Der Gang zum Psychologen/Psychiater - Ein Problem unserer Zeit?

  • Nun bin ich über diesen alten Fred gestolpert und sollte ihn "altersweise" abtun, doch stattdessen kocht mir das Blut. Wort für Wort habe ich 13 Seiten gelesen, leider Jahre zu spät, um in die aktuelle Diskussion einzugreifen, und muss feststellen, dass hier - vor allem im ersten Teil - manche Leute über Therapien sprechen wie ich (männlich!) über das Kinderkriegen.
    Klar, wenn ich einen offenen Bruch des Oberschenkels habe, gehe ich zum Arzt, aber einen einfachen Bruch des Arms wird doch wohl der "gute Freund" richten können, oder stimmt etwas nicht mit mir???
    Oh Mann!


    Ich danke Magali für ihre tiefgehenden, ganz auf meiner Linie liegenden Erklärungen. Daneben gab es viele Beiträge, die mich emotional sehr angesprochen heben, namentlich von BJ, Pelican, Frl. Smilla, Dyke, Milla (und anderen). Es ist schwierig, einer komplexen und dazu jahrealten Diskussion gerecht zu werden, aber ich muss ABKOTZEN angesichts einer Mentalität, die subjektiv schwierige Probleme anderer Menschen als "Furz quer im Bauch" abtut.
    Klar gab es diese Probleme "früher" nicht, denn wo man ein Problem nicht benennen kann, existiert dieses nicht.


    Ach ja, ich bin ein Betroffener. Ohne meine Therapie vor fünfzehn Jahren wäre ich nicht mehr am Leben. Physisch schon, aber nicht als der Mensch, der ich heute bin. Und der muss nicht jedem gefallen...


    LG harimau

  • Ich denke inzwischen die Polarisierung der Meinungen in diesem Thread laesst sich auf auf folgende gegensaetliche Aussagen zusammenfassen:


    1. Der Gang zum Psychiater ist Modeerscheinung geworden und wird (zu?) viel gegangen.
    2. Therapie ist immer noch nicht gesellschaftsfaehig und Menschen, die es braeuchten zoegern noch viel zu viel diese Angebote anzunehmen.


    1. wird in erster Linie von Leuten hier vertreten, die sehr wenig bis keinerlei persoenliche Erfahrung mit dem Thema haben


    2. wird eigentlich von vielen wissenschaftlichen Studien belegt - und so ziemlich jedem, der/die persoenliche Erfahrung (selbst, Familie, Freunde)mit dem Thema hat.


    Leider ist es eben so, dass die vielfach verbreitende Meinung 1. die 2. noch mehr verstaerkt. Klar denken viele, dass der Bekannte, der zur Therapie rennt, dies nur aus Langeweile machen kann, der der Mensch hat sich schlicht nie getraut von seinen echten Problemen zu erzaehlen, da es eben nicht so gesellschaftsfaehig ist.


    Es ist ja kein Zufall, dass die Dunkelziffer bei Depressionen unter Maennern wirklich total im Dunkeln liegt. In Behandlung sind es weitaus weniger als Frauen. Aber die Wissenschaft kann da gar nicht so eindeutig sagen, ob es daran liegt, dass sie ob der unterschiedlichen Biochemie nicht so leicht dran erkranken oder daran, dass sie sich nicht trauen in Behandlung zu gehen und statt dessen vor der Gesellschaft "den starken Mann" markieren muessen, weil man sich ansonsten laecherlich macht?? Ist das wirklich besser? Agressionen gehoeren z.B. oft (nicht immer!) zum Symptombild einer klinischen Depression bei Maennern (sehr selten bei Frauen). Diese Maenner gehen nicht in Behandlung, dafuer landen ihre Frauen im Frauenhaus .... oder eben nicht, weil es frueher sowas ja nicht gab - depressive Maenner natuerlich genauso wenig, wie Frauen, die oeffentlich zugaben geschlagen zu werden ...

