Sachliche etc. etc. etc. Solange es überzeugend ist, dass ein Charakter ist, wie er ist, ist es doch egal, ob es dem gängigen Bild von Mann oder Frau entspricht. Daher ist es auch egal, ob dieser Charakter von Mann oder Frau entwickelt wurde.


    Ich muss zugeben, dass ich der Meinung, die, glaube ich, von BabyJane kam, zustimme: Man trifft in Büchern öfter auf nervige weibliche Charaktere, als auf männliche. Ob dieses Klischee allerdings eher männliche oder weibliche Autoren prägen, kann ich nicht sagen.



    JASS :keks

  • Jass,


    da hast du schon Recht, aber mir begegnen immer wieder die merkwürdigste Dialoge zwischen Männern und Frauen.


    Der Klassiker:
    Sie: Du siehst mich nicht.
    Er: Natürlich sehe ich dich, du stehst doch vor mir.
    Sie: Aber du nimmst mich nicht wahr.
    Er: Natürlich tue ich das.
    Sie: Aber nicht so, wie ich bin.
    Er: Aber Schatz, du stehst doch vor mir. Du hast blaue Augen, braune Haare, lila Lidschatten.
    Sie: Ja, aber das bin ich doch nicht, das ist doch mein Lidschatten.
    Er: Was soll ich denn sonst sehen?
    Sie: Du siehst meine Seele nicht.
    Er: Aha.
    kratzt sich am Kopf und geht in die Kneipe.


    Ich kenne solche Dialoge aus Filmen, Büchern und aus meinem Leben. Daran sehe ich immer wieder, dass es grundlegende Missverständnisse zwischen Männern und Frauen gibt. Wie gehen die Autoren, die aus "Fremdsicht" schreiben mit diesen Missverständnissen um?

  • Das ist eine Frage, über die ich auch schon nachgedacht habe. Manchen Autoren gelingt das Kunststück, anderen nicht. Am ehesten glückt die "andere" Perspektive noch, wenn in der 3. Person erzählt wird. Der Protagonist also ein anderes Geschlecht hat als der Autor, aber es wird von "ihr" bzw. "ihm" berichtet. In der Ich-Perspektive ist es wirklich heikel. Da muss sich jemand mit dem anderen Geschlecht schon sehr gut auskennen.


    Ich habe bewundert, wie gut Selim Özdogan sich in "Die Tochter des Schmieds" in seine Protagonistin Gül einfühlen konnte. Zwar erzählt er in der dritten Person, beschreibt aber nicht nur ihr Handeln, sondern auch die inneren Konflikte, die Gül durchmacht. Gül ist ganz eindeutig eine Frau, da gibt es keinen Zweifel.


    Sehr beeindruckt hat mich der Ich-Erzähler in Patricia Melos Roman "Schwarzer Walzer" - ein verhaltensgestörter, krankhaft eifersüchtiger Dirigent. Hier lag die Kunst sowohl in der Wiedergabe seiner zerrissenen Persönlichkeit als auch in der männlichen Perspektive auf die Frauen in seinem Leben. Als Frau kann ich aber nicht beurteilen, ob Männer ihn ebenso authentisch finden wie ich. Ich denke, es funktioniert, weil er "anders" ist und somit keine Identifikationsfigur.

  • Ines, ein Gutteil dieser sogenannten Missverständnisse sind aber doch nur Klischees, die wir alle (ob nun Autoren oder nicht) immer wieder gerne wider besseren Wissens erfüllen. Oft genug ist es doch so, dass wir uns durchaus gegenseitig verstehen und ahnen/wissen, was das Gegenüber fühlt, denkt und umtreibt. Es ist eben nur in manchen Situationen viel einfacher sich dem Klischee hinzugeben, als sich ernsthaft mit dem anderen Geschlecht auseinanderzusetzen.


    Ein Autor muss glaubwürdig einen Assozialen, einen Kinderschänder, eine liebevolle Mutter, einen Jugendlichen, einen Alten auf dem Sterbebett, alles Mögliche und Unmögliche darstellen. Da sollte es doch auch nicht so schwer sein als männlicher Autor eine Frau zu beschreiben und agieren zu lassen und als weiblicher Autor eben umgekehrt.


