Der Gang zum Psychologen/Psychiater - Ein Problem unserer Zeit?

  • Hallo zusammen,


    vielleicht ist es dem einen oder anderen auch schon aufgefallen, aber anscheinend brauchen immer mehr Leute um einen selbst herum psychologische/psychiatrische Betreuung. "Das muss ich mal mit meinem Therapeuten besprechen" ist ein inzwischen gar nicht so selten zu hörenden Satz. Oft einfach nur nebenbei in ein Gespräch eingestreut, wird da freimütig über therapeutische Sitzungen gesprochen, oder das man langsam wirklich mal den Psychologen (oder gar den Psychiater) wechseln sollte und ähnliches.


    Woran liegt es, dass heutzutage anscheinend immer mehr Menschen auf so eine Art der Lebenshilfe zurückgreifen (müssen)? Und ich meine dabei nicht "echte" Patienten, die z. B. nach einem schweren Trauma (Unfall, Gewalt, etc.) wieder zu sich selbst und ins Leben zurückfinden müssen.


    Gruss,


    Doc


    edit: Überschrift editiert. Ursprünglicher Titel lautete: "Psychologen/Psychiater - Ein Problem unserer Zeit?"

  • Weil sich die Menschen beginnen, langsam auch mal für ihr seelisches Wohlbefinden zu interessieren. In einem Zeitalter, in dem bisher alles auf Leistung und körperlichen Einsatz ausgerichtet war (dazu zähle ich auch das Gehirn und das Denken :grin), gerät die innerliche Balance aus dem Takt. Jetzt erst merkt man so langsam, dass das dann auch an die Leistungsfähigkeit geht.
    Ich bin ehrlich gesagt froh, dass die Psychologie einen Aufschwung erlebt, weil auch sie nicht gerade unerheblich zur Gesundheit der Menschen beiträgt.


    Ok, es gibt natürlich auch einige, die zum Psychologen gehen, weil es "ccol" oder "in" ist, aber ich glaube, viele haben das echte Bedürfnis nach einer seelischen Erholung und Heilung.

  • Ich vermute folgendes:
    a) Man hat keine Freunde, mit denen man über jeden Unsinn reden kann.
    b) Man nimmt sich selbst so wichtig, dass man unbedingt jeden geistigen Sondermüll loswerden muss und die Kumpels deswegen nach 3 Sätzen weghören.
    c) Es ist chic und man geht zum "shrink", weil andere auch gehen.

  • Manchmal denke ich, es ist die Einsamkeit oder der Mangel an Freunden/Familie, die wirklich und ehrlich zuhören können und wollen!?


    Oder viele Menschen trauen sich nicht mehr zu, ein kleines Problem oder eine Krise allein aushalten zu können.....dazu braucht es viel Zeit und das haben viele nicht mehr! Alles muß sofort und effektiv erledigt werden.....


    Oder manche finden es "in" zum Therapeuthen zu flitzen und sich mit anderen darüber auszutauschen.....das verbindet ja auch irgendwie, oder?
    Das ist mir vorallem in der Schulzeit meiner Söhne aufgefallen......jedes Kind braucht doch heute einen Therapeuten.....gibts eigentlich noch normale Kinder???? :gruebel


    Das sind meine persönlichen Gedanken und ich meine damit auch nur Menschen mit kleineren "Wehwechen".....


    LG und :wave sill

  • es klingt immer ein bischen altbacken wenn gesagt wird"früher war alles anders,"usw.dennoch liegt in einem solchen Ausspruch ein grosses Stück Wahrheit:vielen von uns konnte das Elternhaus sowohl Halt und Geborgenheit,aber auch Grenzen bieten,somit sind wir auf der" sicheren "Seite des Lebens aufgewachsen.Wie sieht es heute aus,ich denke,unsere Gesellschaft ist immer mehr egoistischer Überlebenskampf um jeden Preis.
    Wer oder was bleibt auf der Strecke:die Gefühle-sie dürfen nicht zugelassen werden,das macht Angst und schafft Ängste,es macht angreifbar,unter Umständen leistungsschwächer,womit wir wieder beim Überlebenskampf sind.
    Ich denke,Psychologen,Psychotherapeuten oder wenn man Glück hat,ein zuhörender Hausarzt ,sind so wichtig wie noch nie!
    Partygespräche,wie von DH beschrieben sind vielleicht nicht so ganz falsch,möglicherweise eine gesellschaftliche "Genehmigung"sich dieser Hilfen zu bedienen.