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Ich kann mir nicht vorstellen, dass es inzwischen modern geworden ist, ohne entsprechende Indikation, einfach so aus Langeweile, einen Therapeuten aufzusuchen. Zum Ersten, wie Silke schon schreibt, weil es ziemlich teuer ist, wenn man keine Überweisung hat, zum zweiten, weil so eine Therapie zumeist auch recht schmerzhaft sein kann, weil sie einen - wenn sie erfolgreich sein soll - ja auch selbst in Frage stellt. Es ist ja mitnichten so, dass es die Aufgabe eines Threapeuten darstellt, dem Patienten tröstend über den Kopf zu streicheln und ihn darin zu bestärken, dass die Anderen die Bösen sind und er für sein Unglück nicht verantwortlich ist.
    Nein, eine gute Therapie hilft dem Menschen immer, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, und es ist wahrlich nicht immer angenehm, verdrängte Traumata anzuschauen oder seine Verhaltensmuster zu hinterfragen. Wer tut das schon freiwillig, wenn er noch eine Menge Geld dafür bezahlen muss?
    Ich finde, es setzt immer einen gewissen Leidensdruck voraus, bis man sich entscheidet, sich in Therapie zu begeben. Keiner wird das aus Jux und Dallerei tun, weil er gerade nichts Besseres zu tun hat.
    Früher war das Angebot einfach nicht da, bzw. war die Kirche dafür zuständig. Ob jeder Pfarrer allerdings entsprechend psychologisch ausgebildet ist, kann ich nicht beurteilen. Ich würde mich im Bedarfsfall immer lieber in die Hände eines fähigen Therapeuten begeben als in die eines Geistlichen.
    Die Menschen haben sich weiter entwickelt. Sie sind nicht mehr bereit, sich mit allem abzufinden und ihr Leid zu dulden. Sie wollen etwas unternehmen, damit sie sich besser fühlen. Dafür nehmen sie in Kauf, sich mit sich selbst und ihren dunklen Seiten auseinanderzusetzen. Ich kann das nur begrüßen und bin froh, dass sich immer mehr Bedürftige trauen, sich Hilfe zu holen, und dass die Psychotherapie allmählich gesellschaftsfähig wird.


    edit: ich "oute" mich hiermit auch als eine derjenigen, die eine Psychotherapie schon in Anspruch genommen haben, und weißgott nicht aus Langeweile, oder weil es gerade in Mode war.

    Worte sind Waffen. Wenn Ihnen etwas ganz stark am Herzen liegt, legen Sie Ihre Waffe an und feuern. (James N. Frey)

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  • Ohne die ganze Diskussion durchgelesen zu haben, möchte ich mich nur zu der Frage äußern, ob der Gang zum Psychologen (Psychiater lass ich mal raus, da muss schon mehr dahinter sein) das "Problem unserer Zeit" ist.


    Nun ja, es ist so, dass Menschen öfter Psychologen aufsuchen als früher. Als Problem möchte ich es nicht bezeichnen, aber es ist eine Tatsache.


    Das hat mehrere Gründe:
    1. Eine Therapie ist nicht mehr so verpönnt wie früher. Sicher, es gibt noch Menschen, die sagen "Das brauchst du nicht, jeder hat Probleme", aber dennoch wird man heutzutage von den meisten Menschen nicht mehr so schief angeguckt wie es früher gewesen wäre (was jetzt auch nicht heißt, dass es unproblematisch ist, eine Therapie zuzugeben). Man ist in unserer Gesellschaft mittlerweile offener der Therapie gegenüber als es früher war, auch wenn wohl noch nicht so offen, wie es meiner Meinung nach wünschenswert wäre.


    2. Es ist einfach so, dass es mehr Menschen gibt, die an unterschiedliche npsychischen Störungen leiden. Dies hat auch wiederum zwei Ursachen.
    a) Die Diagnostik der Störungen ist ausgereifter. Man diagnostiziert Störungen, die es früher "nicht gab". Dadurch ist natürlich der Anteil der Menschen mit psychischen Störungen größer als früher.
    b) Und das ist wirklich so - früher gab es gar nicht soviele Störungen wie heute. Depressionen an sich gabs sicher schon früher, aber z.B. Depressionen und Sachen wie Spannungskopfschmerzen sind leider eine Erscheinung unserer Zeit. Wie so viele andere Dinge auch...


    Dass eine Therapie "modern" ist, glaub ich nicht. Zumindest noch nicht in Europa. In den USA ist es vielleicht anders, wo man einen eigenen Therapeuten praktisch als Luxus sieht, aber der ist dann meist auch nur zum "Quatschen" da, nicht für eine echte Therapie.

