Der Gang zum Psychologen/Psychiater - Ein Problem unserer Zeit?

  • Zitat

    Original von Moloko
    Es ist ja nicht so, dass mit einer ärztlichen Überweisung einige Stunden übernommen und für den Patienten damit kostenlos wären.


    Den Satz verstehe ich nicht. Zum einen: Für eine psychotherapeutische Behandlung braucht man keine ärztliche Überweisung. Wir haben das Erstzugangsrecht.
    Und die einzigen Kosten, die entstehen, sind die 10 Öre Praxisgebühr, falls man die in dem Quartal noch nicht abgedrückt hat.


    Zitat

    Die Person, die ich speziell im Sinn habe, hat wirklich nur die ersten Stunden in Anspruch genommen. Muss wohl eine sehr effektive Therapie gewesen sein.


    Oder jemand hat - aus welchen Gründen auch immer - nach den sogenannten Probesitzungen beschlossen, doch keine Therapie zu machen.


    Zitat

    Original von Moloko
    Trotzdem darf man nicht die Augen verschließen und ignorieren, dass vorallem in diesem Bereich viele Falschdiagnosen gestellt werden.


    Hast Du zu "vor allem in diesem Bereich" vielleicht eine Untersuchung an der Hand?


    Zitat

    Wenn dann aber jemand, der zuvor nie auffällig war, der ein ganz normales Verhalten an den Tag gelegt hat, etc. plötzlich über seine Zeit beim Seelenklempner (Originalzitat) erzählt, dann halte ich das doch für sehr auffällig.


    Warum das denn? Bei meinem Hausarzt sitzen immer Menschen im Wartezimmer, die nach außen hin gesund wirken.
    Und praktisch alle meine Patienten legen nach außen hin ein normales Verhalten an den Tag. Oder verwechselt Du jetzt vielleicht Psychotherapeuten und Psychiater?

  • Zitat

    Original von Katerina
    Oder jemand hat - aus welchen Gründen auch immer - nach den sogenannten Probesitzungen beschlossen, doch keine Therapie zu machen.


    Richtig.
    Gerade eine Psychotherapie ist eine sehr intime Angelegenheit.
    Niemand geht mal eben so zu einem Psychotherapeuten, lädt seine seelische Last ab, als sei es Hausmüll, und sortiert im Laufe der Zeit die einzelnen "Müllsorten" aus (bildlich gesprochen)
    Da muss zwischen Patient und Therapeut die Chemie stimmen. Das stellt man meist aber erst nach zwei, oder sogar drei Sitzungen fest.
    Wenn also da jemand nach einigen Sitzungen gesagt hat, "Dass ist nix für mich", dann muss man das akzeptieren. Auch (oder gerade!) die Leute, die damit nichts zu tun haben.


    Wenn jemand seinen Therapeuten nach außen hin als "Seelenklempner" bezeichnet, dann versucht derjenige wahrscheinlich bewusst cool zu wirken. Wer gibt denn heutzutage schon gerne zu, dass er nicht mehr "erwartungsgemäß funktioniert"?


    Und wenn jemand offen mit seinem Problem und seinen Sitzungen umgeht, dann ist das auch keine Suche nach den "15 minutes of fame", sondern eine ganz idivuduelle Art und Weise, das Ganze zu bewältigen.


    Nichts ist indivudeller, als die Psyche.
    Und was bei dem Einen vielleicht wirklich die Suche nach Anerkennung ist, mag bei dem Anderen Teil der Therapie sein.
    Ich wäre da mit Urteilen oder Meinungen nicht so schnell bei Hand.


    LG


    Dirk67

  • Meine Erfahrung mit Menschen, die nicht von ihrem Leidensdruck berichten, sondern mit den Ratschlägen "ihres" Therapeuten um sich werfen gehen allerdings dahin, dass es sich bei diesen Personen weder um Psychiater, noch um Psychotherapeuten handelt, sondern meist um selbst zu bezahlende seltsame Figuren. Ich bin als ich in die Therapie ging dreimal ums Gebäude geschlichen um zu sehen ob kein Kommilitone mich erkennt- und,ein Problem war nur als Jurastudent nicht verknusen zu können, dass ich Recht und nicht Gerechtigkeit studiere. Aber diejenigen, die sich im Fernsehen vorführen ließen, (heute Sindbads wohl Schauspieler) machen jedenfalls keine Werbung für eine seriöse Therapie.

  • Zitat

    Original von beowulf
    Meine Erfahrung mit Menschen, die nicht von ihrem Leidensdruck berichten, sondern mit den Ratschlägen "ihres" Therapeuten um sich werfen gehen allerdings dahin, dass es sich bei diesen Personen weder um Psychiater, noch um Psychotherapeuten handelt, sondern meist um selbst zu bezahlende seltsame Figuren.


