'Ulysses' - 15 Kirke - Bordell

  • In diesem Kapitel ist sprachlich und inhaltlich viel los und die in Kapitel 12 und 14 etwas verloren gegangene Lesefreude kommt mit Vehemenz zurück.
    Stephen zusammen mit Lynch und anschließend Bloom bewegen sich im Rotlichtviertel Dublins, begleitet von Spottgesängen oder aggressiven, derben Sprüchen der Kupplerin.
    Der wohl stark angetrunkene Stephen kommuniziert anfangs nur noch in liturgischen Wechselgesängen, so dass ich diesmal wirklich dankbar für die Übersetzungen in den Kommentaren bin.
    Wieder gibt es tolle Worterfindungen wie Pornographische Philotheologie.
    Als die Handlung zu Bloom überwechselt, kommen Elemente von meist erotischen, von Erinnerungen Blooms getragenen Halluzinationen hinzu.
    Es tauchen Blooms tote Eltern, Gerty, die Zwillinge, seine Frau Molly und Mrs. Breen als skurrile Traumgestalten auf und diskutieren mit Bloom.
    Je nach Halluzination verwandeln sich auch die Protagonisten. Als Bloom sich Mrs. Breen als junge Frau vorstellt, trägt sie auch prompt Abendkleid, Bloom selbst steht im jugendlichen Oxfordanzug da oder trägt eine weißbehandschuhte Polizistenhand, wenn er die Straße überqueren will.
    Bloom hat sich zwischenzeitlich mit noch mehr Talisman eingedeckt, er trägt eine Kartoffel, Seife, eine Schweinsklaue und einen Schafsfuß.
    Überraschung, dass Bloom plötzlich, als er nach dem Weg fragt, auch Esperanto spricht.


    Dieser Tempo- und Einfallsreichtum von Joyce sind wieder einmal beeindruckend und einzigartig.


    Das Kapitel ist ziemlich lang und ich habe noch einiges vor mir, so wird vermutlich noch viel geschehen und ich hoffe, dass Bloom und Stephen endlich zusammentreffen.

  • Ich bin mitten in diesem Kapitel, und treibe verwundert und doch fasziniert durch die Seiten... :wow Erinnert mich irgendwie an die Beschreibung von einem psychedelischen Kaleidoskop auf einem LSD-Trip :grin


    Mehr später...


    Noch eine Frage vorweg: Haben Stephen und Bloom und die anderen nicht zusammen das Krankenhaus verlassen?

  • Zitat

    Original von milla
    Noch eine Frage vorweg: Haben Stephen und Bloom und die anderen nicht zusammen das Krankenhaus verlassen?


    Ich glaube, die meisten, insbesondere Buck Mulligan und Haines, haben sich von Stephen getrennt, nachdem sie ordentlich Getränke geschnorrt haben und haben ihn dann in Stich gelassen, nur Lynch begleitet ihn noch. Bloom trinkt ja kaum, aber ich denke, dass er jetzt auf der Suche nach Stephen ist.



    Als Bloom dann massiv Probleme mit der Polizei bekommt, zunächst wegen Umweltverschmutzung, und obwohl er sich geistesgegenwärtig als seinen Namensvetter, den Zahnarzt Bloom ausgibt, dann doch sogar wegen Aufforderung zur Prostitution vor einem fiktiven Gericht gestellt wird, erinnert mich die Phantasie an ein klassisches Gerichtsdrama
    mit pathetischen Kreuzverhören und eigentlich nicht vorhandenen Zuschauern, die in den richtigen Momenten in Gelächter ausbrechen und Reporter die das Verfahren verfolgen.
    Bloom wird vom recht erfolglosen Rechtsanwalt J.J.O´Molloy verteidigt, den er schon im Zeitungskapitel getroffen hat.
    Das Gerichtsverfahren wird dann aber in Blooms Vorstellung übergeblendet in seine Bestrafungsphantasien.


    Insgesamt wirklich ein legaler und weniger gesundheitsgefährdender literarischer LSD-Trip! Toller Vergleich, Milla! :anbet

  • Ich habe jetzt auf einer längeren Zugfahrt den Rest des Kapitels, also über 100 Seiten Ulysses am Stück gelesen.
    Das hatte eine große Wirkung. :wow
    Andere Kapitel habe ich meist nach ca. 20 Seiten unterbrochen, aber dieses Kapitel profitierte für mich von einem zusammenhängenden Lesen.

  • :pille


    Das war mein ständiger Gedanke beim Lesen dieses Kapitels. Erstaunlicherweise habe ich es innerhalb von zwei Tagen durchgelesen, wahnsinn, was der Mann für eine Fantasie hat! Aber irgendwie muss er auch verrückt sein, dass mit dem LSD-Trip finde ich einen sehr passenden Vergleich. Und naja, Genie und Wahnsinn liegen dicht beieinander...
    Naja, mir haben, vorallem am Ende, die Stellen am besten gefallen, die tatsächlich Realität sind. Ich glaube, Joyce hätte auch wunderbare "normale" Bücher schreiben können.
    Ich finde es geradezu rührend (auch wenn das ein blödes Wort ist), wie sich Bloom am Ende um Stephen kümmert. Ich bin gespannt, wie es mit den beiden weitergeht.