  • Ich sehe darin kein Problem oder ein Makel.
    Ich finde es gut, daß man heute freimütig über Therapie und Therapeuten sprechen kann. Ich glaube nicht, daß die Menschen früher psychisch stabiler waren.
    Sicher, mag sein, daß festere familiärere Strukturen viele Probleme aufgefangen haben. Die festen, verbindlichen Strukturen, die heute mehr und mehr nicht mehr vorhanden sind.
    Ich glaube aber auch, daß es ein größeres Gespür dafür gibt, daß auch psychische Probleme therapierbar sind und das es kein Makel ist, sich dabei von Profis helfen zu lassen.


    Ich kann nicht ganz sehen, warum das so problematisiert wird?

    :lesend
    If you can read, you can empathize, luxuriate, take a chance, have a laugh, hit the road, witness history, become enlightened, turn the page, and do it all again
    Oprah Winfrey

  • Hm also ehrlich gesagt, als Mitglied dieses Berufsstands, allerdings nicht therapeutisch tätig, empfinde ich die Frage in deinem Titel als ziemlich provokant.


    Ich habe allerdings nicht den Eindruck, dass hier in Deutschland der Gang zum Psychologen so selbstverständlich ist wie beispielsweise in Amerika. Dort hat ja mittlerweile selbst jedes Haustier seinen eigenen Therapeuten. Hier werden zwar zunehmend Vorurteile oder Klischees gegenüber Psychologen/Therapeuten abgebaut, aber in nicht wenigen Gegenden wird man komisch angeschaut, wenn man etwas über Psychologie an sich bzw. über die Anspruchnahme eines Psychologen sagt, was ich als sehr schade empfinde.


    Aus den Berichten von Therapeuten und therapeutisch tätigen Psychologen sind auch die von dir angegebenen Gespräche definitiv NICHT die Regel, sondern ABSOLUT die Ausnahme. Ob Kinder, Jugendliche oder Erwachsene, auch Menschen mit tiefgreifenden Problemen, die nicht wegen einer akuten Störung stationär aufgenommen werden müssen, müssen in der Regel 6-12 Monate auf einen Therapieplatz warten.


    Um auf deine Ausgangsfrage zurück zu kommen, im Laufe der Zeit entwickeln sich immer mehr neue Berufe, es gab vor 200 Jahren auch keine Unternehmensberatung oder keine Software-Firma. Berufsfelder und Wissenschaften passen sich den Bedürfnissen der Menschen an, deshalb ist das Angebot von psychologischen und psychotherapeutischen Dienstleistungen eine absolute Bereicherung und ganz sicher kein "Problem".

  • Ich denke, dass die immer mehr zunehmende Einsamkeit eine Rolle spielt, außerdem die immer größer werdenden beruflichen Anforderungen.


    Als weitere Ursache sehe ich, dass sich die Menschen einem immer größer werdenden Druck im Privatleben ausgesetzt fühlen.
    Wer nicht schön, wohlhabend, erfolgreich, beliebt und mit großem Freundeskreis ist ( und das alles "am besten" in Personalunion), der fühlt sich schnell als Versager und sucht psychologische Unterstützung.


    Ich finde es aber gut, wenn Menschen den Mut haben psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen...und auch darüber zu sprechen.