    Den Verdacht hatte ich auch schon. Das macht die Sache aber nicht besser.
    Welcher Arzt muss sich mit Vorwürfen herumschlagen, Ärzte stellten massenhaft Fehldiagnosen, nur um bei näherem Nachfragen herauszufinden, dass der Betreffende bei einem ominösen Heiler in Behandlung war, der weder Zulassung noch Approbation besaß.
    Seufz.
    (Kein Wunder, dass Menschen aus diesem Thread die Konsequenz gezogen haben, es müsse mal ein Buch her, in dem all das erklärt wird, und dass zu diesem Buch in drei Tagen eine Leserunde stattfindet. ;-) )

  • Bei mir steht es schon im RuB bereit. Wir können ja dann noch Thesen austauschen wie diese, die ich kürzlich im Fernsehen erlebte (Psychologe): Ich gebe keine Ratschläge, auch Ratschläge sind Schläge.

  • Zitat

    Original von beowulf
    Bei mir steht es schon im RuB bereit. Wir können ja dann noch Thesen austauschen wie diese, die ich kürzlich im Fernsehen erlebte (Psychologe): Ich gebe keine Ratschläge, auch Ratschläge sind Schläge.


    Auch das Thema kommt im Büchlein vor.
    Aber nun genug der Werbung. Ich habe es wie gesagt nur erwähnt, weil der Thread hier zumindest schwer mitschuldig an der Entstehung war.

  • Ach oh weh ... Fernsehärzte und ihre Patienten ...


    Fernsehen nehme ich nicht ernst (habe ich noch nie).
    Ob das explosive und heiße Stühle sind (das kann man jetzt auch ruhig doppellsinnig verstehen :grin) oder irgendwelche dubiosen Nachmittagsshows, in denen Recht, Ordnung und geistige Gesundheit gepredigt werden, ist mir vollkommen wumpe.
    Die Glotze ist bei meiner Frau und mir ein reiner Monitor für den Dehvauhdeh :grin


    Ich bezog mich im meinem Post auf Menschen aus dem echten Leben.
    Da gibt es genug, die sich eben genau so verhalten (Seelenklempner, über ihre Therapie reden etc.)
    Und da muss man von Fall zu Fall ganz indivudell entscheiden, wie es derjenige gemeint hat, und warum.
    Aber über irgendwelche Fernsehfiguren aus dem Nachmittagsprogramm und ihre Darstellungen diskutieren ... dafür ist mir meine Zeit zu schade.
    Echte Menschen, mit echten Probelmen ... jederzeit.
    Drehbuchgeburten für die nachmittägliche Verblödung Dokumentarseifenendlosschleife?
    Vergisses.


    LG


    Dirk67 (der auch in Therapie geht. Aber mehr, als dieses knappe Outing, wird es dazu von mir nicht geben.)

  • Zitat

    Original von beowulf
    Bei mir steht es schon im RuB bereit. Wir können ja dann noch Thesen austauschen wie diese, die ich kürzlich im Fernsehen erlebte (Psychologe): Ich gebe keine Ratschläge, auch Ratschläge sind Schläge.


    Ja, aber es stimmt sogar. Ratschläge können durchaus Schläge sein.
    Menschen die reden wollen, sich über ihre Probleme austauschen wollen, wollen nicht ständig von anderen hören, was sie tun sollen.
    Sinniger ist es, Menschen selber auf die Spur einer Lösung zu bringen, aber eben nicht mit RatSchlägen, sondern mit ihnen reden, sie richtig fragen heraushören, was sie sich vorstellen und dann darauf auch mit eingehen usw.

  • Zitat

    Original von Johanna


    Menschen die reden wollen, sich über ihre Probleme austauschen wollen, wollen nicht ständig von anderen hören, was sie tun sollen.
    Sinniger ist es, Menschen selber auf die Spur einer Lösung zu bringen, aber eben nicht mit RatSchlägen, sondern mit ihnen reden, sie richtig fragen heraushören, was sie sich vorstellen und dann darauf auch mit eingehen usw.



    Danke Johanna, du sprichst mir aus der Seele. :wave

  • Ich glaube, dieses "Mein Therapeut hat gesagt..." ist manchmal auch nur ein Zeichen dafür, wie wichtig der Therapeut im Moment im Leben dieser Person ist. Man erzählt ja als Patient Dinge, die man vorher vielleicht noch nie so richtig jemandem erzählt hat und baut eine enge Beziehung zum Therapeuten auf, da kann es schon mal sein, dass in einer Phase der Therapie zu einer gewissen Abhängigkeit kommt und jede neue Erkenntnis und jedes Fitzelchen, das einem der Therapeut hinwirft, so wichtig wird, dass es tausendmal gewendet und vielleicht auch unbedingt noch mit jemandem geteilt werden muss.