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  • Auch, ohne die gesamte Debatte gelesen zu haben ein paar Gedanken dazu. dass es relativ neu ist, zum Psychologen oder Psychiater zu gehen, ist ganz einfach in der Natur der Sache begründet: Es gibt diese Einrichtung erst seit relativ kurzer Zeit.
    Auch die Einsicht, dass es seelische Erkrankungen gibt, ist nicht gerade als alt zu bezeichnen. Bei manchen Leuten hat sie sich vermutlich bis heute nicht recht durchgesetzt. Aber die Tendenz zeigt da schon in eine gute Richtung.


    Allerdings ist das Phänomen, mit Problemen zu bestimmten Leuten zu gehen, keineswegs neu. Früher ging man woanders hin: manche gingen zum Pfarrer (nicht, weil der "zuständig" war, sondern, weil man von dem Hilfe erwartet hat.), oder zum Heiler oder zur Kräuterfrau oder zum Wahrsager oder oder oder....


    Ich bin dankbar, dass es die Möglichkeit gibt, seelische Erkrankungen durch Fachleute behandeln zu lassen. Und ich bin mir als Seelsorger auch des Unterschiedes sehr wohl bewußt. Mir ist es auch sehr wichtig, mit Psychologen im Gespräch zu sein. Ich bilde mich auch regelmäßig entsprechend weiter um erkennen zu können, wann ich an meine Grenzen komme und ich dann zum Besuch beim Psychologen oder beim Arzt raten sollte. Und ich gehe davon aus, dass dies ein Großteil meiner Kollegen ähnlich handhabt. Seelsorge ist keine Therapie. (Allerdings ist eine Therapie auch keine Seelsorge.)
    @ Britt: Pfarrer sind nicht psychologisch ausgebildet, sondern seelsorgerlich. Dies beinhaltet aber auch, zwischen beidem unterscheiden zu können. Es beinhaltet aber auch, im entsprechenden Rahmen helfen zu können.
    Ich denke, Psychotherapie und Seelsorge können einander gut ergänzen.

  • Ich bin ein einziges Mal von meiner Ärztin gebeten worden, zu einem Psychologen zu gehen...weil Sie Angst hatte, sie könne mir nicht ausreichend helfen.
    Das ist schon sehr lange her und ich hatte damals einfach Angst, dass nach dem Tode eines unserer Zwillingssöhne der in mir wachsende (dann dritte) Sohn das gleiche Schicksal erleiden müßte.


    Auslöser war ein Heulkrampf bei der Frauenärztin, weil die Herztöne beim Ultraschall nicht sofort zu hören waren...und mein Mann auf einer BW-Übung.


    Ich bin zu dem Psychologen gegangen mit der Einstellung: "Was soll der schon tun?" Er hat auch nichts getan, außer die Worte zu sagen: "Na, nun erzählen Sie mal, was Sie bedrückt." Und das hab ich dann auch, worauf er mir gratulierte zum Nachwuchs und sagte: "Sie sind völlig normal gepolt. Wann kommt denn ihr Mann wieder?"... :grin


    Ich erzähle das deswegen, weil ich glaube, dass heute vielen Menschen der Partner zum Reden fehlt, dass sie einfach mal aussprechen müssen, was sie quält und wovor sie gerade Angst haben...zum Sortieren quasi. Das merke ich auch oft in meinem Beruf, wieviele Menschen einfach losreden, wenn sie nur einen freundlichen Blick, ein nettes Lächeln sehen. Es scheint mir oft so, als seien diese Leute ausgehungert in bezug auf Ansprache und echtes Interesse.


    Eine richtig schwere Psychose haben, glaube ich die wenigsten, die wenigsten...und ich habe einen sehr großen Respekt und enorme Achtung vor gut ausgebildeten Psychologen und Psychiatern.


    Für mich wäre das allerdings der reinste Horror, Menschen dahin zurückführen zu müssen, wo ihr Gleichgewicht zwischen Körper, Geist und Seele abgekippt ist.


    Das könnte ich nie!

  • Ich bin auch Anfang des Jahres zum Psychologen geschickt worden.
    Ich hatte Stress auf der Arbeit (Bossing), mein Schwiegervater lag ein halbes Jahr im Sterben und meine damals beste Freundin hat mir die Freundschaft gekündigt (für mich damals ohne erkennbare Vorzeichen) - alles innerhalb weniger Tage bzw. über längere Zeit.
    Zur Arbeit hab ich mich geschleppt, jeden Tag. Wir waren fast ein halbes Jahr lang jeden zweiten Tag auf der Intensivstation. Ich habe mich damals von meinem Hausarzt krank schreiben lassen, weil ich morgens zur Arbeit fahren wollte und auf einmal ne Art Zusammenbruch hatte. Ich selber hätte gar nicht gemerkt, dass es mir schlecht ging, ich hab einfach immer weiter gemacht. Meine Freundin hat mir schon wochenlang geraten zum Arzt zu gehen.