  • Zitat

    Wer nicht schön, wohlhabend, erfolgreich, beliebt und mit großem Freundeskreis ist ( und das alles "am besten" in Personalunion), der fühlt sich schnell als Versager und sucht psychologische Unterstützung.


    Dann müßte ja der größte Teil der Bevölkerung zum Psychologen. Oder?

  • Zitat

    Original von oemchenli


    Dann müßte ja der größte Teil der Bevölkerung zum Psychologen. Oder?


    Ich hatte *ironieon* und *ironieoff* bei der Aufzählung vergessen.
    Der Druck der Medien und der Gesellschaft auf den einzelne Menschen ist meiner Meinung nach größer denn je.

  • milla : :write


    Ich will nicht abstreiten, dass es genug personen gibt, die es "schick" finden, einen therapeuten oder analytiker zu haben. Es gibt aber auch genug, die sich schämen, genau das zuzugeben, weil es immer noch mit vorurteilen behaftet ist (und sei es nur, dann zu hören "ja saaaag mal - hast du das denn wirklich nötig??" ). Freunde und Familie sind gut und schön, und ich möchte deren Wert für die psychische Gesundheit keineswegs mindern - aber meist sind sie doch in eben die Probleme involviert, die man hat, oder zumindest haben sie nicht die nötige Distanz, um den gesamten Kontext zu sehen, und vor allem KLAR zu sehen.
    Ich glaube, dass heute mehr Menschen eine Therapie in Anspruch nehmen, hat zum einen damit zu tun, dass es heute "gesellschaftsfähiger" ist - man kommt eher auf die Idee, doch mal Hilfe zu suchen. Andererseits kann ich mir auch vorstellen, dass der Eindruck täuscht - dass es einem häufiger erscheint, weil eben mehr darüber gesprochen wird.
    Grundsätzlich bin ich überzeugt davon, dass jede Generation situativ bedingt spezifische "Störungsbilder" aufweist - man denke dabei nur mal an die "Hysterien", die Freud beschrieben hat und die so in dieser Form kaum mehr auftreten. In meiner Generation finden sich häufig die Frage bzw. Suche nach dem Sinn und (meist bei Frauen) Essstörungen, die oft auch mit dem Ringen um Autonomie zu tun haben.
    Ich finde, jeder solle nach seiner Fasson selig werden. Wer keine Therapie braucht - um so besser! Alle anderen sollten diese Chance nutzen können, und zwar ohne sich dafür schämen zu müssen oder schräg angekuckt zu werden.
    Und ich finde es allemal besser, einmal im Leben in der Seele "Großputz" zu machen, als ewig und 3 Tage an irgendwelchen Wehwechen rumzudoktern, nur weil man zu stolz ist, dafür Hilfe zu suchen. Die Seele lässt sich da nicht hinters Licht führen.. Wenn man immer den Dreck unter den Teppich kehrt, gibt das auch irgendwann eine Beule, über die man sehr leicht stolpern kann. ;-)
    Und manche brauchen halt Hilfe - so what?!!


    LG, Nicole :wave

  • Hallo, Doc,


    Du hast das Wort Lebenshilfe erwähnt. In den früheren Jahrhunderten gab es sehr fest gesetzte Regeln, einmal durch die Kirche, einmal durch die Etiektte. Beides brachte seine Probleme mit sich, sicher, aber es war eine Lebenshilfe.


    Heutzutage, wo der Glauben oft nicht mehr da ist und gesellschaftliche Regeln meist sehr individuell sind, fehlt es daran. Ich persönlich glaube, dass oft unterschätzt wird, dass die Kirche in Form der Gemeinde sehr wohl eine Lebenshilfe darstellt. Ob immer die beste, ist nicht Diskussionsschwerpunkt.



    Um erst einmal psychische Erkrankung zu definieren: Symptome von Krankheitsbildern treten auch oft bei "gesunden" Menschen auf. Als psychisch krank wird bezeichnet, wenn es die Lebensqulität des Menschen beeinträchtigt, wie im Falle von Zwängen, Neurosen, Psychosen.