    Gruss,


    Doc

  • Zitat

    Original von JASS
    Es ist doch so, dass es bei Männern und Frauen jeden Charakter gibt. Es gibt auf beiden Seiten Romantiker, Fußballfans, Jähzornige, Sachliche etc. etc. etc. Solange es überzeugend ist, dass ein Charakter ist, wie er ist, ist es doch egal, ob es dem gängigen Bild von Mann oder Frau entspricht. Daher ist es auch egal, ob dieser Charakter von Mann oder Frau entwickelt wurde.


    Da ist was dran. Das ist in etwa das, was ich mit dem verrückten Dirigenten sagen wollte...


    Unglaubwürdig wird es, wenn ein Mann gutaussehend, monogam, romantisch, verständnisvoll, großzügig und gefühlsduselig ist und dabei noch alle männlichen Attribute wie Stärke, Mut und Erfolg verkörpert. Aber manchmal ist es vielleicht das, was Frauen lesen wollen...?

  • Zitat

    Original von Waldfee
    Unglaubwürdig wird es, wenn ein Mann gutaussehend, monogam, romantisch, verständnisvoll, großzügig und gefühlsduselig ist und dabei noch alle männlichen Attribute wie Stärke, Mut und Erfolg verkörpert.


    Wie jetzt? Was heisst da unglaubwürdig? :-)



    Gruss,


    Doc

  • Zitat

    Original von Waldfee


    Unglaubwürdig wird es, wenn ein Mann gutaussehend, monogam, romantisch, verständnisvoll, großzügig und gefühlsduselig ist und dabei noch alle männlichen Attribute wie Stärke, Mut und Erfolg verkörpert. Aber manchmal ist es vielleicht das, was Frauen lesen wollen...?


    Die Aussage, die dahinter steckt, ist Sicherheit. Ohne mich zu weit aus dem Fenster lehnen zu wollen, behaupte ich, Frauen möchten von Männern -mit Ausnahmen sicherlich- Sicherheit vermittelt bekommen. Also lesen sie sicher auch gerne von Männern, die Sicherheit vermitteln.


    Wäre meine Theorie. :-)



    Iris : Diese Dialoge gibt es. Es gibt Menschen, die können nicht über den Tellerrand hinwegsehen. Ich denke da nur an den Freund meiner Mutter. Als ich ihm erklärt habe, dass ich nicht auf ihn eingehe, solange er mich verspottet, bzw. nächäfft -reagierte er mit Spott und Nachäffen. Man fragt sich dann zwar, wo derjenige seinen gesunden Menschenverstand abgegeben hat, aber so sind eben einige. Komplett außerstande zu verstehen, weil sie sich gar nicht auseinandersetzen wollen. [wie Doc schon sagte] Allerdings glaube ich auch, dass es einige gibt, die es nicht können, auch wenn sie es wollen.


    Die Frage ist dann nur: Warum mit jemand zusammen sein, von dem man sich so unverstanden fühlt? Da setzt bei mir die Unverständnis ein, im Buch, wie im Leben.


    JAss :keks

    Es ist erst dann ein Problem, wenn eine Tasse heißer Tee nicht mehr hilft. :fruehstueck

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  • Ja, solche Dialoge gibt es. Auch im "realen" Leben. Wenn ich in einem Buch so was lese, blättere ich zur nächsten Szene weiter und denke mir: "Blöde Gans!" Werde ich Ohrenzeugin solcher Gespräche, solidarisiere ich mich mit dem Mann.


    Ich empfinde diese Haltung schlichtweg als sentimentale Nabelschauerei.


    Daß offenbar eine Mehrheit der Frauen in der Westlichen Welt die andere Position vertritt, weiß ich, es irritiert mich, aber das ist wohl nun mal so. Als "gestört" sehe ich mich trotzdem nicht. :grin



    Ines, ich komm auf das andere noch zurück. Ich denke noch nach über die Männer in meinem Romanen, warum sie so sind, wie sie sind, und warum mich Männer in jeder Hinsicht mehr interessieren als Frauen. Noch habe ich keinen befriedigenden Zwischenstand zu meinen Überlegungen. :grin

  • Iris ,


    wieso Männer - als Romanfiguren - dich mehr interessieren als Frauen, das interessiert mich auch sehr.