    Krasses Buch. :wow

  • Hmm also mein Eindruck von dem LSD-Trip hat sich bis ans Ende des Kapitels gehalten. Ich bin mir nicht ganz sicher, was genau jetzt wahr und was Fantasie ist - neben Bloom scheint ja auch Stephen ziemlich tief ins Glas geschaut zu haben und sieht sich jetzt seiner vermodernden Mutter gegenüber *örghs* Ich habe es so verstanden, dass alles was mit Kitty, Zoe und Florry beschrieben wurde, "Realität" ist, richtig?


    Was sollte eigentlich dieser Bello? Ist das die Puffmutter?


    Und habt ihr nicht auch den Eindruck, dass Bloom eine ähm sagen wir mal etwas sonderbare Sexualität hat? Zumindest drängt sich mir der Eindruck auf...


    Irritierte Grüße,
    milla, die wieder eine Pause einschiebt

  • milla
    Ich würde alle deine Fragen mit ja beantworten. Bei der zweiten bin ich mir da aber nicht sicher.
    Ich finde man hat den Sprung zwischen Realität und Fantasie immer ganz gut erkannt.
    Ach ja, sollen das in diesem Kapitel die berühmt-berüchtigten Sexszenen gewesen sein, derentwegen der Roman auf dem Index stand??? Wenn ja kann ich es nicht so ganz nachvollziehen.

  • Zitat

    Original von milla
    mm also mein Eindruck von dem LSD-Trip hat sich bis ans Ende des Kapitels gehalten. Ich bin mir nicht ganz sicher, was genau jetzt wahr und was Fantasie ist - neben Bloom scheint ja auch Stephen ziemlich tief ins Glas geschaut zu haben und sieht sich jetzt seiner vermodernden Mutter gegenüber *örghs* Ich habe es so verstanden, dass alles was mit Kitty, Zoe und Florry beschrieben wurde, "Realität" ist, richtig?


    Nach meiner Leseart war nur der Bordellbesuch und nach dem Verlassen, der Angriff des englischen Soldaten auf Stephen Wirklichkeit und nur Stephen war betrunken, nicht Bloom.
    Die ganzen Halluzinationen sind weniger Bloom zuzuschreiben, vielmehr wie Nabokov zu diesem Kapitel sagt: Das Buch selbst träumt und hat Visionen. Das Kapitel ist lediglich eine Übersteigerung, eine alptraumhafte Entwicklung der in ihm vorkommenden Personen, Gegenstände und Motive.


    Zitat

    Original von Jeanne
    Ich finde es geradezu rührend (auch wenn das ein blödes Wort ist), wie sich Bloom am Ende um Stephen kümmert. Ich bin gespannt, wie es mit den beiden weitergeht.


    Wie Bloom sich um Stephen kümmert und ihm hilft, macht für mich den großen Humanismus des Buches aus.


    Zitat

    Original von milla
    Was sollte eigentlich dieser Bello? Ist das die Puffmutter?


    Eine Halluzination geht sogar so weit, einen Geschlechtertausch zu vollziehen, Bloom wird zu Frau und die Bordellchefin Bella Cohen wird zum männlichen Bello, der Bloom demütigt.


    Zitat

    Original von Jeanne
    Ach ja, sollen das in diesem Kapitel die berühmt-berüchtigten Sexszenen gewesen sein, derentwegen der Roman auf dem Index stand??? Wenn ja kann ich es nicht so ganz nachvollziehen.


    Das habe ich auch gelesen, dass wegen diesem Kapitel das Buch nicht gedruckt wurde. Einige sexuelle Haluzinationen waren ja auch tatsächlich ungewöhnlich, so dass im damaligen katholischen Irland einige Leute ohne Gewöhnung an Kabelfernseh-Nachtprogramme Probleme damit hatten.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Nach meiner Leseart war nur der Bordellbesuch und nach dem Verlassen, der Angriff des englischen Soldaten auf Stephen Wirklichkeit und nur Stephen war betrunken, nicht Bloom.
    Die ganzen Halluzinationen sind weniger Bloom zuzuschreiben, vielmehr wie Nabokov zu diesem Kapitel sagt: Das Buch selbst träumt und hat Visionen. Das Kapitel ist lediglich eine Übersteigerung, eine alptraumhafte Entwicklung der in ihm vorkommenden Personen, Gegenstände und Motive.


    Hmmm danke! Ich hätte zwar mehr damit anzufangen gewusst, wenn Bloom aufgrund eines gewissen Alkoholpegels diese Halluzinationen gehabt hätte, so finde ich es etwas befremdlich, aber nun gut :grin

  • Zitat

    Original von Jeanne
    :Naja, mir haben, vorallem am Ende, die Stellen am besten gefallen, die tatsächlich Realität sind. Ich glaube, Joyce hätte auch wunderbare "normale" Bücher schreiben können.