    In deinem Fall scheint es sich um eine Gesprächstherapie zu handeln. Anlass dazu dürfte in dem meisten Fällen sein, dass denjenigen etwas belastet, was seine "Lebensqualität" einschränkt. Nicht immer können das Freunde, Verwandte, Partner lösen. Gründe können sehr verschieden sein. Angstzustände, anhaltende Traurigkeit; Gedanken, mit denen man nicht klarkommt; Verhalten, die man sich nicht erklären kann; Dinge, für die man sich für "verrückt" hält... Im Kopf eines Menschen können sich leicht Gedankenspiralen bilden, aus denen derjenige allein nicht mehr herausfindet.
    Meine persönliche Meinung von Psychologen ist auch nicht unbedingt die höchste, aber sie sind in einer Gesprächstherapie dafür da, diese Spiralen zu lösen. Und manchmal hilft da schon der Satz. "Das kommt häufiger vor, als Sie glauben."


    Wenn man Muster erkennen lernt, kann man auch leichter mit ihnen Leben.


    Ja, dein Wort Lebenshilfe trifft es gut. Lieber einmal zuviel beim Psychologen, als ein Suizidopfer mehr. Daher würde ich auch nicht das Wort Problem benutzen. Es ist mehr so etwas wie die neue Lebenshilfe.


    Übrigens gibt es einen Unterschied zwischen Psychologe und Psychiater. Ich glaube, nur letzterer ist befugt, Medikamente zu verschreiben.


    JAss :keks

    Es ist erst dann ein Problem, wenn eine Tasse heißer Tee nicht mehr hilft. :fruehstueck

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von JASS ()

  • Zitat

    Original von JASS
    Übrigens gibt es einen Unterschied zwischen Psychologe und Psychiater. Ich glaube, nur letzterer ist befugt, Medikamente zu verschreiben.


    Psychologen und Psychiater unterscheiden sich schon von ihrer Ausbildung her, der Studiengang Psychologie wird in aller Regel mit einem Diplom abgeschlossen, Psychiater haben ein Medizinstudium absolviert, deshalb dürfen auch nur Psychiater Medikamente verschreiben. Psychiatrie ist KEIN eigenes Studienfach, sondern eine Facharztrichtung, so wie Orthopädie oder Chirurgie. Um therapeutisch tätig sein und über die Krankenkasse abrechnen zu dürfen, müssen sowohl Psychologen als auch Psychiater seit 1999 eine zusätzliche Psychotherapeutenausbildung absolvieren, die privat bezahlt werden muss und 3 Jahre Vollzeit oder 5 Jahre Halbzeit in Anspruch nimmt. Bei der Psychotherapeutenausbildung wird zwischen Kinder/Jugendlichen und Erwachsenen unterschieden.


    Übrigens ist die Gesprächstherapie nur EINE Variante der Therapie, viel häufiger angewandt wird die Verhaltenstherapie ;-)

  • Zitat

    Original von millaUm auf deine Ausgangsfrage zurück zu kommen, im Laufe der Zeit entwickeln sich immer mehr neue Berufe, es gab vor 200 Jahren auch keine Unternehmensberatung


    Unternehmensberatung. Der überflüssigste Berufsstand überhaupt.

  • Zitat


    Unternehmensberatung. Der überflüssigste Berufsstand überhaupt.