    Als ich bei der Thearpeutin sass, sagte sie mir als erstes, dass sie mich vor dem nächsten halben Jahr behandeln könnte. Das war ein Schock, denn ich brauchte sofort Hilfe. Und ja, ich habe Freunde und einen Partner, der mir zuhört, aber die können nicht alles auffangen. Ich hätte jemanden gebraucht, der mir einfach sagt, dass ich so nicht weiter machen kann etc. und mir - von mir aus auch aus mir selbst heraus - klar macht, dass ich einige Verhaltensweisen ändern muss.


    Letztendlich war ich nie in Therapie, weil ich dann gekündigt habe (das wäre sicher auch das gewesen, was die Therapeutin mir geraten hätte) und von da an alles bergauf ging. Ich war aber froh, dass ich die Möglichkeit gehabt hätte.

  • Ich habe mir auch nicht den ganzen Thread durchgelesen, finde das Thema aber sehr spannend und interessant wie hier so die Meinung vertreten wird. Ich arbeite beruflich in einem Wohnheim für Menschen mit psychischen Erkrankungen und kann vielleicht auch ein oder zwei Dinge dazu sagen.


    Ok. Also zuallerst einmal ist es ganz natürlich, dass in der heutigen Zeit die Leute mehr zum Psychologen oder Psychiater gehen. Früher (also sagen wir mal zu Kriegszeiten) war keine Zeit dafür, da waren andere Dinge wichtiger! Die Krankheiten wie Psychosen, und Depressionen gab es damals schon. Nur leider wurden psychisch Kranke und behinderte Menschen in der damaligen Zeit vergast und umgebracht. Das ist leider Fakt!
    Diese ganzen Störungen, die es heute gibt, gab es früher auch schon. Es gab in der damaligen Zeit nicht so differenzierte Diagnosen. Heute gibt es ja eine Menge psychischer Erkrankungen die auch anerkannt sind. Und das ist gut! Wer kann schon mit massiven Ängsten oder mit einem Burn out arbeiten?


    Was eine sehr positive Entwicklung ist, ist dass die Angst zu einem Psychologen oder Psychiater zu gehen - Gott sei Dank! - nicht mehr so groß ist! Die Vorurteile, wenn man erzählt, man muss zum Psychologen, werden denke ich weniger.


    Das schlimme an psychischen Erkrankungen ist die, dass sie jeden treffen können! Es leiden etwa 4 Millionen Menschen aktuell an einer Depression. Pro Jahr erkranken etwa 1 bis 2 Personen von 100 neu.


    Es ist nicht so, dass den Menschen, die psychisch erkranken, der Partner zum reden fehlt! Bei einer Depression beispielsweise arbeiten die Botenstoffe im Gehirn nicht mehr richtig, deshalb ist es enorm wichtig, dass diese in dieser Zeit, Medikamente bekommen und zusätzlich eine Therapie bekommen.

    :lesend   
    SUB 46;[SIZE=7] Aufbau 1 - Abgebrochen 0: Abbau 6[/SIZE]

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  • Hallo,


    ich bin heute morgen über diesen Thread gestolpert, habe heute immer mal wieder daran gedacht und mir gerade sämtliche Beiträge durchgelesen.


    Ich habe Psychologie studiert und arbeite seit ziemlich genau dreißig Jahren als Psychotherapeutin.


    Ich kann mich an sehr wenige Patienten erinnern, die ohne ein Problem zu mir gekommen wären, das ihre Lebensqualität stark beeinträchtigt hat. Diese wenigen habe ich wieder nach Hause geschickt. Therapieplätze sind rar. Deshalb existieren erhebliche Wartezeiten. Warum sollte ich sie verlängern, indem ich Patienten behandele, die nicht wirklich behandlungsbedürftig sind? Warum sollten Kollegen das tun?
    Hingegen kann ich mich an sehr viele Patienten mit chronifizierten psychischen Erkrankungen erinnern, bei denen ich gedacht habe: "Schade, dass wir uns nicht schon viel früher kennengelernt haben, das hätte dir vielleicht erspart, mit deinem Leben in einer Sackgasse angekommen zu sein."