    Menschen sind halt auch unterschiedlich mitteilungsbedürftig. Daraus würde ich nun nicht schließen, dass diejenigen, die etwas über ihre Therapie erzählen, die kleineren Probleme haben. Das ist wahrscheinlich genauso ein Irrschluss wie "Wer über Suizid redet, tut es nicht." (3/4 der Menschen, die einen Suizidversuch unternehmen, kündigen dieses an).


    Das mit der zeitweisen Abhängigkeit ist nicht weiter schlimm, man sollte nur als Therapeut darauf achten, dass man auch rechtzeitig die Ablösungsphase einleitet und nicht eine Stunde vor Schluss sagt: "Soooo, nächste Woche ist nun unsere letze Stunde.", sondern vorher schon mal das Thema Abschied und Therapieende thematisiert.


    Oft gelingt das aber von ganz alleine, z.B. indem Patienten irgendwann fragen, ob sie nur noch alle zwei Wochen kommen können.

  • @ Katerina: Das Buch von dem Du schreibst, ist das das von Dir in der Signatur verlinkte?


    Ich habe die Worte von Moloko nicht ganz so verstanden wie ihr. Das jemand mit seinem Leid auch Aufmerksamkeit erhalten möchte, ist nicht ganz so abwegig. Und tatsächlich gibt es auch Leute, die von Leid berichten ohne es zu haben. Größen- oder Intensitätsvergleiche gibt es ja nun in vielen Bereichen.


    Egal. Dies mindert natürlich auch in keinem Fall die Bedeutung von Psychologen, Psychotherapeuten oder Psychiatern. Und es diskreditiert auch nicht die Menschen, die wirklich Hilfe benötigen.


    Letztlich ist das Thema auch interessant, da noch viel zu viel Unwissen bei vielen vorherrscht. Der Blick in die Psyche ist kaum messbar (Gehirnströme schon) und daher bietet er auch großen Interpretationsspielraum.


    In Abweichung von vielen hier bin ich nicht der Meinung, dass der Druck immer größer wird. Allerdings verändert er sich immer weiter vom rein körperlichen Bereich zu den geistig-mentalen Anforderungen. Druck gibt es eigentlich in jeder Zeit. Das Mittelalter oder der Anfang des 20. Jahrhunderts waren sicher keine einfacher zu bewältigenden Zeiten. Aber halt in vielen Punkten gänzlich anders zu bewältigen.


    Ein Punkt ist sicher auch die stärker arbeitsteilige Wirtschaft. Früher hat der Schuhmacher Schuhe gemacht. Heute steht jemand am Fließband, mischt Gummimischungen an und ein anderer gießt es in Formen und ein Dritter fummelt da irgendwie Schnürrbänder rein. An diesem einfachen Beispiel kann man das fertige Produkt noch erahnen, bei komplizierteren Produkten weiß man aber nicht mehr, was das später mal werden wird. Ich habe selbst vor zig Jahren in einem Ferienjob mal Spulen für Starter von Batterien fertigen müssen. Stupide Handbewegung über Stunden und keinerlei Bezug mehr zur eigentlichen Tätigkeit. Und also auch eine ganz andere Art der Zufriedenheit und Identifikation mit dem Selbstbild. Früher waren es Berufungen und viele habe ihre Bedeutung viel direkter gespürt. Heute ist der Nutzen des eigenen Handelns viel weiter von einem selbst weggerückt.


    Ein Thema mit tausenden Facetten. Mich wundert, dass der Thread erst 17 Seiten hat. ;-)

  • Zitat

    Original von xexos
    @ Katerina: Das Buch von dem Du schreibst, ist das das von Dir in der Signatur verlinkte?


    Ja, genau.


    Zitat

    In Abweichung von vielen hier bin ich nicht der Meinung, dass der Druck immer größer wird. Allerdings verändert er sich immer weiter vom rein körperlichen Bereich zu den geistig-mentalen Anforderungen. Druck gibt es eigentlich in jeder Zeit. Das Mittelalter oder der Anfang des 20. Jahrhunderts waren sicher keine einfacher zu bewältigenden Zeiten. Aber halt in vielen Punkten gänzlich anders zu bewältigen.


    Ich bin da auch immer eher skeptisch, auch was die Zunahme an psychischen Erkrankungen betrifft.