    Um mal kurz Offtopic zu sein :grin
    Dem Unternehmen in dem ich zur Zeit jobbe würde ein guter Unternehmensberater zur Zeit absolut nicht schaden. Nur zieht Gleiches Gleiches an und entsprechend eben dann auch die Berater :lache

  • @ Doc
    Hm... ganz ehrlich? Mir gefällt die Fragestellung nicht!
    Auch wenn du durch deinen letzten Satz versuchst zu relativieren, finde ich nicht, dass der Psychiater oder Psychologe ein PROBLEM unserer Zeit darstellt. Im Gegenteil, er hilft Probleme und Traumata zu bewältigen. Wo genau ein Trauma anfängt und was als wirklicher Grund zählt einen Psychologen aufzusuchen, will ich persönlich nicht definieren, du etwa???
    Wo fängt es für dich an vertretbar zu sein einen Therapeuten aufzusuchen? Vergewaltigung in der Jugend? Oder weil man bei Oma immer den Teller leer essen mußte? Schläge von den Eltern? Oder weil Mutti einen mit 12 noch zu sich ins Bett geholt hat? Suizidale Tendenzen? Oder nur kleine autoaggressive Erscheinungen? Magersucht? Oder nur ein Problemchen mit Diäten? Ödipuskomplex oder der Hang zu sehr jungen Liebhabern? Wo ist deine Grenze, ab wann darf man sich HILFE suchen? Und ab wann muß man schon groß sein und alleine das Problem lösen oder sich von Freunden Hilfe holen, die es zwar gut meinen, aber keinerlei psychologische Schulung besitzen?


    Mich stört massiv die immer noch stark negative Behaftung der Wörter THERAPIE, PSYCHOLOGIE, PSYCHOLOGE, etc.
    Und dieser Fred ist ein wunderbares Beispiel der Ahnungslosigkeit und wie man ganz herrlich, die Fortschritte, die in der Akzeptanz dieses Bereiches gemacht werden, zunichte machen kann.


    Ein Gespräch mit einem Freund und ein Gespräch mit einem Therapeuten auf eine Ebene zu setzen, erachte ich für grundfalsch und jemand, der mir mit der Begründung: Einsamkeit oder der hat halt keine Freunde, mit denen er reden kann, als Grund für eine Therapie kommt, sorry, aber der jenige besitzt für mich weder Ahnung von der Materie, noch möchte ich mich mit diesem Menschen weiter über dieses sehr sensible Thema unterhalten.


    Doc, ich habe dich bisher für einen sehr sensiblen Menschen gehalten, dieses Topic ist definitiv der Tiefpunkt deiner Eulenkarriere.
    Ja, ich bin sauer!


    @ Smilla

    Zitat

    Ich finde es aber gut, wenn Menschen den Mut haben psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen...und auch darüber zu sprechen.


    Das ist nicht nur gut, sondern das ist wünschenswert.
    Dieses Topic trägt allerdings allein schon durch seinen mehr als beleidigenden Titel nicht wirklich dazu bei diese Akzeptanz und diesen Mut zu steigern.

  • Zitat

    Original von sill
    Oder manche finden es "in" zum Therapeuthen zu flitzen und sich mit anderen darüber auszutauschen.....das verbindet ja auch irgendwie, oder?
    Das ist mir vorallem in der Schulzeit meiner Söhne aufgefallen......jedes Kind braucht doch heute einen Therapeuten.....gibts eigentlich noch normale Kinder???? :gruebel


    Kann ich nur bestätigen. In den Klassen meiner Kinder gibt es auch nicht gerade wenige Kinder, die in irgendeiner Art von Behandlung sind, vom Logopäden bis zum Kinderpsychologen.


    Beweggründe dafür wurden hier ja schon genannt - der Wunsch, ein lästiges Problem möglichst fix zu reparieren, die Unfähigkeit mit mangelnder Perfektion (gerade auch bei den eigenen Kindern) umzugehen, zuviel Reflexion über sich, seine Kinder und last but not least benötigt dieser Berufsstand natürlich auch Kunden und schafft sich in gewisser Weise seine Nachfrage selbst, indem ständig neue Phänomene definiert werden. Aber das ist ja bei fast jedem beratenden Beruf so.