    Gut, Vorurteile gibt es über viele Berufe. Ich muss damit leben, dass sich über meinen Berufsstand viele äußern, die nicht gut informiert sind.
    Richtig ärgern tue ich mich aber über das, was teilweise über die Patienten einer Psychotherapie von sich gegeben wird.


    "Wer gute Freunde hat, braucht keinen Psychotherapeuten."
    Ein Psychotherapeut ist niemand zum Ausquatschen. Ein Psychotherapeut behandelt psychische Störungen.
    Ein Psychotherapeut erklärt den Patienten sich selbst, dort, wo der Patient sich selbst nicht begreifen kann. ("Warum tue ich das und das immer wieder?") Das kann kein Freund.


    "Gehen heute nicht viel zu viele Leute zum Psychotherapeuten?"
    Gehen heute nicht viel zu viele Leute zum Zahnarzt? Früher hat man es doch auch einfach vor sich hinfaulen lassen!
    Warum sollte man eine erhebliche Einbuße an Lebensqualität hinnehmen müssen, wenn es nicht nötig ist?
    Die Menschen, die zu mir kommen, leiden. Warum sollte man sie leiden lassen?


    "Ich hatte auch mal einen Durchhänger, und ich bin von allein damit fertig geworden."
    Wer so etwas sagt, hat sicherlich noch keine WIRKLICHE seelische Krise erlebt. Oder er hat sich unnötig gequält, wo er es leichter hätte haben können.
    Warum ist es eine besondere Leistung, keine Hilfe in Anspruch zu nehmen? Jemand, der sich eher umbringt, als therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen - ist der besonders stark oder cool?

  • @Katerina...ich weiß nicht, woraus Du in den Beiträgen hier geschlossen hast, dass jemand, der sich umbringt, sich besonders cool oder stark fühlen würde?


    Wer hat hier so etwas behauptet?


    Meine ganz persönliche...möglicherweise unpopuläre...Meinung dazu: Ich finde, jemand, der absolut nicht mehr leben möchte (und glaub mir, ich weiß mittlerweile, dass es Situationen gibt, wo das so ist), sollte die Freiheit haben, seinem eigenen Leben ein würdevolles Ende zu setzen. Betonung liegt auf dem Wörtchen würdevoll! Ich zumindest kann mir jetzt Lebenslagen vorstellen, in denen ich persönlich mir wünschen würde, einen sehr verständnisvollen und mutigen Arzt zu haben, der mir ermöglicht, in Würde einzuschlafen.


    Und...so gut Dein Beitrag sein mag, beleuchtet er doch (bisher) nicht, wie mit Menschen verfahren werden sollte, die nicht sich selbst, sondern andere töten.


    Ich bin nur ein absoluter dummer Laie und kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie man z.B. die Psyche eines Serienmörders wieder in den Griff bekommen kann, geschweige denn, ihn in die Gesellschaft wieder integrieren kann.

  • Ikarus,


    ich dachte eigentlich ich haette den kompletten Thread gelesen, aber die Frage von Serienmoerdern hab ich wohl uebersehen? Und die kann ja nun wirklich nicht mit der Eingangsfrage gemeint gewesen sein, denn selbst wenn sie alle in Behandlung waeren (und das sind sie sicherlich nicht) wuerden sie nur einen Bruchteil eines Prozentes derjenigen ausmachen, die den Gang zum Psychologen/Psychiater gehen.


    Und Katarina meinte bei den Suiziden sicherilch nicht diejenigen, die einen Arzt brauchen um ihn zu vollenden sondern diejenigen, die professionelle Hilfe brauchen um ihn NICHT zu vollenden.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Zitat

    Original von Beatrix
    hmmm, Serienmoerder sind aber kein sehr "allgemeines" Thema ...


    Nee, zum Glück nicht, Beatrix... :grin


    Ob es einfach nur "Mode" sei heutzutage, zum Psychologen zu laufen mit angeblichen Kinkerlitzchen...das bzw. diese provokative Frage von Doc faßte ich allgemein auf. Ich denke, wir können alle froh sein, dass es gut ausgebildete Psychologen/Psychiater gibt.

  • Zitat

    Original von Ikarus
    @Katerina...ich weiß nicht, woraus Du in den Beiträgen hier geschlossen hast, dass jemand, der sich umbringt, sich besonders cool oder stark fühlen würde?