    Das Drama "Verbannte" (Originaltitel Exiles) habe ich mal als Hörspiel gehört und fand es einigermaßen normal.
    In der ISBN findest du eine Ausgabe Verbannte mit Anmerkungen des Autors.


    Ich fande auch James Joyce ersten Roman Portrait des Künstlers als junger Mann" über weite Strecken "normal", obwohl es auch schon dort viele ungewöhnliche Schreibtechniken gibt. Auch einige der Dubliner-Kurzgeschichten sind "normal" geschrieben.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Das habe ich auch gelesen, dass wegen diesem Kapitel das Buch nicht gedruckt wurde. Einige sexuelle Haluzinationen waren ja auch tatsächlich ungewöhnlich, so dass im damaligen katholischen Irland einige Leute ohne Gewöhnung an Kabelfernseh-Nachtprogramme Probleme damit hatten.


    Nicht dass ich an Kabelfernseh-Nachtprogramme gewöhnt wäre! :grin
    Aber ja, es war natürlich eine andere Zeit als heute. Trotzdem hätte ich in der Hinsicht schlimmeres erwartet. Allerdings glaube ich, dass das Buch nicht nur deswegen auf dem Index stand, sondern auch wegen der Art, wie Joyce mit der Religion umgeht. Das wird auch mir manchmal zu viel.


    Mal schaun, vielleicht nehme ich nach Ulysses ja tatsächlich nochmal ein Joyce-Buch in die Hand. :grin

  • So ich habe nun ca 50 Seiten von diesem Teil gelesen und muss auch sagen es liest sich wieder leichter, auch wenn mir noch nicht ganz klar ist was da so eigentlich passiert. Dieser Teil soll ja im Bordell spielen, aber die ihn anklagenden Frauen werden als ehrenwert bezeichnet?!


    Lustig fand ich diese Stelle:


    Dieser plebejische Don Juan beobachte mich von einer Mietkutsche aus und sandte mir in einem Doppelumschlageine obszöne Photographie, wie sie nach Dunkelheit auf den Pariser Boulevards verkauft werden, eine Beleidigung für jede Dame. Ich habe sie heute noch.


    Eine Beleidigung für jede Dame, aber aufbewahren... :lache

  • Ich habe diesen Teil nun auch geschafft und frage mich, was tue ich eigentlich??
    Bei dem letzten Teil dachte ich, schlimmer geht´s nimmer, aber ich wurde eines Besseren belehrt :cry


    Herr Palomar, ich bewundere, dass du hier noch einen Faden in dem Erzählten findest.


    Ich habe mal eine Rezension bei Amazon gelesen, die ich jetzt leider nicht wiederfinde, aber der Wortlaut war in etwa
    "Lasst Euch doch nicht verarschen, hier hat sich jemand hingesetzt und gedacht, ich schreibe jetzt einfach mal 1000 Seiten Blödsinn, mal sehen, was die Kritiker daraus machen."
    Manchmal denke ich die/der-jenige hatte Recht.


    Aber ich werde das Buch auf jeden Fall durchlesen, auch wenn ich weniger als 20 % davon begreife. Mein Ehrgeiz ist sonst nicht sonderlich ausgeprägt, aber hier hat er mich gepackt.


    Ich finde es bewundernswert, dass Jeanna, Milla und Herr Palomar dieses Buch in relativ kurzer Zeit bewältigt haben :anbet :anbet :anbet

  • Zitat

    Original von buttercup
    Aber ich werde das Buch auf jeden Fall durchlesen, auch wenn ich weniger als 20 % davon begreife. Mein Ehrgeiz ist sonst nicht sonderlich ausgeprägt, aber hier hat er mich gepackt.


    Buttercup, ich finde es toll, dass du noch liest.
    Mehr als 20% waren es bei mir bei manchen Kapitel auch nicht, aber diese 20% lohnen sich schon. :-]


    Zitat

    Original von buttercup
    Ich finde es bewundernswert, dass Jeanne, Milla und Herr Palomar dieses Buch in relativ kurzer Zeit bewältigt haben :anbet :anbet :anbet


    Ich brauchte 10 Jahre, wenn man vom ersten Versuch bis zu dieser Leserunde rechnet. :lache


    edit: Schreibfehler im Namen korrigiert!

  • @ Jeanne :keks
    sorry, dass ich deinen Namen falsch getippt habe, und jetzt hat Herr Palomar mich auch noch zitiert und ein Edit bringt nichts :-(


    @ Herr Palomar, was mich am meisten bei der Stange hält, dass ich weiß, dass der letzte Teil zwar nicht unbedingt leicht zu lesen ist, ich ihn aber recht verständlich in Erinnerung habe. Mir wollte nämlich mal jemand den Ulysses nahe bringen und empfahl Mollys Monolog zuerst zu lesen.