  • Guten Morgen!
    Seit sechs Wochen bin ich eine von denen, die einen Therapeuten haben. Ich hätte von mir niemals selbst gedacht, dass ich mal eine solche Praxis betreten würde - aber ich bin froh, dass ich das darf. Ich habe Panikattacken und mit Hilfe des Therapeuten versuche ich, das in den Griff zu bekommen.
    Mein Mann hat eine für mich schlüssige Theorie aufgestellt, warum Menschen heute eher zum Therapeuten gehen: früher war der Priester, war die Beichte, das, was heute eine Gesprächstherapie ist (N.B.: ich gehe zu einem Verhaltenstherapeuten). Und: es ist gut und üpberhaupt kein Makel, wenn Menschen, die Hilfe brauchen, sich in eine Therapie begeben. Sicher, es gibt viele, die das chic finden, aber als ich mit einer älteren Dame über meine Panik gesprochen habe und sie sagte, sie habe das in ihrer Jugend auch gehabt (also vor etwa 40 Jahren) und musste das allein bewältigen; dass nun die Möglichkeit bestehe, diese aus Serotoninmangel entstehenden Ängste mit professioneller Hilfe zu bewältigen hat sie begeistert.
    Als ein "Problem" unserer Zeit würde ich das also nicht sehen - psychische Probleme gab es zu allen Zeiten, allerdings nicht die Möglichkeit, sich Hilfe zu holen. Leider ist das für viele Leute immer noch ein Tabu - und leider ist es, da muss ich unterschreiben, manchmal auch "schick", eine "kleine Depression" zu haben - aber ich habe beschlossen, offensiv und offen damit umzugehen. Das Feedback ist erstaunlich: viel mehr Menschen, als ich dachte, haben die selbe Erfahrung wie ich (im übrigen nicht nur Frauen, im Gegentum, zahlreiche Männer auch, wobei diese länger versuchen, das allein mit sich auszufechten).
    Meine Meinung war immer, dass man Psychologen nicht wirklich braucht, wenn man über einen gesunden Menschenverstand verfügt. Das revidiere ich jetzt - ich hätte von mir selbst aus niemals erkannt, was mit mir los ist, geschweige denn Techniken herausgefunden, mit denen ich die Panik in den Griff bekomme. Und: natürlich ist es richtig und wichtig, mit der Familie und den Freunden zu sprechen, wenn man Probleme hat. Aber wer eine Bronchitis hat, der braucht auch einen Arzt, denn nur mit guten Ratschlägen lassen sich Bazillen nicht vertreiben. Anders gesagt: ein Profi, der von Außen auf die Situation blickt, mit professionelem Abstand, ist m. M. n. eher in der Lage, zu helfen. Beispiel: meine Familie und Freunde hatten mich mit Samthandschuhen angefasst. Ins Bettchen gepackt, Händchen gehalten...Der Therapeut tut das nicht, er ermuntert mich quasi dazu, im Fall einer Panik sofort zu sterben - das hilft. Und vor allem hilft, dass er WEISS, was solche Todesängste auslöst, mir das erklären kann und ich lerne, dass ich eben nicht tot umfalle.
    Um vielelicht mal noch ein Vorurteil auszuräumen: nur weil man jemanden zum Quatschen braucht bekommt man keine Therapie (es sei denn, man hat einen fetten Geldbeutel und zahlt die Sitzungen selbst). Da braucht es ärztliche Atteste, einen klaren Befund und die Zustimmung der Krankenkasse.
    Noch ein Wort zum Thema Kinder und Psychologen: es GIBT normale Kinder. Leider gibt es aber verstärkt die Tendenz, jedes angeblich auffällige Kind erstmal in eine Schublade zu schieben (ADHS als ein Beispiel). In der Schulklasse meiner Tochter (2. Klasse) sind drei Kinder, die wöchentlich eine Therapiesitzung haben - bis auf ein Kind würde ich behaupten, dass das eigentliche "Problem" bei den Eltern bzw. der mangelnden Erziehung liegt. Aber das ist ein Minenfeld...das will ich am Sonntag nicht betreten :grin
    Liebe Grüße
    Silke