    Ja, das war überspitzt. Ich meinte auch eher, der logische Schluss sei, dass man so jemanden für cool und stark halten müsste. (Was ich zynisch fände). Ich fände es schlimm, wenn die teilweise immer noch ablehnende Haltung Psychotherapeuten gegenüber dazu führen würde, dass jemand, dem nachhaltig geholfen werden könnte, aus einer Krise wieder herauszukommen, diese Hilfe nicht in Anspruch nehmen würde.


    Zitat

    Und...so gut Dein Beitrag sein mag, beleuchtet er doch (bisher) nicht, wie mit Menschen verfahren werden sollte, die nicht sich selbst, sondern andere töten.


    Er beleuchtet eine ganze Menge Fragen nicht. Um die es hier aber auch nicht ging.
    Hier ging es um die Frage, ob es viele Menschen gibt, die ohne ein sie bedrückendes Problem zum Therapeuten gehen. Und die habe ich beantwortet aufgrund der Erfahrungen, die ich mit den Menschen gesammelt habe, die zu mir kommen.


    Noch eine Bemerkung, die ich gern loswerden wollte (und die nichts mit Deinem Beitrag zu tun hat, Ikarus).
    Ich höre manchmal: "Ich war mal bei einem Therapeuten, und der war ganz doof. Ich würde nie wieder zu so jemandem hingehen."


    Ich finde es immer schade, wenn jemand eine solche Erfahrung machen musste. Trotzdem würde ich mir dann wünschen, dass mein Berufsstand eine zweite Chance bekommt. Wenn das nicht der Fall ist, habe ich immer das Gefühl, da ist jemand schon mit Vorurteilen hingegangen, die er bestätigt gesehen hat.
    Würde man nie mehr zum Bäcker gehen, weil einem bei dem einen die Brötchen nicht geschmeckt haben? Würde man nie mehr zum Friseur gehen, weil einem der eine die Haare verschnitten hat?
    Oder würde man nicht vielmehr annehmen: vielleicht ist der wirklich nicht so gut. Oder vielleicht schmecken anderen seine Brötchen/gefallen seine Frisuren, aber für mich ist der nichts, dann muss ich mal eine Ecke weiter gehen?


    (Edit: Tippfehler)


  • :knuddel Holla, nun steigern Sie sich da aber net rein, junge Frau...nicht, dass wir hier noch einen Pschychiater für eine Psychologin brauchen...;-)... :grin :knuddel


    Weißt's, wie ich's meine, gell?...:-)


    Katerina, erstens beziehe ich das nicht auf meinen Laien-Beitrag und zweitens: das gibt es doch überall, wie Deine Beispiele oben schon zeigen: dem einen sin Uhl, ist dem anderen sin Nachtigall.


    Ich denke, jeder Arzt, jede Schwester, Pfleger usw. kennt das...auch wenn man sich noch so engagiert und ins Zeug legt: nicht zu jedem wird man in Deinem Beruf den richtigen Zugang finden, die richtigen Ratschläge erteilen, die richtige Hilfe bringen können.


    Ihr seid Menschen, wie alle anderen auch!


    :wave

  • Ich möchte mich mal bei Katerina für ihren Beitrag bedanken.


    Ich bin als Moderatorin und Fachberaterin in einem Selbsthilfe-Forum. Dort sind die User überwiegend jünger (zwischen 15 und 29 Jahren).


    Klar, gibt es da auch Pubertätsprobleme, aber wir haben viele User mit ernsthaften psychischen Störungen.


    Und da wird mir immer wieder deutlich, dass der Gang zum Psychiater und zum Psychotherapeuten keineswegs selbstverständlich ist.
    Oft sind es schon die Eltern, die sagen, ach sowas brauchst du doch nicht, du bist doch nicht verrückt. Oder die Betroffenen haben Angst, dass es sich bei Freunden und Mitschülern/Mitstudenten rumspricht und diese lästern.


    Und mir geht es dann manchmal so, dass ich es wirklich Schade finde, wenn z.B. eine 18-Jährige eben nicht den Weg in eine fachkundliche Behandlung findet. Denn man trägt die Probleme weiter mit sich herum. Und dann eine Behandlung mit z.b. 38 Jahren anzufangen ist weitaus schwieriger, wie Katerina bereits schrieb.

    Liebe Grüße, Sigrid

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