    @Doc,


    natürlich sind das Klischees, aber das Dumme an Klischees ist eben, dass sie oft zutreffen. Gerade der oben genannte Klassiker "Du siehst mich nicht" ist mir schon häufiger begegnet, sogar im eigenen Leben.


    Und ich - Männer, entschuldigt bitte - glaube auch nicht daran, dass Männer und Frauen gleich sind. Sie sind verschieden, auch in ihrem Denken und Fühlen.

  • Zitat

    Original von Ines
    Und ich - Männer, entschuldigt bitte - glaube auch nicht daran, dass Männer und Frauen gleich sind. Sie sind verschieden, auch in ihrem Denken und Fühlen.


    Frau A und Frau B sind aber auch wieder verschieden in ihrem Denken und Fühlen. Es gibt aber Frauen, mit denen ich auf einer Wellenlänge bin. Und dann gibt es wieder Männer, mit denen ich mehr auf einer Wellenlänge bin als mit mancher Frau. :wow


    Ich lese ja auch lieber Bücher mit männlichen Hauptfiguren, wobei es mir egal ist, ob von Autorinnen oder Autoren. Deshalb fällt es mir grad schwer, die Frage zu beantworten. Ich frag mich jetzt grad, ob Männer etwas mit männlichen Romanfiguren anfangen können, die aus Frauensicht beschrieben wurden. Das müsste ja das gleiche Problem sein, oder?

  • Ich würde ja ganz banal sagen wollen, dass ich über Menschen schreibe. Es ist mir gleichgültig, ob ich über Männer oder Frauen lesen. Mir kommt es darauf an, was für eine Geschichte erzählt wird. Die muss mich interessieren. Männersicht? Frauensicht? Dazu kommt noch "meine Sicht", die sich hier und da vielleicht mit der "allgemeinen Männer- oder Frauensicht" deckt ...


    Liebe Grüße :wave


    Solas

  • Hier ist ein Mann, der aus Frauensicht schreibt und geschrieben hat...
    Die Missverständnisse zwischen Mann und Frau sind ein spannendes Thema:
    Als Mann in die Rolle einer Frau zu schlüpfen bedeutet für mich, anders zu denken, anders zu fühlen und die Dinge anders zu beschreiben. Der Roman wäre nicht derselbe, hätte ich ihn aus der Sicht eines Mannes geschrieben. Diesselben Geschehnisse wären von einem Mann anders verarbeitet und beschrieben worden. Für mich war es anfangs anstrengend, wie eine Frau zu denken, doch als ich mich daran gewöhnt hatte, habe ich mich im Alltag dabei erwischt, dass ich über die "blöden Männer" geurteilt habe. Wenn es in Fleisch und Blut übergeht, wird man anders.
    Aber Vorsicht mit dem abgedroschenen Wort "Frauenversteher"! Vielleicht kann ein Schriftsteller seine Heldin verstehen, aber noch lange nicht alle Frauen. Ich mag dieses Klischee nicht. Wenn jemand sich bemüht, das Leben und die Welt zu verstehen, dann muss er die Blickpunkte wechseln.
    Ein Vergleich, der vielleicht leichter nachzuvollziehen ist, sind Sprachen. Wenn man eine Fremdsprache fliessend beherrscht und in der entsprechenden Kultur lebt, stellt man fest, dass man plötzlich anders geworden ist, weil man über die Dinge, die einem Geschehen in der anderen Sprache reflektiert und zu anderen Ergebnissen kommt.

  • Zitat:
    "Ein Autor muss glaubwürdig einen Assozialen, einen Kinderschänder, eine liebevolle Mutter, einen Jugendlichen, einen Alten auf dem Sterbebett, alles Mögliche und Unmögliche darstellen. Da sollte es doch auch nicht so schwer sein als männlicher Autor eine Frau zu beschreiben und agieren zu lassen und als weiblicher Autor eben umgekehrt."