    Zitat

    Ein Punkt ist sicher auch die stärker arbeitsteilige Wirtschaft. Früher hat der Schuhmacher Schuhe gemacht. Heute steht jemand am Fließband, mischt Gummimischungen an und ein anderer gießt es in Formen und ein Dritter fummelt da irgendwie Schnürrbänder rein. An diesem einfachen Beispiel kann man das fertige Produkt noch erahnen, bei komplizierteren Produkten weiß man aber nicht mehr, was das später mal werden wird. Ich habe selbst vor zig Jahren in einem Ferienjob mal Spulen für Starter von Batterien fertigen müssen. Stupide Handbewegung über Stunden und keinerlei Bezug mehr zur eigentlichen Tätigkeit. Und also auch eine ganz andere Art der Zufriedenheit und Identifikation mit dem Selbstbild. Früher waren es Berufungen und viele habe ihre Bedeutung viel direkter gespürt. Heute ist der Nutzen des eigenen Handelns viel weiter von einem selbst weggerückt.


    Auch da kann ich Dir nur zustimmen.
    Wenn ich auch der Meinung bin, dass die meisten Menschen schon sehr früh in ihrem Leben mit der Fähigkeit ausgestattet werden, auch belastende Lebenssituationen gut bewältigen zu können, ohne psychisch zu erkranken. Oder eben nicht.

  • Zitat

    Original von beowulf
    Könnte sich nicht noch eine männliche Eule entschliessen morgen an der Leserunde teilzunehmen? Ich fühle mich da etwas einsam.


    Um welches Buch handelt es sich denn? :gruebel

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Johanna


    Da gehen doch nur Bekloppte hin


    Herzlichen Dank für diesen Hinweis. :wave
    Ich habe den Einleitungstext zu dieser Leserunde gelesen - sie schreckt ab, macht aber ganz gewiss nicht neugierig auf das Buch. Selbstgefällig. Nee - das muss ich wirklich nicht haben. :-)

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Delphin: Ich glaube, dieses "Mein Therapeut hat gesagt..." ist manchmal auch nur ein Zeichen dafür, wie wichtig der Therapeut im Moment im Leben dieser Person ist. Man erzählt ja als Patient Dinge, die man vorher vielleicht noch nie so richtig jemandem erzählt hat und baut eine enge Beziehung zum Therapeuten auf, da kann es schon mal sein, dass in einer Phase der Therapie zu einer gewissen Abhängigkeit kommt und jede neue Erkenntnis und jedes Fitzelchen, das einem der Therapeut hinwirft, so wichtig wird, dass es tausendmal gewendet und vielleicht auch unbedingt noch mit jemandem geteilt werden muss.


    Den markierten Satz möchte ich zum Anlass nehmen, um tiefer in die Diskussion einzusteigen.
    Erzählt der durchschnittliche Patient tatsächlich einem Psychologen/Psychiater frei weg von der Leber von seinen Problemen?
    Der Betroffene, der Hilfe sucht, wird sich bereits in gewisser Hinsicht mit seiner Situation auseinandergesetzt und erkannt haben, dass er Unterstützung benötigt, die er nicht in der Familie und im Freundeskreis erhält oder die nicht ausreichend ist.
    Reichen diese Erkenntnis und die Distanz zu einer fremden, wenn auch professionellen Person aus, um sein Seelenleben völlig offen zu legen, vorausgesetzt es handelt sich nicht um einen Akutzustand?

  • Zitat

    Original von Salonlöwin


    Reichen diese Erkenntnis und die Distanz zu einer fremden, wenn auch professionellen Person aus, um sein Seelenleben völlig offen zu legen, vorausgesetzt es handelt sich nicht um einen Akutzustand?


    Gerade die Distanz ist ein wichtiger Punkt.
    Einer Person die unbeteiligter ist und einen anderen Blickwinkel hat, kann man oftmals leichter etwas anvertrauen.
    Dazu kommt noch das Wissen um die Schweigepflicht. Das Gesagte ist hier gut aufgehoben.


    Und ganz wichtig - das Wissen, daß man beim Therapeuten ernst genommen wird, nicht für "verrückt" oder was auch immer gehalten wird.


    Man sozusagen die ganze Aufmerksamkeit einer Person bekommt.
    Finde ich einen wichtigen Punkt, da bei Freunden oder Familienangehörigen oft das "Risiko" besteht, daß diese oft kurz zuhören und dann auf eigene Belange eingehen wollen - dazu noch der bereits angesprochene Punkt der RatSchläge.
    Viele Freunde und Bekannte sind sogar oftmals beleidigt, wenn ihre Ratschläge dann nicht angenommen werden (oft nicht angenommern werden können) und halsen somit dem Klienten noch mehr Probleme auf den Hals