    @ doc
    ich gebe dir voll und ganz Recht.


    Ich denke, der entscheidende Unterschied ist die Erzählperspektive. Es macht einen großen Unterschied, ob ich einen Charakter, egal ob Mann oder Frau von außen beschreibe, oder ob ich in ihn hineinschlüpfe, fühle, was er fühlt, sehe, was er sieht und denke, was er denkt. Aus der Sicht einer Frau zu schreiben, ist für mich immer wieder ein Abenteuer, weil sich mir das Leben und die Begegnungen zwischen Menschen so anders darstellen als dies in der Rolle eines Mannes der Fall ist.

  • Zitat

    Original von Ines
    wieso Männer - als Romanfiguren - dich mehr interessieren als Frauen, das interessiert mich auch sehr.


    Mich auch. :lache


    Zitat

    Und ich - Männer, entschuldigt bitte - glaube auch nicht daran, dass Männer und Frauen gleich sind. Sie sind verschieden, auch in ihrem Denken und Fühlen.


    Und was ist dann mit genetisch weiblichen Menschen, die bei allen diesen neunmalklugen Studien zur psychophysiologischen Geschlechterdifferenz ständig den Eindruck bekommen, keine "Frau" zu sein und auch auf keinen Fall so sein zu wollen, wie "Frauen" diesen Studien zufolge "sind", aber auch nicht im geringsten das Gefühl haben, im falschen Körper zu stecken?


    Also ... ich bin vom Mars! :lache



    Ansonsten schließe ich mich Solas vollumfänglich an. :wave

  • Zitat

    Original von wolf kunik
    Ein Vergleich, der vielleicht leichter nachzuvollziehen ist, sind Sprachen. Wenn man eine Fremdsprache fliessend beherrscht und in der entsprechenden Kultur lebt, stellt man fest, dass man plötzlich anders geworden ist, weil man über die Dinge, die einem Geschehen in der anderen Sprache reflektiert und zu anderen Ergebnissen kommt.


    Ein Grund dafür, warum ich gerne Sprachen lerne, von denen ich zwei, Englisch und mit großem Abstand Französisch, auch ganz gut beherrsche. Es ist, glaube ich, nicht nur der Umstand in einer anderen Kultur zu leben - ich war längere Zeit in Irland und in Frankreich (Europa, klar, aber doch anders) -, es fängt schon bei der Sprache an. Ich hatte den Eindruck, dass sich mir allein über die Sprache ein anderer Blick eröffnete.


    Als Autorin möchte ich es natürlich erreichen, die verschiedensten Charaktere glaubwürdig darzustellen. Das ist sicherlich noch ein weiter Weg.


    Liebe Grüße


    Solas

  • Zitat

    Original von Solas
    Als Autorin möchte ich es natürlich erreichen, die verschiedensten Charaktere glaubwürdig darzustellen. Das ist sicherlich noch ein weiter Weg.


    »Every human being has hundreds of separate people living under his skin. The talent of a writer is his ability to give them their separate names, identities, personalities and have them relate to other characters living with him.« (Mel Brooks)

  • @ solas & iris


    Stimmt, es geht darum, über Menschen zu schreiben und unsere Sicht beeinflusst unsere Helden. Aber ich könnte wetten, dass es einen sehr großen Unterschied macht, ob man ein und diesselbe Geschichte aus der Sicht einer Frau oder aus der Sicht eines Mannes schreibt, völlig unabhängig davon, dass die beiden verschiedene Charakter haben.


    Bezüglich sich als Frau oder Mann zu fühlen denke ich, dass es so etwas wie Brückenmenschen gibt, die sich zwar in ihrer Haut und Rolle durchaus wohl fühlen, die aber in der Lage sind, den Blickpunkt zu wechseln und somit die unlogisch emotionalen Teile ihrer klassischen Rollen ausblenden können. Das heisst aber noch lange nicht, dass Frauen und Männer nicht unterschiedlich sind, sondern nur, dass diese "Brückenmenschen" diese Unterschiede leichter überwinden können, oder sogar umgekehrt Probleme mit den Stereotypen ihrer eigenen Rollen haben.